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6. Kapitel Städtisches Klinikum

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„Die Frau sitzt in Ihrem Zimmer, Herr Professor. Ich konnte sie schlecht ins Wartezimmer setzten zu all den anderen Leuten – ich hoffe, das ist okay?“

Bekker nahm seine Sekretärin im Vorübergehen kurz in den Arm als Zeichen, dass er ihre Frage als rhetorisch betrachtete. Vor Betreten seines Zimmers drehte er sich für einen Moment um.

„Sie sind halt ein lieber Mensch, Gaby. Was würde ich nur ohne sie machen?“ Er lächelte breit, aber sie wussten beide, dass das mehr war als eine freundliche Floskel. Bekker war seit sieben Jahren Leiter der anästhesiologischen Klinik und Gabriele Marx von Anfang an die Chefin seines Sekretariats. Beide hielten sie große Stücke aufeinander und hatten dafür ihre Gründe.

Bekker betrat sein Arbeitszimmer und schloss leise die Tür. Die alte Frau saß auf einem der beiden im rechten Winkel zueinander angeordneten kurzen Sofas. Sie hatte sich in die äußerste Ecke zurückgezogen, als suche sie Schutz vor etwas Unbekanntem. Als Bekker eintrat, erhob sie sich halb, wurde von ihm jedoch an der Schulter gefasst und mit sanftem Druck niedergesetzt.

„Bitte Frau Steinmeier, behalten sie Platz.“ Bekker war froh über diese erste Möglichkeit der Berührung. Körperlicher Kontakt bei Gesprächen dieser Art verringerte die Distanz und machte die Sache leichter für beide Seiten. Wem er etwas Wichtiges zu sagen hatte, wen er tadelte, lobte oder tröstete, den musste er anfassen.

Bekker nahm auf der Innenseite des anderen Sofas Platz, um so seiner Gesprächspartnerin zwar nah zu sein, aber dennoch genügend Distanz für den Blickkontakt zu haben. Für einen kurzen Moment sagte keiner etwas. Die alte Frau hob das Gesicht und sah ihn an. Sie hatte wenig geschlafen und viel geweint, und es schnürte Bekker das Herz zusammen, als er ihren Blick erwiderte.

Das persönliche Schicksal der Patienten selbst trat im Alltag neben den diagnostischen und therapeutischen Notwendigkeiten zurück. Sie waren komplexe, erkrankte Organsysteme, denen man mit allem, was möglich war, zu helfen suchte, weitgehend frei von Emotionen oder persönlicher Verstrickung. Die Bewältigung von Trauer, Hoffnung, Verzweiflung, Frust, Ohnmacht und Aggression geschah in erster Linie im Dialog mit den Angehörigen. Bekker hatte deren Betreuung vom ersten Tag seines Amtsantritts an höchste Priorität eingeräumt und damit die bisherigen Gepflogenheiten radikal verändert. Für eine verzweifelte Mutter, einen Bruder, eine Ehefrau musste immer Zeit sein. Das war Gesetz, dem sich Bekker mit aller Zeit der Welt selbst unterwarf.

Die alte Frau knetete ihre Hände, so dass die Knöchel weiß hervortraten.

„Herr Professor“, ihre Stimme stockte, „was ist mit meinem Jungen? Ich hatte geglaubt, dass die Operation ihm hilft?!“ Das waren Frage und Antwort in einem. Sie war eine einfache Frau, hatte aber nach Bekkers Einschätzung Einiges an Lebenserfahrung und praktischer Klugheit, die anderen fehlte. Sie wusste, dass es um ihren Sohn schlecht stand und versuchte nun, die Zusammenhänge zu begreifen. Sicher hoffte sie auch auf ein kleines Zeichen der Zuversicht, einen Strohhalm, dass vielleicht doch noch nicht alles verloren wäre.

Bekker räusperte sich, um Zeit zu gewinnen. Er sprach nicht zum ersten Mal mit ihr. Auch die zuständigen Mitarbeiter der Intensivstation hatten sich hingebungsvoll um sie gekümmert. Ihr Sohn wurde seit sechzehn Wochen behandelt. Er war dreißig Jahre alt und ein schwerer Trinker, der wegen einer nekrotisierenden Pankreatitis, einer Erkrankung, bei der die Bauchspeicheldrüse sich selbst und die umliegenden Organe sukzessive zersetzt, intensivmedizinisch behandelt wurde. Die Therapie war symptomatisch, da es keine Möglichkeit gab, die Erkrankung kausal zu bekämpfen. Die meisten Patienten starben bereits nach wenigen Tagen, egal was man machte.

