Читать книгу Diversität in der Sozialen Arbeit - Beate Aschenbrenner-Wellmann - Страница 16
2.1.3 Diversität außerhalb des ökonomisch-organisatorischen Kontexts: machtsensible Diversitätsansätze im Kontext des Sozialen
ОглавлениеObwohl der Diversitätsbegriff sowohl im deutschen als auch im angloamerikanischen Raum fest im ökonomischen und organisationalen Kontext verankert ist, haben sich besonders im letzten Jahrzehnt weitere Begriffsverwendungen herauskristallisiert. Eine Grundidee von Diversitätskonzepten ist es, die mit Vielfalt verbundenen Probleme zu reduzieren und vorhandene Chancen zu realisieren. Hierzu ist es einerseits erforderlich, Diversität als Konzept des Managements eines Umgangs mit Verschiedenheit (MD) innerhalb von Organisationen zu etablieren und Diversitätskompetenz bei Mitarbeiter_innen im Sinne einer Schlüsselqualifikation in Zeiten der Globalisierung zu stärken. DiM beschreibt die Gesamtheit der Maßnahmen, die dazu beitragen, dass Verschiedenheit in einer Organisation anerkannt und wertgeschätzt wird. Es geht somit um die Herstellung von Bedingungen, die es allen Personen unabhängig von ihren unterschiedlichen Merkmalen ermöglicht, ihr Potential positiv zur Geltung zu bringen. Dies soll sich jedoch nicht auf Organisationen beschränken, sondern in der Gesamtgesellschaft zur Anwendung kommen. »Längerfristig beinhaltet eine chancenorientierte Diversity-Orientierung die Vision von einem staatlichen und gesellschaftspolitischen Selbstverständnis einer ›Einheit in der Vielfalt‹. Der Schutz vor Diskriminierungen, ein ressourcenorientierter Potentialansatz, die Förderung von Chancengleichheit und Gleichbehandlung und wirtschaftliche Vorteile können so miteinander verbunden werden« (Merx 2013: 241).
In einer pragmatischen Annäherung an den Diversitäts-Begriff greift Schwarzer folgende verbreitete Sichtweise auf: »Durch eine Diversity-Perspektive sollen die Unterschiedlichkeiten von Menschen wahrnehmbar und diese als etwas Positives für die Gruppe, die Organisation und die Gesellschaft gesehen werden. Heterogenität wird als Bereicherung für alle und Unterschiede als Stärke gewertet« (Schwarzer 2015a: 196). Zur Beschreibung von Unterschieden wird häufig sowohl der Begriff »Vielfalt« als auch »Differenz« verwendet; in der Regel jedoch mit recht gegensätzlichen Konnotationen. »Vielfalt wird tendenziell verwendet, wenn in positiv konnotierter Form über Verschiedenheit gesprochen werden soll. Gemeint ist eine Verschiedenheit, die Unterschiedlichkeit als Teil des gesellschaftlichen Ganzen begreift. Differenz dagegen wird eher eingesetzt, um eine Abgrenzung zu markieren und wenn die Eigenständigkeit im Gegensatz zum Gesamten betont werden soll« (Brettländer/Köttig/Kunz 2015: 7). Gemeinhin wird der Diversitätsbegriff also für den positiven, wertzuschätzenden Aspekt von Vielfalt verwendet, für eine Vielfalt, die auf Zugehörigkeit ausgerichtet ist, während Differenz bestehende Unterschiede bspw. im Bereich der Klassenzugehörigkeit thematisiert, die nicht so leicht überwunden werden können oder sollen und somit als dauerhafte Bestandteile und Konstruktionsmechanismen sozialer Ungleichheit dienen.
Entsprechend eindeutig melden sich Kritiker_innen des Diversitätskonzepts zu Wort:
»Verliert sich Antidiskriminierungsarbeit […] in der Auflistung der Differenzen, in deren Bewahrung, in deren neuer Verpackung (wie es z. B. in dem Zurzeit Konjunktur feiernden Konzept Diversität der Fall ist), um diskriminierte Individuen und Gruppen noch nützlicher, sozioökonomisch noch verwertbarer zu machen, dann haben wir es mit nichts anderem zu tun als mit einer depolitisierenden verwaltungstechnischen Maßnahme, einem zusätzlichen Instrument zur Erhaltung der Herrschaft« (Bratic 2008: 158).
