Читать книгу Jon & Jenny - Arndt Mauer - Страница 12

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Sie landeten in Carson City, der Hauptstadt von Nevada. Ihr erster Halt hatte in New York City stattgefunden, wo sie aber nur in eine andere Maschine umgestiegen waren, um von dort quer über die USA zu fliegen.

Der Flughafen von Carson City war passend zur Stadt recht überschaubar. Es dauerte nicht annähernd so lang wie in New York, bis Jenny, Jon, Adam und Tim alle Kontrollen und Formalitäten hinter sich lassen konnten.

Nachdem sie sich ihr Gepäck vom Rollband geangelt hatten, marschierten sie zum Ausgang. Jon schwang den Rollkoffer in seiner Hand, was ihn angesichts des Gewichts beinah stolpern ließ, und sagte: „Ich merk jetzt erst so richtig, wie ich mich freue, Papa zu sehen.“

Jenny nickte zwar, in ihrem Gesicht spiegelte sich aber nicht Jons Euphorie. Adam schnaufte unter der Last seines kleinkindgroßen Rucksacks. „Kann ich gut verstehen. Ihr trefft euch ja echt selten. Kein Wunder bei der Entfernung. Dabei fällt mir wieder ein, wie froh ich bin, dass wir endlich da sind!“

„Wissen wir, wissen wir“, stichelte Jenny, „allerdings sind wir noch nicht ganz da. Das Camp ist, glaub ich, eine Autostunde von hier entfernt.“

Adam ächzte. „Au Mann, erst eine Stunde rumgurken? Da werde ich aber ’ne Runde pennen. Tim, ich brauche dich als Kopfkissen!“

Tim deutete mit einer Geste an, dass Adam nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte, und ging in Deckung, als dieser träge mit dem Arm nach ihm schwang und dabei gegen Jon stieß, der wenige Meter hinter dem Ausgang stehen geblieben war.

Eine Handvoll Leute wartete hier und hielt nach den Gelandeten Ausschau. Ein älteres Paar umarmte eine junge Frau, zwei Anzugträger wurden von einem Chauffeur in Uniform in Empfang genommen und ein leicht untersetzter Mann küsste sichtlich aufgeregt die Stirn seiner dunkelrothaarigen Liebsten. Die restlichen Passagiere strömten zu den Türen, die ins Freie hinausführten, bis nur noch die vier Freunde übrig blieben. Der Vater der Zwillinge war nicht zu sehen.

Nach zehn Minuten näherte sich ihnen ein hagerer Mann. Er war vielleicht Anfang dreißig. Die Schweißflecken auf dem gestreiften Hemd und die rötliche Gesichtsfarbe mochten von der Hitze rühren, die draußen wohl herrschte. Zusätzlich hatte er aber ein Zucken im Gesicht, das Jon sofort auffiel.

Einen Meter vor ihnen blieb der Mann stehen und musterte sie. „Ihr seid sicher die Kinder von Doktor Kolla, nicht wahr?“ Ohne eine Bestätigung abzuwarten, fuhr er fort: „Ich bin Leroy Grant. Ich arbeite für Doktor Kolla. Es tut ihm sehr leid, er hat es nicht geschafft, euch persönlich abzuholen, denn er musste auf eine wichtige Konferenz. Aber davon kann ich gleich im Wagen noch erzählen. Kommt, fahren wir zum Camp.“

Mr Grant fuhr einen Mittelklasse-Geländewagen. Da Adam der Größte der vier Reisenden aus Deutschland war, saß er auf dem Beifahrersitz. Jenny, Jon und Tim teilten sich die Rückbank, ihr Gepäck war im Kofferraum verstaut.

So bretterten sie durch die trockenheiße Landschaft von Nevada. Jon versuchte, am Kopf von Mr Grant vorbei auf den Tachometer zu gucken, aber es gelang ihm nicht. Sie fuhren bestimmt viel zu schnell. Mr Grant musste sich dessen bewusst sein, denn er starrte regungslos nach vorne und hatte bis jetzt noch keinen Ton gesagt.

Was mochte das für eine Konferenz sein, an der ihr Vater so unerwartet hatte teilnehmen müssen? Jon überlegte, wie er seine Frage an Mr Grant formulieren sollte – sein Englisch war schließlich nicht das allerbeste – da lehnte sich Jenny ein wenig vor und sprach den Amerikaner an: „Entschuldigung, Sie wollten uns doch sagen, was unser Vater gerade zu tun hat, oder? Worum geht es denn da bei dieser Konferenz?“, fragte sie in ganz passablem Englisch.

