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1.1 Diversität in der Sozialen Arbeit

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Durch zahlreiche Phänomene der Postmoderne wie Globalisierung, Migration oder Individualisierung wird unsere Gesellschaft vielfältiger und heterogener. Doch wie gehen Gesellschaften, Organisationen oder Einzelpersonen mit der »Andersartigkeit« und mit Grenzverschiebungen und -ausweitungen um? Beck (2004: 77ff) nennt hier als Umgangsmodi »Universalismus«, »Relativismus«, »Ethnizismus«, »Nationalismus«, »Kosmopolitismus« und »Multikulturalismus«. Während im Universalismus andere als prinzipiell gleichwertig respektiert, also die Grenzen zu kulturell Fremden aufgehoben werden, konstruieren relativistische Herangehensweisen neue Grenzen und heben Unterschiede sogar hervor. Die verschiedenen Strategien im Umgang mit Andersheit schließen sich nicht aus, sondern ergänzen oder korrigieren sich. Im Kern geht es beim Kosmopolitismus um die Anerkennung von Andersheit im Inneren der Gesellschaft wie nach außen, ohne hierarchische Anordnung der Unterschiede, und um Akzeptanz des Verschiedenen. Diese Betrachtungsweise hat Konsequenzen für die Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft und zwar in Theorie und Praxis. Daher müssen Wege aufgezeigt werden, wie mit Diversität adäquat umgegangen und ihre Anerkennung in der Gesellschaft gefördert werden kann, denn die Achtung und Wertschätzung von Vielfalt stellt einen zentralen Aspekt der Sozialen Arbeit dar. So definiert der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH):

»Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.

Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit.

Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen.

Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein« (DBSH 2016).

Die wesentlichen Aufgaben der Sozialen Arbeit liegen darin, »individuelle Verwerfungen bei sog. Globalisierungsverlierer_innen auszugleichen, Verbesserungen von Lebenslagen zu bewirken, Verstehensprozesse zu initiieren und voranzutreiben und weltweite Veränderungsprozesse mit lokalen Betroffenheiten in Verbindung zu bringen« (Aschenbrenner-Wellmann 2009: 212). Um dies umzusetzen, benötigt es neben Wissen, Haltungen, Einstellungen und Handlungsfähigkeiten auch einen angemessenen Umgang mit Vielfalt, Verschiedenheit und Ungleichheit auf individueller, gruppenbezogener und gesellschaftlicher Ebene. Diese Fähigkeit kann als Diversitätskompetenz bezeichnet werden (ebd.).

Häufig wird Diversität als Konzept für den Umgang mit Unterschiedlichkeit eingesetzt. Sie kann aber auch als Haltung betrachtet werden, »die mit der bewussten Wertschätzung aller unterschiedlicher Attribute von Menschen und deren Einfluss auf die zwischenmenschlichen Beziehungen verbunden wird« (ebd.: 213). So ist es möglich, Diversitätskompetenz mit den Schlagwörtern Respekt, Wertschätzung, Akzeptanz und Einbeziehung zu beschreiben. Ziel dieser Kompetenz ist es, einen gesellschaftlich verbesserten Zustand zu erreichen, indem man ohne Angst verschieden sein kann.

Je nach Betrachtungsweise kann Verschiedenheit in der Sozialen Arbeit als Unterschiedlichkeit, Ungleichheit oder Vielfalt wahrgenommen werden. Die verschiedenen Lesearten von Diversität führen wiederum zu diversen Handlungsanforderungen an traditionelle und innovative Querschnitts-Arbeitsfelder innerhalb der Sozialen Arbeit. Da der Alltag von Sozialarbeiter_innen geprägt ist von unterschiedlichen Adressat_innen, die fremd sind, andere Kulturen und Äußerungsformen besitzen und aus einem anderen Milieu oder einer anderen Lebenswelt stammen, ist eine Neuausrichtung der Sozialen Arbeit erforderlich: Die Vorstellung, dass Anderssein bedeutet, Defizite zu haben, oder dass Verschiedenheit eine Bedrohung darstellt, muss einer Vorstellung der Wertschätzung von Verschiedenheit weichen (Aschenbrenner-Wellmann 2009: 216).

Um dies zu verdeutlichen, soll ein bereits früher erstelltes Schaubild herangezogen und für das neue analytisch-reflexive Modell weiterentwickelt werden (in Anlehnung an Aschenbrenner-Wellmann 2009b: 69) ( Abb. 2).


