Читать книгу Keine Panik, ehrliche Spiegel altern immer mit! - Arno Backhaus - Страница 20

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Als im Jahr 1955 die Umzugskisten noch offen in unserer neuen Wohnung standen, die wichtigsten Gegenstände aber bereits ihren Platz gefunden hatten, spazierte meine Mutter mit mir durch die Innenstadt von Kassel. Hier war bereits im November 1953 die allererste Fußgängerzone Deutschlands eröffnet worden. Ein Konzept, das sich durchsetzen sollte.


Überhaupt war Kassel eine innovative Stadt, die sich glücklicherweise schnell von den Folgen des Zweiten Weltkriegs erholte. Kunst und Kultur boomten und das zog viele Leute aus nah und fern an. Auch viele Autofahrer.

Der neue Innenstadtring ermöglichte es sowohl Einheimischen als auch Gästen, nah an die Fußgängerzone heranzufahren. Diese Tatsache zog eine weitere Modernisierungsmaßnahme nach sich: 1961 führte Kassel als allererste Stadt in Deutschland die Parkscheibe ein.

Aus meiner kindlichen Sicht war Kassel allerdings eine einzige Enttäuschung. Das kann doch unmöglich ein vernünftiger Ort zum Leben sein, dachte ich mir, während wir an den Geschäften und den noch vorhandenen Ruinen vorbeischlenderten. Wo sind die Felder, die Wiesen, die Weite?

Wo ich hinsah, gab es nur Menschen und langweilige Geschäfte. Dazu kamen die ständigen Ermahnungen meiner Mutter, dass ich mich bloß nicht von ihr entfernen sollte. Wo soll ich denn hier spielen? Ich fühlte mich sehr unwohl in meiner Haut.

Dabei habe ich Großstädte schon damals durchaus schätzen gelernt. Denn meine Eltern haben mich in den Sommerferien regelmäßig zu Opa und Oma nach Berlin geschickt. Mehr Großstadt geht ja nicht.

Allerdings ist Berlin-Lankwitz ein eher beschaulicher Stadtteil: sehr dörflich geprägt, aber trotzdem mit der geballten Kraft einer Metropole im Rücken. Und die Bedingungen waren für mich dort deutlich besser als zu Hause, weil meine Großeltern sich Zeit für mich nahmen.


Die Zeit mit meinen Großeltern aus Berlin war sehr entspannend!

Das ist ja das Schöne an Oma und Opa – wenn alles gut läuft, profitieren sämtliche Beteiligten von dem Mehrgenerationen-Engagement: Die Großeltern sind glücklich, die Enkel beschäftigt und die Eltern entlastet.

Jetzt, da ich selbst dem vollzeitlichen Elterndasein entwachsen bin und mich sehr konkret auf meine Großelternrolle konzentrieren kann, muss ich sagen: Eine wunderbare Erfindung, dieses Familienkonzept. Wir wohnen mit einem Teil unserer Kinder und Enkel unter einem Dach und mögen es sehr.


Manchmal sage ich verschmitzt: »Wenn ich das gewusst hätte, wie schön es mit Enkeln ist, hätte ich mit denen angefangen!«

Denn ich liebe es, mit meinen Enkelkindern Zeit zu verbringen. Aber ich genieße es ebenfalls, dass diese Zeiten begrenzt sind: Irgendwann können Hanna und ich die Kinder wieder zu ihren Eltern schicken und uns um unsere eigenen Dinge kümmern. Das ist insofern wichtig, als wir durch unsere bundesweite Vortragsarbeit viel unterwegs sind.

Meine Großeltern waren bestimmt auch jedes Mal froh, wenn der kleine Arno wieder im Zug nach Kassel saß. Aber sie haben sich wirklich aufopferungsvoll um meine Freizeitgestaltung gekümmert. In Berlin habe ich die Tierwelt lieben gelernt: Ich kann mich an wunderbare Besuche im Berliner Zoo erinnern.

Auch das erste halbe Brathähnchen meines Lebens habe ich dort verzehrt und mein erstes Malzbier genossen. Der Berliner Wannsee war ein weiteres beliebtes Ausflugsziel, sodass die Zeit wie im Flug verging. Ich war immer traurig, wenn ich meinen Koffer packen musste, weil die Rückreise nach Kassel anstand.

Kassel gehörte damals zur amerikanischen Besatzungszone. In der Nähe unseres Hauses waren amerikanische Soldaten einquartiert. Eine Diskothek und ein typisch amerikanischer Wohnblock mit großem Spielgelände befanden sich nur ein paar Straßen weiter.

Im Lauf der Zeit freundete ich mich mit einem etwa gleichaltrigen afroamerikanischen Jungen an. Er konnte kein Deutsch, ich kein Englisch, aber wir kamen trotzdem ganz gut zurecht. Gemeinsam krochen wir in Kriegsruinen herum, erkundeten unterirdische Gänge und stöberten alte Grammofone und andere Hinterlassenschaften aus dem Krieg auf.

Wann immer ich Langeweile hatte, machte ich Blödsinn. Deshalb wurde meinen Eltern schnell klar: Der Junge muss in einen Kindergarten, sonst nimmt er uns die Bude auseinander. Da landete ich dann auch – zumindest kurzzeitig. Ich muss den Kindergarten innerhalb weniger Wochen so aufgemischt haben, dass die Erzieherinnen meine Eltern schließlich baten, mich doch bis zur Schulpflicht zu Hause zu lassen.

Das tat auf die Dauer niemandem gut: mir nicht und meinen Eltern ebenso wenig. Deshalb zählten wir alle die Tage bis zum Schulbeginn, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Ich selbst freute mich auf die Schule, dort würde ich sicher ganz viel lernen und entdecken.

Keine Panik, ehrliche Spiegel altern immer mit!

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