Читать книгу Wer die Heimat liebt wie du - Artur Brausewetter - Страница 6

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Edith war mit ihrem Vater über die Felder geritten. Der alte Herr hatte noch auf dem Vorwerke zu tun, und sie war, da sie die endlose Ausdehnung seiner Gespräche mit dem Hofmeister aus langjähriger Erfahrung kannte und fürchtete, auf geradem Wege nach Hause geritten.

„Ein Herr wartet bereits seit einer halben Stunde auf die Herrschaft,“ meldete der Diener und reichte ihr die Karte. „Lic. Dr. Hans Warsow, Privatdozent. Bonn“ las sie.

Im Herrenzimmer standen sie sich gegenüber. Er im schwarzen Überrock und mit schwarzer Binde, ebenso ernst wie tadellos angezogen. Sie noch im Reitkleide, die Mütze mit einer Nadel mit blitzendem Knauf durch die dichten Haare gesteckt, die eine braune, leise ins Rötliche schillernde Farbe hatten. Etwas von dem matten Glanze herbstlichen Laubes war in ihnen. Auf den roten Wangen lag noch die Spur der frischen Bewegung.

Sie sah Herren im langen Überrock fast nie, auf den Gesellschaften trugen sie den Leibrock, allenfalls den Halbfrack, sonst das helle Jackett, wie es auf das Land gehörte. Er kam ihr wunderlich vor in dieser würdevollen Gewandung, so feierlich und gemessen. Aber nichts war ihr verhasster als das Feierliche.

„Ich bringe Ihnen Grüsse von Fritz,“ sagte er, indem er auf ihre Einladung Platz nahm. „Ich muss doch irgendeine gute Einführung bei Ihnen haben, denn obwohl wir oft genug Nachbarn waren, haben sich unsre Kreise wenig berührt.“

„Sie hatten bessere Dinge zu tun,“ gab sie leichthin zurück, indem sie die Reitmütze aus den Haaren löste.

„Bessere nicht,“ erwiderte er ruhig und offen, „aber wichtigere, ich gebe es gern zu. Ich war und bin bis zu einem gewissen Grade vielleicht heute noch mit der Krankheit behaftet, die jeden harmlosen Genuss zerstört: das Leben und seine Pflichten ernst zu nehmen. Ich glaube, es ist Egmont, der einmal sagt: ‚Wenn ihr das Leben gar zu ernst nehmt, was ist denn daran?‘ Sehr richtig — aber man kann eben nicht anders, das ist das Unglück.“

„Sie haben dafür auch Ihren Lohn empfangen: Sie sind ein bekannter Mann geworden, wie Ihr Bruder Fritz es mir erst vor einigen Tagen auseinandersetzte. Ich für meine Person lese wenig, auch Ihre Bücher und Schriften kenne ich nicht, damit ich es gleich sage.“

„Bekannt bin ich nur in einem sehr kleinen Kreise; dass mein Leben von besonderem Glück begleitet gewesen, kann ich kaum sagen.“

Sie sah ihn an, zum erstenmal. Er hatte gar keine Ähnlichkeit mit dem jüngeren Bruder. Sein bleiches Gesicht war klug und anziehend, aber die kräftige und energische Spannung, die ihr Fritzens Züge so lieb machte, fehlte ihm; es lag zuviel des Verträumten und Versonnenen in diesem Antlitz, sie liebte die harten, eckigen Stirnen bei den Männern mehr. Die Tat war ihr das, was dem Manne Wert verlieh, nicht der Gedanke. Er hatte von jeher für sie etwas Untergeordnetes besessen.

„Sie wissen, dass Fritz im Begriff ist, umzusatteln,“ sagte Hans Warsow, wohl in dem Wunsche, dem Gespräch eine sachlichere Wendung zu geben. Ihr aber war, als hätte er aus ihrem Blick gelesen, was sie eben im stillen empfunden hatte. „Und dass er sich in Bärwalde bereits in seinem neuen Beruf einlebt, wissen Sie wohl auch?“

„Er teilte es mir mit, als er unerwartet an einem Abend hier erschien.“

Der Gedanke an diesen Abend, an Fritzens Ankunft hoch zu Pferde, hier oben auf der Veranda, wachte mit solcher Lebendigkeit in ihr auf, dass ein heiteres Lächeln über ihren hübschen Mund flog. Sie erzählte den Vorfall. Aber er ging nicht auf ihre Heiterkeit ein, im Gegenteil, er wurde noch ernster, und sein Gesicht erschien ihr in der leise einfallenden Dämmerung einen Schatten blasser und finsterer als bisher.

