Читать книгу Benns Vermächtnis - Bea Konda - Страница 16
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Donnerstag, 6. April (10.15 Uhr)
Im Unterschied zum cleanen Rasengrundstück der Familie Ritter war das Fachwerkhaus von Frau Waldschmidt umgeben von einem märchenhaft anmutenden Gartenparadies. Schon etwas verwitterte Steinplatten bildeten einen schmalen Weg zum Haus, gesäumt von Sträuchern aller Art, Johannisbeer-, Brombeer- und Stachelbeersträucher, dazwischen einige Ziersträucher. Das Haus selbst war teilweise von Efeu bewachsen, daneben gab es Hängeampeln mit Geranien. In der linken Ecke zwischen Grundstück und Haus sah Niklas Tomatenstauden, daneben, ebenfalls links vor dem Haus ein Hochbeet mit Salatpflanzen. Rechts stand ein Birnbaum, dahinter eine Art Kompostbeet und davor gab es ein großes Beet, dessen Blumen gerade von Frau Waldschmidt begossen wurden. Niklas und Sven begrüßten sie und stellten sich vor.
„Schön haben Sie’s hier“, bewunderte Niklas die üppige Pflanzen- und Blütenpracht.
Frau Waldschmidt, eine rüstige alte Dame mit unzähligen Runzeln im Gesicht und blitzblauen Augen strahlte: „Die Gartenarbeit mach ich immer noch gerne! So lange ich noch keinen Rollator brauche…“ schmunzelte sie, „und außerdem ist alles, was ich anpflanze, echt Bio, das weiß man im Laden ja nicht so genau – und kostet fast nichts!“
Die Kommissare baten um ein kurzes Gespräch.
„Hereinspaziert!“ forderte Frau Waldschmidt sie auf, ging voran und wies auf eine Essecke in der urigen kleinen Küche, in der ansonsten jedes etwaige freie Plätzchen mit Küchenutensilien belegt bzw. behangen war. Niklas und Sven setzten sich.
„Die Zeite wern schlimmer, awwer Dorscht hammer immer“, zitierte Frau Waldschmidt und fragte: „Möchten Sie was trinken? Kaffee? Oder vielleicht einen sauer Gespritzten?“
Nach einer anstrengenden Radtour trank Niklas gern ein Glas des mit Mineralwasser gemischten Apfelweins, aber morgens nicht. Sie verneinten und Sven fragte, wann Frau Waldschmidt die Tochter der Nachbarn, Noemi Ritter, zuletzt gesehen habe.
„Am Dienstagnachmittag“, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück. „Das war so gegen drei Uhr, meine ich, da wurde sie von einem netten jungen Mann gebracht, der vor der Grundschule geparkt hat. Ich war gerade draußen und Noemi hat mich wie immer freundlich gegrüßt. Danach ist sie rein gegangen.“
„Und der junge Mann“, hakte Sven nach, „kannten Sie den, und was hat der dann gemacht?“
„Den habe ich vielleicht schon mal gesehen, das kann schon sein, aber kennen tu ich den nicht. Der hat einen Buben aus dem Hort bei der Grundschule abgeholt, der ihm ähnlich sah, das war bestimmt der jüngere Bruder!“
„Und Noemi war freundlich wie immer sagen Sie, also da ist Ihnen nichts aufgefallen, was anders als sonst gewesen wäre?“, fragte Niklas nach.
„Na ja, ich kenne Noemi ja von klein auf“, holte die alte Dame aus. „Sie sind hergezogen, als Noemi sechs Jahre alt war, da lebte mein Mann noch. Die Mutter kommt aus Frankfurt, der Vater aus Friedberg, soweit ich weiß. Noemi wurde hier eingeschult, das war praktisch, so ein kurzer Schulweg über die Straße. Jetzt ist sie ja in Frankfurt im Gymnasium, da ist der Schulweg länger! Noemi war schon immer ein sehr liebes Mädchen, freundlich und aufmerksam, immer hilfsbereit – ich habe sie von Anfang an ins Herz geschlossen! Sie war nur ein bisschen schüchtern, hat sich immer zurückgenommen. Das lag vielleicht auch an den Eltern, die hatten sie an der kurzen Leine, war mein Eindruck. Deshalb finde ich es gut, dass Noemi nach dem Abi ins Ausland will, wie sie mir erzählt hat. Das täte ihr gut, mal unter andere Leute, zumal die Eltern immer für sich geblieben sind, ohne Freundschaften hier im Ort. Es kommen zwar regelmäßig Leute zu den Ritters und ich hab mal gefragt, ob das ein Chor ist, weil die immer singen, aber Frau Ritter hat mir erzählt, dass das ein Gebetskreis ist. Sie hat gefragt, ob ich nicht auch mal dazu kommen möchte. Das ist aber nichts für mich.“
Niklas wollte Frau Waldschmidt schon auf das eigentliche Thema zurücklenken, da unterbrach sie sich selbst: „Jetzt bin ich abgeschweift, das kommt vom vielen Alleinsein! Zurück zu Noemi am Dienstagnachmittag: sie schien ein bisschen froher als sonst, zumindest wirkte sie auf mich ein bisschen aufgeregt, aber positiv. Ich hab‘ gedacht, dass ihr der junge Mann gefällt, und das täte mich für sie freuen! Ich hab‘ das Gefühl, dass sie in letzter Zeit, vielleicht auch durch die Freundin, die jetzt schon mal zu Besuch ist, mehr aus sich rauskommt.“
Frau Waldschmidt beschrieb den jungen Mann so gut es ging. Er hatte dunkle Locken, sah sympathisch aus, war schätzungsweise zwanzig Jahre alt und etwa 1.80 groß. Er wirkte sportlich, vielleicht hatte er einen Trainingsanzug angehabt, daran konnte sie sich aber nicht mehr zuverlässig erinnern.
Und nein, nach dem Dienstagnachmittag hatte sie Noemi nicht mehr gesehen, und abends auch nicht. Wobei sie gegen sieben Uhr abends immer die Klingel abstellte, seit es vor einiger Zeit häufiger zu Klingelstreichen von auf dem Schulspielplatz noch spät rumlungernden Kindern gekommen war. Auf dieses „Schelleklobbe“ hatte sie keine Lust. Am Mittwochmorgen hatte sie Noemi leider ebenfalls nicht gesehen. Sonst hatte sie die junge Nachbarin morgens öfters gesehen, wenn sie selbst vom Bäcker kam.
„Ich hoffe ihr ist nichts zugestoßen! Finden Sie sie!“, trug die alte Dame den beiden Kommissaren eindringlich auf.
Niklas Buchholz und Sven Goldhus ließen ihre Visitenkarten da und Frau Waldschmidt versprach sich bei ihnen zu melden, so ihr noch etwas einfallen sollte.