Читать книгу Schattenhunger - Ben Leo - Страница 16
3.3 Schichtstadt
ОглавлениеDie beiden zahlten ihre Speisen und Getränke und machten sich durch das Gewühle auf zum Ausgang, der zu den Barracken der Minenarbeiter führte. Von dort konnte man gut auf einen der nahegelegenen Hügel gelangen und Topao begann mit seiner kleinen Geschichtsstunde: „Vor ungefähr 300 Jahren entdeckten zwei Brüder aus Mariopol, sie hießen Neschan und Glaban Peschmar, Gold im Glutberg und erklärten das Land am Fuße des erloschenen Feuerbergs kurzerhand zu ihrem eigenen. Der damalige Herrscher von Malikien war schwach und käuflich und stellte den Brüdern gegen etwas Gold eine Urkunde aus, die es ihnen erlaubte, dort einen eigenen Stadtstaat zu gründen. Die beiden ließen weitere Minen bauen und rekrutierten Söldner zur Bewachung. Nachdem dann auch noch Edelsteine gefunden wurden, waren sie innerhalb kürzester Zeit steinreich. Es wurden Heerscharen von Handwerkern und Sklaven herangeschafft, denn die Brüder hatten den berühmten Baumeister Silinikus aus Concorsien beauftragt, eine Stadt am Fuße des Berges zu errichten. Die natürliche Stufung neben dem großen Wasserfall war dafür ideal. Eine breite Serpentinen-Straße führte seitlich, über weitere Ebenen hoch zur obersten Schicht, auf der zunächst eine riesige Palastanlage mit wundervollen Gärten für die Brüder und ihr Gefolge gebaut wurde. Im Laufe der Zeit entstanden immer mehr Gebäude zur Versorgung, Häuser für die Bediensteten und Stadtpalais für wichtige Verbündete aus anderen Reichen.
Da in der Stadt nur das Gesetz der Brüder galt, wurde sie auch zur Zufluchtsstätte für gesuchte Gauner und Banditen, welche wiederum Glückspiel, Dirnen und sonstige Laster etablierten. Bald konnte man hier alles haben, was man sich wünschte. Nachdem der Zustrom immer größer wurde, beschloss man, eine Wehrmauer zu errichten und sich abzuschotten. Einlass gab es nur noch mit entsprechenden Papieren und das gilt noch heute. Neschan, der ältere, verstarb bald und da nur Glaban Kinder gezeugt hatte, vererbte sich die Herrschaft aus seiner Linie. Wer auch immer die Nachfolge der Regentschaft antrat, er wurde von allen einfach ‚Der Peschmar‘ genannt.
Aus der Ferne betrachtet sieht die Stadt aus wie eine Schichttorte, die es auf großen Hochzeiten gibt. Daher kommt der Name Schichtstadt. Der Boden oder die unterste Schicht ist der größte Teil und dehnt sich vor dem Berg auch etwas aus. Hier leben die Handwerker, Markthändler, Dirnen, Soldaten und Stallmeister. Und hier ist auch das verruchte Laster-Viertel mit seinen Bordellen, Spielhöllen und kleinen Kampfarenen. Die Hauptstraße zieht am Ende nach rechts einen engen Bogen hinauf zur zweiten Schicht, wie du sehen kannst. Dort gibt es ein weiteres Tor, wo man ohne die richtigen Dokumente nicht weiterkommt. Auch dürfen dort keine Pferde und Kutschen mehr fahren, nur Handkarren und die Sänften- und Lastenträger sind zugelassen.
In der zweiten Schicht haben sich entlang der Straße Geschäfte mit edlen Waren und erlesenen Kostbarkeiten angesiedelt, die Auswahl ist wohl in der ganzen Außenwelt unübertroffen. Hier leben die reicheren Geschäftsleute und die Gelehrten, welche den Obersten als Berater oder deren Kindern als Hauslehrer dienen.
Die Serpentinenstraße rechts klettert in einem weiteren Bogen hinauf, und dort kommt, wieder durch ein Tor getrennt, die dritte Schicht. Dort liegen stattliche Wohnhäuser mit kleinen Gärten und genug Platz für Köche, Diener und Hausmädchen. Sie sind sehr begehrt, denn reiche Kaufleute, Geldverleiher, Transportunternehmer oder Reeder können sich hier einkaufen und die stehen dafür Schlange.
Das Tor der vierten Schicht ist doppelt bewacht, da den Herrscherfamilien aus den anderen Ländern, die hier ihren Sommersitz haben, auf keinen Fall etwas geschehen darf. Sie residieren in schönen Stadtpalais mit Badehäusern und zauberhaften Gärten.
Übertroffen wird das Ganze selbstverständlich von den Palastanlagen der obersten Schicht. Der Palast selbst und die vielen Nebengebäude sind aus den edelsten Materialien gebaut. Hier wurden auch Gartenlandschaften mit Springbrunnen, Obstbäumen und immer blühenden Pflanzen und Bäumen angelegt. Der Ausblick von dort oben ist sagenhaft und alle 30 Tage gibt der Peschmar ein rauschendes Fest. Nur die Obersten sind dazu eingeladen und neben der Vergnügung dient das Ganze vor allem dazu, Geschäfte einzufädeln, Seilschaften zu bilden und Komplotte zu schmieden. Ich selbst hatte vor Jahren einmal das Glück, mit meinem Vetter dort mitzufeiern. Im Leben habe ich noch nicht so viele und leckere Speisen auf einmal gesehen. Überall Mimen, Tänzerinnen, Feuerspucker und Musik. Die Gäste prächtig, bunt gekleidet und berauscht durch die Anlagen tanzend. Seitdem weiß ich, was es heißt, hier ein Fest zu feiern.