„Das sieht ihm ähnlich! Obwohl er alt genug wäre, sich solche Streiche abzugewöhnen.“

Sie ärgerte sich über seine Worte. Das war Hans Warsow, genau wie er in ihrer Erinnerung stand, wie sie ihn oft vom Vater, der ihm wenig wohlwollte, hatte schildern hören: von sich eingenommen und von hoher Warte herab das Tun der andern abfällig beurteilend. Wie nett, ja mit welcher Bewunderung und Liebe hatte Fritz von ihm gesprochen! Und er? Er nahm die erste Gelegenheit wahr, den jüngeren Bruder in ihren Augen herabzusetzen.

„Ich glaube, Ihr Urteil über Ihren Bruder ist nicht ganz gerecht. Fritz ist im Grunde seines Wesens ernst, zu ernst beinahe. Dass er dann einmal einen lustigen Reiterstreich wagt und im frohen Kreise auch froh sein kann, macht ihn für mich nicht schlechter. Ich liebe die Menschen nicht, die nicht einmal aus Herzensgrund lachen können.“

„Und zu ihnen zählen Sie mich?“

„Ich habe nicht die Freude, Sie so gut zu kennen, um mir ein Urteil über Sie zu gestatten.“

Sie sagte es in jener kalt abweisenden Art, die ihr immer zu Gebote war, wenn sie sich verletzt fühlte.

„Aber Ihr Wort traf mich, denn Sie haben recht gesagt: so aus dem Herzensgrunde lachen, wie Sie sich ausdrückten, habe ich nie gekonnt — von meiner Kindheit an nicht. Und niemand hat das wohl so schwer empfunden wie ich selber.“

Ein leiser Zug von Mitgefühl flog über ihr Antlitz. Er wollte es nicht, man merkte es ihm an, dass es ihm nicht angenehm war. Ein befangenerer Ton kam in ihre Unterhaltung.

„Dass Ihr Bruder, jetzt auf einem gewissen Höhepunkt seiner Laufbahn angelangt, den Mut hat, mit ihr zu brechen,“ sagte Edith nach einer kurzen Pause, „und sich ein ganz neues Leben durch eigne Kraft aufzubauen, spricht doch auch für den Ernst seiner Anschauungen.“

„Nein, nein!“ fiel er mit plötzlich erwachter Lebhaftigkeit ein, „das ist es nicht. Das wenigstens nicht allein. Es ist ein andres — dasselbe wie bei mir. So verschieden wir auch sonst in unsrer Lebensanschauung sind, hierin sind wir von einem Schlag.“

„Und was wäre dieses andre?“

Eine leise Glut war in sein Antlitz getreten. Sie färbte es nicht rot, aber sie gab ihm einen Hauch der Wärme, den es bisher nicht besessen. „Sehen Sie, ich bin weit in der Welt umhergekommen und habe viele Leute und Länder kennengelernt. Als ich meine Prüfungen bestanden, erhielt ich ein grösseres Stipendium, das mich in den Stand setzte, in Griechenland und in Italien Studien zu machen.“

„Ich hörte davon durch Ihren Bruder. Wieviel des Schönen müssen Sie gesehen haben!“

„Gewiss. Ich verkenne das auch nicht. Unvergessliches empfing ich in Athen, Florenz und Rom. Gerade in dem Alter, in dem man dafür am empfänglichsten ist, öffneten sich mir die Schätze der Welt. Mein Wissen erweiterte sich, mein künstlerischer Sinn erhielt reiche Anregung. Und dennoch kam ich auf allen diesen Reisen nie zu einem wirklichen Genuss. Ich suchte ihn zu erzwingen, war ärgerlich und empört über mich selber — es war alles vergeblich. Wie ein Kranker wanderte ich durch die herrlichen Uffizien und die alten Bauwerke der Städte.“