Dieser hier war zäh. Seit mehr als neun Wochen lag er im künstlichen Koma und wurde über einen Luftröhrenschnitt, ein Tracheostoma, künstlich beatmet. Jeden Tag kam seine Mutter, um ihn zu besuchen. Dazu fuhr sie von ihrem Heimatort eine knappe Stunde mit der Bahn und noch einmal fünfzehn Minuten vom Bahnhof mit der Straßenbahn zur Klinik – abends dann zurück. Anfangs hatte sie im Vorraum der Intensivstation gewartet. Ihr Zug kam so früh an, dass sie sich eine Stunde vor dem offiziellen Beginn der Besuchszeit bereits im Krankenhaus befand. Sie war Bekker einige Male bei einer seiner Kurzvisiten, die er spontan und ohne feste Zeiten durchführte, aufgefallen. Schließlich hatte er sich danach erkundigt, was es mit der alten Frau auf sich habe, der er immer wieder vor der Station begegnete, wie sie an der Wand lehnte, offensichtlich bemüht, niemanden zu belästigen.

Bekker war ein sentimentaler Mensch, der im Kino heulte oder bei der Sterbeszene von ‘La Traviata‘, selbst wenn es nur aus dem Radio kam. Es schnitt ihm ins Herz als es hieß, dass die alte Frau lediglich den Beginn der Besuchszeit abwartete und es offenbar nicht wagte, eine gesonderte Regelung für sich zu erbitten. Von diesem Tag an konnte sie kommen, wann sie wollte, und seine Tür stand ihr immer offen, wovon sie wenig Gebrauch machte. Bekker regte an, dass man ihr Kaffee anbot, oder ein belegtes Brot. Das war aber nicht nötig, denn darauf waren seine Mitarbeiter längst von selbst gekommen, trotz der Hektik. Bekker war nicht der einzige barmherzige Samariter in der Klinik.

„Ihrem Sohn geht es heute leider wieder erheblich schlechter“, begann Bekker, „Sie wissen, dass ich in die Operation von Anfang an nicht sehr viel Hoffnung gesetzt habe.“

‚Das wird sie kaum trösten, was für ein Scheißanfang‘, dachte er im gleichen Moment, fuhr aber fort, da er ihren irritierten Blick bemerkt hatte, „andererseits musste“, er betonte das letzte Wort, „musste man diesen Eingriff wagen, sonst wäre er bereits tot. Früher hat man bei dieser Erkrankung immer operiert, und die Patienten sind alle gestorben. Deshalb wird heute immer konservativ vorgegangen und nur im äußersten Notfall chirurgisch. Aber das ist und bleibt eigentlich nie mehr als ein verzweifelter Versuch. Ihr Sohn lebt nur noch, weil er jung ist und Reserven hat.“

All das hatte er bereits etliche Male erklärt, aber hier tat er es gern. Gleichzeitig fühlte er, dass das Gespräch nun forciert werden musste, da nach seiner Einschätzung der Tod des jungen Mannes nur noch eine Frage von Stunden war.

„Sehen sie, Frau Steinmeier, es ist ja nicht nur die Bauchspeicheldrüse, es sind inzwischen beinahe alle lebenswichtigen Organe mehr oder weniger stark angegriffen und geschädigt.“ Sie nickte, und ihre Schultern sackten noch ein wenig tiefer.

„Sie wissen ja, wie es losging, Frau Steinmeier. Die schrecklichen Leibschmerzen, das Erbrechen. Der Grund dafür war die entzündete Bauchspeicheldrüse, Pankreatitis sagen wir dazu – damit’s keiner versteht“, fügte er mit dem hilflosen Versuch eines Scherzes hinzu.

