Читать книгу Wer die Heimat liebt wie du - Artur Brausewetter - Страница 18

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Die Sportwoche war eröffnet. Nun begann ein unausgesetztes Wettringen vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf allen Gebieten der körperlichen Betätigung. Pferderennen auf mustergültigem Felde im Anblick des Meeres, Luftgondeln darüber herstreichend, Rasensport, Fussball, Lauf- und Sprung- und Wurfspiele auf dem Manzenplatze, jagdgemässes Schiessen nach Tontauben, Kipp- und Waldhasen in den Ständen des städtischen Gutsforstes, Wettschwimmen und -segeln und Blumenfahrten auf der See.

Eine grössere Anziehungskraft als alles andre aber übte das grosse Tennisturnier, an dem sich, mit den bekanntesten Spielern der Welt, der Kronprinz beteiligte, der am Abend vor dem Eröffnungstage in Zoppot eingetroffen war.

Für Hans boten alle diese Veranstaltungen wenig Reiz, und doch waren sie ihm nicht unwillkommen, sie machten seine liebsten Spaziergänge am Strande und durch den herrlichen Wald von der Menge der Menschen frei, die sie ihm so manches Mal verleidet hatten; nie hatte er sich in so wundervoller Einsamkeit ergehen können wie in diesen Tagen.

Eines Nachmittags aber entschloss er sich doch auf Nuschas Bitte, mit ihr als Zuschauer einem Tennisturnier beizuwohnen. Und es tat ihm nicht leid, denn, obwohl er von dem Spiel nicht das geringste verstand, freute er sich der ungetrübten Jugend und Unbefangenheit, mit der der deutsche Kronprinz sich unmittelbar vor ihm unter den Spielern bewegte, der sicheren Geschmeidigkeit, mit der er seine Bälle gab und nahm und von Herzen lachte, wenn ihm einer oder der andre misslang.

Am meisten aber fesselte Nuscha sein Auge. Sie sass ihm gegenüber, ihr Blick war abwechselnd bald auf den spielenden Kronprinzen, bald auf seine liebreizende Gattin gerichtet, die, ohne sich am Turnier zu beteiligen, in der Mitte des Platzes mit ihrem Gefolge weilte. Und in diesem Blick war ein solches Leben, ein so brennendes Verlangen: „Könntest du doch ein einziges Mal mitten unter denen da sein, solche Bälle geben und nehmen!“, dass etwas wie ein Bedauern mit diesem wunderlichen Kinde in ihm wach wurde.

Und nun geschah etwas andres, das dieser Woche einen besonderen Reiz verlieh: die deutsche Flotte erschien mit Kreuzern und Torpedobooten vor Zoppot. Stolz und majestätisch lag sie, umspielt von den Strahlen der Sonne, im glänzenden Silbergrau des Meerspiegels, scheinbar der Küste ganz nahe, in Wirklichkeit aber in beträchtlicher Entfernung. Die Pinassen flogen hin und her, sie brachten die Besatzung an Land, sie fuhren, fast über ihre Kraft gefüllt, das Zoppoter Badepublikum an Bord, denn man war gastfrei auf den Schiffen und gestattete jedem den Besuch. Offiziere, Seekadetten, Matrosen bevölkerten den Seesteg, die Wege, das Kurhaus und gaben mit ihrer schmucken Tracht und mit den kräftigen sonnverbrannten Gesichtern dem bunten Bilde neue Farben.

„Wo denn so eilig hin, Herr Pastor?“

Hans war als einer der ersten von der Mittagstafel aufgestanden und wollte, eine marineblaue Mütze auf dem Kopf, einen leichten Mantel über dem Arm, den „Seestern“ verlassen, als Nuschas Stimme an sein Ohr klang.

