Читать книгу Wer die Heimat liebt wie du - Artur Brausewetter - Страница 15

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Das schöne Wetter hatte seine Wirkung geübt. So lange hatte man ihm entgegengeharrt, nun war es in jenem plötzlichen Umschlag erschienen, den man so oft hier an der See beobachten konnte. Langsam und friedvoll kamen die Wogen gezogen, etwas Traumhaftes, Einschläferndes war in ihnen. Gegen das Weiss ihrer Kämme, das leuchtete, als wäre es aus lauter Schneeflocken zusammengesetzt, hob sich das der langgestreckten Dünen fast rötlich ab.

Die Promenaden und Wege, die tagelang vereinsamt dagelegen, füllten sich mit einem stetig wachsenden Strom von Menschen. So voll hatte man Zoppot an einem Alltag, noch dazu vor der eigentlichen Hauptzeit, nicht gesehen. Allerdings, man musste sich für lange Entbehrungen schadlos halten.

Auch Hans befand sich unter den Spaziergängern. Gemütlich schlenderte er die Promenade entlang, hörte im Kurgarten von der ausgezeichneten Kapelle eine Rhapsodie von Liszt und einen Tanz von Brahms und schritt dann den weit ins Meer gebauten Seesteg entlang, den grössten und schönsten, den er in einem Seebade gesehen zu haben sich erinnern konnte. Um ihn herum ein Blickegeben und -nehmen, ein Grüssen und Plaudern, ein Lachen und Kokettieren ohne Ende. Und die Musik spielte dazu die Begleitung, und die Wellen murmelten ihr ewiges Lied.

Er sah nicht nach rechts und links, voll stillen Entzückens atmete er den frischen Waldduft, der vom Meere aufstieg, und dessen würziger Hauch gleichsam in die Seele drang.

Mit einem Male aber wurde er seiner frohen Beschaulichkeit entrissen. Unter den Menschen, die sich bis dahin in so vergnügtem Behagen den Steg auf und ab bewegt hatten, schien etwas Wunderbares vorzugehen. Der Strom staute sich, stockte, man blieb stehen, bildete Gruppen, sprach lebhaft aufeinander ein, schüttelte die Köpfe, machte heftige Bewegungen und Gesten. Jetzt brach auch die Musik ab, mitten im prickelnden Walzer, jäh und ohne irgendeinen Abschluss. Was war geschehen?

„Der österreichische Thronfolger ist ermordet worden ... mit seiner Gemahlin!“

Einen Augenblick stand er wie gelähmt, indes die furchtbare Kunde um ihn her von Mund zu Mund flog. Verwünschungen wurden laut, pflanzten sich fort, tönten über den Steg und die Wege. Da lebten die Worte in ihm auf, die Fritz damals in der Idylle des Pronitter Pfarrgartens gesprochen. Nun wusste er, dass der Krieg kommen würde.

Am Ausgang des Kurhauses traf er mit der hübschen Fremden aus dem „Seestern“ zusammen. Sie sah völlig verändert aus. Ein seidener Rock, der, in allen Farben schillernd, wie Wasser an dem geschmeidigen Körper bis zu den Füssen herunterfloss, die in zierlichen weissen Strandschuhen steckten, eine nicht geschmacklose, aber auffallende Bluse und ein mit einem schmalen roten Bande gezierter Panamahut, der das anziehende Gesicht im Schatten liess. Ihre Augen grüssten ihn wie einen guten Bekannten, ihre weissen, ein wenig spitzen Zähne blitzten. Nicht das geringste von der Erregung, die man in dieser Stunde auf allen Mienen las, war an ihr zu merken.

„Haben Sie es noch nicht gehört?“ fragte er ohne jede Anrede.

„Was gehört? ... Ach so ... das von dem Meuchelmorde da unten? Gewiss habe ich es gehört.“

„Und sind so ruhig, so ...“ er wollte „fröhlich“ sagen, aber er verbesserte: „So unbekümmert dabei?“

„Unbekümmert!? Du meine Güte! Es ist traurig. Aber es geschieht so viel Trauriges in der Welt.“

Sie sah sein Erstaunen. „Ich bringe ihm die menschliche Teilnahme entgegen, die dieser Fall in jedem fühlenden Herzen hervorrufen muss.“

„Es handelt sich doch hier um mehr als um rein menschliche Teilnahme.“

Sie schüttelte den Kopf. „Für mich nicht; irgendwelche Folgerungen, wie ich sie vorhin von einigen meiner Bekannten äussern hörte, vermag ich nicht daran zu knüpfen.“

Sie hatten denselben Weg, so blieb er an ihrer Seite. Obwohl jetzt alles mit andern Gedanken beschäftigt war, bemerkte er doch, dass sie die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden erregte. Sie schien es gewohnt zu sein, es berührte sie nicht. In ihrer temperamentvollen Art sprach sie von Zoppot und den wunderlichen Menschen, die in solchem Bade zusammenkämen. „Die Hälfte sind Polen, auch einige Russen sind im ‚Seestern‘. Und sogar ein Franzose, ein ganz echter. Haben Sie ihn gestern nicht gesehen? Der junge schlanke Mann mit dem kleinen dunklen Spitzbart, den langen weissen Händen und der feinen, durchsichtigen Haut; er sass Ihnen gerade gegenüber.“

„Mich interessieren die Leute nicht wie Sie.“

„Oh, er ist sehr unterhaltend, der echte französische Kavalier, er hat viel gesehen und weiss davon zu erzählen.“

Er fühlte sehr wohl, dass ihre Worte auf ihn zielten. Sein eintöniges Wesen schien ihr nicht zu gefallen. Aber er konnte ihr nicht helfen. Seine Gedanken waren zu ausschliesslich bei den schweren Ereignissen des Tages, als dass er auf ihre leichte Unterhaltung einzugehen vermochte. Und nun tat er doch, was zu unterlassen er sich fest vorgenommen hatte: er sprach vom Krieg.

Er hatte nicht gedacht, dass sie einem so ernsten Gegenstande irgendeine Anteilnahme entgegenbringen würde. Um so erstaunter war er über die Aufmerksamkeit, die sie zeigte.

„Wunderbar,“ sagte sie, „die ganze Welt redet vom Krieg! Doch sie tut es schon seit Jahren. Eine Zeitlang wird es still. Aber wenn dann solch ein Ereignis eintritt wie das heutige, dann hört man es wieder allerorten.“

„Es sind voraufgehende Schatten.“

„Nein, es wird nicht dazu kommen,“ erwiderte sie lebhaft und bestimmt, „sicher nicht. Sie haben alle Angst voreinander.“

„Das ist kein Grund. Elementare Notwendigkeiten lassen sich nicht aufhalten.“

Ein vorübergehender stutzerhaft gekleideter Herr grüsste. Sie dankte zerstreut und sagte dann: „Was meinen denn die Leute bei Ihnen da oben in Ostpreussen dazu? Hier erzählen sie immer, die Russen ständen bis an die Zähne bewaffnet zu vielen Tausenden an der Grenze und warteten nur auf den günstigen Augenblick, einzubrechen.“

„Wir Ostpreussen sind kein ängstliches Geschlecht. Wir fürchten uns vor den Russen nicht.“

„Ich glaube es. Ich fragte auch nur, weil mich die Sache ein wenig angeht. Meine Mutter wohnt hart an der Grenze.“

Sie waren an der Eingangstür zum „Seestern“ angelangt. „Auf Wiedersehen!“ rief sie und reichte ihm die Hand.

Wer die Heimat liebt wie du

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