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Kapitel 6

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Komtur Wennengut führte mich an den vier Wandteppichen entlang.

„Bruder Hans, hast du eine Ahnung, was hier so kunstvoll gewebt dargestellt wird?“

Aufmerksam betrachtete ich die Teppiche. Manche schienen schon älter zu sein, einer war jedoch eindeutig neu. Die Materialien, aus denen sie hergestellt wurden, schienen mir unterschiedlich zu sein, ebenso wie ihre Farben und in der Art und Weise, wie sie gewebt wurden.

„Herr Komtur, ich kann nur erkennen, dass diese Teppiche aus unterschiedlichen Epochen zu stammen scheinen, aber was genau dargestellt wird, ist mir nicht so recht klar.“

„Nun, mit Wandteppichen ist es so wie mit kirchlichen Gemälden und Fenstern. Diese erzählen immer eine Geschichte, damit das einfache Volk, welches nicht lesen kann, dennoch versteht, was es mit dem christlichen Glauben auf sich hat. Die Wirkung von Bildern ist manchmal größer, als die des gesprochenen Wortes. In den Kirchen erzählen sie über das Leben und Wirken von Jesus, Gottes Sohn auf Erden. Über seine Mutter, die heilige Maria, die unbefleckte Empfängnis, die Geburt Jesu im Stall zu Bethlehem mit den heiligen drei Königen, später die heiligen drei Weisen genannt, Caspar, Melchior und Balthasar. Sie brachten Weihrauch, Myrrhe und Gold zu diesem Stall, zu dem Christkind geleitet durch den Stern von Bethlehem. Die Bilder sprechen über die Wunder, die Jesu später gewirkt hat und über die Zuwendung und spätere Abkehr einiger seiner Jünger, über den Verrat von Judas, der ihn für einige Silberlinge an die Schergen des römischen Statthalters Pontius Pilatus hinhängte; Jesu Prozess, bei dem Pontius Pilatus das Volk entscheiden ließ, wer gekreuzigt werden sollte: er, der angebliche Aufrührer gegen die römische Obrigkeit, oder der Mörder Barrabas. Das Volk entschied gegen Jesus, und Pontius Pilatus wusch seine Hände wieder und wieder nach dem Urteil, um sich von der Schuld zu befreien, einen Mörder freizulassen, während ein einfacher Zimmermann aus Nazareth, der zwar Unruhe verursachte, aber kein Mörder war, gekreuzigt werden sollte. Die kirchlichen Bilder zeugen weiterhin über Jesu Weg zum Berge Golgatha zu seiner eigenen Kreuzigung: das Kreuz und die Dornenkrone tragend, häufig strauchelnd, doch niemals nachgebend, manchmal von einigen mitfühlenden Menschen entlastet. Sie zeigen die gemeinsame Trauer Marias, seiner Mutter, und Magdalenas, am Fuße unseres gekreuzigten Christus sitzend; Magdalena, die angeblichen Hure, die er mit dem weisen Spruch über Steine, die man nur dann werfen solle, wenn man frei von eigener Sünde ist, vor einem grausamen Tod gerettet hatte. Die Bilder in den Kirchen zeigen die wundersame Wiederauferstehung unseres Herrn und schließlich die Rückkehr zu seinem Vater, unseres Gottes, sitzend zu seiner Rechten, wo er auf den Tag wartet, um auf Erden zurückzukehren und Gerechtigkeit zu üben. Davon gibt es kein Bild, und wird es auch nie eines geben, denn wir sollen uns kein Bild von Gott machen.“

Komtur Wennengut, dessen Blick in diesem Moment von der Gegenwart entfernt war, fokussierte sich schließlich wieder auf mich. Offenbar war er unversehens und weit entrückt von der Geschichte Jesu, die mir bestens bekannt war, übermannt worden.

„Bruder Hans, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht langweilen mit Tatsachen, die du längst kennst. Aber wenn es um Jesu Christi geht, gehen manchmal die Pferde mit mir durch.

Zurück also zu unseren Wandteppichen.

