Читать книгу Jon & Jenny - Arndt Mauer - Страница 16
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Am nächsten Tag sahen die Zwillinge Dr. Kolla nur für ein paar Minuten. Er kam an ihren Frühstückstisch in der Kantine, fragte, ohne sich hinzusetzen, wie sie alle geschlafen hätten, berichtete, dass es noch nichts Neues von der Polizei gäbe und erklärte, dass er heute leider einen langen Arbeitstag vor sich habe. Bryan Daley werde sich daher um sie kümmern. Er wünschte ihnen viel Spaß und hastete davon.
Jon war ein klein wenig enttäuscht, hoffte aber, dass sein Vater in den kommenden Tagen mehr Zeit für sie freischaufeln könne. Der Sommerlehrgang, das Camp und die Forschung waren schließlich nur der eine Grund, warum sie hier ihre Ferien verbrachten. Jenny und er hatten Dr. Kolla in den vergangenen Jahren nur selten zu Gesicht bekommen. Diese vier Wochen sollten auch dazu dienen, ein bisschen versäumte gemeinsame Zeit nachzuholen. Danach sah es im Augenblick eher nicht aus. Aber wenn so ein Ausnahmezustand im Camp herrschte ...
Das erinnerte Jon an sein Praktikum, das am übernächsten Tag beginnen würde. Er bekam die Chance, die modernsten Labore der Welt zu sehen, einen Einblick in die Arbeit von internationalen Forschern zu bekommen und selbst einen bescheidenen Anteil zu ihrer Arbeit beizutragen!
„Was grinst du so dümmlich vor dich hin?“, unterbrach Jenny seine Gedankenschwärmereien.
Jon setzte zur Antwort an: „Ich habe ...“ Doch er entschied sich anders. „Von wegen dümmlich!“ Er griff eine Beere aus der Schale mit Müsli, die er quer über den Tisch in Richtung seiner Schwester warf. Die wich mit einer Drehung aus und bewaffnete sich ihrerseits mit einem Stückchen Apfel, das sie auf ihren Teller legte und hinüber schnippte. Tim und Adam sahen nicht lange tatenlos zu und beteiligten sich mit Haferflocken, Zuckerstücken und Rosinen an der Essensschlacht.
Irgendwann zog Tim aus einer Seitentasche seiner Hose eine kleine Steinschleuder. „Wetten, du kannst keine Rosine mit dem Mund fangen, wenn ich sie nach oben schieße?“ Er zielte spielerisch auf Adam.
Der versuchte, sie Tim zu entwenden. „Hey, dass du mit so etwas einreisen durftest ... Gib die mir, gib sie doch mal her!“ Stattdessen traf ihn die Rosine an der Stirn und blieb dort kleben.
In ihr Gelächter schnitt eine Stimme. „Hey, mit Essen spielt man nicht, das wisst ihr doch bestimmt!“ Bryan Daley stand am Tisch und hatte die Arme in die Seiten gestemmt. Allerdings grinste er dabei schief, was jede Strenge zunichtemachte. Dennoch hörten die vier Freunde auf und bemühten sich, halbwegs Ordnung in das Müslichaos zu bringen.
Währenddessen zog Daley sich einen Stuhl vom Nachbartisch heran. Er deutete auf Jon und sagte: „Also, wie ich gehört habe, hat Jonas heute noch frei. Ich dachte mir, dass wir vielleicht zusammen ein bisschen durch die Gegend fahren, damit ihr die kennenlernt. Und wenn danach Zeit übrig bleibt, können wir noch was anderes unternehmen. Was haltet ihr davon?“
Alle nickten und Adam gab dazu einen unverständlichen Laut von sich. Im nächsten Moment schluckte er die Cornflakes hinunter, die ihn an einer deutlichen Aussprache gehindert hatten. Bevor er sich wiederholen konnte, erklärte Jenny: „Das sollte Ja, super heißen. Es dauert eine Weile, bis man ihn versteht.“
Adam verdrehte die Augen. „Probier du mal, mit komplett vollem Mund zu reden! Das ist nicht so einfach, wie es aussieht ...“
Die ersten paar Minuten fühlten sich komisch an. Ein Druck in der Magengegend. Jenny schaute aus dem Fenster auf die trockenstaubige Landschaft. Als sie sie das letzte Mal aus einem Auto heraus gesehen hatte, waren sie und Jon schon ohne ihr Wissen Entführungsopfer gewesen. Natürlich hatte der Schrecken nur kurz angedauert. Dennoch blitzten die Erinnerungen ständig dämonenhaft auf. Das Tageslicht dämpfte sie jedoch. Diese sonnenüberflutete Weite hatte nichts Gefährliches an sich. Jenny genoss die Freiheit der Landschaft und war gespannt, was sie alles zu sehen bekommen würden.