Baumeister Silinikus hat die Stadt wirklich bis ins Detail durchdacht. In jeder Schicht wird dem großen Sturzbach Wasser zur Versorgung der Menschen abgerungen und durch ein ausgetüfteltes unterirdisches Kanalsystem wird die Kloake nach unten in den allerersten ausgeschürften Stollen der Minen geleitet, wo sie versickert. In den Berg geschlagene Höhlen bieten riesigen Stauraum für Lebensmittel, Wein, Met, Kleidung, Waffen und sonstige Waren, ohne die kostbare äußere Wohnfläche zu verschwenden. Die Wehranlage ist hoch gebaut und aus Gambastein, einem Granit, hart wie Eisen. So könnte Schichtstadt einer Belagerung über Jahre standhalten.“
Bajo hing an Topaos Lippen und versuchte dabei, immer wieder die beschriebenen Dinge in der Ferne zu entdecken. „Ich würde was drum geben, einmal in die Stadt zu kommen, das muss wirklich aufregend sein!“, seufzte Bajo sehnsüchtig. „Na, das würde sich doch einrichten lassen“, entgegnete Topao und weckte damit Bajos Aufmerksamkeit. „Wirklich? Wie willst du das anstellen?“, fragte dieser. „Na ja, wenn du dich von deinem Auftrag einige Zeit frei machen könntest und ein wenig handwerkliches Geschick hast, frage ich mal meinen Vetter und schlage ihm vor, dass du mein Gehilfe für die Zeit der Umbauten wirst“, erklärte Topao seinen Einfall. Bajo begann vor Freude auf der Stelle zu hüpfen: „Das würdest du für mich machen? Na klar kann ich mich einige Zeit loslösen! Ich helfe dir! Juchhe! Ich werde Schichtstadt sehen!“ „Ich sende noch heute einen Brief nach Mondaha. Zum Glück kann ich die Falkenpost benutzen, dann werde ich übermorgen schon Antwort haben. Die Papiere zu beantragen dauert nochmal einen Tag. Also in drei, vier Tagen dürfte alles klar sein“, versicherte Topao vergnügt.
Die beiden machten sich gerade wieder auf den Weg nach unten zur Hauptstraße. Überschwänglich plapperte Bajo von den Dingen, die er gerne sehen wollte, und tänzelte dabei unentwegt um Topao herum. Da kam, was kommen musste: Bajo war so sehr in seine Vorstellungen vertieft, dass er beim Abstieg einen Felsvorsprung übersah und ins Stolpern kam. Topao wollte ihn noch packen, doch schon lag Bajo nach zwei Überschlägen in einem kleinen Busch. Dabei hatte sich die Hülle, die er über die Schulter trug, geöffnet und das Wuko schaute ein Stück heraus.
„Ich hoffe, dir ist nichts Ernstes passiert“, sagte Topao, als er ihm wieder aufhalf. „Schon die ganze Zeit habe ich mich gefragt, was du da auf dem Rücken trägst, für ein Schwert war es zu schmal und für einen Bogen zu gerade. Jetzt sage mir, was ist das für ein seltsamer Stab? Ich glaube, ich habe so einen schon mal gesehen, aber ich weiß nicht mehr wo...“ Bajo hatte zum Glück nur ein paar Schrammen abbekommen. Dass er aber so unachtsam gewesen war, ärgerte ihn ungemein. Und zu allem Überfluss hatte er dabei auch noch sein Wuko preisgegeben. Eigentlich hatte sich Bajo für diesen Fall schon eine Geschichte ausgedacht: dass er diesen ‚Zierstab‘ einem Händler in Eron abgekauft hatte und ihn als Geschenk für seinen Auftraggeber mitbringen wollte. Doch irgendwie wollte er nun Topao nicht wieder anlügen. „Diesen Stab habe ich von einem alten Meister. Bei Gelegenheit zeige ich dir, was man mit ihm macht“, deutete Bajo an und blickte geheimnisvoll zu Topao. „Gut, gut, ich komme ja vielleicht noch selber drauf. Ich weiß genau, dass ich dieses Ding schon mal gesehen habe. Na, dann lass uns heimwärts ziehen, wenn der Brief noch heute raus soll, muss ich mich ranhalten“, erwiderte dieser. Bajo konnte sich nicht vorstellen, dass Topao wirklich schon mal ein Wuko gesehen hatte, aber egal, er konnte seine Begeisterung kaum zügeln: „Ich freue mich ungemein, Topao! Nicht nur, dass ich Schichtstadt sehen werde, sondern vor allem, dass ich dich kennengelernt habe.“ „Toppi, nenn mich einfach Toppi. Ich freue mich auch, dass das Schicksal uns zusammengeführt hat und ich bin mir sicher, dass eine aufregende Zeit vor uns liegt!“, bei diesen Worten legte Topao Bajo die Hände auf die Schultern und schaute ihn so herzlich und aufrichtig an, dass dieser vor Glück fast weinen musste.