Abb. 2: Diversität in Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit (eigene Darstellung)

Mit Blick auf das Schaubild wird deutlich, dass Verschiedenheit aus Perspektive des_der Beobachter_in als Unterschiedlichkeit, Ungleichheit oder Vielfalt wahrgenommen werden kann. Daraufhin erfolgt eine weitere Differenzierung in die verschiedenen Bedeutungsdimensionen von Diversität, auf die im Einzelnen unter Punkt 2 eingegangen wird. So können der Unterschiedlichkeit die Dimensionen ›Deskriptiv-klassifizierend‹ und ›Integrationspolitisch‹, der Vielfalt die Dimensionen ›Evaluativ‹ und ›Didaktik‹ und der Ungleichheit die Dimensionen ›Normativ-regulierend‹ und ›Ungleichheitskritisch‹ zugeordnet werden. Diese verschiedenen Arten von Diversität, die auf den Ebenen des Individuums, der Gruppe, Organisationen, dem Sozialraum als auch der Gesellschaft beobachtbar sind, führen zu diversen Handlungsanforderungen und -möglichkeiten in den vielfältigen Arbeitsbereichen der Sozialen Arbeit (in Anlehnung an Aschenbrenner-Wellmann 2009b: 65).

»Eine gute Praxis braucht eine gute Theorie«, so Otto auf dem Bundeskongress Soziale Arbeit 2005. Für die theoretische Fundierung zieht Aschenbrenner-Wellmann (2009: 65) die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession, Soziale Teilhabe und globale Soziale Arbeit heran. »Erstere beschreibt Menschenrechte als common sense der sich bildenden Weltgesellschaft, der als einziger Normenkatalog global anerkannt wird […], [die zweite] verweist auf Solidarität, Inklusion und die Herstellung sozialer Gerechtigkeit, auf ein Recht zur Teilhabe« (ebd.). Anstelle einer globalen Sozialen Arbeit wird im neuen Modell der Begriff ›resonanzorientierte Soziale Arbeit‹ in Anlehnung an die aus der Soziologie stammenden Resonanztheorie nach Hartmut Rosa (2016) aufgenommen. Im Kern geht es dabei um eine über Kompetenzen hinausreichende Soziale Arbeit, die Resonanzerfahrungen als Beziehungsmodi versteht und den Fokus auf Selbstwirksamkeitserfahrungen und gelingende Weltbeziehungen legt und als Antwort bzw. Lösung auf die heutige beschleunigte Welt gesehen wird. Auf diese Theorie wird in Teil III im Hinblick auf NPOs vertiefend eingegangen ( Teil III).

Diese theoretischen Ansätze lassen sich mit den Ausprägungsformen von Verschiedenheit in Form von Kombinationspaaren verbinden:

• Ungleichheit – soziale Teilhabe;

• Vielfalt – Menschenrechtsprofession;

• Unterschiedlichkeit – resonanzorientierte Soziale Arbeit.

Diese Verhältnisse werden nachfolgend skizziert.

In der Kombination Ungleichheit – Soziale Teilhabe geht es »einerseits um Teilhabe der Profession an den aktuellen Veränderungen des Sozialstaats, andererseits um die Partizipation der KlientInnen in der Sozialen Arbeit« (Aschenbrenner-Wellmann 2009b: 66). Daher braucht es

• soziale Gerechtigkeit als übergreifenden Wert sowie eine angemessene Diskussions- und Aktionsbasis für die Soziale Arbeit;

• die Einsicht, dass eine Verpflichtung zur Teilnahme keinen Ersatz für das Recht auf Teilhabe sein kann;

• die Einsicht, dass soziale Teilhabe Solidarität und soziale Inklusion bedeutet (ebd.).

Innerhalb der Verbindung zwischen Vielfalt und Menschenrechtsprofession steht zum einen die Toleranz, die gewährt oder auch entzogen werden kann, und zum anderen die Anerkennung im Mittelpunkt. Unter Anerkennung ist eine Beziehung zu verstehen, die auf Gleichwertigkeit und wechselseitiger Akzeptanz beruht, um Menschenrechte zu verwirklichen (ebd.).

Das Kombinationspaar Unterschiedlichkeit und resonanzorientierte Soziale Arbeit berührt folgende Aspekte (in Anlehnung an ebd. und Rosa 2016):

• Durch Globalisierung, Individualisierung und Pluralisierung entsteht eine Gesellschaft mit unterschiedlichsten Milieus und Lebensentwürfen. Somit entwickeln sich unzählige Optionen für Individuen, was die Welt unbestimmter, unübersichtlicher und widersprüchlicher macht, das Leben beschleunigt und Beziehungen erschwert.