Adam hatte da offenbar eine andere Meinung. Nachdem er eine Weile stumm aus dem Fenster gestarrt hatte, blickte er etwas unsicher erst nach hinten zu Jon, Tim und Jenny und dann zu Bryan Daley. „Leute, ich will ja nichts schlechtreden, aber ich überlege gerade, was wir in den nächsten Wochen überhaupt machen sollen“, sagte er auf Deutsch.
Als Daley ihn fragend ansah, übersetzte Adam seine Bedenken. Auf Englisch fuhr er fort: „Es ist ja so, wenn Benjonmin Franklin seinen Lehrgang macht und Tim sich mit den ganzen einheimischen Insekten beschäftigt, bleiben Jenny und ich übrig. Mit was können wir uns beschäftigen?“ Verlegen grinste er Jenny an: „Nicht, dass ich nicht gerne Zeit mit dir verbringen würde, das natürlich schon ...“
Als wäre es plötzlich noch wärmer geworden, fächerte er sich mit seinem Hemd Luft zu. Jenny winkte ab. „Du faselst mal wieder Unsinn, Adam. Erstens muss Jonny nicht den ganzen Tag arbeiten oder lernen oder was auch immer, zweitens wird Tim auf keinen Fall nur bei irgendwelchen Viechern rumhängen und drittens wird’s schon Sachen geben, die wir machen können. Meinte Papa jedenfalls. Wenn er nicht Quatsch geredet hat.“ Sie beugte sich nach vorne und fragte auf Englisch: „Mr Daley, unser Vater hat etwas von Freizeitaktivitäten erzählt. Was genau hat er denn gemeint?“
„Wisst ihr was, nennt mich doch einfach Bryan, okay? So alt bin ich ja auch noch nicht“, lächelte Daley flüchtig über die Schulter.
Für einen Wissenschaftler war er in Jennys Augen recht jung, sie schätzte sein Alter auf sechsundzwanzig, siebenundzwanzig Jahre, allerdings war er natürlich nur Assistent. Und als solcher musste er wohl dafür herhalten, die Kinder des berühmten Dr. Kolla herumzukutschieren. Jenny fragte sich plötzlich, ob Bryan genervt deswegen war. Aber er machte einen fröhlichen Eindruck und schien genauso viel Spaß an dem Ausflug zu haben wie sie.
Erneut wandte er seinen Blick kurz von der Straße, um sie anzulächeln. „Wir sind hier zwar mitten im Nirgendwo und arbeiten in einem Forschungscamp, aber es gibt einige coole Sachen, die ihr machen könnt. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob ihr den kleinen Minigolfplatz schon entdeckt habt, den wir auf dem Camp gebaut haben. Da entspannen wir uns oft in der Mittagspause. Oder auch zwischendurch, das ist gut, um neue Ideen zu bekommen.“
„Minigolf?“, fragte Tim und hüpfte auf seinem Sitz auf und ab. „Super, da werde ich jeden Tag üben!“
Bryan Daley nickte und fuhr fort: „Außerdem haben wir im Camp einen Fitnessraum, wo ihr euch austoben könnt, wenn ihr Lust habt. Direkt daneben befindet sich der Pool. Und es gibt ein Spielzimmer mit einem Flipper, Billard, Tischfußball und ein paar coolen Videospielen für die neue Playbox.“
Jetzt war es Adam, dessen Stimme sich fast überschlug. „Stark! Ich hätte nie gedacht, dass Wissenschaftler zocken würden!“
„Na, wir wollen ja auch ein bisschen Spaß haben. Wenn man nur über der Arbeit sitzt, kann man sich irgendwann gar nicht mehr konzentrieren“, antwortete Daley. „Ich mag vor allem die Mountainbikes. Super, um durch die Wüste zu fahren. Aber wisst ihr, was noch viel besser ist?“ Er machte eine Pause. „Ich weiß nicht, ob ich es schon verraten soll, ich glaube, euer Vater hatte es als Überraschung geplant.“
Wie aus einer Kehle riefen Adam und Tim: „Was ist es?“ Jenny und Jon stimmten mit ein.