„Es war das unaufhörliche Empfangen neuer Eindrücke; das greift an die Seele. Ich habe Ähnliches, wenn auch in geringerem Massstabe erlebt. Als der Vater bald nach dem Tode der Mutter mit mir eine Reise nach Italien machte, hatte ich auch nicht annähernd den Genuss, den ich mir versprochen hatte.“

„Ich sah, dass es nicht so weiterging, und suchte einen festen Wohnsitz. Zuerst blieb ich ein Jahr in Rom dann ein zweites in Florenz, eine Zeitlang lebte ich, mit einer grösseren Arbeit über die Anfänge des Christentums in Rom beschäftigt, in der Schweiz, in Zürich und Bern — schliesslich ging ich nach Deutschland zurück.“

„Sie liessen sich in Bonn nieder?“

„Ja, meine Arbeit war erschienen, man ermunterte mich, dort Vorlesungen zu halten!“

„Und nun kamen Sie zur Ruhe?“

„Nein — ich kam auch hier nicht zur Ruhe, ich fühlte mich ebenso friedlos wie dort im Süden. Ich habe viel gearbeitet in dieser Zeit, ich darf es wohl behaupten. Es war wie eine Notwehr gegen das, was in meinem Inneren gärte. Und nun will ich Ihnen auch sagen, was es war.“

Er fuhr ruhiger, aber mit einer Bewegung fort, die durch jedes seiner Worte bebte: „Wir Leute hier oben aus dem Nordosten können im Süden nicht gedeihen, und auch nicht im Westen. Dort ist alles weich, geglättet, eben; bei uns ist es uneben, scharf und kantig. Aber gerade weil es so ist, lieben wir dies Land mit einer Zähigkeit und Kraft, von der die Leute im Süden und im Westen keine Ahnung haben. Und wenn wir uns von ihm trennen und suchen die Gegenden Süddeutschlands oder gar des blühenden Italiens — gewiss, wir sind nicht blind für die Schönheit dort, die uns auf Schritt und Tritt entgegentritt. Aber wir können das alles nur geniessen und uns seiner freuen für eine kurzgemessene Zeit, für eine Ferienfrist. Dann erwacht nur um so stärker die Liebe zur Heimat. Dann erscheint uns inmitten all der Weichheit der Luft und Linien, all der landschaftlichen und künstlerischen Pracht unser kantiges, knorriges Land nur um so liebenswerter und herrlicher. Dann müssen wir zurück, nordwärts, in den hohen Osten, in die härtliche, stählerne Luft, ohne die wir nicht gedeihen können. Und wenn wir diesen Trieb unterdrücken und ihm Gewalt antun, dann werden wir krank, wie es mir ergangen ist.“

Sie hatte ihm mit wachsender Anteilnahme zugehört, es sprach eine solche Tiefe und Aufrichtigkeit aus jedem Wort, er war ihr plötzlich ein ganz andrer erschienen. „Wunderbar“ — aber dann stockte sie; nein, das konnte sie ihm doch nicht sagen —

„Sie hätten mir das alles nie zugetraut,“ ergänzte er sie ohne jede Spur von Empfindlichkeit. „Aber es ist nun einmal so, und ich kann es nicht ändern. Seit drei Jahrhunderten sind die Warsows hier eingesessen. Bärwalde ist nie aus ihren Händen gekommen. Sie haben es gehalten auch in den bittersten Zeiten, den schwersten Kriegsnöten, haben entbehrt und gelitten, nur um nicht einen Zollbreit von der heimatlichen Scholle zu weichen. In meiner Geschichte Ostpreussens ist die ausführliche Chronik Bärwaldes und der Warsows enthalten. Sie ist bewundernswert in ihrer Kraft und in ihren Leiden.“