• Soziale Arbeit muss daher ihren Fokus erweitern: Der Blick darf nicht ausschließlich auf Ressourcen ruhen, sondern muss auf Beziehungen zur Welt und Selbstwirksamkeitserfahrungen – resonanzorientiert – ausgerichtet werden.

• So können strukturelle Analysen der Weltzusammenhänge und Weltbeziehungen mit der Alltagswelt Einzelner verknüpft werden.

Diversität bedeuten in diesem Sinne »eine Verabschiedung von der Eindeutigkeit bzw. die Akzeptanz der unaufhebbaren Zwei- oder Mehrdeutigkeit. Diversity ist verbunden mit der Bereitschaft loszulassen, sich auf Neues einzustellen und damit die Chance und das Risiko des Übergangs und der Transformation« (Aschenbrenner-Wellmann 2009b: 67) zu nutzen. Diese Sichtweise ist zentral, denn »Überleben ist in der Welt der Kontingenz und Diversität nur möglich, wenn jede Differenz die andere Differenz als notwendige Bedingung für die Bewahrung der eigenen anerkennt« (Baumann 1999: 312).

Dieser geforderte Paradigmenwechsel ist in der Praxis allerdings schwer umsetzbar, beurteilen doch Menschen ihr Umfeld immer noch gerne danach, was ihnen vertraut ist. Sie suchen sich möglichst ähnliche Personen und gehen Veränderungen nur zögerlich an. Daher gehört in den Mittelpunkt einer zukunftsorientierten Praxis und Ausbildung der Sozialen Arbeit die Kompetenz im Umgang mit Verschiedenheit in den Ausprägungen: Ungleichheit, Vielfalt und Unterschiedlichkeit – auch wenn Diversität in ihrer Gesamtheit wahrzunehmen einzelne Menschen wie auch Systeme überfordert. Deshalb »ist für jede Situation, jede Organisation etc. jeweils zu klären, welche Aspekte von Diversity wann fokussiert werden und wie das Gesamtkonzept zur besseren Handbarkeit reduziert werden kann« (Aschenbrenner-Wellmann 2009: 214).

Neben der Sicht von Professionellen und Organisationen ist für die Soziale Arbeit die Sicht der Klient_innen von großer Bedeutung. Auch diese muss in den Blick genommen werden – vor allem, wenn Lebensweltorientierung ernstgenommen werden soll. Für die Adressat_innen ist es wichtig innerhalb der Sozialen Arbeit und bei ihren Angeboten ein Gefühl von Akzeptanz und Zutrauen zu spüren. Daher muss von Seiten der Sozialarbeiter_innen erwartet werden, dass sie ihrem Gegenüber respektvoll begegnen – unabhängig von Handlungsweisen, Hintergründen, Denk- und Lebensentwürfen. Akzeptanz kann als vierstufiger Prozess dargestellt werden (vgl. Löcherbach/Puhl 2016: 121):

1. Stufe: Orientierung – das Interesse an anderen Menschen. Dies bedeutet die Auseinandersetzung mit ihnen und damit, dass sie anders sind als wir selbst.

2. Stufe: Kenntnis – die generelle Kenntnis der Lebenswirklichkeit der Adressat_innen.

3. Stufe: Akzeptanz – das Anderssein von Menschen akzeptieren und nicht als Widerspruch zu sich selbst und den eigenen Lebensvorstellungen zu interpretieren.

4. Stufe: Toleranz – Anderssein und die Vielfalt als wichtig erachten und nicht verändern wollen.

Innerhalb dieses Prozesses spiegelt sich die Anerkennung einer vielfältigen Gesellschaft mit unterschiedlichen Lebenswelten wider. Diese Stufen müssen laut Löcherbach und Puhl auf Seiten der Professionellen bereits durchlaufen sein, bevor sie ihre Adressat_innen in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit treffen (ebd.). Daher ist der Umgang und die Auseinandersetzung mit Diversität in unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen für eine professionelle, zeitgemäße Soziale Arbeit bereits innerhalb des Studiums unerlässlich.

Um der angestrebten komplexen vielfältigen Sichtweise von Diversität gerecht werden zu können, sollen in Kapitel 2 verschiedene Lesearten und Dimensionen von Diversität betrachtet werden ( Kap. 2). Zielsetzung ist dabei die jeweils angesprochenen Aspekte von Diversität zu fokussieren und in den Praxisalltag einzubeziehen.

Diversität in der Sozialen Arbeit

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