Daley lachte. „Na gut, ich werd’s euch sagen. Aber tut so, als ob ihr überrascht wärt, wenn ihr die Dinger seht. Dr. Kolla hat Karts gekauft. Mit denen macht es richtig Spaß, über Sand zu fahren, glaubt mir!“
Diese Neuigkeit löste sofort eine Diskussion unter den vier aus, bei der alle vor Aufregung durcheinanderredeten. Sie zogen sogar in Erwägung, Bryan zu fragen, ob er sie zurückfahren könnte, verwarfen den Gedanken aber. Wenn er sich die Mühe machte, ihnen die Gegend zu zeigen, wäre das undankbar. Sie würden noch genug Zeit haben, die Karts auszuprobieren. Und dieser Tag versprach auch einiges. Die Freunde überlegten, wo es hinging.
Jenny beugte sich nach vorn, um zu fragen.
„Ich möchte euch ein kleines Kunstwerk der Natur zeigen. Eine Felsformation“, antwortete der Forscher. „Sie ist beeindruckend. Lasst euch einfach überraschen.“
Beeindruckend war sie wirklich, diese Felsformation.
Sie standen vor einer Art Tor – nicht von Menschenhand gebaut, die Natur hatte es so geformt. Etwa zwanzig Meter türmte sich der rötliche Stein über sie hoch und schlug einen flachen, halb so breiten Bogen. Viele weitere Felsen drängten sich neben dem Tor zu einer zerklüfteten Wand zusammen. Bei genauerem Hinsehen konnte man erkennen, dass das Tor selbst nicht aus einem Stück, sondern aus drei Brocken bestand.
„Na, wie gefällt es euch?“, fragte Bryan Daley. Und in ihr Staunen hinein fuhr er fort: „Das ist noch nicht alles. Kommt mit!“ Er deutete nach vorne und ging durch das Tor.
Tim entfuhr ein „Wow“, als er zusammen mit den anderen sah, was Bryan ihnen zeigen wollte. Wenige Meter hinter dem Tor fiel der Boden steil ab. Sie standen auf einer Anhöhe, darunter erstreckte sich bis zum Horizont die Wüste.
Jennys Stimme war etwas leiser als üblich. „Das hat sich ja wirklich gelohnt, hierhin zu fahren. Ich hätte nicht gedacht, dass diese Gegend so schön aussehen kann …“
Bryan breitete die Arme aus. „Es ist ein erhebendes Gefühl, nicht wahr? Ich liebe den Ort hier. Er wird Himmelspforte genannt. Oder auch Höllentor. Je nachdem.“ Er lachte.
Jon packte das Minilab aus der Tasche und wählte die Fotofunktion aus. „Das wird das erste schöne Bild dieses Urlaubs“, sagte er.
„Hey, du hast doch eins von uns drei am Flughafen gemacht!“, erinnerte Adam ihn.
„Ich weiß“, entgegnete Jon, während er sich auf die Fotoeinstellungen konzentrierte, „ich weiß.“
Bevor Adam darauf etwas erwidern konnte, ertönte ein lauter werdendes Piepen. Es war das Smartphone von Bryan.
Als er das Telefon vom Ohr sinken ließ, zuckte sein Mundwinkel leicht. „Schlechte Neuigkeiten, Leute: Wir müssen zurückfahren. Ich werde im Labor gebraucht.“