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Einleitung
ОглавлениеWer das Wort ergreift, hat es in der Hand, wenn er schreibt, und im Mund, wenn er spricht, damit das Herz eines anderen Menschen zu berühren. Das kann ihm aber nur gelingen, wenn sein Wort aus dem Herzen kommt, sein Klang aus einer Tiefe, die mehr zu vermitteln vermag als bloßes Wissen. Genau das will der Titel dieses Buches zum Ausdruck bringen. Dazu ermutigt hat mich zuallererst die sogar von Medizinern bisher kaum beachtete anatomische Besonderheit, auf die schon vor Jahren der Klangforscher Alexander Lauterwasser hingewiesen hat. Demnach wird die Stimme eines Menschen von zwei Nervensträngen gesteuert, die ihren Weg nicht direkt vom Gehirn zu den Stimmbändern, sondern über den „Umweg“ des Herzens nehmen. So darf auch im rein naturwissenschaftlich-medizinischen Sinn der Klang der menschlichen Stimme als aus dem Herzen kommend verstanden werden. In jedem durch den ausströmenden Luftzug hervorgehenden und erklingenden Ton, mit jedem Laut, den ein Mensch von sich gibt, macht er rein physikalisch betrachtet seinen Atem hörbar. Im so hörbar gemachten Atem schwingt und wirkt das Herz auf so wundersame Weise mit, dass wir (freilich ohne das „beweisen“ zu können) im Klang der Stimme eines Menschen seine Seele zu hören vermögen. Die Seele des Menschen, das Unsichtbare, Verborgene, Ungegenständliche und gewissermaßen Unfassbare, wird so „erahnbar“, hörbar durch unser so sensibel auf den Klang hin gebildetes Ohr. Deshalb hören Menschen, wenn sie miteinander reden, nicht nur, was sie zueinander sagen, sie hören vor allem hinter den Worten und zwischen den Zeilen, was sie damit meinen. Noch rätselhafter und in ihrer Bedeutung und Funktion bis heute für die Anatomen anscheinend gar nicht erklärbar sind zwei kleine Ausbuchtungen an den Innenwänden der beiden Vorhöfe des Herzens selbst, denen man den sinnfälligen Namen „Herzohren“ gegeben hat. Sollte also, wenn Menschen miteinander zu reden beginnen, selbst das Herz auf etwas hinlauschen und hinhorchen, ohne das die menschliche Stimme leblos und seelenlos bliebe?
Zu diesem Buch haben mich darüber hinaus persönliche Erinnerungen ermutigt, die ich als Einladung an meine Leserinnen und Leser verstehe, im eigenen „Vergangensein“ nach den dort geborgenen unverlierbaren Kostbarkeiten zu suchen.
Ein Wort des Philosophen Sokrates an seine Schüler lautet: „Sprich, damit ich dich sehe!“ Miteinander- und Voneinander-Lernen wächst nicht aus stumm-staunendem Zuhören, sondern aus gegenseitigem „Hebammendienst“, der einem Menschen Mut zu machen weiß, den Mund aufzutun und davon zu reden, was in seinem Herzen vor sich geht. Erzähl von dir! Schreib auf, was du denkst, und teil es mit anderen! Nur so wollte der Weise auf dem Marktplatz in Athen Philosophie betreiben, nur so konnte in seinem Sinn „die Liebe zur Weisheit“ wachsen. Nur so können Hörende zu Redenden, Lesende zu Schreibenden und nicht zuletzt Redende und Schreibende zu Fragenden werden. Nur dadurch entsteht die ewig junge Landschaft des Miteinander-Teilens, aus dem im besten Sinne des Wortes „Mitteilen“ wächst. Der Gipfel der Weisheit liegt dabei freilich nicht in ewig gültigen Antworten, sondern im Wechselspiel von Frage und Antwort in immer neuen Erkenntnissen, die präziser gestellte Fragen zur Folge haben.
Aus dem Zettelkasten meiner persönlichen Aufzeichnungen habe ich 65 Skizzen bis hin zu lyrischen Notizen in unterschiedlichen literarischen Gattungen hervorgeholt, um sie in diesem Buch in all ihrer Unvollständigkeit darzulegen. Die Zahl „65“ bezieht sich dabei auf meine bis jetzt erlebten Lebensjahre und erhebt darüber hinaus keinerlei Anspruch auf weitere besondere Bedeutung, schon gar nicht darauf, dass einige meiner Zeitgenossen meinen, das wahre Leben finge erst „mit 66 Jahren“ an. In diesen Beiträgen wird, so hoffe ich, auch etwas von dem spürbar, was ich persönlich unter Spiritualität verstehe: Ein Reden und Schreiben, das nicht nur „Erinnerung“ weckt und Wissen vermittelt, sondern „Verinnerung“ bedeutet und ein „Begriffen-haben“ in ein „Ergriffensein“ wandelt. Wertvolle Unterstützung habe ich dabei von meiner Freundin Ingrid Spona erfahren. Albert Einstein nennt denjenigen einen Freund, „der die Melodie deines Herzens kennt und sie dir vorspielt, wenn du sie vergessen hast“. In diesem Sinne hoffe ich, dass möglichst viele meiner Leserinnen und Leser im Folgenden einen Text finden, der sie „von innen her“ anrührt und ihnen zum Freund wird.
Arnold Mettnitzer