„Fritz hat mir oft davon erzählt. Aber ich ahnte nicht, dass Sie das alles noch viel genauer wussten. Ich hielt Sie für einen Mann des Geistes, einen Helden der Feder, der sein Vaterland da fand, wo er schreiben und schaffen konnte.“

„Gewiss, ich bin ein Mann des Geistes. Die Probleme unsrer Zeit, die Fragen des Glaubens und Wissens brennen in meiner Seele, und ich will sie verkünden von dem Lehrstuhl oder von der Kanzel, so lange ich kann. Aber ich bin vor allem Ostpreusse mit Leib und Seele. Und es gibt nur ein Land, in dem sich meine geistigen Fähigkeiten fruchtbar entwickeln können. Das verstehen die andern nicht; sie haben mich oft deshalb gehänselt. Nur wir wissen es, die wir das ostpreussische Blut in den Adern tragen von vielen Geschlechtern her, die wir diese Luft geatmet von Geburt an, uns vom Mark dieser Erde genährt haben.“

„Deshalb war es Ihr Wunsch, einen Lehrstuhl in Königsberg zu erhalten?“

Es war nicht sehr zart von ihr, ihm das zu sagen, gerade jetzt nicht. Sie wusste es und tat es doch. Eine kleine Demütigung konnte ihm nicht schaden.

Er antwortete fast gleichmütig: „Fritz hat Sie gut unterrichtet. Ja, ich hoffte es einmal und war sehr enttäuscht, als sich die Sache zerschlug. Aber ich fand mich bald. Mir waren inzwischen Bedenken aufgetaucht, ob es richtig wäre, mein ganzes Leben der akademischen Laufbahn zu widmen.“

„Ich glaubte, eine andre würde für Sie gar nicht in Betracht kommen.“

„O doch. Eigentlich wiesen mich meine Neigung, vielleicht auch meine Fähigkeiten mehr auf die des Pfarramts. Gerade während meiner Dozentenjahre in Bonn waren mir neben den Vorzügen auch die Mängel dieser Tätigkeit klar geworden. Ich entbehrte die Berührung mit den grossen Volkskreisen, in die ich meine Gedanken und Ziele wirksamer tragen konnte als in einen kleinen Kreis von Studenten. — Ich war heute vormittag in Rodenburg. Deshalb sehen Sie mich auch in dieser feierlichen Gewandung. Da ich guten Anschluss hatte, fuhr ich mit dem Schnellzug hierher. Fritz wollte mich heute abend von hier nach Bärwalde abholen lassen. Vielleicht kommt er auch selber.“

Ein Schimmer der Freude flog über Ediths schöne Züge. Er entging ihm nicht. Diese letzten Worte schienen ein stärkeres Interesse in ihr auszulösen, als alles, was er ihr bisher erzählt hatte. Nun aber wandte sie sich wieder seiner Angelegenheit zu:

„Sie waren in Rodenburg? Ich verstehe nicht, in welchem Zusammenhange das mit dem stehen kann, was Sie mir eben sagten.“

„In einem sehr einfachen. In Rodenburg wird die erste Stelle an der Nikolaikirche frei. Ich habe mich um sie beworben.“

„Sie? In Rodenburg — und an der Nikolaikirche?“

Ein helles Erstaunen lag in ihren Worten, die sie einzeln und in grösseren Zwischenräumen hervorbrachte.

„Das scheint Sie wunderzunehmen —?“

„Ja, grosses — Sie, der Mann von Geist, zu dem Fritz mit einer Ehrfurcht emporblickt, die mir — verzeihen Sie! — manchmal rührend, manchmal ein klein wenig komisch erscheint. Sie, das Licht der Familie Warsow, dessen Bücher und Schriften ich nicht zu lesen wagte, weil sie mir zu hoch für meinen dürftigen Geist erschienen. Sie — einfacher Pfarrer in einer Stadt, die, wenn auch nicht gerade klein, doch nur von mittelmässiger Bedeutung ist, jedenfalls verschwindend gegen Königsberg, wo Sie eine Professur erstrebten, die gewiss für Sie passend und Ihrer würdig gewesen wäre. Und nun Pastor in Rodenburg, der Nachfolger des alten braven, aber sehr simplen Maleischke, meines Einsegnungspfarrers — nein, das kommt mir zu überraschend. Was sagt denn Fritz dazu?“