„Die Bauchspeicheldrüse sorgt mit ihren Sekreten und Enzymen, also den ganzen Säften, die sie in den Darm absondert, dafür, dass die Speisen verdaut werden. Diese Säfte sind sehr aggressiv, wie Salzsäure müssen sie sich das vorstellen. Im Darm ist das okay. Der ist geschützt und die Nahrung kann nur so verdaut werden. Bei Ihrem Norbert ist nun in dieser Drüse ein Schaden entstanden, wie wenn ein Heizungsrohr platzt und das Wasser in die Wand läuft. Hier laufen die aggressiven Säfte in das Drüsengewebe, so dass sich das Organ praktisch selbst angedaut hat und die Sekrete in die Umgebung gelaufen sind. Dadurch wurden andere Organe schwer geschädigt, vor allem der Darm und das Bauchfell. Sie müssen sich das wie eine innere Verbrennung vorstellen.“ Bekker hielt kurz inne, der Vergleich passte. Das würde die Frau verstehen.

„Der Körper kommt dabei in eine Art Schockzustand. Der Darm hört auf zu arbeiten, das heißt, er bewegt sich nicht, ist wie gelähmt. Speisen und Sekrete werden nicht mehr transportiert und verarbeitet. Die Massen verschiedener Bakterien, die normalerweise das Essen zersetzen, vermehren sich auf das Zigfache und beginnen durch die Darmwände in andere Organe einzuwandern, vor allem in Lunge und Bauchfell. Diese Infektionen sind ihrerseits lebensbedrohlich. Das Krankheitsbild wird also potenziert und für die Ärzte beginnt ein Kampf an vielen Fronten. Leider gewinnen wir diesen Kampf nur selten.“ Ehrlicher wäre gewesen zu sagen, ‚…gewinnen wir nie’. Bekker erinnerte sich an keinen vergleichbaren Fall, wo der Patient überlebt hätte.

„Wegen der Beteiligung der Lunge hat es bei ihrem Sohn von Anfang an so große Probleme mit der Luft gegeben, Sie erinnern sich?“

Die alte Frau nickte langsam. Sie hatte lange nicht verstanden, warum eine Erkrankung im Bauch zu einer so schweren Atemnot führen kann.

„Na ja, zwischendurch sah’s ja mal beinahe gut aus. Wir hatten Hoffnung, die Krankheit in den Griff zu bekommen.“ Das war erneut gelogen. Bekker hatte zu keinem Zeitpunkt eine solche Hoffnung gehabt. Er schwieg einen Moment. Beide dachten dasselbe. Nach schwerstem Krankheitsverlauf, wochenlangem Fieber, Beatmung, Dekompensation von Herz und Kreislauf war es überraschend zu einer Stabilisierung gekommen. Man hatte die Beatmung erfolgreich beendet, das Loch im Hals einfach zugeklebt, so dass der junge Mann wieder sprechen konnte. Die Mutter war an diesem Tag länger geblieben als sonst. Sie saß am Bett des Sohnes und hörte nicht auf, seine Hand zu streicheln. Als Bekker wie stets gegen sieben Uhr abends seine Spätvisite machte, saß sie noch immer da.

„Na, Frau Steinmeier“, hatte er gefragt, „immer noch da? Wann fährt eigentlich ihr letzter Zug?“ Es war mehr eine Floskel. Sie blickte auf, etwas bestürzt, „Mein Gott, wie spät ist es denn?“ „Gleich halb acht“, sagte Bekker.

„Ojemine“, sie erhob sich schwerfällig, bemüht, leise zu sein, um ihren schlafenden Sohn nicht zu wecken, „da ist der letzte Zug längst weg“, sie sprach mehr zu sich selbst, „na ja, nehm ich ein Taxi.“ Bekker begleitete sie in den Vorraum, wo ihr abgewetzter Mantel hing. Das Taxi würde mindestens hundert Euro kosten. Er half ihr in den Mantel, und sie sprachen noch ein paar belanglose Sätze und verabschiedeten sich voneinander. Irgendwie fühlte er sich elend. Er wollte gerade auf die Station zurückkehren und hatte die Tür schon halb geöffnet, als er auf dem Absatz kehrtmachte.

„Bin weg“, rief er durch die zufallende Tür in die Station und hastete die Treppe hinunter in den langen Gang, der den operativen Bereich mit den Normalstationen verband. Von dort erreichte man die große Eingangshalle des Krankenhauses, vor der bis in den späten Abend immer ein paar Taxen auf Fahrgäste warteten. Die alte Frau war noch nicht sehr weit gekommen. Er rannte hinterher und blieb atemlos neben ihr stehen. Bevor sie etwas sagen konnte, platzte er heraus,

„Es ist nichts passiert, Ihrem Sohn geht’s gut, aber ich bin ein alter Trottel“, er japste nach Luft, und sie sah ihn erstaunt von unten an, „wie heißt der Ort, wo Sie wohnen?“

Sie sagte es ihm.