Tags darauf ging Bajo zurück in die Hügel, um einen Platz zu finden, wo er ungestört üben und auch das Wuko werfen konnte. Er hatte die Schnatterwürmer in sein Ohr gelassen und erzählte ihnen, was er erlebt hatte. „Ich glaube, du hast tatsächlich einen Gefährten gefunden!“, sagte Nela. „Ich würde noch vorsichtig sein!“, warf Neli ein, „es war klug, nichts weiter über dein Wuko zu erzählen. Du musst dir ganz sicher sein, bevor du etwas über deine Lehrzeit oder Malvor preisgibst!“ Nela hielt dagegen: „Aber die Umstände des Zusammentreffens sind doch sehr bedeutungsvoll und was du über Topao erzählt hast, deutet darauf hin, dass du einem echten Kämpfer begegnet bist. Am wichtigsten ist aber, was du in deinem Herzen fühlst.“ Bajo stimmte ihr zu: „Ich fühle mich Toppi vom ersten Augenblick an verbunden. Manchmal glaube ich beinahe, ich würde ihn schon länger kennen. Er strahlt so viel Kraft aus, er gibt mir irgendwie Vertrauen und Mut. Ja, ich habe bei ihm ein gutes Gefühl.“ „Und doch solltest du noch auf ein weiteres Zeichen warten. Geduld ist nicht deine Stärke, doch Geduld solltest du in diesem Fall unbedingt haben“, versuchte Neli Bajo noch ein wenig zurückzuhalten und dieser lenkte ein: „Ich werde einfach den richtigen Zeitpunkt abwarten und mich solange darauf vorbereiten.“
Hinter den Hügeln hatte Bajo einen freien Platz gefunden. Man konnte ihn von der Straße nicht einsehen und der Markt und die Barracken lagen weit ab. So konnte er nun ungestört vor allem den magischen Wurf üben. Anfangs gelang es ihm noch nicht so richtig, doch je mehr sich Bajo darin vertiefte, desto sicherer wurde er und am Ende vollendete er einen in Perfektion.
Drei weitere Tage waren vergangen und bei Bajo machten sich Zweifel breit. Topao hatte ihm sicherlich nur aus Höflichkeit Hoffnung machen wollen und ihn bestimmt schon längst wieder vergessen. Wahrscheinlich hatte er sich getäuscht und Topao war nicht der Erste, den er finden sollte. Auf der anderen Seite hatte alles gepasst, vor allem sein Gefühl. „Ich darf mich nicht verrückt machen“, ermahnte Bajo sich selbst, „ich bin vorbereitet und wenn es nicht sein soll, dann muss ich eben weitersuchen.“ So verließ er seine Unterkunft und steuerte mal wieder auf den Markt zu, um sich dort etwas abzulenken. „Hey, mein Herr, wohin so eilig?“, schallte es plötzlich von hinten. Bajo drehte sich um. „Die Zeit der Vergnügungen ist um, jetzt geht’s an die Arbeit!“ „Toppi! Da bist du ja!“, freute sich Bajo. Sein Herz sprang vor Freude und die Last des Zweifels fiel im Nu von ihm ab. Topao lächelte und hielt ihm ein Papier vor die Nase: „Ich habe dir deine Eintrittskarte mitgebracht!“ „Jippie“, rief Bajo und beide mussten lachen. „Pack deine Sachen! Am besten, wir legen gleich los, der Tag ist noch jung!“, trug Topao Bajo auf. Also drehte dieser wieder um und während sich Topao in der Taverne mit den Gästen unterhielt, kramte Bajo seine Sachen zusammen. Nachdem er gezahlt hatte, machten sich die beiden auf zum großen Tor. Es dauerte nicht lange und sie konnten, nachdem die Wache das Dokument peinlichst genau kontrolliert hatte, in die Stadt eintreten. „Ich weiß, dass du darauf brennst, dir alles anzusehen, aber lass uns geradewegs zum Haus meines Vetters gehen, damit du dich erst einquartieren kannst“, schlug Topao vor.
Die Serpentinenstraße war voller Menschen und es herrschte große Geschäftigkeit. In der vierten Schicht angekommen, zeigten sie nun am Tor ihre Papiere vor und fanden Einlass. Etwa nach der Hälfte der gut gepflasterten Straße standen sie vor einem wunderschönen Stadtpalais. Wachen gab es nicht, da das Anwesen ja zur Zeit eine Baustelle war. Topao öffnete mit einem Schlüssel die große Eingangstür: „Die Bediensteten haben wir während der Umbauten nach Hause zu ihren Verwandten geschickt. So haben sie mal länger frei und wir können uns hier in Ruhe austoben.“ Sie traten in die Empfangshalle ein, die groß wie ein Saal war und an deren Ende eine breite Treppe sich nach links und rechts zu den oberen Gemächern gabelte. In der Mitte der kleinen Halle stand eine bunte Sitzgruppe um einen Tisch herum. Ansonsten aber gab es keine Gegenstände mehr im Raum und auch der Boden, den sonst sicherlich herrliche Teppiche zierten, war kahl. „Wir gehen gleich nach oben, in den Gästeflügel. Dort habe ich zwei Räume für uns hergerichtet“, erklärte Topao. Obwohl fast alle Gegenstände aus dem Haus entfernt worden waren, war Bajo beeindruckt. Die großzügige Architektur zeugte von königlicher Erhabenheit. Sein Zimmer für die Zeit der Umbauten besaß einen riesigen Balkon, von dem aus man eine fantastische Fernsicht hatte. Grinsend fragte Topao: „Und? Ist das ein Ausblick?“ „Das ist wirklich überwältigend! Man bekommt ein ganz anderes Gefühl für die Welt!“, Bajo ließ seinen Blick über die Landschaft schweifen. Er konnte von hier sehr gut den Grauenwald überschauen und erinnerte sich an seine Erlebnisse dort und an Malvor. Topao riss ihn aus seinen Gedanken: „Hey, wie sieht es aus, wollen wir die Stadt erkunden und dann was Schönes essen?“ Das ließ sich Bajo nicht zweimal sagen! Nachdem er seine paar Habseligkeiten verstaut hatte und sie sich etwas frisch gemacht hatten, zogen die beiden los. Außer für die Palastebene, galten ihre Papiere für jede der anderen Ebenen und diese wollten sie sich auch alle anschauen.
