Читать книгу Jon & Jenny - Arndt Mauer - Страница 17

Оглавление

*

10

Die Rückfahrt dauerte deutlich kürzer als die Hinfahrt, was daran lag, dass Bryan vorher extra einen Umweg genommen hatte, damit sie den Steilhang nicht vom Auto aus sehen würden. Vom Camp ließ er sich zu Fuß vermutlich in einer guten halben Stunde erreichen.

Bryan stellte den Wagen auf dem Parkplatz zu den anderen Camp-Fahrzeugen und lief zum Labor, nachdem er sich für das abrupte Ende ihres gemeinsamen Tages entschuldigt hatte. Genaue Auskunft, warum er gebraucht wurde, hatte er nicht gegeben. „Mir kommt das komisch vor“, überlegte Jenny laut. „Was kann denn so wichtig sein, dass sie nicht noch ein paar Stunden auf einen ihrer Assistenten verzichten können?“

„Einiges“, bemerkte Jon. „Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter führt vielleicht Tests durch oder so. Die sind die Hände, ihre Chefs das Hirn. So ungefähr jedenfalls.“

Adam drängte sich zwischen sie. „Dann stellt sich aber die Frage, Stephen Jonking, wieso sie nicht irgendjemand anderen nehmen konnten. Hier gibt’s doch genug Forschervolk. Erst degradieren sie Bryan zum Kindermädchen und kurz danach lassen sie ihn wieder antanzen?“

„Vielleicht, weil sie einfach jeden brauchen“, meinte Jon nachdenklich. „So langsam möchte ich wirklich wissen, was hier im Gange ist.“

Sie schwiegen eine Zeit lang. Plötzlich hüpfte Tim nach vorne. „Hey, wir könnten uns doch jetzt mal die Karts ansehen! Was haltet ihr davon?“

Adam schlug die Hände zusammen und rief: „Stimmt ja! Die haben wir total vergessen! Unglaublich! Wo sind die?“

„Mist, wir hätten Bryan fragen sollen“, stellte Jon fest.

„Ist doch egal“, sagte Jenny, „so viele Möglichkeiten kann’s hier ja nicht geben. Fragen wir einfach jemand anderen.“

„Stimmt“, nickte Jon, „lasst uns zu der Sekretärin gehen. Die wird das wissen.“

Mrs Sanders war eine füllige Frau, an der die vorherrschende Hektik abzuperlen schien. Sie hatte die vier deutschen Jugendlichen nach ihrer Ankunft mit Plätzchen und Getränken versorgt und war damit auf deren Sympathieskala weit nach oben geschossen.

Als Jenny, Jon, Adam und Tim das Büro von Mrs Sanders betraten, telefonierte die Sekretärin. In einer Reihe warteten sie nebeneinander vor dem Tresen. Jenny rechts außen ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Da hingen ein paar Dokumente an der linken Wand, Urkunden wahrscheinlich. Auf dem Schreibtisch standen drei Fotos, von denen Jenny nur eines halbwegs erkennen konnte. Darauf war ein Mann mit zwei Kindern, alle hatten einen Fisch in der Hand, den sie dem Fotografen präsentierten. Ihr Blick glitt weiter über den modernen Computer, die Aktenschränke und die rechte Wand auf den Tresen vor sich. Direkt daneben nahm sie eine Bewegung am Boden wahr. Als Jenny genauer hinsah, schrie sie auf. Schamesröte stieg ihr ins Gesicht, aber sie musste einfach schnellstmöglich zurückweichen: Kakerlaken. Sie krabbelten an der Wand entlang auf den Tresen zu, krabbelten wieder zurück, krabbelten erneut zum Tresen und diesen hinauf.

Mrs Sanders hatte ihr Telefonat unterbrochen und hielt den Hörer mit der Hand zu. Als sie nach vorne kam und die Kakerlaken sah, zog sie erstaunt die Augenbrauen hoch.

Jon und Adam blieben auf der anderen Seite des Zimmers stehen, nur Tim kam näher und suchte offenbar das Gespräch mit den Insekten.

Nachdem sie den Anrufer verabschiedet hatte, ging Mrs Sanders am linken Ende des Tresens vorbei zu den vier Jugendlichen. „Tut mir leid, meine Lieben“, sagte sie an die Kakerlaken adressiert, „aber ihr habt euch den falschen Ort zum Klettern ausgesucht!“ Sie drehte sich zu Jenny und den Jungs und lachte: „Keine Sorge, mit denen werde ich schon fertig! Im Schrank steht ein Spray, das Ungeziefer vertreibt. Die müssen sich wohl verlaufen haben!“ Mit einem Kopfschütteln fügte sie an: „Mir sind hier jedenfalls sonst noch nie Kakerlaken aufgefallen.“

Die vier warteten draußen vor dem Hauptgebäude, während Mrs Sanders die Insekten mit ihrem Spray bekämpfte. Nach einigen Minuten trat die Sekretärin zu ihnen hinaus ins Sonnenlicht. „So, denen habe ich eine Lektion erteilt. Aber ihr wolltet mich ja eben sicher nicht auf die kleinen Biester aufmerksam machen. Was kann ich denn für euch tun?“

