Читать книгу Wer die Heimat liebt wie du - Artur Brausewetter - Страница 10

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In der mit Pfeifenkraut dicht überwucherten Laube des Pronitter Pfarrgartens war der Kaffeetisch gedeckt. Eine hochgetürmte Schüssel voll frischgebackenen Glumsekuchens stand, von zwei altmodischen Vasen mit herbstlichen Blumen eingefasst, in der Mitte der Tafel. Das saftige Goldgelb des Teigs mit den vielen dunklen Punkten der grossen und kleinen Rosinen lockte auch den verwöhntesten Geschmack; denn niemand verstand sich auf die Glumsekuchen so gut wie die Frau Pastor; seit langer Zeit hatte sie diesen Ruf in der ganzen Umgegend. In einer silbernen Kanne, die, ein altes Erbstück der Pfarrfamilie, schon Jahrhunderte überdauert, schimmerte der Schmandt. Der Kaffee war noch nicht da, der wurde erst bereitet, wenn der Besuch im Anzuge war.

In einem bequemen Gartenstuhl sass der Pfarrer und las die Zeitung, die eben angekommen war. Er war ein Mann von Mittelgrösse und muskulösem Körperbau. Auf dem gedrungenen Rumpfe sass ein grosser, eckiger Kopf mit weissen, aber noch ganz dichten Haaren, einem festgefügten Munde und kleinen mausgrauen Augen, die unter buschigen Brauen träumten. Früher hatten sie gewiss geblitzt, jetzt waren sie stiller geworden — ein rechter, echter Gelehrtenkopf mit dem Hang zur Nachdenklichkeit, aber nicht ohne Neigung zur Tat. Auf den trotz seiner siebzig Jahre noch frischen Zügen der Ausdruck einer Reife und Geklärtheit, der man anzusehen meinte, dass sie erst nach manchem harten Kampf gewonnen wurde.

Seine Frau sah viel älter und sorgengebeugter aus als er, obwohl sie zehn Jahre jünger war. Sie hatte ein kleines, feines Gesicht und einen müden Klang in der Sprache; sie krankte noch immer an dem frühen Tode des einzigen, hoffnungsvollen Sohnes. Die Widerstände des Lebens, die ihn stark und fest gemacht, hatten sie gebrochen. Ein Fussleiden, das sich seit Jahresfrist eingestellt, zwang sie, beim Gehen einen Stock zu Hilfe zu nehmen; dennoch war sie von unaufhaltsamer Tätigkeit in ihrer Wirtschaft.

„Dass der Hans seinen alten Lehrer nicht vergessen würde, das wusste ich wohl,“ sagte der Pfarrer, indem er Zigarre und Zeitung fortlegte. „Wie oft haben wir hier gesessen und über allerlei theologische und philosophische Fragen verhandelt! Er hatte damals schon die ausgesprochene Dozentennatur. Dass er ganz ins Pfarramt übergegangen ist, wundert mich eigentlich.“

„Ein grosser Sprung ist es nicht für ihn gewesen,“ erwiderte seine Frau, die bei den Ereignissen wie bei den Menschen immer das weniger Gute hervorzuheben suchte.

„Sage das nicht. Er hat in Rodenburg eine zahlreiche und gebildete Zuhörerschaft, da kann er in der Gemeinde viel Gutes wirken.“

„Er wird schliesslich Bärwalde übernehmen und dein Patron werden.“

„Einen besseren könnte ich mir nicht denken — aber kommt da nicht jemand? Richtig, er ist es! Willkommen und Gott zum Gruss, mein lieber Warsow! Sie wissen gar nicht, eine wie grosse Freude Sie dem alten Manne durch Ihren Besuch machen!“

Mit Herzlichkeit erwiderte Hans die Begrüssung seines früheren Lehrers. Der schnelle Gang durch die frische Herbstluft hatte einen bräunlichen Schimmer um sein bleiches Antlitz gewoben, seine Augen leuchteten jugendlich. Nun sass er mit den beiden Alten unter der dichten Pfeifenkrautlaube, wie er es in früheren Jahren so oft getan, und Erinnerungen aus vergangenen Zeiten wurden lebendig.