Die Palais der vierten Ebene waren eines schöner als das andere, auf der Straße sah man allerdings nur einige Bedienstete und Wachen herumlaufen. Auch die Häuser der dritten Ebene konnten sich sehen lassen; sie waren zwar kleiner, dafür jedoch voller Überraschungen, was den Einfallsreichtum der Architektur und der Verzierungen betraf. Wirklich interessant wurde es aber natürlich in der zweiten Ebene, denn hier konnte sich Bajo in den schmucken Läden der Reichen umsehen. Diese waren meist auf gewisse Dinge spezialisiert. Der eine bot seltene Delikatessen aus Concorsien an, ein anderer erlesene Speisen und Getränke aus ganz Likien. Es gab einen Laden, der nur Dekorationsgegenstände verkaufte, einen weiteren, der nur Tuch- und Lederwaren feilbot. Zudem mehrere Schmuckverkäufer, die Ringe, Ketten, Armreife und Diademe aus Gold- und Edelsteinen anpriesen und natürlich eine Menge Läden mit Kleidern aus den erlesensten Stoffen. So kam Bajo aus dem Staunen gar nicht mehr raus und irgendwann war ihm fast schwindelig von all den noblen Angeboten: „Ich glaube, ich kann nicht mehr, Toppi, ich brauche jetzt erstmal eine Stärkung!“ „Dann lass uns in die untere Schicht gehen, ich kenne da eine nette Taverne in einer Seitengasse, da können wir wunderbar essen“, schlug Topao vor.
Sie ergatterten draußen vor der Gaststätte einen kleinen Tisch für zwei und Bajo ließ sich von Topao die Auswahl vorlesen. Er entschied sich für pikant gewürzte Rinderhackstangen auf Reis mit Tomatensoße dazu gegrilltes Gemüse. Topao nahm gebratene Hühnerbrust mit warmen Datteln und süßem Reis. Vorweg gab es frisches Fladenbrot, welches sie in eine hausgemachte Paste dippten und beide tranken dazu einen anregenden Hibiskus-Tee. „Nach dem Essen zeige ich dir mehr von der unteren Stadt“, begann Topao das Gespräch, während sie auf den Hauptgang warteten. „Ich zeige dir auch die Werkstätten und Lieferanten, die für meine Umbauten wichtig sind, damit du dort Besorgungen machen kannst, wenn ich etwas brauche. Heute lassen wir es uns noch gut gehen, aber morgen müssen wir ranklotzen, denn mein Vetter will den Sommer hier verbringen. Das heißt, in einem Monat müssen wir fertig sein!“ Bajo erklärte sich natürlich dazu bereit: „Ich werde machen, was du verlangst. Viel Erfahrung habe ich allerdings nicht. Als Kind musste ich meinem Vater immer zur Hand gehen und in meinem Garten habe ich mir ein großes Baumhaus gebaut, aber das ist auch schon alles. Dinge ranschaffen, Besorgungen machen, das ist schon eher mein Metier. Aber ich werde mein Bestes geben!“ „Mach dir keine Gedanken, das klappt schon, Toppi ist ja da!“, Topao kniff ein Auge zu und lächelte Bajo dabei aufmunternd an.