Mr Grant zuckte mit dem Kopf zur Seite, bevor er sich wieder auf die leere Straße konzentrierte. Er antwortete nicht gleich, sondern wischte sich erst mit dem rechten Handrücken Schweiß von der Stirn. Schließlich deutete er ein Nicken an. „Jaja, richtig, so ist es. Er musste auf eine Konferenz. Die konnte nicht ohne ihn stattfinden.“ Er strich sich mit einer fahrigen Bewegung durch das dünne Haar.

Jon beobachtete Mr Grant im Rückspiegel. Da war ein Funkeln in dessen Augen, das ihn auf seltsame Art irritierte.

Der Amerikaner fuhr fort: „Es geht da um eine wichtige Entdeckung, etwas ganz Großes. Ich kann euch das jetzt nicht näher erklären. Es handelt sich um eine Beobachtung, die mit dem Super-Teleskop gemacht wurde, das wir in Camp Odyssee seit diesem Jahr haben.“

Jons Interesse war mit jedem Wort gestiegen, aber Adam reagierte schneller. Allerdings auf andere Art, als es Jon im Sinn hatte. „Wo Sie gerade davon sprechen, wann sind wir denn da, also in Camp Odyssee. Ich habe echt Hunger.“

Jon ließ die Spannung aus seinem Körper entweichen. Da war die Rede von den unglaublichsten technischen Geräten und von irgendwelchen wichtigen Entdeckungen, die anscheinend entweder geheim oder hochkompliziert waren, und woran dachte Adam? Ans Essen. Tim dagegen verweigerte sich dem Gespräch einfach, indem er leise schlief. Sein Kopf lehnte an die Scheibe.

Jenny war anzusehen, dass sie mit der Antwort von Mr Grant nicht zufrieden war. Bevor sie nachsetzen konnte, wandte dieser sich Adam zu. „Keine Sorge, wir kommen gleich an. Zum Glück sind die Straßen hier immer recht leer.“

„Nicht zu vergessen die viel zu hohe Geschwindigkeit“, dachte Jon, behielt es aber für sich.

„Seht ihr die Berge da hinten?“, fragte Mr Grant. „Kurz davor liegt das Camp. Sobald ich euch hingebracht habe, werde ich weiterfahren, um Dr. Kolla abzuholen. Jenny, Jonas, wie wär’s, wenn ihr mitkommt, nachdem wir eure Freunde und das Gepäck im Camp abgesetzt haben. Dann könnt ihr euren Vater direkt sehen. Für alle ist kein Platz, denn Dr. Kolla muss ja noch ins Auto passen.“

Jon und Jenny tauschten kurz Blicke. Auch Jenny schien irgendetwas komisch vorzukommen. Vielleicht waren sie aber bloß müde und deswegen misstrauisch. Sie hatten einen langen Flug hinter sich, es war heiß und sie saßen zu fünft in einem Auto, das über eine staubige Wüstenstraße donnerte. Da konnte man durchaus etwas paranoid werden. Jedenfalls wollte Jon endlich seinen Vater wiedersehen. Und Jenny ging es vielleicht genauso – oder sie war einfach nicht scharf darauf, mit Adam und Tim warten zu müssen. Gleichzeitig antworteten sie also schlicht: „Okay.“

Zwanzig Minuten später kam Jon die Situation jedoch noch immer komisch vor, sehr sogar. Im Camp hatten sie nur das Gepäck aus dem Kofferraum geholt, während Mr Grant mit einer älteren Frau aus einem Büro zurückgekommen war. Diese hatte Adam und Tim in Empfang genommen und sie zu ihrem Zimmer geführt.

Schon war die Fahrt weitergegangen, da die Konferenz bald zu Ende sei und sie ihren Vater doch nicht warten lassen wollten.

Mr Grant hatte es definitiv eilig. Er raste mit ihnen durch die sich rasch verdunkelnde Wüstenlandschaft, ohne einen Ton zu sagen. Stattdessen war da wieder dieses Zucken in seinem Gesicht, das Jon nun noch mehr irritierte. Vorsichtig fragte er: „Müssen wir so schnell fahren?“

Aber Mr Grant ignorierte ihn einfach. Er kniff die Augen zusammen, als hielte er nach etwas Ausschau. Nach weiteren fünf Minuten verlangsamte er die Geschwindigkeit und bog auf einen Rastplatz ab, der von Staub und Sand bedeckt war. Außer ihnen war niemand dort. Man konnte hier kurz Pause machen, aber abgesehen von zwei Tischen aus massivem Holz und dazugehörigen Bänken bot der Ort keinerlei Annehmlichkeiten. Allmählich entfachten die Sterne ihr anmutiges Leuchten.

