Читать книгу Benns Vermächtnis - Bea Konda - Страница 9
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Dienstag, 4. April (16.05 Uhr)
Am späten Nachmittag bog der weiße Lieferwagen zum zweiten Mal an diesem Tag in die Waldschulstraße ein. Diese wurde morgens und nachmittags nicht nur von kommenden und gehenden Schülern, sondern auch von diversen Fahrzeugen heimgesucht, von Fahrrädern, Rollern und neuerdings immer mehr E-Scootern, den Autos von Lehrern oder Eltern, die ihre Kinder zur Schule brachten und abholten sowie Lieferwägen aller Art. Vom Catering-Service für die Schulküche angefangen bis hin zu Umzugs- und Handwerksbetrieben, da das Hortgebäude gerade ausgebaut wurde. Der weiße Lieferwagen, den er passend mit den bunten Buchstaben „Frieder und Rike“, dem Namen eines bekannten Umzugsunternehmens beklebt hatte, fiel in diesem Gewimmel nicht weiter auf.
Der Mann mit schwarzem Basecap, Arbeitshandschuhen und braunem Arbeitsoverall setzte den Blinker und parkte den Lieferwagen. Anders als beim ersten Mal hielt er nicht auf einem der vorderen Schulparkplätze, sondern am Ende der Straße vor der Einfahrt des von hohen Hecken umgebenen Einfamilienhauses der Familie Ritter, das sich schräg gegenüber dem Schulgelände befand. Er stieg aus, tippte einen Code ein und das Tor zur Einfahrt öffnete sich fast lautlos. Er stieg wieder in den Lieferwagen ein und fuhr hinein. Hinter ihm schloss sich das Tor automatisch.
Auch die Haustür verfügte über moderne Technik und so verwendete er nicht den Schlüssel, den er zusätzlich hatte nachmachen lassen, sondern tippte den vierstelligen Türcode ein, den gleichen wie beim Tor. Die Leute machten es sich einfach zu leicht. Die Haustür öffnete sich. Er ging hinein und stellte den mitgebrachten Werkzeugkoffer im Flur ab. Als erstes ging er in ihr Zimmer. Sie war auf dem Weg zum Bett zusammengebrochen und lag wie tot mit leicht verdrehten Armen und ausgestreckten Beinen auf dem kleinen Läufer vor ihrem Bett. Er trat näher, überprüfte ihren Puls und atmete auf – die Dosis würde sie sicherlich die Nacht über in tiefer Bewusstlosigkeit halten, im Laufe des nächsten Tages sollte sie aber wieder aufwachen.
Er entfernte die Mini-Kamera, die er gut getarnt vor einiger Zeit in einem schwarzen Bucheinband im verstaubten Bücherregal deponiert hatte und verstaute sie sorgsam in einer Tasche seines Overalls. Die Bücher im Regal waren wohl mehr zu Requisiten der Einrichtung mutiert als gelesen zu werden und so war der kleine High Tech Spion unentdeckt geblieben. Danach erweckte er ihren Laptop aus dem Standby-Modus zum Leben und deinstallierte die Spy-Software, mit deren Hilfe er jedes der von ihr getippten Worte hatte mitlesen können. Den Browser-Verlauf ließ er unangetastet. Wenn der Computer untersucht werden würde, sollten die ermittelnden Beamten gerne lesen, was Noemi in den letzten Monaten zum Beispiel im Chat mit anderen depressiven Heinis von sich gegeben hatte. Vielleicht ergab sich daraus ja eine vielversprechende Fährte für sie, dachte er und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Ihr Handy lag auf dem Schreibtisch, auch hier hatte er von ihr unbemerkt stets mitlesen können. Heutzutage musste man kein Computerfreak sein um andere auszuspionieren, gute User-Kenntnisse und eine kurze Zugriffsmöglichkeit auf die Geräte anderer reichten vollkommen aus. Er schaltete es auf Stumm, tippte die WhatsApp-Nachricht ein und terminierte die Versendung auf 23.05 Uhr. Zu spät für ihre Freundin, um noch zurückzurufen – sie chatteten nie nach 22 Uhr abends – und perfekt für sein Alibi. Die Menschen sind Gewohnheitstiere und das ist gut so, dachte er, holte die leere Schüssel, in der der Bananenquark gewesen war, aus der Spülmaschine und verstaute sie in seinem Werkzeugkoffer. Sie liebte Bananenquark und hatte ihn stets allen anderen Nahrungsmitteln vorgezogen, so auch heute. Ich kenne dich in- und auswendig, dachte er.
Und bald, schon sehr bald wirst du MICH kennenlernen…