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9 „Das kriege ich auf keine Bühne“

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Ich war neun Jahre Seelsorger in Klein St. Paul, einer kleinen Industriegemeinde in Kärnten. Eines Freitagabends ruft mich der Direktor des „Berliner Ensembles“, vormals Direktor des Wiener Burgtheaters, Claus Peymann, an und erkundigt sich nach den „Beginnzeiten meiner Wochenendvorstellungen“, verbunden mit dem Ansinnen, am kommenden Sonntag den Pfarrgottesdienst besuchen zu wollen. Um einem Theaterdirektor auch eine würdige „Vorstellung“ bieten zu können, bereite ich mich gründlicher als sonst auf meine Predigt vor. Tatsächlich erhalte ich (wie ich zunächst dachte, gerade dafür) von meinem liturgischen Gast auch ein fachmännisches Lob: „Was ich heute hier erlebt habe, kriege ich auf keine Bühne!“

Sichtlich bewegt von der gemeinsamen liturgischen Feier lädt mich Peymann zum Mittagessen ein, um mir dort nach mehrstündigen Gesprächen zu erklären, worauf sich das Lob des großen Theatermachers bezieht. Was den Meister der Dramaturgie so beeindruckt hatte, war nicht die gründlich vorbereitete Predigt und auch nicht der an diesem Tag ganz bewusst eingesetzte liturgische Gesang des Zelebranten oder sonstige bemerkenswerte liturgische Details vom Glockenklang über Chorgesang bis hin zum dampfenden Weihrauchfass. Nein, seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Moment der Wandlung, jenem kurzen Augenblick, in dem der Zelebrant eine unscheinbare Scheibe ungesäuerten Brotes in völliger Stille zum Himmel emporhebt. Dieser winzige Augenblick völliger Stille in einer kleinen Dorfkirche am Rande der Welt hatte es vermocht, einen routinierten, weltmännisch verwöhnten Theaterprofi für einen Moment außer sich und buchstäblich sprachlos sein zu lassen.

Dieses Ereignis liegt nun schon bald zwanzig Jahre zurück. Inzwischen habe ich mein Priesteramt gegen das eines Psychotherapeuten eingetauscht. Geblieben aber ist mir eine ständig wachsende Leidenschaft für genau das, worum es damals in Klein St. Paul und in ungezählten anderen Momenten meines Lebens gegangen ist: Um erfüllte Stille, in der sich innere Wandlung vollzieht! Momente des Berührt-Werdens und Angerührt-Seins, in denen ich so da sein kann, dass ich davon „ganz weg“ bin.

In solchen Momenten wird der Alltag zum Erlebnis: Aus Brot und Wein wird Kraft und Freude, aus dem Alltag der Augenblick, aus der Gewohnheit die Innigkeit, aus Wiederholung Einmaligkeit, aus Routine innere Berührung, aus der Reprise eine Weltpremiere. Seit jener Begegnung mit Claus Peymann weiß ich: Die Vermittlung spiritueller Erfahrung und deren Vertiefung hat keine Berufsgruppe für sich allein gepachtet, so wie auch die spirituelle Erfahrung selbst kein Vorrecht für religiöse Gemeinschaften bleibt.

Mit dem Herzen atmen

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