Читать книгу Diversität in der Sozialen Arbeit - Beate Aschenbrenner-Wellmann - Страница 14
2.1.1 Diversität im angloamerikanischen Raum mit Fokussierung auf Managing Diversity (MD)
ОглавлениеObwohl es nicht den Erfinder oder die Erfinderin des DiM gibt, lassen sich einige Grundlagenpublikationen auflisten, die die Debatte und Theorieentwicklung im Bereich Diversität stark beeinflusst haben.
Roosevelt R. Thomas gründete bereits 1983 das American Institute for Managing Diversity; er machte in den amerikanischen Diskursen schon früh darauf aufmerksam, dass Affirmative Action Programme nicht mehr ausreichen, um das Potential heterogener Mitarbeiter_innen ausreichend zum Einsatz zu bringen und wertzuschätzen. In seinem Beitrag »Beyond Race and Gender« (1991) weist er darauf hin, dass es nicht genügt, sich mit den genannten offensichtlichen Diversitätsmerkmalen auseinanderzusetzen, sondern dass auch andere, nicht so leicht wahrnehmbare Differenzmerkmale wie z. B. Bildung, sexuelle Orientierung oder persönliche Werte beachtet werden müssen. In seinem weiterführenden Beitrag »Redefining Diversity« von 1996 spricht er sich für eine sehr breite Diversitätsdefinition aus: »Diversity refers to any mixture of items characterized by differences and similarities« (1996: 5).
Der bewusste Umgang mit Diversität, das MD, bedeutet für Thomas vor allem eine Veränderung der Organisationskultur: »Managing diversity is a comprehensive managerial process for developing an environment that works for all employees« (Thomas 1991: 10). MD wird hier als Konzept der Organisationsentwicklung verstanden und fokussiert vor allem die Frage, wie das vorhandene Potential der Vielfalt für den Erfolg der Organisation genutzt werden kann. Auf individueller Ebene bezeichnet Thomas die zu erreichende personale Kompetenz als »Diversity-Reife« und meint damit sowohl Wissen über Vielfalt und die entsprechenden Konzepte und Dynamiken als auch eine positive Einstellung zu Vielfalt und ein produktiver Umgang mit dieser.
Ebenso wie Thomas ordnen auch M. Loden und J. Rosener (1991) die Entstehung von Diversitätsansätzen in ihrem grundlegenden Artikel »Diversity as a Vital Resource« den Veränderungen auf dem US-Arbeitsmarkt zu. Ein besonderes Augenmerk fällt dabei auf Aspekte des demografischen Wandels und auf die zunehmende Heterogenität der Mitarbeitenden in den Unternehmen.
»Die vielfältig gelagerten Unterschiede, betonen die Autorinnen, werden von den ArbeitnehmerInnen zunehmend bewusster wahrgenommen und sollen nicht mehr – im Sinne von Anpassung – verleugnet werden. Daraus ergibt sich für Führungskräfte die Anforderung sich mit den daraus entstehenden Herausforderungen auseinander zu setzen resp. auf diese angemessen zu reagieren« (Schür 2013: 97).
Im Sinne des DiM ergeben sich dabei für die Autorinnen die folgenden drei Schritte:
• Zunächst geht es um die Wahrnehmung der enormen kulturellen und ethnischen Vielfalt an amerikanischen Arbeitsplätzen,
• In einem nächsten Schritt soll das ganze Spektrum an Vielfalt wertgeschätzt werden,
• Im sich anschließenden Stadium sollen dann Gemeinsamkeiten gefunden werden auf deren Grundlagen vertrauens- und respektvolle Beziehungen entstehen (vgl. Loden/Rosener 1991).