Jon spürte, wie Jenny unruhig wurde. Auch er wusste nicht, weshalb sie anhielten. Es gab keine Tankstelle, und warum sollten sie eine Pause einlegen, wenn doch die Zeit drängte?

Adam und Tim hatten gerade ihre Koffer in dem ihnen zugewiesenen Zimmer abgestellt, als ein Mann an die offene Tür klopfte und gleichzeitig eintrat. „Ah, ihr müsst Dr. Kollas Söhne sein. Freut mich, euch kennenzulernen. Ich bin Bryan Daley, ein Assistent von Dr. Kolla.“

Tim schüttelte energisch den Kopf und antwortete: „Wir sind nicht die Söhne von Dr. Kolla. Ich bin Tim und das ist Adam!“

„Wir sind Freunde von Dr. Kollas Kindern“, ergänzte Adam. „Er hat eine Tochter und einen Sohn, Jenny und Jonas.“

Daley nickte. „Ja, stimmt, daran erinnere ich mich jetzt auch. Tut mir leid, da war ich grad durcheinander, als ich euch gesehen habe. Wo stecken die Zwillinge denn? Dr. Kolla hat eben angerufen und gesagt, dass er gleich hier sein wird.“

Adam runzelte die Stirn. Tim sagte auf Deutsch zu ihm: „Ich dachte, die holen ihn ab? Dann fahren sie ja aneinander vorbei!“

Adam erklärte Mr Daley die Situation. Als dieser den Namen Grant hörte, riss er die Augen auf. „Da stimmt etwas nicht. Dr. Kolla ist mit seinem eigenen Wagen zu der Konferenz gefahren. So wie immer. Außerdem konnte Grant unmöglich wissen, wann das Meeting genau zu Ende sein würde ...“

Der Boden des Rastplatzes knirschte unter den Reifen. Warum war Mr Grant so still? Was wollte er hier? Vorerst konnten die Zwillinge nur abwarten. Kaum war der Wagen zum Stillstand gekommen, sprang der hagere Wissenschaftler heraus und glitt wie ein langer Schatten vor die hintere Tür. Jon und Jenny erstarrten. Grant hielt eine Pistole in der Hand. Er zielte damit direkt auf Jon. Dessen Mund war schlagartig ausgetrocknet. Er schluckte mühsam. Kalter Schweiß rann ihm von den Schläfen über die Wangen den Hals hinunter. Sein Herz klopfte lauter als jemals zuvor in seinem Leben.

„Was wollen Sie?“ Jenny hatte ihre Sprache wiedergefunden, auch wenn ihr Klang wegen des Zitterns darin ungewohnt war.

Mr Grant schien zu überlegen, ob er etwas sagen sollte. Schließlich holte er aus seiner Jackentasche ein Klebeband und warf es Jenny zu. Dabei knurrte er: „Verbinde deinem Bruder den Mund.“

Als Jenny zögerte, rief er: „Mach schon! Und dann die Hände fesseln! Na los!“ Die Ader auf seiner Stirn zeichnete sich deutlich ab. Als unmissverständliche Drohung hob er die Pistole noch ein Stück höher und zielte Jon dadurch genau zwischen die Augen. Jenny atmete ein paar Mal tief durch und tat, was Mr Grant verlangte.