Ein junges Mädchen erschien und brachte den Kaffee.

„Hanna Teichgräber, Theos Tochter, die jetzt als meine und der Grossmutter treue Gehilfin bei uns lebt,“ stellte der alte Herr vor. Und Hans’ Auge weilte mit Wohlgefallen auf der lieblichen Erscheinung, deren wohlgebauter Körper in dem einfachen Leinenkleide mit der weissen Schürze zur rechten Geltung kam, indes das gelbblonde Haar zu beiden Seiten über die Stirn gekämmt war. Ein Hauch von Reinheit und Frische lag auf dem rosigen Antlitz, sprach aus den sammetblauen Augen, in denen zugleich etwas für so junge Jahre Starkes und Entschlossenes war. Die Frische des quellenden Lebens, das der Reife entgegendrängte, umhauchte die ganze Gestalt.

Das Sonnengold lag voll und weich auf dem Pfeifenkraut und erzwang sich dann und wann einen Eingang in das stille Dunkel der Laube. Draussen flogen einige Tauben hin und her und badeten die hellen Schwingen in der Luft, in den Obstbäumen zwitscherten die Spatzen um so lauter, je mehr der Tag sich neigte.

Wunderbar berührte dies Bild voll beschaulicher Ruhe und still umhegenden Friedens Hans’ Seele. Er gedachte der inneren Kämpfe, der zehrenden Unruhe, die er in der letzten Zeit durchlitten. Dieser Gegensatz jedoch wirkte nicht versöhnend auf ihn, er wusste, dass sein Leben noch manchem schweren Kampf entgegengehen würde. Aber er fühlte zugleich Mut und Kraft in sich, ihn aufzunehmen.

Ein leichter Herbstnebel kroch über die Erde, die Luft wurde noch reiner, aber zugleich auch kühl. Der Pfarrer schlug einen Spaziergang mit Hans vor, da vernahm man das Nahen eines Wagens.

„Die Bärwalder Droschke!“ rief Hanna, und ein wunderliches Gefährt rollte heran: ein einziger graugepolsterter Sitz mit einer hohen Lehne auf einem seltsam verschnörkelten, gelbgestrichenen Rädergestell. Auf ihm lag, der Länge nach ausgestreckt, Fritz Warsow und lenkte mit lässiger Hand die fromme Stute, die man vor dies Gefährt zu spannen pflegte. Es konnten auch zwei, ja unter Umständen drei Personen auf der Droschke fahren, sie mussten dann zu beiden Seiten sitzen, Rücken an Rücken, sehr schlank und wenig anspruchsvoll in bezug auf den Platz sein, der Dritte allenfalls vorn, um die Leine zu führen. Jetzt war aber Fritz Alleinherrscher und machte es sich bequem.

Wiederum wollte der alte Pfarrer vorstellen, aber Fritz unterbrach ihn: „Ich habe bereits die Freude gehabt, das gnädige Fräulein auf einem ihrer Samaritergänge in Bärwalde zu begrüssen.“

Und als in diesem Augenblick eine Flasche Rotwein auf den Tisch kam, konnte er sich nicht enthalten, die Geschichte von dem alten Karenke und den zehn Flaschen des Onkels zum besten zu geben, ohne sie jedoch in irgendeiner Weise mit Hannas Liebeswerk in Verbindung zu bringen. Der Pfarrer und seine Frau lachten, sie aber verstand seine Absicht sehr wohl. Sie liess sich jedoch nicht im geringsten aus der Fassung bringen, ja, aus ihren Augen traf ihn ein schneller, kampfesmutiger Blick, der da sagte: Warte nur! Auch meine Stunde kommt vielleicht, dann rechnen wir ab! Gerade das gefiel ihm. Er wollte sie in Verlegenheit bringen, und sie nahm den Fehdehandschuh auf.