Nachdem sie gezahlt hatten, durchstreiften sie die Handwerkergassen und Bajo hatte trotz seines guten Orientierungssinns Mühe, sich die Lage der Werkstätten einzuprägen. “Wenn du mal nicht weiterweißt, frage einfach in einem Geschäft, die kennen sich hier alle untereinander“, beruhigte ihn Topao. Die Hauptstraße vom Tor her war gleichzeitig auch die Marktstraße der unteren Stadt mit Ständen und Läden. Bei weitem gab es kein so vielfältiges Angebot wie das auf dem großen Markt vor der Stadt, aber für den täglichen Gebrauch langte es allemal. „Und nun kommen wir ins Amüsier-Viertel.“ kündigte Topao heiter an, „In der ganzen Außenwelt findet sich kein anderer Ort, an dem es so viel Laster auf einen Haufen gibt. Du solltest hier nicht alleine hergehen, es gibt zu viel Gauner und Gesindel, die Fremde abzocken wollen. Aber einen Blick können wir hier schon riskieren, gesehen haben solltest du es allemal.“ Von überall her dröhnte die Musik der Kapellen. Der Geruch von Timber- und Hennefkraut zog durch die Gassen, Met und Wein flossen in Strömen. Die Leute lachten, grölten und an jeder Ecke gab es irgendein Glücksspiel. Dazwischen waren immer wieder Freudenhäuser, vor denen die Dirnen recht freizügig auf Kundenfang gingen. „Bleib lieber einen Monat keusch. Wenn du dich mit einer von denen einlässt, muss ich dich womöglich jeden Morgen erst hier suchen, bevor wir arbeiten können“, scherzte Topao. Bajo lachte, aber seine Blicke konnte er nicht recht abwenden. Die Frauen hatten sich wirklich anziehend zurechtgemacht und geizten nicht mit ihren Reizen. Sie waren verschiedenster Herkunft und konnten sicherlich allen Neigungen gerecht werden. „Ich glaube, du solltest mich schleunigst fortbringen, von alleine kann ich mich hier nicht mehr losreißen!“, gab Bajo zu bedenken. Topao lachte lauthals, doch dann merkte er, dass Bajo es ernst meinte. Er musste ihn sogar festhalten, weil dieser mit ausgestreckten Armen auf eine dunkelhaarige, likische Dirne zulief, die - zugegebenermaßen - sehr attraktiv war. Mit festem Griff schob Topao den liebestollen Bajo vor sich her, in Richtung zur Serpentinenstraße und bugsierte ihn dort erst einmal auf eine Bank. „Mir ist ganz schwindelig, wo sind denn die schönen Frauen?“, stammelte Bajo. „Oje, dich hat es aber ganz schön erwischt. Das liegt an dem Hennefnebel, der in den Gassen wabert, da wirst du schon berauscht, ohne selbst geraucht zu haben. Ich bring dich lieber nach Hause, das war jetzt ein bisschen viel heute“, beschloss Topao.
Am nächsten Morgen weckte der Geruch von frischem Kaffee Bajo. Er hatte wild von alten Zeiten geträumt, als er selbst noch Hennefkraut geraucht hatte. Schweißgebadet von den Erinnerungen lag er nun in dem komfortablen Bett eines herrschaftlichen Palais. „Guten Morgen, der Herr, haben wir uns wieder erholt?“, begrüßte ihn Topao, der auf seiner Hand ein Tablet mit einem großen Becher concorsischen Lechie und einem süßen Brötchen balancierte. „Wenn du dich gestärkt hast, kannst du dich unten im Badehaus frisch machen. In der Zwischenzeit hole ich die Lastenträger ab, wir fangen heute an, die Wände zu tünchen.“
So begann für Bajo ein neuer Abschnitt. Topao führte ihn mit Geschick und Geduld in die Aufgaben ein und schon bald waren sie ein perfekt eingespieltes Duo. Mehrmals täglich machte Bajo Besorgungen, er tünchte die Wände nach Vorgabe und beaufsichtigte die zahlreichen angeheuerten Handwerker, die sich der Erneuerung der Rohre, den Putz- und Stuckarbeiten, der Verlegung neuer Fliesen und der Neugestaltung des Gartens widmeten und ohne die es natürlich in der kurzen Zeit nicht zu schaffen war. Topao selbst kümmerte sich hauptsächlich um die Schreinerarbeiten und passte die speziell angefertigten Möbelstücke genau ein. Sie arbeiteten sich von den Turmzimmern über das dritte und zweite Stockwerk herunter und hatten bald auch die Außenanlagen mit dem Teehäuschen und den Badehäusern sowie die Großküche, den Gästesaal, und die Terrassen fertiggestellt. Nun standen nur noch die Salons und die Eingangshalle aus. Es waren drei Wochen vergangen und die beiden Männer hatten jeden Tag von früh bis spät gearbeitet. Allein bei den Mahlzeiten unterhielten sie sich ein wenig, aber auch da ging es meist nur um die Umbauten. Jeden Abend fiel Bajo, nach einem kurzen Bad, hundemüde in sein Bett und schlief sofort ein, nur, um am nächsten Tag das gleiche Spiel wieder von vorne zu beginnen.
„Gute Neuigkeiten!“, begrüßte ihn Topao, als Bajo zum Frühstück auf die Terrasse kam, „Ich habe einen Brief erhalten, in dem mein Vetter schreibt, dass ihn geschäftliche Dinge aufhalten und sich seine Anreise um zwei Wochen verschiebt. Ich denke, wir schaffen die ausstehenden Arbeiten noch diese Woche und dann haben wir den Rest der Zeit für uns!“ Überrascht und freudig zugleich rief Bajo: „Das ist ja wunderbar! Dann haben wir das ganze Palais alleine und können wie die Könige leben!“ „Es wird heiß heute, das merkt man schon an der Morgensonne, lass es uns langsam angehen. Ich hatte das Arbeitstempo bisher hochgehalten, da ich auf jeden Fall vor der Ankunft meines Vetters die Dinge abschließen wollte. Aber jetzt ist keine Eile mehr“, entgegnete Topao. Doch Bajo wollte sich in seinem Arbeitseifer nicht bremsen lassen: „Ja, es war sehr anstrengend, aber ich muss sagen, ich habe mich daran gewöhnt. Die Arbeit hat mir Freude bereitet, es ist ein gutes Gefühl, zu sehen wie die Räume, einer nach dem anderen, im neuen Glanz erstrahlen. Meinetwegen können wir so weitermachen.“ „Du hast recht Bajo, wir sind im richtigen Rhythmus und je eher wir fertig werden, desto mehr Zeit haben wir dann für uns. Trotzdem ist heute ein kleiner Ruhetag, denn die fehlenden Möbel werden erst morgen geliefert und die anderen Arbeiter haben ihr Werk vollendet und kommen nicht wieder. Wir frühstücken in Ruhe und dann inspizieren wir nochmal alle Räume und geben ihnen den letzten Schliff“, beschloss Topao.