„Mein Gott, das ist doch ganz in der Nähe von“, er nannte den Namen einer Stadt, die ihm gerade einfiel und die in der Nähe ihres Heimatortes lag, denn er wusste ganz genau, wo sie wohnte, „ich halte dort heute abend einen Vortrag über Bluttransfusionen.“ Er führte das Thema weiter aus, um glaubwürdig zu wirken, denn er wollte die alte Frau nicht beschämen.

„Ich kann Sie zu Hause absetzen, ist so gut wie kein Umweg.“ Sie wollte protestieren, sagte aber nur,

„Sie haben ja noch Ihren Kittel an, Herr Professor.“ Sie gingen in sein Büro zurück und von dort zu seinem Wagen. Er redete unaufhörlich, um ihr die Situation zu erleichtern. Sie sagte nichts. Sie wusste, dass er log. Die alte Frau war nicht gebildet, aber sie konnte unterscheiden zwischen Gefälligkeiten, die man ablehnt und solchen, die man annimmt.

„Leider hat die Lunge dann erneut Probleme gemacht“, fuhr Bekker fort. Genaugenommen hatte die szirrhotische Leber endgültig ihren Geist aufgegeben, das Lungenversagen war nur die logische Folge des allgemeinen Verfalls. Bekker hatte die vorgeschädigte Leber in ihren Gesprächen stets taktvoll ausgespart. Der junge Mann hatte nicht nur exzessive Mengen Alkohol, sondern auch allerlei Drogen konsumiert und das Organ dadurch ruiniert. Aber was machte es für einen Sinn, auf solchen Details herumzureiten und der alten Frau das Herz noch schwerer zu machen? Als Folge eines zunehmenden Mangels an immunologischen Abwehrstoffen entwickelte sich eine generelle Entzündungsreaktion, die man als Sepsis bezeichnete. Die Therapie in den letzten Wochen war rein symptomatisch gewesen.

Der Patient verdaute sich praktisch selbst. Nach Bekkers Überzeugung hätte man längst aufhören können. Aufhören müssen. Aber das durfte man in Deutschland, dem Kernland der Pharisäer und Bedenkenträger nicht einmal andeuten. Der Patient war jung und er hielt noch eine ganze Weile durch. Vor zwei Tagen wurde der Zustand so kritisch, dass Bekker und der Chefarzt der chirurgischen Klinik darüber debattierten, die Therapie einzustellen. Schließlich entschloss man sich wegen des jugendlichen Alters, ihn gegen alle wissenschaftliche Vernunft zu operieren. Genau genommen setzte der Chirurg sich durch. Das in solchen Fällen allgegenwärtige Totschlagargument mit der berühmten ‚letzten Chance, die der Patient verdient hat’ wurde bemüht. Bekker war ausdrücklich dagegen, musste jedoch nachgeben. Es war ein chirurgischer Patient und der Chirurg hatte das letzte Wort.

„Wir wollen versuchen, das ganze verdaute und zerstörte Gewebe, mit dem der Bauch voll ist, und die Wundflüssigkeit zu entfernen und Drainagen zu legen, damit das in Zukunft besser abfließen kann“, wurde der Mutter erklärt. Als der Bauch auf war, quollen den Operateuren fast fünfzehn Liter einer übelriechenden Brühe entgegen, voller undefinierbarer Gewebefetzen. Regelrechte Organstrukturen ließen sich nicht erkennen, alles war mit gelbem oder hochrotem reaktivem Gewebe überzogen, die Darmschlingen grotesk auf das Vielfache ihres normalen Kalibers aufgebläht und so verklebt, dass man sie nicht mehr voneinander lösen konnte, ohne sie zu zerreißen. Alle am Tisch wussten, was das bedeutete. Bekker war nicht sonderlich überrascht. Als der Patient auf die Intensivstation zurück transportiert wurde, war sein Zustand schlimmer denn je.

