Читать книгу Jon & Jenny - Arndt Mauer - Страница 14
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Dr. Kolla war kreidebleich, als sie im Camp ankamen. Auch Adam und Tim sahen blasser als gewohnt aus. Die Zwillinge stiegen aus dem Wagen und wurden sofort von ihrem Vater umarmt. „Jennifer! Jonas! Ihr seid wieder da! Gott sei Dank! Es ist alles so verrückt hier momentan, und dann höre ich auch noch, dass Grant euch entführt hat ... Nicht auszudenken, was hätte passieren können!“
Sie brauchten eine Weile, um sich gegenseitig zu versichern, dass es ihnen gut ging. Schließlich löste Jon sich langsam aus der Umarmung. „Was ist mit diesem Grant los? Was wollte er von uns?“
Auch die Polizisten waren daran natürlich interessiert.
Dr. Kolla nickte mit angespanntem Kiefer. „Das ist kompliziert. Wir sollten erst einmal hineingehen, bitte.“ Er lud mit einer Geste alle Anwesenden ein.
Sie saßen in einem kleinen Empfangszimmer des Hauptgebäudes. Dr. Kolla rieb sich das Kinn. „Also, Leroy Grant“, er verzog bei dem Namen sein Gesicht, wie es auch bei Jenny zuweilen vorkam, „ist ... beziehungsweise war einer meiner wissenschaftlichen Mitarbeiter. Aber alles andere als ein gewöhnlicher Assistent. Ihn zeichnete von Anfang an extremer Ehrgeiz aus – das lässt sich bis zu seiner Schullaufbahn zurückverfolgen, wir haben ja die Unterlagen – und er arbeitete für drei, das muss man sagen. Allerdings war er zudem unerbittlich getrieben von der Gier nach Erfolg, wie sich immer mehr herausstellte. Grant hat sich als wichtiger als seine gleichrangigen Kollegen eingestuft, und auch mir fühlte er sich inzwischen wohl weit überlegen. Sein übergroßes Ego wurde zunehmend ein Problem. Wir sind wegen Kompetenzfragen ein paar Mal aneinandergeraten. Er wollte einfach nicht einsehen, dass er noch nicht über die Erfahrung verfügt, die man erst nach langen Jahren der Forschung erlangt. Wir hatten also zweifellos ein angespanntes Verhältnis ...“ Dr. Kolla hielt inne und blickte für einen Moment ins Nichts. Leiser sprach er weiter: „Und was in den letzten Tagen passiert ist, muss der entscheidende Funken gewesen sein, der irgendeine Sicherung in seinem Kopf hat durchschmoren lassen.“
„Ich kann Ihnen momentan nur so viel sagen“, fuhr Dr. Kolla lauter zu den Polizisten gewandt fort, „als dass uns hier im Camp ein bedeutendes Ereignis widerfahren ist, auf das ich noch nicht näher einzugehen vermag. Grant war jedenfalls der absoluten Überzeugung, dass einzig er dafür verantwortlich sei und nur ihm alle Autorität diesbezüglich gebühre. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn wegen der unerträglichen Vergiftung des Arbeitsklimas aus meiner Arbeitsgruppe zu suspendieren. Das dürfte ein Motiv sein, zumindest für einen Mann wie Grant mit gestörter Wahrnehmung. Ich nahm ihm das Bedeutendste in seinem Leben. Und auch dabei wollte er mich übertrumpfen“, fügte er noch an.
Die vier Freunde hatten stumm zugehört. Erschöpfung zeichnete ihre Gesichter: so viel auf einmal – die lange Reise, die Entführung und jetzt die Andeutungen über spektakuläre Ereignisse im Camp. Sie brauchten Schlaf, da waren sich alle einig. Psychologische Hilfe, die ihnen angeboten wurde, lehnten sie vorerst ab.
Die Polizisten klärten noch ein paar Fragen mit Dr. Kolla und hatten nichts dagegen, dass sich die Zwillinge und Adam und Tim zurückzogen. Zunächst riefen sie zu Hause in Deutschland an. Diese Gespräche dauerten eine Weile, und es war schwer, den Eltern daheim zu versichern, dass alles in Ordnung sei. Danach waren die Freunde mit ihren Gedanken allein.
Adam und Tim hatten schon ihr Zimmer bezogen, aber anstatt dort hinzugehen, streiften die vier ziellos durch das Camp. Es bestand aus fünf lang gezogenen Gebäuden mit Büros, Laboren und Unterkünften, einer kleinen Halle, einem Sportplatz sowie Parkplätzen. Ein drei Meter hoher Zaun trennte es vom kargen Umland. Im Süden zeichneten sich die zerklüfteten Berge vor dem Abenddunkel ab. Wie weit sich der Himmel über sie spannte! Jon blickte, ohne zu blinzeln, hinauf. Unzählige Sterne schimmerten dort oben und der volle Mond warf sein Licht auf die trockene Erde. Die Wüstenluft ließ ihn frösteln.
Adam versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken. Es gelang nicht – er verzichtete bei den folgenden Gähnattacken gleich ganz darauf.
Tim sah erst zu den Bergen, dann über sie hinweg. „Wie weit sind wir hier eigentlich von zu Hause entfernt?“
„10.000 Kilometer ungefähr“, antwortete Jon.
„Du wirst doch nicht etwa schon Heimweh bekommen?“, fragte Jenny.
„Ich mach mir nur Sorgen um meine Tiere“, verteidigte Tim sich. Er blinzelte ein paarmal, sodass der feuchte Glanz in seinen Augenwinkeln verschwand.