Der Tag verlief in der Tat recht gemächlich und die beiden konnten ihren Fokus auf die Details legen. Sie machten die Besorgungen gemeinsam und schauten auch noch bei der Werkstatt vorbei, ob es mit der Lieferung klappen würde. Da sie nun schon einmal in der unteren Schicht waren, suchten sie sich eine nette Taverne, genossen die sommerliche Abendluft und ließen sich mit zahlreichen likischen Spezialitäten verwöhnen. Es war ein wunderschöner Abend und Bajo fühlte sich so gut und so stark wie nie zuvor. „Ich bin dir wirklich dankbar, Toppi. Nicht nur, weil du mich in die Stadt eingeladen hast, sondern weil ich mich bei dir so wohlfühle!“, begann Bajo und Topao empfand ebenso: „Das freut mich! Aber glaube mir, es geht mir genauso! Dass du mich so tatkräftig unterstützt hast, ist die eine Sache. Aber ich habe das Gefühl, als würde ich endlich mal wirklich mit jemandem zusammen etwas schaffen. In der Regel muss ich mich mit den Leuten, mit denen ich arbeite, eher abplagen. Und dabei hast du nicht ein einziges Mal danach gefragt, was du als Entlohnung bekommst.“ „Warum auch?“, fragte Bajo, „Für mich ist das ein kleines Abenteuer und nur darauf kommt es mir an. Ich habe eine Stadt gesehen, in die man nicht so einfach reinkommt, schon gar nicht bis zur vierten Ebene. Ich habe daran mitgewirkt, ein königliches Palais neu zu gestalten, das hat mir viel gegeben. Ich habe dich kennengelernt und da bin ich sehr, sehr froh drum. Wenn du so willst, hast du mich mit Glück entlohnt!“ Topao wurde auf einmal ganz ernst. Er machte die Augen weit auf, zog die Augenbrauen nach oben, beugte sich langsam zu Bajo herüber und raunte: „Nicht, dass du am Ende ein Kirchenmann bist, der mich bekehren will!“ Topao hatte plötzlich ein übertrieben entsetztes Gesicht aufgesetzt und fiel kurz darauf in Bajos Lachen ein. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatten, fügte Topao hinzu: „Das wir es uns jetzt noch einige Tage lang gut gehen lassen können, ist ein Geschenk des Schicksals, denn dir nur einen Teil meines Lohns abzugeben, erscheint mir einfach zu wenig. Und wer weiß, vielleicht schaffen wir es auch noch, in die Palastebene zu kommen, dann hast du tatsächlich die ganze Stadt gesehen.“
Sie brauchten noch vier weitere Tage, dann war das Werk vollendet. Am frühen Morgen des darauffolgenden Tages kam der Gärtner und kümmerte sich im großen Innenhof um die Pflanzen. Auch eine Putzkolonne traf ein und brachte das Palais endgültig zum Strahlen. Räucherstäbchen und kleine Wannen mit Duftölen gaben der Atmosphäre den letzten Schliff. Am Nachmittag waren alle wieder gegangen und die beiden Männer saßen zufrieden auf dem breiten Geländer der Treppe, die in den Garten führte, und blickten in die Ferne. „Zur Belohnung spendiere ich uns heute ein Dampfbad mit Massage in den großen Bädern in der untersten Schicht. In der Zwischenzeit lassen wir unsere Kleider reinigen und dann gibt es das große Abschlussessen“, kündigte Topao an. „Eine Massage? Das ist eine tolle Idee! Da lassen wir uns dann auch runderneuern. Und wenn ich den Wunsch äußern darf, ich würde heute gerne marabisch Essen gehen, ich denke da an die Taverne an der Ecke vom Teppichbazar und der Hauptstraße“, bat Bajo. „Dein Wunsch ist mir Befehl! Na dann lass uns los“, rief Topao zum Aufbruch.
Das Hammam war wirklich eine Wohltat; Baden, Dampfbad, Massage und dann noch Maniküre und Pediküre. Ein Barbier machte sie wieder zu ansehnlichen, stattlichen Männern und pünktlich trafen dann auch ihre frisch gereinigten Kleider ein. Auf dem Gang zur Taverne zogen die beiden eine beachtliche Duftwolke hinter sich her und die eine oder andere Dame machte ihnen schöne Augen.