Diese wundervollen Kunstwerke hier haben jedoch wenig mit dem christlichen Glauben zu tun. Sie erzählen die Geschichte unseres Ordens. Siehst du diesen ersten hier? Hierbei handelt es sich um das Spital des Ordens in Jerusalem, wo sich unser Orden, damals noch als Spitalbruderschaft, entwickelte. Wir pflegten dort die geschwächten und erkrankten Kreuzfahrer, sowie auch jeden anderen Menschen, unabhängig von seinem Glauben, der sich an uns wandte. Das war vor ungefähr 350 Jahren, genaueres ist nicht belegt. Fällt dir etwas Besonderes auf?“

Ich betrachtete den Teppich genauer.

„Ja. Jeder Kranke hat eine eigene Schlafstätte. Das ist doch ungewöhnlich, oder?“

„Dem ist so, gut erkannt, Bruder Hans. Unser Orden vertritt die Meinung, dass Sauberkeit und Gesundheit stark voneinander abhängen. Das ist eine Meinung, die die meisten Ärzte bis heute nicht teilen, leider.“

„Meine Mutter legte bei offenen Wunden auch immer sehr viel Wert auf Sauberkeit. Niemals benutzte sie schmutzige Verbände, sie reinigte die Wunden ordentlich und versah sie immer mit einem Päckchen aus Kamille, bevor sie den neuen Verband anlegte. Sie meinte, das zöge die schlechten Geister heraus. Vor und nach der Behandlung schrubbte sie sich kräftig ihre Hände.“

„Ich weiß. Das ist einer der Gründe, warum ich deinem Vater vorschlug, dich mir anzuvertrauen.“

Fragend schaute ich ihn an.

„Warte noch einen Augenblick. Zurück zu unserem Spital in Jerusalem. Unter unserem zweiten Großmeister Raimund von Puy, der von 1120 bis 1160 lebte, wandelte sich unser Orden in einen geistigen Ritterorden, dem im Laufe der Jahre Menschen aus vielen christlichen Ländern beitraten, die jedoch selten eine gemeinsame Sprache teilten.

Im Jahre 1206 wurden deshalb nationale Zusammenschlüsse gegründet, die sogenannten Zungen. Davon gibt es sieben. Du wirst später mehr darüber erfahren.

Während unserer Zeit in Jerusalem haben wir oft zusammen mit den Tempelrittern, eine christliche Brüdergemeinschaft, ebenso wie wir es sind, gegen die Muselmanen kämpfen müssen, sowohl gegen die ägyptischen Mamelucken, als auch die Sarazenen, die aus den arabischen Ländern stammen.“

Er führte mich zu dem zweiten Teppich. Dieser stellte ein Schlachtgetümmel dar, deutlich konnte ich erkennen, dass es eine Schlacht um Jerusalem sein musste, denn man konnte die Konturen des Felsendoms im Hintergrund erkennen. Ich hatte schon einmal eine Abbildung von diesem Gebäude gesehen und wusste, dass es sich dabei um eines der heiligen Gebäude der Muselmanen handelte. Sie glauben, dass ihr Prophet Mohammed sich von dem dortigen Felsen aus in den Himmel begeben habe, um dort die jüdischen Propheten und unseren Herrn Jesus zu treffen.

Einen Moment grübelte ich. Warum mussten wir uns bekämpfen, wenn wir doch alle am Ende an den gleichen Gott glaubten? Diese Überlegung war ganz neu für mich; sie befremdete mich fast. Doch Komtur Wennengut unterbrach meinen Gedankengang.

„Dieser Wandteppich stellt die große Schlacht um Jerusalem im Jahre 1187 dar. Unter Sultan Saladin stand uns ein Heer von fast zweihunderttausend Muselmanen gegenüber. Unser Orden konnte diesem Heer 800 Ritter und etwa 14000 Sergeanten und anderes Heeresvolk entgegenstellen, die Templer und andere Verbündete stellten ein weit größeres Kontingent. Was fällt dir hier auf?“

„Die Ritter kämpfen mit Schwertern und diese scheinen mehr Schaden anzurichten, als die Krummdolche, mit welchen die Gegner ausgestattet sind. Außerdem tragen unsere Ritterbrüder ein rotes Gewand.“

„Ganz recht. In Friedenszeiten tragen wir Ritter des heiligen Johannes ein schwarzes, in Kriegszeiten jedoch ein rotes Gewand, unter dem wir stets mit Ringpanzerhemden geschützt sind.

Wir christlichen Verteidiger forderten einen hohen Blutzoll von den Muselmanen, aber deren zahlenmäßige Überlegenheit zwang uns schließlich zur Aufgabe.

