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15 Ernesto Cardenal Martínez

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Ernesto Cardenal Martínez wird 1925 in Granada in Nicaragua geboren. Er studiert Philosophie und Literaturwissenschaft, später auch noch Theologie in verschiedenen Ländern und wird 1965 zum katholischen Priester geweiht. Cardenal unterstützt die linke „Sandinistische Nationale Befreiungsfront“, die 1979 die Somoza-Diktatur stürzt, die die Politik des Landes für mehr als 40 Jahre bestimmt hatte. Cardenal steigt zum Kulturminister von Nicaragua auf. 1985 wird er wegen seiner politischen Tätigkeit in der „Nationalen Befreiungsfront“ als Priester suspendiert.

Der heute 92-Jährige ist einer der engagiertesten Befreiungstheologen. Bekannt ist er vor allem für seinen Einsatz im Kampf gegen Ungerechtigkeiten in Lateinamerika. Vor Kurzem hat er sich offen der Regierung des Präsidenten Daniel Ortega widersetzt, den er der Willkür bezichtigt. Zudem wehrt er sich gegen das Projekt eines transozeanischen Kanals, den der Präsident an der Grenze zu Costa Rica bauen will. 1980 erhält Cardenal den „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“, 2005 wird er für den Literaturnobelpreis nominiert. Im März 2017 tourte der Dichterpriester im Rahmen einer Lesereise durch Deutschland und die Schweiz. Dabei bezeichnet er Papst Franziskus als große „Überraschung für die Welt“, denn dieser habe eine Revolution im Vatikan und in der Kurie ausgelöst. Die beiden Vorgänger Johannes Paul II. (1978–2005) und den emeritierten Papst Benedikt XVI. (2005–2013) bezeichnet Cardenal als „sehr konservativ“. Sie hätten die Kirche um 200 Jahre zurückgeworfen und viele Fortschritte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) zurückgedreht.

Das literarische Werk von Ernesto Cardenal, das ich seit meinen römischen Studientagen kenne, hat mich in seiner spirituellen Tiefe, seiner Solidarität mit den Ärmsten, in seinem unerschrockencharismatischen Engagement und seiner daraus gewachsenen politischen Tätigkeit tief beeindruckt. In allem, was er schreibt, kommt zum Ausdruck, wofür er steht: für eine Theologie, die sich der Trennung von Diesseits und Jenseits entzieht, für den Glauben an eine Welt, die der Harmonie zustrebt und schließlich für ein besonderes Verständnis von der Liebe. Es schließt Sinnlichkeit und Begehren ein, umgreift mühelos die gesamte Schöpfung vom Allerkleinsten bis zum Kosmos und mündet in Verantwortung.

Von allen seinen Gedichten und Texten berührt mich ganz besonders Cardenals Gebet für Marilyn Monroe (1926–1962), das er für sie nach ihrem Tod verfasste:

Herr,

nimm auf dieses Mädchen, das die ganze Welt kannte als Marilyn Monroe,

auch wenn dies nicht ihr wirklicher Name war,

(doch Du kennst ihren Namen, den Namen des Waisenkindes, das vergewaltigt wurde mit 9 Jahren,

den Namen der kleinen Verkäuferin, die mit 16 versuchte, ihrem Leben ein Ende zu machen)

dieses Mädchen, das jetzt vor Dir steht, ohne jedes Make-up,

ohne ihren Manager,

ohne Fotografen, ohne Autogramme zu geben,

einsam wie ein Astronaut vor der Nacht des Universums.

Als Kind träumte sie, dass sie nackt in einer Kirche stand, (so stand es in der Zeitschrift Time)

vor einer knienden Menge, die Köpfe bis zur Erde geneigt,

und sie musste auf Zehenspitzen gehen, um die Köpfe nicht zu zertreten

Du kennst unsere Träume besser als alle Psychiater.

Kirche, Haus, Höhle – das bedeutet die Sicherheit des mütterlichen Schoßes,

aber doch auch mehr als das …

Die Köpfe sind die Bewunderer, das ist klar,

(die Masse der Köpfe in der Dunkelheit, im Scheinwerferlicht).

Doch der Tempel, das sind nicht die Studios der 20th Century-Fox.

Der Tempel – aus Marmor und Gold – ist der Tempel ihres Körpers.

Und dort steht der Menschensohn mit einer Peitsche in der Hand

und treibt sie aus, die Manager der 20th Century Fox,

die Dein Bethaus zu einer Räuberhöhle machten.

Herr,

in dieser Welt, die verseucht ist von Sünde und Radioaktivität,

sprichst Du eine kleine Verkäuferin allein nicht schuldig,

die wie alle kleinen Verkäuferinnen davon träumte, ein Filmstar zu sein.

Und ihr Traum wurde Wirklichkeit (doch eine Wirklichkeit in Technicolor).

Sie agierte nur nach dem Drehbuch, das wir ihr gaben

– Drehbuch unseres eigenen Lebens. Und es war ein absurdes Filmskript.

Vergib ihr, Herr, und vergib uns allen

unsere 20th Century,

diese kolossale Superproduktion, an der wir alle Anteil haben.

Sie hungerte nach Liebe, und wir boten ihr Beruhigungsmittel.

Gegen die Traurigkeit, dass wir nicht heilig sind,

empfahl man ihr die Psychoanalyse.

Denk, Herr, an ihre wachsende Angst vor der Kamera,

an ihren Hass auf die Schminke – und sie schminkte sich für jede Szene –

und wie ihre Abscheu immer größer wurde

und wie sie immer unpünktlicher in den Studios erschien.

Wie jede kleine Verkäuferin

träumte sie davon, ein Filmstar zu sein.

Und ihr Leben war unwirklich wie ein Traum, den der Psychiater analysiert und zu den Akten legt.

Ihre Liebesabenteuer waren wie ein KUSS mit geschlossenen Augen

und wenn man die Augen öffnet, merkt man,

dass es nur ein Filmkuss war.

Und dann löschen sie die Scheinwerfer!

Und bauen die zwei Wände des Raumes ab

(es war ein Filmset)

und der Regisseur geht mit dem Drehbuch davon,

denn die Szene ist abgedreht.

Oder wie eine Reise auf einer Yacht, ein Kuss in Singapur, ein Tanz in Rio,

der Empfang im Landhaus des Herzogs und der Herzogin von Windsor

all das betrachtet von einem schäbigen Apartment aus.

Der Film ist aus – doch ohne Happy End.

Man fand sie tot in ihrem Bett, den Hörer in der Hand.

Und die Polizisten wussten nicht, mit wem sie sprechen wollte.

Es war,

als ob jemand die Nummer der einzigen Freundesstimme gewählt hat

und eine Stimme vom Tonband hört, die schnarrt: WRONG NUMBER,

oder wie wenn jemand, getroffen von der Kugel der Gangster,

die Hand ausstreckt nach einem Telefon, das nicht angeschlossen ist.

Herr,

wer es auch sei, den sie anrufen wollte

und nicht erreichte (vielleicht war es auch niemand oder jemand, dessen Nummer nicht im Telefonbuch von Los Angeles steht),

nimm Du den Hörer ab! 8

Mit dem Herzen atmen

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