Wieder war es ein lauer Frühsommerabend und so aßen sie natürlich draußen. Während mehrerer Gänge redeten und scherzten sie ausgiebig, als müssten sie die spärliche Konversation des letzten Monats an einem einzigen Abend nachholen. Bajo hielt sich mit Erzählungen aus seiner Vergangenheit bewusst zurück und ließ dafür Topao etwas aus seinem Leben berichten. Dieser hieß mit Nachnamen Mukarra, war nicht verheiratet und musste, da sein Vater früh verstarb, schon in jungen Jahren Geld verdienen. Er war viel herumgekommen und erzählte eine Anekdote nach der anderen. Bajo hörte fasziniert zu und bewunderte Topaos Erlebnisreichtum. Allerdings kam auch zum Vorschein, dass dieser doch schnell mal die Geduld oder die Lust verlor und sich dann abrupt der nächsten Sache widmete. „Eine Frau an meiner Seite würde mein Leben nicht aushalten. Wenn’s mich juckt, dann bin ich von heute auf morgen in einer anderen Stadt und versuche dort mein Glück!“, gab Topao selbst zu bedenken. „Aber manchmal sehne ich mich doch nach ein wenig mehr Beständigkeit. Vielleicht sollte ich mir ein Weib suchen, das mich zähmen kann.“ „Keine Chance, Toppi!“, wandte Bajo ein, „Die Frau, die dein Temperament in den Griff bekommt, muss erst noch geboren werden.“ Dem stimmte Topao zu: „Eben! Und meine Freiheit ist mir auch sehr wichtig. Nein, nein, ist schon in Ordnung so. Und wenn ich mal Gelüste kriege…“, er schaute Bajo plötzlich mit gierigen Augen an, „…dann weiß ich ja, an wen ich mich zur Not halten kann…“ Mit sabberndem Mund und heraushängender Zunge griff er jetzt immer wieder nach Bajo, der sich laut kichernd zur Wehr setzte. Topao machte daraufhin auch noch grunzende Geräusche, umklammerte ihn und versuchte ihm seine gespitzten Lippen ins Gesicht zu drücken. Bajo bekam zwischen lautem Gegacker und dumpfen Hilferufen kaum noch Luft. Erst als ein Glas umfiel und sich einige Leute kopfschüttelnd zu ihnen umdrehten, hörte Topao mit seinen Späßen auf: „Na komm, wir gehen heute ins Amüsierviertel und lassen es richtig krachen!“ Er legte dem Wirt die Zeche mit reichlich Trinkgeld hin und schob Bajo zum Ort der Laster vor sich her, wobei er seltsame malikische Lieder sang. Jetzt schlug der halbe Krug Wein, den Topao sich zum Essen gegönnt hatte, anscheinend doch etwas durch. Bajo, der sich in seiner Gesellschaft pudelwohl fühlte, brannte nun schon darauf, sich ein Mädchen anzulachen.
Als sie um eine Ecke bogen und Bajo gerade versuchte, wenigstens den Refrain von Topaos Lied mitzusingen, fiel sein Blick über die Menschenmenge hinweg auf eine Seitentreppe, wo eine Frau stand. Augenblicklich erstarrte er, denn die Frau war dieselbe, die er in Kontoria verfolgt hatte! Sie richtete einen durchdringenden Blick auf ihn, hob den Zeigefinger und schwang ihn hin und her, was eindeutig bedeutete: „Tu es NICHT!“ So deutete es Bajo jedenfalls, was auch immer damit gemeint war. Gleich darauf rissen ihn Topao und die Menge weiter, sodass er den Blickkontakt verlor. Eilig machte er sich von Topao los und drehte sich erneut zur Seite, doch die Frau war nicht mehr da. Verzweifelt versuchte Bajo gegen den Strom in Richtung der Treppe zu gelangen, aber es war vergebens, er konnte sie nirgends sehen - sie war fort. „Hey, was ist denn los?“, fragte Topao, schon ahnend, dass etwas nicht stimmte. „Wir sollten umkehren und nach Hause gehen! Ich kann dir das jetzt nicht erklären, aber wir müssen hier weg, sonst wird etwas passieren“, brachte Bajo hervor. Topao zuckte mit den Schultern: „Schade, wo es doch gerade erst so richtig losgehen sollte. Aber wenn du meinst…“
Somit machten sie sich auf dem direkten Weg in die vierte Schicht, zurück zum Palais. Bajo schossen die Gedanken kreuz und quer durch den Kopf. Wo kam die Frau plötzlich her? Wovor hatte sie ihn gewarnt? Ganz sicher meinte sie ihn, das stand außer Frage. Und das Gefühl erst! In dem Augenblick, als er sie erkannte, wusste er, dass es was Bedeutsames war.
Oben angekommen entschuldigte sich Bajo für seine abrupte Umkehr. „Haste wohl doch kalte Füße bekommen, was?“, versuchte Topao zu scherzen, aber er merkte, dass Bajo wirklich mitgenommen war und verabschiedete sich ins Nachtlager.