Auf weichen Füssen kam der Abend geschlichen. Die Sonne sank tiefer, aus dem Tal stieg das Gold und hing sich in glitzernden Schuppenketten an die weissgraue Wolkenwand, die den Horizont säumte. Einmal noch griff die Sonne mit purpurnen Händen durch und schaute mit feurigen Augen auf die Erde. Die Sperlinge zwitscherten nur noch leise, auch die Tauben waren zur Ruhe auf ihren Schlag in der Bodenkammer gegangen. Es war ganz still auf der Welt geworden, ein leiser Wind zog von der Wiese her und trug herbstliche Düfte herüber. Tiefer Abendfriede deckte das Pfarrhaus, seinen Garten, seine Gehöfte mit weiten, schattenden Fittichen; von der Kirche gegenüber tönte die Abendglocke einige wenige Male, dann verstummte sie.

„Wunderbar,“ sagte da Fritz, der sich bis dahin in schweigender Andacht dieser feiernden Abendstimmung hingegeben hatte, während die andern um ihn ein gleichgültiges Gespräch führten, „wenn man hier so sitzt, inmitten dieser Pfarridylle, dieses Abends, der die Welt mit seiner Sabbatstille erfüllt, dann ist einem, als müsste es immer so auf Erden bleiben, als könnte es nie anders werden. Und wenn man dann daran denkt, wie mit einem Male über diese friedlichen Täler der Krieg ziehen, wie er uns alle aufwecken kann aus der sorglosen Ruhe, dem friedlichen Genuss der Natur!“

Er konnte nicht weitersprechen. Wie ein Feuerfunke waren seine Worte in die kleine Versammlung gefallen. „Krieg!?“ rief Hans. „Wie kommst du mit einem Male auf den Krieg?“

„Krieg!“ sagte gleichzeitig der Pastor, und die Hände nach seiner Art unwillkürlich faltend, fügte er hinzu: „Gott bewahre uns in Gnaden vor ihm!“ Die schwächliche Pastorsfrau aber war totenbleich geworden, ein stammelndes Zucken lief über ihre blutlosen Lippen, sie wollte etwas sagen, aber das Wort erstarb, bevor sie es hervorbringen konnte.

Hanna bemerkte es und streichelte beruhigend ihre Hand: „Lass gut sein, Grossmutter. Der Herr Rittmeister ist heute sehr kriegerisch gesonnen; er war es schon bei seinem Eintritt, aber er meint es nicht böse.“

„Ich weiss gar nicht, warum sich die Herrschaften über mein Wort so erregen. Wir können doch nicht immer im Frieden bleiben, und vorbereitet sein heisst hier alles. Oder wollten wir uns verhehlen, dass wir rings von einer Welt von Feinden umgeben sind, die nur auf den gegebenen Augenblick warten, während wir uns hier noch in die lieblichsten Träume der Liebe und Verbrüderung lullen?“

„Kommt der Krieg, so kommt er von Gott, und wir müssen uns in ihn finden,“ meinte der alte Pfarrer. „Jetzt an ihn zu denken, ist wohl ein wenig verfrüht.“

„Ich weiss auch nicht, Fritz, wie du mit einemmal auf diese Gedanken kommst,“ und mit einem schnellen, verweisenden Blick zeigte Hans auf die alte Pastorsfrau, der die Furcht aus jedem Zuge ihres welken Antlitzes lugte.

Jetzt sah Fritz, was er angerichtet. „Du hast recht,“ sagte er einlenkend, „es war eine Grille, die mir dieser friedliche Abend eingab. Wir leben und denken nun einmal gern in Gegensätzen.“

Wer die Heimat liebt wie du

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