Allerdings bestehen auf dem Weg zur Umsetzung der Strategie, Diversität als vitale Ressource zu sehen, einige Hindernisse. Bspw. neigen Menschen dazu, sich mit anderen Personen zu umgeben, die ihrer Kernidentität möglichst ähnlich sind. Zusätzlich besteht eine lange Tradition darin, Vielfalt eher als bedrohlich und störend zu empfinden statt als schätzens- und anerkennenswert; diese Betrachtungsweise bestimmt nach Ansicht der Autorinnen auch noch unser derzeitiges Verständnis und den Umgang mit Vielfalt. Loden und Rosener sprechen hier vom sog. Homogenen Ideal, das in vielen Organisationen vorherrscht. In diesem Zusammenhang werden zahlreiche Praktiken und Mechanismen entwickelt, die der Aufrechterhaltung und Förderung der Homogenität dienen und in ihrer Folge die Anpassung von Angehörigen von Minderheitenkulturen an die Werte und Leitbilder der dominanten Gruppe erfordern. Als weiterer Störfaktor für die Erreichung eines respektvollen Miteinanderumgehens erweisen sich vorhandene Stereotype, Vorurteile und Rassismen, die Kommunikation und Begegnungen beeinflussen.
Wesentlich für einen produktiven Umgang mit Vielfalt ist für die Autorinnen auch die Unterscheidung in primäre und sekundäre Dimensionen von Diversität. Primäre Dimensionen wie bspw. Hautfarbe, Geschlecht oder sexuelle Orientierung haben demnach einen entscheidenden Einfluss auf das Selbstbild der Menschen und auf ihr Gruppenverhalten, da persönliche Erfahrungen, Gefühle etc. entscheidend durch diese Faktoren geprägt werden. Die sekundären Dimensionen (Bildungshintergrund, Einkommen, Status usw.) werden dagegen als grundsätzlich veränderbar betrachtet, geben dem jeweiligen Selbstbild seine Konturen, sind aber nicht so bedeutsam für die Kernidentität der Person. Trotz dieser Unterscheidung verweisen die Autorinnen auf zahlreiche Interdependenzen zwischen den Dimensionen und damit zumindest implizit auf das Phänomen der Intersektionalität.
Einen weiteren Meilenstein bei der Klärung des Diversitätsbegriffs und zur Beachtung der mit ihm verbundenen Komplexität stellen die Ausführungen von L. Gardenswartz und A. Rowe (1998) zu den »Four Layers of Diversity« dar. Die beiden Organisationberaterinnen gehen – ähnlich wie R. Thomas – von einem Verständnis von Diversität als Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten und Verbindendes zwischen den Menschen aus. In ihrem Vier-Schichten-Modell unterscheiden sie zwischen den Ebenen »Personality«, »Internal Dimensions«, »External Dimensions« und »Organizational Dimensions« ( Abb. 3).
Abb. 3: Four Layers of Diversity nach Gardenswartz/Rowe 1998 (aus: Plett, A., 2002. Managing Diversity – Theorie und Praxis der Arbeit von Lee Gardenswartz und Anita Rowe. In: I. Koall, V. Bruchhagen und F. Höher, Hrsg. Vielfalt statt Lei(d)tkultur. Managing Gender & Diversity. Münster: Lit, 99–112, hier 111)
Die Persönlichkeit, als einzigartiger Kern jedes Menschen, durchdringt dabei alle weiteren Ebenen des Modells. Unter den inneren Dimensionen werden Faktoren wie Geschlecht, Alter oder Hautfarbe angeführt, die wenig beeinflussbar sind, aber gleichzeitig große Auswirkungen auf das Denken und Handeln der Menschen haben. Die externen Faktoren entsprechen den sekundären Dimensionen von Loden und Rosener (1991). Auf der äußeren Ebene werden organisatorische Aspekte wie Management-Status, Arbeitsgruppe, Organisationseinheit angesiedelt, die das konkrete Verhalten und die Beziehungen innerhalb der Organisation beeinflussen. Aus ihrer jahrelangen Praxiserfahrung schlussfolgern die Autorinnen, dass die vorhandene Diversität einer Organisation sowohl zu Kreativität als auch zu Konflikten führen kann. »Welche dieser Dimensionen für eine konkrete Benachteiligung oder Privilegierung jeweils eine Rolle spielen, ist jedoch immer kontext- und situationsabhängig (Dreas 2019: 10).