Am nächsten Tag fühlte sich Bajo etwas gerädert, er hatte schlecht geschlafen, immer wieder musste er über die Begegnung mit der Frau nachdenken. Er war sich nur sicher, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, nach Hause umzukehren. Ansonsten konnte er sich keinen Reim auf die Sache machen. Noch war es früh am Morgen und Bajo ging in die Küche, um Frühstück und Kaffee zu machen. „Ich hätte mal gestern nichts trinken sollen…“, stöhnte Topao, als er mit dicken Augen und abstehenden Haaren hinzukam. „Da muss ich dir leider recht geben, so wie du aussiehst“, entgegnete Bajo. „Egal, die Arbeit ist ja getan, ich lass es heute gemächlich angehen. Nachher mache ich noch ein paar Erledigungen und wenn ich zurück bin, können wir uns überlegen, was wir noch so anstellen wollen.“
Bajo kam der freie Tag sehr gelegen, denn er hatte während der Arbeiten immer nur kurz zwischendurch seine Übungen auf seinem Zimmer machen können. Nach Topaos Weggang nutzte er also die Zeit, um das ganze Programm seiner Kraft- und Wukoübungen zu absolvieren. Im Garten hinter dem Teehäuschen gab es eine kleine Fläche, die sich dafür eignete. Es war eine echte Wohltat; es war, als würde sich sein Körper regelrecht danach gesehnt haben. Bei einigen Ausführungen merkte Bajo, wie verspannt seine rechte Seite war. Das kam wohl von der einseitigen Beanspruchung durch das Tünchen der Wände. In andere Kombinationen musste er sich erst wieder hineinfinden, zu lange waren die letzten Übungen her. Bald schon vergaß er die Welt um sich herum und war voll konzentriert. Bei einer abschließenden Drehung, die mit dem Stoß des Wukos endete, erschrak er plötzlich: Topao war schon vorzeitig zurückgekommen und stand wohl bereits eine Weile neben dem Häuschen.
„Oh, tut mir leid, ich wollte dich nicht stören!“, entschuldigte er sich. „Stehst du da schon länger?“, fragte Bajo. „Lange genug, um zu erkennen, dass du das, was du da machst, sehr gut draufhast. Hat das auch einen Namen?“, wollte Topao wissen. „Einen Namen nicht direkt, es sind Kraftübungen. Und diese Kraftübungen führe ich auch mit diesem Kampfstab aus. Man nennt es Wuko“, erklärte Bajo. „Sehr beeindruckend! Wie ich schon vor einiger Zeit sagte, ich habe das Teil irgendwo schon mal gesehen… Ha! Jetzt weiß ich es! Ich habe immer versucht, mich daran zu erinnern, an welchem Ort es war. Aber es war an gar keinem bestimmten Ort. Ich habe es im Traum gesehen! Ich weiß noch, dass ich ganz klar war und mich gewundert habe, dass der alte Mann so elegant und beweglich war.“ Jetzt wurde Bajo hellhörig: „Wie sah der Mann aus? Kannst du ihn mir beschreiben?“ Topao bemühte sich, die Bilder vor seinem inneren Auge erscheinen zu lassen: „Hmmh, der Traum ist schon eine ganze Weile her und du weißt ja, wie es mit Träumen ist, sie sind im Nu wieder vergessen.“ Topao schloss die Augen, um sich auf seine Erinnerungen zu konzentrieren: „Ja, er sah irgendwie lustig aus. Genau, er hatte einen grauen, wuseligen Spitzbart. Und richtig, ich hatte mich noch gefragt, warum er einen dicken Zopf trägt, so wie manche Frauen.“ „MALVOR!“, schrie Bajo aufgeregt, „du hast Malvor gesehen, ganz sicher!“ „Malvor, Malvor…“, wiederholte Topao leise, „da kann ich jetzt nichts mit anfangen, das sagt mir irgendwie nicht viel…. Ich weiß nicht, irgendwie geht’s mir heute nicht gut. Komm, wir setzen uns einen Moment ins Teehäuschen, ich bin irgendwie verwirrt.“ Bajo hibbelte aufgeregt hin und her. Als sie es sich bequem gemacht hatten, drängte er Topao, sich weiter zu erinnern. Aber so sehr sich dieser auch bemühte, er konnte nichts mehr zu der Sache beisteuern. „Weißt du was, Toppi, wir ruhen uns jetzt ein wenig aus und ich koche uns einen schönen Tee. Und danach machen wir eine kleine Wanderung, dann zeige ich dir noch etwas.“ Seufzend stimmt Topao zu: „Ja, das ist mir sehr recht. Vielleicht hört mein Kopfbrummen dann auch endlich auf.“
Während Topao schon bald auf der Bank im Häuschen einnickte, ging Bajo hoch in sein Zimmer. Auch die Schnatterwürmer waren während der Arbeitsphase zu kurz gekommen und hatten nur wenige Male bei Bajo naschen können. Oben angekommen ließ er sie gleich in sein Ohr. „Oh, wir dachten schon, du hättest uns jetzt ganz vergessen“, beschwerte sich Neli. „Ja, verzeiht mir bitte, aber mein Leben hieß ‚Arbeit‘, in der letzten Zeit, das wisst ihr ja“, entschuldigte sich Bajo, „Aber das Werk ist vollendet und ich werde mich wieder mehr um euch kümmern. Doch es gibt auch was Neues! Topao, von dem ich euch erzählt habe, hat Malvor im Traum gesehen und ich bin mir jetzt ganz sicher, er ist mein erster Gefährte!“ „Na, das ist doch wunderbar! Von dem, was du uns erzählt hast und von dem, was wir hier in unserer kleinen Behausung mitbekommen haben, deutet wirklich alles darauf hin“, freute sich Nela. „Was meint ihr, wie soll ich ihm das mit dem Gefährten nahebringen?“ Neli hatte leider keine hilfreiche Antwort für Bajo: „Das ist allein deine Entscheidung, da mischen wir uns nicht ein.“ Und Nela riet: „Warte einfach den richtigen Moment ab, du wirst es schon spüren, wenn der richtige Zeitpunkt da ist, vertraue dir selbst.“