„Er versteht es, weil er mich kennt,“ gab er zurück, jetzt hörbar gereizt durch die Art, mit der sie seine Mitteilung aufnahm. „Weil er weiss, dass mich die immerhin untergeordnete Dozententätigkeit in Bonn nicht befriedigen kann, dass ich wirken muss mit allen meinen Kräften und dies nirgend so gut und gern kann wie als Pfarrer einer grossen Gemeinde. Ich finde, es liegt doch genug des Ähnlichen in seinem und in meinem Entschluss. Er verlässt eine angesehene Stellung, die ihm vielleicht ein bedeutendes Fortkommen verhiess, um als einfacher Lehrling von der Pike an zu lernen.“

Sein Vergleich war zutreffend. Aber sie gab es ihm gegenüber nicht zu. „Doch mit dem Unterschiede,“ sagte sie, „dass aus ihm nie etwas gemacht wurde, dass er trotz seiner anerkannten Tüchtigkeit stets gegen Sie zurücktrat.“

Jetzt lebte es in seinen dunklen Augen auf, die so leicht einen müden, beinah toten Ausdruck hatten; „Ich weiss nicht, wer Ihnen das Recht gibt, mich immer als den weniger Bescheidenen, den sich Überhebenden hinzustellen. Sie kennen mich doch nur aus den Urteilen andrer, die sich — mit Ausnahme von Fritz — mit wenig Liebe und Verständnis mit mir beschäftigt haben. Wollen Sie es mir zur Last legen oder zur Sünde anrechnen, wenn ich durch die Anlage meiner Natur immer abseitsstand?“

Sie hatte nicht gedacht, dass eine solche Leidenschaft aus dem stillen Denker reden konnte. Er mochte recht haben: sie kannte ihn nicht. Sie wollte ein rechtfertigendes Wort sagen, da rollten Räder über die Auffahrt vor dem Hause. In einem einfachen, aber gutbespannten Selbstfahrer, die Zügel führend, sass Fritz; neben ihm der noch immer mit einer bewundernswerten Straffheit sich aufrecht haltende Schikor, der für Fritz in seinen Kindertagen als Lenker und Leiter des herrschaftlichen Kutschstalles eine Respektsperson gewesen und jetzt uralt war wie alles in Bärwalde.

„Nun, hast du deine Angelegenheit in Rodenburg erledigt?“ fragte Fritz, nachdem er Edith und seinen Bruder begrüsst hatte. „Und bist du zufrieden?“

„Darüber lässt sich vorläufig nichts sagen.“

„Hast du Edith von deinem Besuch bei Stoltzmann erzählt? Der ist doch wohl der Obermacher von der ganzen Sache?“

„Wir sind so weit noch nicht gekommen.“

„So weit noch nicht gekommen? Du musst doch schon eine ganze Weile hier sein.“

„Wir sprachen über allgemeinere Dinge,“ fiel Edith ein, „dein Bruder teilte mir eben erst seinen Entschluss mit, sich um die Rodenburger Pfarrstelle zu bewerben. Ich wunderte mich über ihn.“

„Warum wundern? Ich finde, es ist ein sehr vernünftiger Gedanke. Der Mann muss sich praktisch betätigen, das ist die Hauptsache; und für Hans ist es gut, wenn er sich von der unausgesetzt geistigen Beschäftigung auch einmal der rauheren Wirklichkeit zuwendet. Er wird seine Sache schon machen, da kannst du sicher sein.“

Die alte Liebe und Hochschätzung für den älteren Bruder sprach aus seinen Worten. Er sah in dem einfachen dunkelbraunen Jackettanzug nicht mehr so schmuck und schneidig aus wie in der kleidsamen Kürassieruniform. Aber die scharfgeschnittenen Züge seines Gesichts traten um so mehr hervor, und seine braunen Augen blitzten wohlgemut und guter Dinge in die Welt hinein. „Jeder muss am besten wissen, was für ihn gut ist, und kein andrer soll ihm dareinreden. Ich habe es an mir selbst erfahren.“

