Читать книгу Benns Vermächtnis - Bea Konda - Страница 11
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Donnerstag, 6. April (8.43 Uhr)
Als Niklas Buchholz auf der Dienststelle eintraf, kam ihm sein Kollege, Oberkommissar Sven Goldhus, schon entgegen.
„Sorry, dass ich dich am freien Tag stören musste!“
Niklas winkte ab: „Kein Thema, ich war ja da.“
Niklas Buchholz und Sven Goldhus arbeiteten nun seit gut zwei Jahren zusammen und waren nicht nur ein eingespieltes Team, sondern inzwischen auch privat befreundet. Gemeinsam betraten sie Niklas Büro, das neben seinem Arbeitsplatz eine kleine Besprechungsecke besaß.
„Maja hat sich gestern noch tapfer gehalten, obwohl es ihr da schon nicht so gut ging“, erklärte Sven. „In der Nacht hat sie sich wohl permanent zwischen Bett und Bad hin und her bewegt, wie sie mir eben am Telefon mitgeteilt hat, und nun hat es sie völlig niedergestreckt…“
„Die Arme, hoffentlich geht es ihr bald wieder besser!“, bedauerte Niklas die magen-darm-kranke Kollegin, die erst vor wenigen Wochen in ihrem Kommissariat angefangen hatte.
„Du sagtest, dass ein siebzehnjähriges Mädchen vermisst wird. Was wissen wir denn schon?“
Niklas fuhr seinen Rechner hoch, schenkte sich einen Kaffee ein und setzte sich Sven gegenüber an den Besprechungstisch.
Dieser brachte ihn auf den aktuellen Stand: „Das Mädchen heißt Noemi Ritter und sie war gestern nicht in der Schule. Ihre Freundin Sophie hat sich gewundert, da Noemi am Vortag keinerlei Krankheitssymptome gezeigt hatte und am Mittwoch außerdem eine Leistungskursklausur geschrieben wurde, die sie sicher nicht verpasst hätte. Außerdem waren die beiden für den Nachmittag verabredet. Umso verwunderlicher, dass Noemi sich nicht bei ihr gemeldet hat und auf ihre Nachrichten nicht reagiert hat. Nach der Klausur hat sie sich mit der Lehrerin, einer Frau Spengler, ausgetauscht, die sich ebenfalls gewundert hatte, weil Noemi noch nie unentschuldigt gefehlt hat. Die Lehrerin hat dann den Festnetzanschluss bei Noemi zu Hause gewählt, da sprang aber nur der AB an. Daraufhin hat sie Noemis Vater, den sie vom Schul-Elternbeirat kennt, auf dem Handy angerufen, aber erstmal nur die Mailbox erreicht. Der Vater hat allerdings unter der Woche beruflich außerhalb zu tun hat.“
„Und wo ist bzw. war die Mutter?“
„Die war bei einer religiösen Tagung in Bayern, war da nur zu bestimmten Zeiten erreichbar und sollte eigentlich erst am Samstag zurückkommen. Da sich Frau Spengler und Sophie Sorgen gemacht haben, sind sie zu Noemis Zuhause nach Bad Vilbel gefahren, das vom Frankfurter Gymnasium etwa acht Kilometer entfernt ist. Auf ihr Klingeln hat niemand geöffnet. Dann hat der Vater die Lehrerin zurückgerufen, sich den Sachverhalt schildern lassen und seine restlichen Arbeitstermine des Tages abgesagt, um sofort nach Hause fahren zu können. Ab da hat dann der Vater übernommen. Nachdem er seine Tochter zu Hause nicht angetroffen hat und nichts Ungewöhnliches feststellen konnte, also keine Spuren eines unbefugten Eindringens oder ähnliches, hat er schließlich seine Frau erreicht, die ebenfalls umgehend ihre Tagung abgebrochen hat. Der Vater hat ihr online ein Zugticket besorgt und während ihrer Rückfahrt die Zeit vor Ort genutzt, um sich in der Nachbarschaft umzuhören.“
„Und, hat er dabei etwas herausgefunden?“, fragte Niklas.
Sven schüttelte den Kopf. Keiner der Nachbarn hatte irgendetwas gesehen oder gehört, zumal die Familie Ritter am Ende der Straße wohnte und es nur eine direkte Nachbarin gab. Die ältere Dame, die zudem nicht mehr besonders gut hören sollte, hatten sie gestern allerdings nicht angetroffen.