Als Jon die Frage nach den Karts gestellt hatte, nickte Mrs Sanders wissend. „Ach ja, diese Dinger. Damit habt ihr bestimmt eine Menge Spaß. Die stehen in einem Schuppen da hinten“, sie deutete mit dem Finger auf die gegenüberliegende Seite des Camps. „Ihr braucht den Schlüssel für das Tor. Kommt mit, ich gebe ihn euch.“

Sie gingen zurück zum Sekretariat. Während Mrs Sanders den Schlüssel aus einer Schublade fischte, wich die Fröhlichkeit aus ihrem Gesicht. „Hört mal, die Polizei hat übrigens heute Mittag angerufen. Ich weiß nicht, ob ich das nicht erst Dr. Kolla sagen sollte, aber er ist ja momentan sehr beschäftigt … und ich denke, ihr habt ein Recht darauf, es gleich zu erfahren.“

Jons Magen zog sich zusammen. Es ging um Leroy Grant, kein Zweifel. Er merkte, dass Jenny still geworden war.

Die rundliche Sekretärin kam zu ihnen nach vorne. Sie behielt den angespannten Gesichtsausdruck, als sie erklärte: „Die Polizei hat das Fahrzeug gefunden, mit dem Grant geflohen ist. Es ist einen Hang hinabgestürzt und vollständig zerstört. Sie gehen davon aus, dass er Selbstmord begangen hat. Bis das endgültig bewiesen ist, dauert es noch ein paar Tage, weil die Unglücksstelle nur schwer zugänglich ist. Das Nummernschild konnten sie aber schon identifizieren.“

Jon wusste nicht, was er erwidern sollte. Er hätte wahrscheinlich Erleichterung verspüren sollen. Stattdessen fühlte es sich ... komisch an. Jenny hatte die Unterlippe eingezogen und kaute darauf herum. Tim und Adam standen schweigend ein wenig abseits – auch sie wussten offensichtlich nicht, wie sie sich verhalten sollten.

„Jennifer, Jonas, es tut mir so leid, in was für einen Albtraum ihr da hineingezogen wurdet.“ Mrs Sanders griff nach den Händen der Zwillinge und drückte sie fest. „Aber ihr werdet das durchstehen. Ihr seid jetzt hier in Sicherheit, und Leroy Grant kann euch nichts mehr tun. Er ist durch das Höllentor gegangen, womöglich war es am besten so.“

„Das Höllentor?“, fragten die Zwillinge einstimmig.

Mrs Sanders winkte ab. „Ach, vergesst das. So nennt man eine Felsformation über dem Abgrund, von dem Grant gestürzt ist.“ Sie pausierte kurz. „Wisst ihr was, vielleicht solltet ihr lieber zu eurem Vater ins Labor gehen und mit ihm reden.“

Sie ließ die Hände los und griff hinter den Tresen. „Kann ich euch wenigstens mit ein paar Keksen etwas Gutes tun?“ Als die Zwillinge nickten, lächelte sie herzlich.

„Mrs Sanders ist richtig nett“, stellte Adam kauend fest, „und ihre Kekse schmecken einfach super. Hoffentlich gibt sie uns auch so noch mal welche, nicht nur bei wichtigen Nachrichten.“

„Adam, du bist wirklich von einem anderen Stern. Wann holen deine Artgenossen dich eigentlich wieder ab?“, sagte Jenny kopfschüttelnd. „Wie kann man jetzt über Kekse reden?“

„Ich meine ja nur“, verteidigte sich Adam. „Die schmecken halt echt gut!“

„Jenny hat recht“, wandte Jon ein. „Das mit Grant ist krass.“

Adam nickte. „Ja, das ist es. Auf jeden Fall. Der Kerl war wirklich verrückt, das hat doch euer Vater gesagt, oder?“

„Ja, schon“, antwortete Jenny. „Und ich habe ihm bestimmt nichts Gutes gewünscht, aber das ... Andererseits bin ich froh, dass er uns keinen Ärger mehr machen wird ...“

„Ich find’s total unheimlich, dass wir heute selbst am Höllentor waren“, sagte Tim. „Hätten wir ihn nicht sehen müssen?“

„Der Abgrund ist nicht nur hoch, sondern auch breit“, überlegte Jon. „Und wir sind nicht ganz nah rangegangen. Ich habe zumindest nur in die Ferne geguckt ...“ Er schwieg einen Moment, atmete tief durch und meinte: „Vielleicht sollten wir wirklich zu Papa gehen. Ihn wird das genauso treffen – immerhin war Grant einer seiner Assistenten.“

„Ja, lasst uns im Labor vorbeischauen“, stimmte Jenny zu. „Mir ist auch gar nicht mehr nach Kartfahren.“

„Kann ich gut verstehen“, sagte Adam, nachdem er den Rest von seinem Keks heruntergeschluckt hatte.