„Und fühlst du dich wohl in deiner neuen Tätigkeit?“

Er lächelte, sein kluges, stilles Lächeln. „Na, weisst du, anfangs musste ich mich doch verdammt fügen. So von der Pike auf! Und der alte Borowski, den ich bis dahin nur als jovialen guten Mann kannte, ist ein verdammt strenger Herr. Und wehe dem, der seinen Zorn heraufbeschwört! Ich sah ihn einmal, wie er sich auf einen aufsässigen Arbeiter stürzte, und wundre mich heute noch, dass der Mann mit seinem Leben davonkam. Aber wir beide arbeiten gut miteinander.“

„Und der alte Bärwalder?“

„Mit dem kann ich mich vorzüglich verständigen, gerade weil er so knapp und karg in seinen Worten ist. Das hebt mich über vieles hinweg, besonders über die Einsamkeit, die manchmal doch ein bisschen lastend ist.“

„Aber die Hutemach ist noch immer deine beste Freundin?“

„Na ob! Der alte Herr ist manchmal schon ein bisschen eifersüchtig, wenn sie zu gut bei Tisch auf mich aufpasst und mir regelmässig meine Lieblingsspeisen macht. Bereut, wie du siehst, habe ich noch nicht und werde es nie tun. Doch was ich fragen wollte,“ wandte er sich nun wieder zu Hans, „was meinte denn der Stoltzmann?“

„Er war sehr zurückhaltend, bemerkte nur, dass sich eine sehr grosse Anzahl von Bewerbern für die Stelle gemeldet hätte, und liess sich auf nichts andres ein.“

„Beriefst du dich nicht auf Edith, auf Fräulein von Barrnhoff? Machtest du nicht seiner Frau einen Besuch? Sie ist Ediths beste Freundin, und mit ihr lässt sich doch reden!“

„Nichts von alledem.“

„Aber weshalb nicht, Mann?“

„Weil ich meine Wahl solchen Mitteln und Empfehlungen nicht verdanken will. Spricht alles, was ich bisher geleistet, nicht für mich, dann muss ich eben verzichten.“

„Hörst du es, Edith? So ist er immer gewesen! So sind wir Warsows alle — immer mit der eignen Kraft, immer mit dem harten Kopfe! Um Gottes willen keine Verbindungen und keine Fürsprache! Deshalb haben wir es auch nie zu etwas gebracht. Aber du wirst die Sache schon machen, nicht wahr, Edith? So lass doch, Hans, sie tut es ja nicht für dich oder für mich. Sie tut ein gutes Werk für die Stadt Rodenburg. Solch einen Pfarrer sollen sie sich mal suchen! Du kannst ihn mit reinem Gewissen empfehlen, das darfst du mir glauben!“

„Ich will gern versuchen, was in meinen Kräften steht, vorausgesetzt natürlich, dass dein Bruder damit einverstanden ist.“

„Dann tust du es ohne seinen Willen, ja wider seinen Willen! Mir zuliebe, Edith, tust du es!“

Der alte Reckensteiner trat in das Zimmer. Der lange Ritt hatte ihn frisch und elastisch gemacht, sein Gang und seine Bewegungen hatten etwas jugendlich Militärisches. Aber sein Gesicht zeigte in der blassen Beleuchtung der Spirituslampe, die man immer noch in Reckenstein brannte und die eben angezündet war, einen müden Zug.

Er hatte nicht viele Menschen, denen er seine Zuneigung schenkte, er war kritisch und zum Aussetzen geneigt. So begrüsste er auch heute Fritz mit herzlicher Freude, während er seinem Bruder gegenüber eine kühlere Haltung annahm, ohne jedoch durch Wort oder Miene die Pflichten des Hauswirts zu vernachlässigen. Denn die Gastfreundschaft war in Reckenstein ein geheiligt Ding. Unter gleichgültigen Gesprächen verlief das reich aufgetragene Abendessen, dann fuhren die beiden Brüder durch die sternenklare Sommernacht nach Bärwalde.

Wer die Heimat liebt wie du

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