„Zur Flotte ’raus. Ich traf gestern im Kurhaus einen alten Freund, der seit einigen Jahren Marinepfarrer ist. Er lud mich für heute nachmittag auf sein Schiff ein, die Pinasse erwartet mich am Stege.“

„Das lass’ ich mir gefallen! Das muss eine Lust sein, so den ganzen Nachmittag unter solcher Führung auf einem dieser schönen Schiffe! Und dann eine Tasse Kaffee oben auf dem Deck, und die flinken Matrosen reichen die Schale mit Kuchen. Und über einem der Himmel, und unter einem das Wasser. Nichts weiter!“

„Ja, ich freue mich auch darauf.“

„Nehmen Sie mich mit, Herr Pastor!“

Ihre dunklen, leuchtenden Augen schmeichelten zu ihm empor, die schlanken Hände schlossen sich unwillkürlich zusammen, wie ein bittendes Kind stand sie ihm gegenüber.

Er geriet in Verlegenheit. Es wurde ihm schwer, ihr eine abschlägige Antwort zu geben, doch anderseits — er war eingeladen, dazu von einem Amtsbruder. Was würde der, was würden die Offiziere sagen, wenn er in Begleitung einer Dame erschien, insbesondere einer so jungen, hübschen und immerhin nicht unauffälligen?

Einen Augenblick schwankte er, aber es war etwas so Unwiderstehliches in ihren Augen, etwas so Harmloses in ihrem Flehen ...

„Ja, Sie nehmen mich mit!“ jubelte sie auf. „Sie brauchen nichts zu sagen, ich lese es auf Ihrem Gesicht. Oh, Sie sind gut, sehr gut! Ich wusste es vom ersten Augenblick an, da ich Sie kennenlernte — hier auf dieser Stelle, auf der Diele!“

Sie klatschte in die Hände, sie streckte sie ihm entgegen, es fehlte nicht viel, so hätte sie ihn umarmt. „Und nun, nicht wahr, ein ganz kleines Weilchen erlauben Sie mir ... ja, das tun Sie ... ich muss mich doch ein wenig umziehen.“

„Die Pinasse liegt um drei Uhr am Strande.„

„Oh, Sie fährt nicht ohne uns, und es geht schnell bei mir, Sie werden sehen, blitzschnell!“ Fort war sie. Aber noch einmal wandte sie sich um: „Sie bleiben hier auf derselben Stelle? Oder im Garten? Dass Sie mir nicht fortlaufen!“

Es ging wirklich blitzschnell. Er hatte sich eben eine Zeitung genommen und auf einen der behaglichen Korbsessel niedergelassen, die unmittelbar vor dem Hause standen, als ihn ein lauter schriller Pfiff von der Veranda her aufschreckte.

„Ach, da sind Sie ja schon, ich vermutete Sie viel weiter im Garten und wollte mich hörbar machen.“

„Wo haben Sie denn mit einem Male die Pfeife her?“

Sie lachte. „Gar keine Pfeife, das mache ich mit dem Munde ... sehen Sie, so ...“ Sie stellte die roten Lippen ein wenig winklig und pfiff viel lauter noch und gellender, als das erstemal, so dass er sich die Ohren zuhielt.

„Um Gottes willen, hören Sie auf!“

„Das ist gar keine zu verachtende Kunst, es ist vielleicht das Beste, was ich in meinem Leben gelernt habe. Wir nannten es früher den ‚Familienpfiff‘. Alle meine Geschwister haben ihn gelernt; so konnten wir uns überall verständlich machen. Auch später hat er mir manchen guten Dienst getan.“

Wieder ihre alte Art, die ihm so manches Mal aufgefallen war. Sie sagte etwas, brach mitten im Worte ab und blickte dann einige Sekunden halb erschreckt, halb vergessen vor sich hin.