Und das ist der zweite Grund, warum ich deinen Vater bat, dich zu uns zu senden. Du bist jetzt schon ein hervorragender Schwertkämpfer, der uns einmal gute Dienste leisten wird.“

Er fuhr fort:

„Nun, die Heilige Stadt war für uns verloren. Wir kapitulierten, und zu unserem großen Erstaunen ließ der Sultan Milde walten und schlachtete uns nicht einfach ab. Aber mit dem gewohnten Ordensleben war es vorbei, das Leben wurde immer schwieriger für uns. Wir mussten uns wohl oder übel einen neuen Hauptsitz suchen, den wir im Jahre 1191 in Akkon errichteten. Dort nahmen wir unser gewohntes Ordensleben wieder auf, bauten die Festung aus und widmeten uns unseren vielfältigen Aufgaben.“

Damit führte er mich zum dritten Wandteppich. Auch hier war eine Kampfeshandlung abgebildet. Man sah mameluckische Kämpfer, an ihrer Kriegsausstattung und an ihrer mit Federn bestückten Kopfbedeckung leicht zu erkennen, sowie christliche Verteidiger, darunter meine Ordensbrüder in ihren charakteristischen roten Gewändern. Auffällig war eine Abteilung von Bogenschützen, die mit kampfbereiten Bogen offensichtlich auf ihren Einsatzbefehl warteten.

„Dieser Wandteppich zeigt dir eine Kampfesszene aus dem Jahre 1291. Ägyptische Mamelucken griffen die Stadt Akkon an, die letzte Bastion der Christen im Heiligen Land. Wir setzten viel Hoffnung auf unsere Bogenschützen, denn die Mamelucken besaßen keine Ringpanzerhemden. Sie waren somit über große Distanzen leicht angreifbar.

Hier liegt der dritte Grund für mein Interesse an dir. Unsere Ritter kämpfen zwar nicht mit dem Bogen, unsere Fußsoldaten aber schon, und dein Können in dieser Kampfesart wird dem Orden einmal sehr nützlich sein.“

Er zeigte wieder auf den Wandteppich.

„Leider erfüllten sich unsere Hoffnungen nicht. Es war absehbar, dass die Mamelucken den Kampf gewinnen würden, denn die Belagerung unserer Stadt dauerte damals schon fast zwei Jahre, unsere Vorräte waren schon lange zu Ende gegangen, unsere Kämpfer vom Hunger geschwächt. Selbst die Ratten hatten wir dezimiert, um uns und die Bevölkerung noch irgendwie ernähren zu können.

Es war bekannt, dass die Mamelucken nicht so glimpflich mit ihren Gegnern umgingen wie die Sarazenen, und so bereitete sich der Orden auf die Flucht vor. Diese war nur zu Schiff möglich und es war klar, dass wir uns nicht mehr lange halten konnten. Schließlich konnten wir der Übermacht nicht länger standhalten. Es gelang uns wider Erwarten, einen ehrenvollen Abzug auszuhandeln, und so schifften wir uns am 28. Mai des Jahres 1291 ein. Es war eine gefahrenvolle Fahrt, geschwächt vom Hunger und vom Kampf, wie unsere Brüder waren. Damals warst du etwa drei oder vier Jahre alt, dies ist also zu deinen Lebzeiten geschehen.

Nun, wie dem auch sei, endlich landeten wir auf Zypern, wo wir die Komturei Kolossi nahe Limassol besitzen. Dort gestatte man uns, ein neues Hauptquartier einzurichten. Das ist jetzt gut 11 Jahre her.“

Damit zeigte er auf den vierten Wandteppich.

Hier erkannte man eine Art Wohnturm, der von kleineren Gebäuden umgeben war.

„Auf Zypern ist nun unser neuer Hauptsitz. Wir haben mit der Befestigung und dem Ausbau der Komturei begonnen. Leider haben wir auf Zypern ein paar Probleme mit den Templern, die sich ebenfalls dort eingerichtet haben und die über weit mehr Vermögen als wir verfügen. So fürchten wir, dass wir dort nicht lange bleiben können, ohne mit den Templern ernsthaft in Konflikt zu geraten. Unser Großmeister Guillaume de Villaret versucht deshalb, einen neuen Hauptsitz für den Orden zu finden. Er hat dabei die Insel Rhodos im Auge. Leider waren seine Bemühungen bisher vergebens.“

Komtur Wennengut verfiel in tiefes Schweigen und ich hatte genug damit zu tun, mir die Wandteppiche noch einmal genauer zu betrachten. Andächtig schritt ich sie noch einmal ab. Tatsächlich, sie erzählten die Geschichte des Ordens in ihren Hauptzügen, und sie halfen mir, das soeben Gehörte zu verarbeiten und einzuprägen.