Diversitätskonzepte sollen deshalb, so die Empfehlung von Hormel und Scherr (2004: 212), gesellschaftlich ablaufende Normalisierungsprozesse kritisch in den Blick nehmen und vorhandene Ausschlussmechanismen nicht einfach reproduzieren.
»Vielmehr kommt es darauf an:
• Strukturen und Prozesse durchschaubar zu machen, durch die Unterschiede zwischen sozial ungleichen Gruppen hervorgebracht werden;
• zur Kritik unzulässiger Generalisierung von Stereotypen und Vorurteilen zu befähigen sowie dafür zu sensibilisieren, dass jedes Individuum ein besonderer Einzelner ist;
• begreifbar zu machen, dass Gruppenzuordnungen keine klaren und eindeutigen Grenzen zwischen unterschiedlichen Menschentypen etablieren, sondern durch übergreifende Gemeinsamkeiten und quer zu den Gruppenunterscheidungen liegende Differenzen überlagert und relativiert werden;
• Kommunikations- und Kooperationszusammenhänge zu ermöglichen, in denen die Irrelevanz etablierter Gruppenunterscheidungen erfahren werden kann.«
Erst durch eine differenzierte Betrachtung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden kann der Diversitätsansatz in einen kritisch zu betrachtenden Gesellschaftsdiskurs eingebettet werden. »Diversity zielt also auf die demokratische Öffnung aller gesellschaftlichen Räume für alle Menschen ab. Unabhängig von dem jeweiligen kulturellen Hintergrund, Religion, Hautfarbe, Alter, Geschlecht, Geschlechterrolle, sexuelle Orientierung, Klasse, körperlicher Verfasstheit etc. und unabhängig von der ›Nützlichkeit‹ des jeweiligen Menschen« (Czollek u. a. 2009: 61).
Für die Bundesregierung ist im Hinblick auf die Etablierung des Diversitätsdiskurses festzustellen, »dass es sich hierbei keineswegs primär um einen Effekt des Einflusses von politischen Strömungen und sozialen Bewegungen handelt, die sich in einer emanzipatorischen Perspektive für die Rechte von Minderheiten einsetzen oder die eine gegenüber Konzepten einer nationalen ›Leitkultur‹ kritische Programmatik eines Multikulturalismus vertreten. Vielmehr handelt es sich um einen von angelsächsischen Entwicklungen inspirierten Import einer Semantik bzw. Programmatik, deren zentraler politischer Akteur die EU-Administration ist« (Scherr 2011: 81), deren Kampagnen-Motto lautet: »For Diversity – against Discrimination«. Die maßgeblichen EU-Richtlinien (2000/43 und 2000/78) sind seit 2006 im bundesrepublikanischen AGG verankert worden. Diversität wird zwar durch das Steuerungsinstrument Recht gesellschaftspolitisch relevant, aber nur im negativen Sinne durch das Verbot rechtlich nachweisbarer Diskriminierungsfälle. Alltägliche Diskriminierung, Rassismus und Ausgrenzung in der Interaktion zwischen Personen können hiermit nicht aufgegriffen bzw. überwunden werden.
»Im Unterschied hierzu hat sich die Diversity-Diskussion in den USA, Kanada und Großbritannien im Zusammenhang mit politischen Forderungen von Minderheiten entwickelt. Gegenstand sozialwissenschaftlicher Diversity-Studien […] sind dementsprechend die Lebensstile und die Identitätsprojekte unterschiedlicher Minderheitengruppen, wobei die Verschränkungen und Überlagerungen von identitätsrelevanten Kategorien mit sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung und politischen Machtverhältnissen in den Blick gerückt werden« (Scherr 2011: 81).
Politisch-rechtliche Antidiskriminierungskonzepte, Strategien international operierender Konzerne sowie soziale Bewegungen und wissenschaftliche Positionen, die sich kritisch mit Problemlagen von Minderheiten auseinandersetzen, scheinen auf den ersten Blick übereinstimmenden Argumenten zu folgen.
»Unter Bedingungen transnationaler Netzwerke der Kapitalakkumulation (Castells 2001) bzw. eines sich globalisierenden High-Tech-Kapitalismus (Haug 2003) verändern sich die Bedingungen des Einbezugs von Arbeitskräften und Konsumenten in den wirtschaftlichen Prozess in einer Weise, die es, jedenfalls für diejenigen, die sich als politische und ökonomische Akteure oder als Profiteure des politisch-ökonomischen Wandels begreifen können, als dysfunktional erscheinen lässt, an tradierten geschlechtsbezogenen, rassialisierenden und ethnisierenden Stereotypen festzuhalten« (Scherr 2011: 82).