Sie waren durch den Garten an die Südpromenade gelangt, die sie in wenigen Minuten zum Stege führte. Ein kurzer Blick, den er prüfend über ihre Gestalt schweifen liess, zeigte ihm, dass sie sich dem Zwecke ihrer Fahrt angemessen und nicht ohne Geschmack angezogen hatte. Ein dunkelgrünes Wollkleid, oben geschlossen, und eine Mütze, der seinen ähnlich, die mit einer Nadel in den krausen Haaren befestigt war. Er konnte sich mit ihr sehen lassen.

Es war noch still überall, Zoppot hielt seine Nachmittagsruhe. Wie ein dichter Vorhang lag der Himmel über dem Meere. Zuerst erschienen beide eins, dann hob sich langsam der Vorhang; nun begannen sie sich zu trennen, ein helleres Blau leuchtete durch das dunkle Grau, kein Luftzug regte sich. Und doch war das Meer nicht ganz ruhig und liess kleine schaumgekrönte Wellen gegen den Strand branden. Als wohnte seine Erregung im tiefsten Inneren und stiege nur in verstohlenen Schwingungen an die Oberfläche. Für einen kurzen Augenblick öffnete sich der Himmel wie ein weites, hohes Tor, das in die Ewigkeit wies. Ganz deutlich, greifbar beinah, lagen die Kriegsschiffe vor ihnen, und die Halbinsel Hela hob sich so klar und in scharfen Umrissen vom Horizont ab, dass man ihren Leuchtturm mit blossem Auge erkennen konnte. Das war kein gutes Zeichen, denn es deutete auf Sturm und schlechtes Wetter.

Die Pinasse wartete bereits. Es war ein schmuckes kleines Ding, und Hans vergnügte sich an dem Glanz von Stolz und Freude, der in Nuschas Antlitz aufstieg, als die frischen, flotten blauen Jungen vor ihr stramm standen und ihr die Ehrenbezeugung machten. Nun sass sie auf dem weichen Rücksitz, die beiden Arme ausgestreckt an die gepolsterte Gewandung gelehnt, auf ihren hübschen Zügen, auf ihrer ganzen schmiegsamen Erscheinung wohliges Glück und Behagen. Es war von beidem etwas in ihr: von einer Prinzessin, die in ihrer Barkasse über das Meer fährt, und von einer kleinen Katze, die sich schnurrend in die weichen Kissen eines Sofas muschelt.

Wie eine Nussschale tanzte und schwankte das schmucke Ding durch das Wasser. Hart und prall schlugen die Wogen mit gleichmässigem Geräusch an seine Flanken, und jedesmal, wenn ein kleiner Spritzer über Bord kam, sprang Nuscha mit einem entsetzten Schrei auf und schüttelte sich zugleich vor Vergnügen. Das Komödiantenhafte ihres Wesens trat dann hervor, und ihm war aufs neue vor ihrer Einführung auf dem Schiffe bange. Die Pinasse verlangsamte den Kurs, stoppte — wirklich, da waren sie schon!

Schnell war die Schiffstreppe herabgelassen, oben stand der junge Marinepfarrer und winkte Hans zu. Als er eine Dame in seiner Begleitung sah, stutzte er wohl einen Augenblick, trat dann aber ihnen beiden entgegen und sprach Nuscha seine Freude aus, dass er auch sie auf seinem stolzen, schönen Schiff willkommen heissen dürfte. „Wenn es den Herrschaften recht ist, führe ich sie zuerst.“

Er gab einen kurzen Überblick über die Art des Kreuzers, nannte das Jahr seiner Erbauung, die Klasse, zu der er gehörte, und hob die ganz neuen Einrichtungen hervor, die ihn vor andern auszeichneten. Ein liebevoller Stolz auf sein Schiff sprach aus jedem seiner Worte. Dann begann er die eigentliche Führung, hoch oben vom Kommandodeck herab bis zu den untersten Maschinenräumen.