Sie gingen auf der Hauptstraße mitten durch das Camp und bogen in die dritte Abzweigung links ein. Ein einziges Haus zog sich von der Ecke bis zum Zaun am Ende der Straße. Das Labor Nr. 1, in dem Dr. Kolla arbeitete, war das größte Gebäude auf dem Gelände. Im Vorraum stand nur ein Schreibtisch. Dahinter saß ein Anzug tragender Mann und starrte auf sein Smartphone.

Jenny ging als Erste auf ihn zu und sagte: „Hallo, wir würden gern zu Dr. Kolla, unserem Vater. Können Sie uns sagen, wo er ist?“

Der Kopf des Mannes ruckte hoch, gleichzeitig ließ er das Telefon in einer Tasche verschwinden.

Er erhob sich und antwortete: „Ah, hi, wie geht’s? Äh, es ist so, ich weiß nicht exakt, wo Dr. Kolla gerade ist, aber ich kann nachsehen und ihn fragen, ob er Zeit für euch hat. Hier gibt es momentan ziemlich viel zu tun, wisst ihr.“

„Nicht so genau“, murmelte Jenny, doch der Mann nickte bloß freundlich und sagte im Gehen: „Wartet bitte eine Minute, ich bin gleich zurück.“ Sie drehte sich zu den Jungs um und biss sich auf die Unterlippe. „Hätten wir nicht einfach direkt mitgehen können?! Immerhin wollen wir nur kurz unseren Vater sehen.“ Sie betonte das Wort Vater, indem sie mit der Rückseite ihrer rechten Hand auf die Innenseite der anderen schlug. „Und der spielt sich hier sonst wie auf.“

Jon wandte ein: „Wenn die an irgendwas Wichtigem arbeiten, darf man da nicht einfach rein.“

„Denken die etwa, wir würden etwas kaputt machen? Wir sind doch keine kleinen Kinder – dich mal ausgenommen, Tim – also, was soll das?“

„Hey“, rief Tim, „ich zerdeppere bestimmt nichts. Dann schon eher Adam!“

„Ich zerdeppere dich gleich“, grollte Adam.

Jon öffnete seine Hände zu einer beschwichtigenden Geste. „Jetzt flippt nicht aus, sonst denken die wirklich noch, wir wären kleine Kinder. Der Typ macht nur seine Arbeit. Er holt Papa bestimmt gerade.“

Kurz darauf kam der Anzugträger zurück. „Tut mir leid, Leute. Dr. Kolla lässt ausrichten, dass er bis zum Abendessen keine Zeit hat. Er meldet sich dann. Kann ich euch sonst noch behilflich sein?“

„Nein, danke“, erwiderte Jenny etwas lauter, als sie wohl vorgehabt hatte, denn gleich darauf schüttelte sie nur mit leicht erröteten Wangen den Kopf.

Die Zwillinge und ihre Freunde verabschiedeten sich und trotteten die Straße wieder hinauf. Jennys Kiefer war angespannt, während sie deutlich hörbar Luft durch die Nase sog. Mit einem kurzen Ausfallschritt visierte sie einen Stein an und kickte ihn im weiten Bogen vor sich her. „Weißt du“, sagte sie zu Jon, „er könnte genauso gut gerade in Deutschland sein. Es ist völlig egal, ob zu Hause oder hier: Man kriegt ihn ja eh nie zu Gesicht.“

„Ich hab’s mir auch anders vorgestellt …“, meinte Jon.

„Du brauchst dich doch nicht zu beschweren“, sagte Jenny und blieb stehen, „du wirst ja durch das Praktikum mit ihm zu tun haben. Nur ich bleibe auf der Strecke!“

„Stimmt nicht!“, entfuhr es Jon, „Erstens ist das was anderes, wenn man arbeiten muss, und zweitens forsche ich ja nicht direkt mit ihm zusammen! Die meiste Zeit werde ich wahrscheinlich mit irgendwelchen Übungen beschäftigt sein. Du siehst ja, wie viel Papa zu tun hat, da wird er sich kaum groß um Praktikanten kümmern.“

Jenny schnaubte nur. „Auf jeden Fall wirst du eher bei ihm sein als ich, was anderes kannst du mir nicht erzählen! Aber ist mir auch egal.“ Sie ging weiter und suchte mit ihrem Blick den Boden ab. Mit bebender Stimme erklärte sie: „Papa ist es ja anscheinend genauso egal.“

Jon war sich ziemlich sicher, dass das nicht stimmte. Andererseits lagen zwei äußerst turbulente Tage hinter ihnen. Da hätte man schon erwarten können, dass ihr Vater sich mehr um sie kümmerte. Jon glaubte, plötzlich ein bisschen besser zu verstehen, warum es zwischen seinen Eltern oft zu Streit gekommen war.

„Ich habe jetzt doch Lust auf Kartfahren“, sagte Jenny in das Schweigen hinein. „Kommt, lasst uns die mal angucken!“ Und damit beschleunigte sie ihre Schritte so, dass die anderen Mühe hatten, mitzuhalten.

Jon & Jenny

Подняться наверх