Allerdings ist unseres Erachtens die Übereinstimmung von Wissenschaft, Politik und Ökonomie im Diversitätsdiskurs begrenzt. Dies betrifft sowohl die relevanten Dimensionen von Vielfalt, die Berücksichtigung finden sollen, als auch die Frage nach geeigneten Umsetzungsstrategien oder nach dem Einfluss von Macht und sozialer Ungleichheit. »Auch wenn Diversity-Konzepte sich den Anschein geben, jegliche Art von Vielfalt wertzuschätzen, ist zu fragen, ob sie de facto nicht doch nur bestimmte Differenzkategorien zu schätzenswerten konstruieren, diese als quasi natürlich gegeben voraussetzen, d. h. essentialisieren und ideologisieren und andere mögliche Differenzkategorien wie Arme, Alte, Ungebildete, Kranke, körperlich und geistig Behinderte ignorieren« (Nestvogel 2008: 23).
Über Vielfalt können wir uns fachübergreifend nur verständigen, wenn wir
• uns auf einen bestimmten gesellschaftlichen Bereich, wie bspw. das gesellschaftliche Zusammenleben, konzentrieren, um für diese zielgerichtete Aussage machen zu können;
• explizite Vorstellungen darüber entwickelt haben, was ein vielfältiges Zusammenleben ausmacht;
• die unterschiedlichen Themen, die in Diskursen und Debatten oft miteinander vermischt werden, auf ihren spezifischen Kontext hin prüfen, um soziale, kulturelle, religiöse (u. a.) Diversität differenziert betrachten zu können;
• die verschiedenen Aspekte des Alltagslebens im größeren Zusammenhang und über einen längeren Zeitraum hin betrachten, weil nur dann beobachtet wird, dass Vielfalt oft eine Halbwertzeit besitzt, nach der sie entweder zur Normalität wird oder in etwas Neuem aufgegangen ist;
• davon ausgehen, dass wir uns in einem gesellschaftlichen Transformationsprozess befinden, in dem die traditionellen Gesellschaften, die Moderne mit ihren Institutionen, großen Theorien und geregelten Normalvorstellungen in Frage gestellt werden können (Bukow 2011: 229).
»Machtsensible Diversity-Ansätze sind in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft gegenwärtig sowohl institutionell als auch personell stärker vertreten als affirmative Diversity Management Ansätze« (Walgenbach 2014: 103). Vertreter_innen dieser Konzepte verweisen auf theoretische Bezüge, vor allem aus den machtkritischen Diversitätsdiskursen der klassischen Einwanderungsländer wie USA und Kanada sowie in der Theorietradition der Migrationspädagogik, der Geschlechterdiskurse und der Integrations- und Inklusionspädagogik im deutschsprachigen Raum (Leiprecht 2008; Hormel/Scherr 2004). Machtkritische Ansätze betrachten soziale Identitäten und Zugehörigkeiten als Produkte von Herrschaftsverhältnissen, die zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus oder Islamfeindlichkeit führt: Die Relevanz dieser Perspektive betont A. Scherr (2008: 61 nach Walgenbach 2014: 104):
»Sie besteht erstens in der Aufforderung, Machtbeziehungen und Ungleichheiten in ihrer Verschränkung mit diskriminierenden Klassifikationen differenziert in den Blick zu nehmen und offensiv zu thematisieren. Dies erfordert zweitens eine kritische Auseinandersetzung mit einem gesellschaftlich einflussreichen Diversitäts-Diskurs, der diese Verschränkungen systematisch ausblendet und auf eine Überwindung tradierter Stereotype und Vorurteile zielt, der aber den sozioökonomischen Zusammenhang systematisch ausklammert.«
Wesentlich für die Argumentationsstränge in machtsensiblen Diversitätsdiskursen ist außerdem der Verweis auf die Konstruktion von Zugehörigkeiten und ihre Dekonstruktionsmöglichkeiten jenseits biologischer Festschreibungen.
Insofern sollten gerade die machtsensiblen Diversitätsbetrachtungen handlungsleitend für die Soziale Arbeit als Disziplin und Profession werden. Im folgenden Kapitel werden daher für den sozialen Bereich wesentliche Bedeutungsdimensionen der Diversitätsdiskurse in einer analytisch-reflexiven Weise aufgegriffen, um den Leser_innen ›Handwerkszeuge‹ für professionell-reflektierte Interventionen im Kontext Diversität und Soziale Arbeit zu ermöglichen.