Hans, der schon oft auf Kriegsschiffen gewesen, folgte den Erklärungen seines Freundes mit vielem Verständnis, aber von ihnen fort wurde seine Aufmerksamkeit auf seine Begleiterin gezogen. Mit einer wahren Inbrunst lauschte Nuscha auf jedes Wort, betrachtete sie jeden Raum, jeden Winkel, jedes Teilchen der Maschinen mit einer Anteilnahme, die sich sowohl in der Spannung ihrer Züge wie in den Fragen kundgab, die sie dann und wann an ihren Führer stellte. Und diese Fragen, mochten sie auch auf den ersten Schein ein wenig kindlich anmuten, hatten, recht betrachtet, alle Hand und Fuss. Er merkte es an seinem Freunde, der sie oft ganz erstaunt ansah und dann, von solcher Wissensbegierde, die ihm bei einer jungen Dame wohl noch nicht vorgekommen, sichtbar angeregt, die genauesten Erläuterungen folgen liess.

Ab und zu begegnete ihnen auf ihrer Wanderung ein Offizier. Und jedesmal war auch er sofort von der eigenartigen Mädchengestalt gefesselt, sah ihr längere Zeit nach oder bat, nachdem er einige Worte mit dem Pfarrer gewechselt, ihr vorgestellt zu werden, ja, ein junger, bildhübscher Leutnant schloss sich ihnen an, wich kaum von Nuschas Seite und sagte ihr in seiner stillen, feinen Art manches Angenehme.

Sie achtete ebensowenig darauf wie auf die allgemeine Aufmerksamkeit, die sie erregte. Ihre Anteilnahme blieb lediglich auf die Sache gerichtet. Unter solchen Umständen nahm die Besichtigung mehrere Stunden in Anspruch, es war spät geworden, als der Marinepfarrer zu einer Tasse Kaffee bat.

Und nun kam es, wie Nuschas heitere Phantasie vorausgesehen: sie sassen an einem kleinen gedeckten Tisch auf dem Achterdeck, und flinke Matrosen reichten in kleinen kristallenen Schalen den Kuchen. Und über ihnen der Himmel und unter ihnen das Wasser. Und da drüben die abenddämmernde Küste. Nur dass es hier oben doch recht kühl war, besonders, wenn die Sonne hinter die Wolken kroch und vom Meer eine frische Brise emporstieg.

„Unten in unsrer Messe ist es jetzt behaglicher,“ sagte der junge Leutnant, „wir bitten die Herrschaften, an unserm bescheidenen Abendimbiss teilzunehmen, es ist eben angerichtet.“

Als Hans mit Nuscha auf der flotten Pinasse heimwärts fuhr, lag bereits der Hauch der aufsteigenden Nacht auf dem Wasser. Der Wind hatte sich gelegt, aber der Himmel blieb grau, trübe, regenschwer. Nur am Horizont glühte es in seltsamem Gegensatz purpurrot wie lohendes Feuer. Bis die Schatten sich tiefer senkten und mit ihren schwarzen Fittichen auch den schmalen, zitternden Lichtstreif deckten. Dort drüben aber lag die Flotte. Wie eine erleuchtete Stadt war sie anzusehen, mitten im Meer. Signale flogen von einem Schiff zum andern herüber, dann und wann prasselte eine Rakete zum nächtlichen Himmel empor.

Sie hatten die Pinasse verlassen und schritten die Südpromenade entlang ihrem Heime zu. Nuscha hatte wider ihre Gewohnheit eine lange Zeit geschwiegen, erst das Bild der erleuchteten Flotte hatte ihre Zunge gelöst. Nun sprach sie mit heller Begeisterung von den Erlebnissen des Nachmittags ... mit einem Male aber stockte sie, starrte mit grossen, glanzlosen Augen auf eine hochgewachsene männliche Gestalt, die, langsam und nach allen Seiten Umschau haltend, dicht vor ihnen ging, murmelte einige verwirrte Entschuldigungsworte und war verschwunden.

Wer die Heimat liebt wie du

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