„Kannst du an nichts anderes als an diese widerlichen Viecher denken?“
Jon ging dazwischen. „Beruhigt euch, es ist doch alles in Ordnung. Kein Grund zum Streiten.“
Jenny nickte müde. „Was Tiere angeht ... ich bin sicher, dass du bei Tageslicht hier genug Echsen rumlaufen siehst, Tim. Wir sind schließlich in der Wüste.“
Sofort flammte Leben in Tim auf. „Stimmt! Das hatte ich ja fast vergessen! Dabei war das einer der Gründe, warum ich mich so darauf gefreut hab, hierhin zu kommen!“ Er hüpfte ein wenig von einem Bein aufs andere.
„Und worauf hast du dich noch gefreut?“, fragte Jon. „Abgesehen von ein paar Echsen, viel Sand und den Laboren gibt’s hier ja kaum was.“
Tim hörte auf zu hüpfen. „Na, darauf, mit euch die Ferien zusammen zu verbringen!“
Jon öffnete den Mund halb, sagte aber nichts. Er senkte den Kopf und murmelte etwas, das wie „Ohjaklarwirunsauch“ klang.
Adam ließ seinen Arm auf Tim fallen. Nach einem weiteren Gähnen meinte er: „Weißt du was, Kleiner, du bist ja eigentlich doch ganz in Ordnung, muss ich ausnahmsweise sagen!“
Eine halbe Stunde später trafen sich die Zwillinge wieder mit ihrem Vater in dem Empfangsraum. Adam und Tim schliefen wahrscheinlich endlich. Die beiden Polizisten waren von Kollegen abgeholt worden. Es hatte noch keine Neuigkeiten bezüglich Leroy Grant gegeben.
Dr. Kolla wirkte ungewohnt erschöpft. Die feinen Linien um seine Augen durchzogen die Haut tiefer als je zuvor. „Ich werde mir nie verzeihen können, in welche Gefahr ihr geraten seid. Es ist meine Schuld. Ich hätte euch persönlich abholen sollen. Oder mich wenigstens darum kümmern müssen, wer euch abholt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie Grant schicken würden.“ Er biss sich auf die Unterlippe. „Leroy hat ja gewusst, dass ihr kommt. Er wird sich angeboten haben, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Vielleicht hat er es sogar als Friedensangebot seinerseits dargestellt.“
Jon drückte seinen Vater. „Du hättest nicht vorhersehen können, dass er so was vorhat.“
„Der ist eben völlig durchgeknallt“, murmelte Jenny und lehnte sich zurück.
Aber Dr. Kolla schüttelte den Kopf. „Ich hätte besser vorbereitet sein müssen. Er ist verrückt. Eine solche Kurzschlussreaktion ist da gar nicht mehr so unwahrscheinlich. Auch wenn ich es nach wie vor kaum glauben kann, dass er so viel Hass auf mich hat. So viel, dass er bereit war, meinen Kindern etwas anzutun ...“ Die Worte bröckelten nur noch aus ihm heraus.
Jon versuchte, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Papa, was war denn eigentlich hier los in den letzten Tagen? Das, was du gegenüber den Polizisten angedeutet hast. Auch Grant hatte von etwas Bedeutendem gesprochen.“
„Und auch er wollte nicht konkret werden“, fügte Jenny an.
Dr. Kolla lachte kurz auf, aber in dem Lachen lag mehr Verzweiflung als Freude. „Na, immerhin ist Grant diskret geblieben!“ Er schluckte hart. „Es tut mir leid, Sarkasmus ist hier fehl am Platz. Wir sind alle etwas überdreht, wen wundert’s. Obwohl, ihr zwei verkraftet das scheinbar am besten, so gelassen wie ihr seid. Geht’s euch denn wirklich gut? Ich denke, ihr solltet unbedingt versuchen zu schlafen, das ist jetzt das Wichtigste.“
Jon schürzte die Lippen und Jenny verschränkte ihre Arme. „Papa, wie sollen wir schlafen, wenn hier irgendetwas vor sich geht, worüber du uns scheinbar im Unklaren lassen willst?“, fragte sie mit leichtem Druck in der Stimme.
Jon bekräftigte: „Seit Grant diese Andeutungen gemacht hat, muss ich dauernd darüber nachdenken. Immerhin werde ich in den nächsten Wochen auch im Camp mitarbeiten, ein bisschen wenigstens, da steht es mir doch zu, zu erfahren, was Punkt Eins auf der Tagesordnung ist.“
„Und ich bin einfach neugierig, also erzähl’s uns schon“, drängte Jenny.
Dr. Kollas Mund umspielte ein feines Lächeln. „Von zustehen kann wohl keine Rede sein, Schülern ist der Zugang zu vertraulichen Informationen in der Regel nicht gestattet, bei uns wenigstens nicht. Und reine Neugier reicht leider auch nicht. Aber ihr seid zwei ziemlich helle Köpfe. Und davon abgesehen bleibt das Ganze kaum noch lange geheim, so wie es im Moment aussieht.“ Er fuhr sich mit der Hand durch das schüttere Haar und nickte. Seine Augen spannten sich, als dächte er intensiv nach. „Ihr müsst mir aber unbedingt versprechen, dass ihr diese Informationen für euch behaltet! Ihr würdet mir einen großen Gefallen tun, wenn ihr selbst Adam und Tim vorerst nichts erzählt. Es würde sie sehr belasten, was ich verhindern möchte, so lange, wie es noch möglich ist.“
Die Zwillinge warfen sich Blicke zu, die stumm das Gleiche ausdrückten: Sie waren sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob sie das Folgende hören wollten.