„Und wehe, er kann sich bewegen! Versuche nicht, mich auszutricksen!“

Jenny fesselte ihren Bruder, der seine Fäuste hinter dem Rücken verkreuzt hatte. Anschließend forderte Grant Jon auf, zur anderen Seite des Wagens zu rutschen. Jenny musste sich umdrehen, damit sie von Grant selbst gefesselt werden konnte. Auch ihr verband er den Mund. Als die beiden so geknebelt waren, schien er allmählich in Redelaune zu kommen. „Denkt nicht, dass ich das gerne machen würde, aber ich habe keine Wahl. Daran ist nur euer Vater schuld!“ Grant sprach mehr zu sich selbst: „Wenn er sich besser verhalten hätte ...“ Der Amerikaner brach ab und schien seinen Gedanken in die Vergangenheit zu folgen. Das Flackern kehrte in Grants Augen zurück. Er verengte sie zu Schlitzen und fixierte die Zwillinge. „Er behandelt mich wie einen gewöhnlichen Assistenten, obwohl ich viel mehr bin! Ich allein bin für die große Entdeckung verantwortlich! Und er will den ganzen Ruhm einheimsen!“ Wort für Wort senkte er die Lautstärke. „Das kann ich nicht zulassen. Ich habe zu hart dafür gearbeitet, immer schon. Ich verdiene es, mehr als ein Assistent zu sein. Ich sollte das Labor führen, nicht euer überheblicher Vater! Aber er wird noch sehen, was er davon hat ...“ Jons Blick traf den von Jenny. Er sah darin so viel Angst, wie er selbst hatte.

Bryan Daley machte mit Adam und Tim einen Rundgang durch das Hauptgebäude. Der Forscher wirkte unruhig: Dauernd sah er nach draußen. Die Frage, was genau los sei mit Mr Grant und den Zwillingen, hatte er mit einem „Nichts, nichts, keine Sorge“ abgetan. Als Daley erneut aus einem Fenster spähte, hielt er mitten im Satz inne, entschuldigte sich mit ein paar dahingeworfenen Worten, die Adam nicht verstand, und eilte zum Ausgang. „Da ist Dr. Kolla“, rief Tim und deutete nach draußen. Ohne zu zögern, liefen sie Daley hinterher. Als sie die beiden erreichten, beendete Daley gerade seine Erklärung mit: „... sind sie zu dritt weitergefahren!“

Dr. Kolla fuhr sich durch das ergraute Haar und zog die Augenbrauen hoch. „Was? Wieso das? Was sollte das für einen Sinn ergeben? Und ausgerechnet Grant ...“ Er brach ab, wurde bleich. Sein Mund öffnete sich, aber anstatt noch etwas zu sagen, sah er Daley nur mit aufgerissenen Augen an.

Grant schien unsicher zu sein, wie er weiter vorgehen sollte. Er saß im Wagen, überlegte es sich jedoch anders, stieg aus und öffnete die hintere Tür zum zweiten Mal. „Los, raus mit euch, los, los!“

Jenny und Jon kletterten hinaus, was mit gefesselten Händen nicht so einfach war. Jon verlor sein Gleichgewicht und stolperte gegen Grant. Dieser wich zurück, fluchte und stieß den schlanken Jungen von sich, sodass er mit Jenny zusammenprallte. Sie halfen sich mühsam gegenseitig auf.

Grant hatte derweil den Kofferraum geöffnet. Er schnauzte die Zwillinge an: „Klettert da rein. Und keinen Ärger machen, sonst ...“ Er ließ die Pistole aus seiner Tasche blitzen.

Langsam gingen die Geschwister hinter den Wagen. Jenny hielt für einen Augenblick inne. Mit einer kaum wahrnehmbaren Kopfbewegung machte sie Jon auf etwas aufmerksam. Da sah er es auch. Ein Auto fuhr auf der ansonsten völlig leeren Straße in ihre Richtung. Noch war es weit entfernt. Wenn sie sich irgendwie bemerkbar machen könnten ...

Viel Zeit blieb nicht. Eingesperrt im Kofferraum, gefesselt und geknebelt, waren sie Grant ausgeliefert. Leider hatte dieser den Wagen auch bemerkt. Er stieß Jon den Revolverlauf in den Rücken. „Los jetzt, sofort. Sonst werdet ihr diesen Ort nicht mehr lebend verlassen!“

Jon versuchte, sich zu konzentrieren, aber der Schlag seines Herzens übertönte jeden Gedanken. Jons Atmung wurde flacher, er kämpfte gegen die von der drohenden Sauerstoffknappheit angefachte Panik.

Sie hatten keine Chance. Grant war unberechenbar. Vielleicht sogar völlig verrückt. Wieder stieß er Jon die Pistole in den Rücken, diesmal noch heftiger. Als er anfing, Jenny mit Gewalt in den Kofferraum zu bugsieren, kletterte sie hinein. Jon folgte ihr. Bevor der Verschluss einrastete, gelang es ihm, einen letzten Blick auf den herannahenden Wagen zu werfen. Wer auch immer darin saß, wäre fast Zeuge ihrer Gefangennahme geworden. Und konnte jetzt nicht mehr helfen.

Jon & Jenny

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