Читать книгу Benns Vermächtnis - Bea Konda - Страница 6
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2 Tage zuvor, Dienstag, 4. April (7.05 Uhr)
„Morgen, Mama“, Noemi kam in die Küche und holte sich die Milch für ihr Müsli aus dem Kühlschrank.
Ihre Mutter hantierte gerade an der Kaffeemaschine und erwiderte den Gruß. Dann drehte sie sich um, musterte sie von oben bis unten und sagte: „Wie siehst du denn aus?“
„Wieso, wo ist das Problem?“, antwortete Noemi und strich sich den Minirock glatt.
„Musst du dich immer so aufreizend kleiden?“, fragte ihre Mutter missbilligend.
„Mama, das ist ein ganz normaler Minirock, sowas tragen alle in meinem Alter.“
„Wenn alle ins Wasser springen, springst du dann auch? Nur weil alle es tun, heißt es nicht, dass das gut ist!“
Es war immer das Gleiche, sie war es so leid… Noch vor einem Jahr hatte es solche Diskussionen nicht gegeben, weil Noemi immer das getan hatte, was ihre Mutter – und damals sie selbst auch, das gestand sie sich ein – für richtig gehalten hatte. Sie hatte jeden Tag in der Bibel gelesen, war regelmäßig zur Messe und in den Gebetskreis gegangen und hatte versucht ein dem Herrn wohlgefälliges Leben zu führen. Sie hatte sich nie gestylt, da die Beschäftigung mit weltlichen Dingen wie Kleidung und Kosmetik oberflächlich und nichtig war und nicht zum wahren, tiefen, inneren Glück beitrug. Das hatte sie sich zumindest immer eingeredet, aber das funktionierte seit einiger Zeit nun nicht mehr. Zwar brauchte man ihr nicht mit Slogans wie „Kauf dich glücklich“ kommen und der Selfie-Wahn vieler Mitschülerinnen war ihr fremd, aber sie konnte sich schon an Schönem inklusive schöner Kleidung freuen. Und warum auch nicht, warum sollte man sich verstecken, wenn Gott einem doch diesen Körper gegeben hatte, dachte sie trotzig.
Ihre Mutter seufzte vernehmlich und schüttelte resigniert den Kopf, als sei bei ihr ja eh Hopfen und Malz verloren: „Ich fahre nachher nach Schlossbrunn und komme am Samstag zurück. Wunder dich nicht, wenn ich mich zwischendurch nicht melde, weil es Schweige-Exerzitien sind, an denen ich teilnehme, hatte ich dir ja schon gesagt.“
„OK, dann weiß ich Bescheid“, erwiderte Noemi.
Im Kloster in Schlossbrunn war ihre Mutter mehrmals im Jahr, ob zu Seminaren wie „Innere Heilung“, zu „Stillen Tagen“ oder was auch immer, das kannte Noemi seit langem. Als sie noch jünger war und ihre Eltern sie nicht allein zu Hause lassen konnten, war sie selbst bei solchen Veranstaltungen mit dabei gewesen, zusammen mit anderen Kindern christlicher Eltern.
„Wenn irgendwas sein sollte, kannst du mich natürlich erreichen, ich habe das Handy dabei. Einen Auflauf habe ich vorbereitet, der steht im Kühlschrank, ansonsten mach dir einfach Nudeln oder kauf dir was, es sind 30 Euro in der Schublade. Papa kommt wie immer am Freitag zurück.“
„Kein Problem, ich komme schon klar“, antwortete Noemi.
Ihr Vater war im Außendienst tätig und daher meist nur am Wochenende zu Hause. Insgeheim freute sich Noemi auf ein paar sturmfreie Tage ohne Diskussionen mit ihrer Mutter, sie ließ es sich jedoch nicht zu sehr anmerken. Sie räumte ihr Frühstücksgeschirr weg und schnappte sich ihren Rucksack: „Tschüss, Mama – und viel Spaß in Schlossbrunn!“
„Na, um Spaß geht es mir dabei nicht“, erwiderte ihre Mutter. „Tschüss, und bleib brav, Noemi!“, waren ihre letzten Worte, bevor Noemi die Haustür hinter sich schloss.
Wie immer, wenn sie in letzter Zeit das Haus verließ, hatte Noemi das Gefühl einer Enge entkommen zu sein und sog tief die frische Frühlingsluft ein. Dann ging sie los in Richtung Bushaltestelle.