Um die Vorteile einer heterogenen Belegschaft nutzen zu können, ist ein bewusster und effektiver Umgang mit Vielfalt notwendig. Hierzu stellen Gardenswartz und Rowe eine Reihe anwendungsorientierter Tools zur Verfügung, deren erfolgreiche Anwendung letztendlich zum Ziel einer inklusiven Umgebung führen soll.
T. Cox jr. (1993) entwickelte ebenfalls in den 1990er Jahren ein interaktionales Modell für den Umgang mit »Cultural Diversity«; er konzentriert sich dabei insbesondere auf die Differenzmerkmale Hautfarbe, Geschlecht und Nationalität, bezieht aber auch andere Dimensionen wie Religion, Alter oder physische Fähigkeiten mit ein. Cultural Diversity bedeutet für ihn »the representation, in one social system, of people with distinctly different group affiliations of cultural significance« (ebd.: 6). Einen entscheidenden Einfluss auf den Umgang mit Vielfalt besitzt seiner Ansicht nach die Identitätsstruktur des_der Einzelnen, wobei die spezifische Ausprägung kultureller Identität Auswirkungen auf das persönliche Vorankommen in der Organisation hat und gleichzeitig die Effektivität der Organisation von den vorhandenen kulturellen Teilidentitäten beeinflusst wird. Nach einer ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Diversitätsklima einer Organisation, das durch die individuelle, gruppenbezogene und organisationale Ebene bestimmt wird, entwirft der Autor sein Idealbild einer »Muticultural Organization«, in der alle Mitglieder unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund ihr ganzes Potential entfalten können. Das Diversitätsklima der Organisation wird auf der individuellen Ebene vor allem durch Stereotypen und Vorurteile bestimmt, denn diese determinieren die Art des Umgangs miteinander und führen ggf. zu Benachteiligungen und Diskriminierungen. Auf der gruppenbezogenen Ebene haben kulturelle Unterschiede, Ethnozentrismus sowie Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen Einfluss auf die Effektivität der Organisation. Diese Prozesse sollen durch DiM bewusst gemacht und dadurch das gegenseitige Verständnis füreinander gefördert werden. Auf organisationaler Ebene soll Vielfalt generell bspw. in einem entsprechenden Leitbild akzeptiert werden und zur Unterstützung u. a. informelle Netzwerke aufgebaut werden (ebd.).
Die Zielgröße »multikulturelle Organisation« beschreibt Cox (1993) durch folgende Merkmale:
• eine Kultur der Wertschätzung von Vielfalt;
• Pluralismus im Sinne eines Akkulturationsprozesses;
• ganzheitliche strukturelle Integration;
• Etablierung informeller Netzwerke;
• das Fehlen einer institutionellen kulturellen Schieflage im Human Ressource Management und in den Umsetzungsbereichen;
• wenige Intergruppen-Konflikte bedingt durch proaktives DiM.
Um diesen Zielzustand zu erreichen, ist neben einem diversitätssensiblen Führungskräftepool vor allem eine explizite Kommunikationsstrategie der Organisation zu den Zielen und zum Stand des Diversitäts-Prozesses notwendig sowie Maßnahmen zu einer kontinuierlichen Evaluation von Misslingens- und Gelingensfaktoren. Bei einer zusammenfassenden Bewertung der wegweisenden konzeptionellen Ansätze aus dem angloamerikanischen Raum fällt auf, dass diese alle auf den Mehrwert von Diversität im Kontext einer Organisation und von interkulturellen Teams ausgerichtet sind. Diversität wird kaum gesellschafsbezogen im Kontext der Antidiskriminierung oder im Zusammenhang mit Gerechtigkeitsvorstellungen sowie Macht- bzw. Herrschaftsverhältnissen verwendet.