Sven trank einen Schluck Kaffee aus seiner Tasse und fuhr fort: „Aber der Reihe nach: nach der Rückkehr der Mutter haben sich die Eltern gegen 19.00 Uhr telefonisch gemeldet und sind dann zu uns gekommen, um die Vermisstenanzeige aufzugeben. Die Mutter war in Tränen aufgelöst und völlig fertig mit den Nerven, der Vater war etwas gefasster, aber natürlich ebenfalls höchst besorgt.“
Niklas nickte und betrachtete das Foto von Noemi Ritter, das Sven ihm zusammen mit einem Ausdruck der bereits in ComVor, dem polizeilichen Sachbearbeitungssystem erfassten Personalien, zuschob. Er sah ein hübsches zierliches Mädchen mit langen blonden Haaren, etwas blass, ungeschminkt und jünger aussehend als ihre siebzehn Jahre, aber vielleicht war das Foto auch nicht ganz tagesaktuell. Auf dem Bild trug sie Blue Jeans und ein schlichtes graues T-Shirt, sie hatte fein geschnittene Gesichtszüge und blickte mit großen grau-blauen Augen recht ernst in die Kamera. Sie war der zarte Typ Mädchen, der unweigerlich den Beschützerinstinkt bei Männern erweckt, dachte er.
„Nach unserem jetzigen Kenntnisstand hat Sophie sie zuletzt an der Bushaltestelle am Dienstagnachmittag gesehen. Eine Kameraüberwachung gibt es bei dieser Haltestelle übrigens nicht – leider… Dann hat Sophie am Dienstagabend kurz nach 23 Uhr von ihr noch eine WhatsApp-Nachricht erhalten, die erfolgte aus dem heimischen Netzwerk der Ritters. Ein Gute-Nacht-Gruß, das war ein übliches Ritual bei den beiden Freundinnen. Danach gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihr und das Handy ist aus. Wir gehen folglich davon aus, dass sie irgendwann am späten Abend oder am nächsten Tag verschwunden sein muss.“
Sven erläuterte, dass Maja und er am vorigen Abend noch den Weg von der Endhaltestelle ihres Busses zu Noemis Zuhause abgegangen waren. Sie hatten sich in Noemis Zimmer umgeschaut und von dort ihr Notebook mitgenommen, für das sie bei den Kollegen eine digitalforensische Auswertung beantragt hatten, außerdem Haare und eine Kladde mit ihren Fingerabdrücken zwecks Erstellung des DNA-Profils. Die Gespräche mit den anwesenden Nachbarn waren leider ergebnislos verlaufen. Auch das Gespräch mit Sophie und der Chat via facetime mit Frau Spengler, die sie aufgrund eines abendlichen Sportkurses nicht persönlich angetroffen hatten, hatte keine neuen Erkenntnisse erbracht. Noemis Jacke, ihre Umhängetasche, Geldbeutel und Handy fehlten, zudem vermisste die Mutter einen Jogginganzug ihrer Tochter, den sie sich nach der Schule manchmal anzog. Ansonsten hatten die Eltern keine Veränderungen feststellen können.
Niklas fasste die nächsten Schritte zusammen: „OK, das heißt weitere und detaillierte Befragungen stehen für heute auf der Tagesordnung. Eltern, Freunde, Nachbarn, Mitschüler und Lehrer, sonstige Kontaktpersonen. Ich würde mir auch gern Noemis Zimmer anschauen.“
„Das passt, wir sind mit Noemis Eltern um 9.30 Uhr in ihrem Zuhause verabredet.“
„Gut, wann können wir denn mit den Ergebnissen der Sichtung des PCs rechnen?“
„Die kriegen wir heute Mittag. Vielleicht finden wir da ja eine Spur. Oder noch weitere Hinweise in ihrem Zimmer und der näheren Umgebung ihres Zuhauses oder Erkenntnisse aus den anstehenden Gesprächen, die uns weiterhelfen.“
„Das hoffe ich sehr!“, bekräftigte Niklas. Er würde alles daransetzen, Noemi so schnell wie möglich zu finden, koste es, was es wolle…