Schließlich räusperte sich der Komtur und fuhr fort.

„Bruder Hans, du bist gerade sechzehn Jahre alt und noch zu jung, um zum Ritter des Ordens geschlagen zu werden. Doch du verfügst über Fertigkeiten und Fähigkeiten, die weit über die eines normalen Ritters hinausgehen. Alle Ritter sind von Adel, können lesen, schreiben und rechnen. Sie sind geübte Schwert- und Lanzenkämpfer und können die lateinische und die griechische Sprache zumindest lesen. Du kannst beide Sprachen aber auch passabel sprechen, du kennst dich dazu im Bogenkampf aus, aber was dich am wertvollsten für den Orden macht, sind deine überragenden Kenntnisse in der Heilkunde.

Ein Ordensangehöriger wie du wird auf Zypern im Hauptsitz dringend gebraucht. Noch bist du zu jung, um dorthin zu gehen. Bist du jedoch bereit, in der Zwischenzeit deine Kenntnisse zu vervollkommnen, zu üben und zu lernen, zu dienen? Nicht nur Gott, sondern auch deinen Mitmenschen? Bruder Hans, bist du bereit zu akzeptieren, dass deine außergewöhnlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten dich nicht hochmütig, sondern demütig machen sollten, im Angesicht unseres Herren, dem du sie verdankst?“

Hier stahl sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen.

„Und deinen Eltern zu danken, die diese Voraussetzungen erkannt und geschult haben?“

„Herr Komtur, ihr habt mir eine neue Welt eröffnet. Ich sehe, wie viel ich noch zu lernen habe. Aber das ist die Welt, das Leben, welches ich mir immer gewünscht habe. Mit Freuden werde ich warten und die Zeit nutzen, bis ich alt genug bin, dem Orden als Ritter zu dienen. Ich danke euch.“

„Danke nicht mir, sondern dem Herrgott und deinen Eltern. Heute darfst du dich hier bei uns frei umsehen. Nach dem Abendessen wird dir Bruder Matthias einen Wochenplan aushändigen, an den du dich strikt zu halten hast. Jeden Sonntag nach der Andacht hast du dich bei mir oder meinem Stellvertreter einzufinden, um über deine Fortschritte zu berichten. Folge den Anweisungen genau, denn Gehorsam und Disziplin sind für den Orden ebenso wichtig, wie alles andere, was es noch zu lernen gilt.“

Seine Miene war streng, doch um seine Augen schien ein gütiges und schelmisches Lächeln zu spielen.

„Bruder Hans, nutzte deine Zeit hier gut. Mach dir keine unnützen Gedanken, besonders nicht solche, die den Ordensregeln zu widersprechen scheinen. Deine Zeit als Ritter des Ordens wird in ganz besonderer Weise kommen, wenn du nur deine Aufgaben hier und jetzt mit ganzem Herzen erfüllst.“

Mit dieser für mich denkwürdigen Ansprache entließ er mich.

So recht konnte ich mir auf die Bedeutung seiner letzten Worte keinen Reim machen, aber da ich so vieles hier noch nicht verstand, beschloss ich, seinem Rat zu folgen und alle weiteren Gedanken zu verbannen. Mit der Zeit würde sich mir schon zeigen, was er gemeint hatte.

Ich nutzte den Tag, um mich gründlich umzusehen. Ein Eindruck blieb bei mir haften: Alle Brüder waren eifrig beschäftigt, keiner frönte dem Müßiggang, außer in den dafür vorgesehenen Stunden, jeder war pünktlich zur Stelle. Wo immer ich auch auftauchte, alle Brüder beantworteten meine Fragen bereitwillig, ohne sich dabei jedoch in ihrer Arbeit unterbrechen zu lassen. Das sollte von da an auch mein Leben werden.


Ritter und Rosen auf Rhodos

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