Die alte Frau war über Nacht geblieben. Die Schwestern der Nachtschicht hatten sie gegen zwei Uhr morgens resolut in ein freies Bett verfrachtet mit dem Versprechen, sie bei der kleinsten Verschlechterung sofort zu wecken. Dort hatte Bekker sie morgens bei seiner Frühvisite gegen halb sechs in tiefem, erschöpftem Schlaf vorgefunden.

„Er wird sterben, Herr Professor, nicht wahr?“ Es war das erste Mal, dass sie es aussprach, und es war eine Feststellung, keine Frage. Sie hatte bis zuletzt gegen jede Vernunft gehofft, erwartete von Bekker aber nun, keine Zeit zu vergeuden, die sie ihrem sterbenden Kind noch geben wollte.

„Ja“, sagte er. In seinem Hals war ein Kloß, „sehr bald“, das wollte sie schließlich von ihm wissen, „sehr bald“, wiederholte er und wünschte, er wäre ganz woanders.

Sie straffte sich. Nie war sie ihm so zierlich vorgekommen und so zerbrechlich. Er ging zu ihr und nahm ihren Arm, um ihr aufzuhelfen. Sie sah ihn lange an.

„Das war ein langer Weg, nicht wahr, Herr Professor?“, sagte sie leise.

‚Verflucht, was machst Du mit mir?‘, dachte Bekker. Er spürte, dass sie dabei waren, die Rollen zu tauschen. Er war plötzlich schwach, und sie war so stark, wie er es nie sein würde. Er wusste nicht, was er sagen sollte, obwohl sein Herz überquoll vor tiefer Sympathie und vor Mitgefühl für diese schlichte, kleine Frau, die gerade das Liebste verlor, das sie noch hatte.

„Meinen Sie, ich könnte mit meinem Sohn allein sein, wenn“, sie stockte und konnte nicht weitersprechen.

„Natürlich, selbstverständlich“, Bekker machte einen Schritt auf die Tür zu, um mit ihr nach oben zu gehen und alles zu arrangieren.

„Vielleicht können sie das von hier organisieren, wenn das nicht zu mühsam ist.“

‚Mein Gott, was sollte denn mühsam sein. Oben stirbt Dein Kind und Du sorgst Dich um meine Mühe‘, dachte Bekker wild.

„Ich möchte mich gerne hier von Ihnen verabschieden, Herr Professor Bekker.“ Sie sprach mit einer fremd anmutenden Förmlichkeit.

„Ich möchte mich bei Ihnen und Ihren Mitarbeitern bedanken für alles, was sie für meinen Jungen getan haben“, nach einer kurzen Pause, „und für mich. Ich bin ein einfacher Mensch und das Reden nicht gewohnt“, sie nestelte ein Taschentuch aus ihrer Manteltasche, um sich die Nase zu schnäuzen.

‚Du bist mehr als die meisten mit Titeln und Fürstentümern‘, dachte Bekker. Er war aufgewühlt bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele.

„Ich kann natürlich nicht beurteilen, ob Sie ein guter Arzt sind, aber ich weiß, dass Sie ein guter Mensch sind, und das ist in Ihrem Beruf vielleicht das Wichtigste.“ Die letzten Worte hatte sie nur noch geflüstert. Sie gaben sich förmlich die Hand. Bekker verzichtete auf Beileids- oder Betroffenheitsfloskeln. Es war alles gesagt. In der Tür drehte sie sich noch einmal um und sah ihn mit dem Anflug eines spitzbübischen Lächelns an.

„Ich weiß, dass sie geschwindelt haben, damals“, sagte sie, „sie hatten gar keinen Vortrag.“ Sie ging hinaus.

Er setzte sich und dachte nach. Er dachte an den sterbenden jungen Mann, einen Riesenkerl, mit seinen Schläuchen und Monitoren und der Mutter, die seine Hand streichelte. Bekker hatte in den zurückliegenden Wochen viel über ihn erfahren, aber wenig Positives. Er war ein schwerer Trinker, gewalttätig und arbeitsscheu. Das Geld, das seine Mutter von ihrer kleinen Rente abzweigte und ihm zusteckte, nahm er, und wenn sie nicht hinschaute, bestahl er sie. Aber Liebe fragt nicht nach Wert und Unwert, nach Warum und Wieso, nach Rang und Verdiensten. Konnte ein Mensch wirklich schlecht sein, der so geliebt wurde? Bekker stand auf und fuhr sich durchs Haar.


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