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7. Verzichten – Ausüben eines absoluten Rechtes

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Verzichtet der Adressat darauf, das zu beanspruchen, was ihm vom Versprochenhabenden zugestanden worden ist, so betritt er – wie ich ausführte – eine nur ihm zugängliche, übergeordnete Rechtsebene. Da sein Kontrahent von dieser Ebene völlig ausgeschlossen ist und auf seinen Entscheid keinen Einfluss nehmen kann, zerfällt dadurch die mit dem Versprechensakt entstandene Beziehung. In anderen Worten: Der auf die Realisierung seines Anspruches verzichtende Adressat entbindet seinen «Gegner» von dessen Verpflichtung, weil er die Ebene, in der das Versprechen und die darin gründende Beziehung spielen, verlassen hat.

Vergleichen wir:

(a) Wer als Versprochenhabender die Verpflichtung, die er eingegangen ist, erfüllt, befreit sich von der Beziehung zum Adressaten, indem er den Inhalt des Versprechens aufhebt.

(b) Wer als Versprechensadressat auf die Erfüllung seines Anspruches verzichtet, entbindet den Versprochenhabenden von dessen Verpflichtung, indem er das Versprechen formell auflöst.

Im ersten Fall [(a)] bleibt der Adressat wegen der erfahrenen Genugtuung inhaltlich (jedoch nicht rechtlich) an den Kontrahenten gebunden; dieser, hingegen, hat sich vollumfänglich befreit. Im zweiten Fall [(b)] verweigert der Adressat die Beziehung, und der Versprochenhabende, der noch formell (wenn auch nicht rechtlich) auf den Adressaten bezogen bleibt, muss sich damit abfinden und sich neu orientieren.

Wir ersehen hieraus, dass in jedem der beiden Fälle jeweils einer der beiden Kontrahenten sich von der entstandenen Beziehung ganz löst, während sich für den anderen die Beziehung zwar rechtlich aufhebt, er aber zunächst darin in einem gewissermaßen ein-sinnigen Bezug verharrt. Dabei bleibt im Fall (a) der Versprechende für den Anderen in psychologischer Hinsicht prinzipiell erreichbar, denn er befreite sich zwar von seiner Verpflichtung, hat aber dadurch nicht unbedingt eine höhere Ebene betreten. Im Fall (b) jedoch hat der Adressat genau dies getan: sich in eine höhere Ebene entzogen, die für seinen Kontrahenten nicht mehr erreichbar ist.

Darin manifestieren sich einerseits Härte und Überlegenheit des absoluten Rechts gegenüber dem relativen. Anderseits bekundet der auf die Erfüllung des Anspruches Verzichtende, dass er sich selbst genügt und die durch den Verzicht markierte Unabhängigkeit jeder inhaltlichen Bindung vorzieht, welche durch das, was sein Kontrahent vollzieht, nolens volens vermittelt wird. Der Verzichtende optiert für die Einsamkeit; faktisch zwingt er damit aber auch den Versprochenhabenden dazu, sich auf sich selbst zu besinnen.

Mit jedem formulierten und durchgezogenen Verzicht bekräftigt der Einzelne grundsätzlich, dass er in sich selbst eine Instanz gefunden hat, die weder von dem je gerade erreichten Zustand abhängt, noch sich von irgendwelchen äußeren Zuwendungen und Verhältnissen fesseln lässt.

Existenzielle Gewissheit und individuelle Beständigkeit

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