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8. Zusammenfassung und Ausblick
ОглавлениеAusgegangen bin ich von der Frage, ob es in der Rechtssphäre apriorische Gesetzmäßigkeiten, das heißt: Urphänomene, gibt, die unabhängig von den jeweils herrschenden äußeren Machtverhältnissen sind. In Übereinstimmung mit den bahnbrechenden Untersuchungen Adolf Reinachs gilt hinsichtlich der relativen Rechte:
1. Es gibt durchaus Rechtsgebilde, denen wesenseigene, formale Gesetzmäßigkeiten innewohnen, die unabhängig sind von äußeren Einflüssen, insbesondere von jeglicher Willkür.
2. Bei einem relativen Rechtsgebilde vom Typus eines Versprechens und eines Vertrages bildet jeweils ein sozialer Akt folgender Geartetheit die unentbehrliche Voraussetzung dafür, dass das betreffende Rechtsgebilde in Rechtskraft erwächst:
a) Der Versprechende muss das, was er zu versprechen gewillt ist, mündlich oder schriftlich äußern;
b) Der Adressat muss die Äußerung vernehmen und deren Sinn erfassen.
3. Der Anspruch des Adressaten bzw. die Verbindlichkeit, welche der Versprechende eingegangen ist, können auf zwei Weisen erlöschen:
a) Indem der Versprochenhabende die eingegangene Verpflichtung einlöst;
b) Indem der Adressat auf die Erfüllung seines Anspruches verzichtet.
4. Wenn der Adressat verzichtet, macht er ein absolutes Recht geltend, dem auf Seiten des Versprochenhabenden nichts Gleichwertiges bzw. Ebenbürtiges entspricht. Psychologisch gesehen, löst der Verzichtende die mit dem Versprochenhabenden eingegangene Beziehung auf, während dieser, sofern er das Versprochene erfüllt, die Beziehung aufhebt.
5. Inhaltlich kann die faktische Rechtsgültigkeit eines Versprechens oder eines Vertrages aus zweierlei Gründen eingeschränkt oder aufgehoben werden:
a) Wenn der Inhalt des Versprechens oder Vertrages Rechtsprinzipien und / oder sittlichen Normen widerspricht, die von der jeweiligen Rechtsgemeinschaft als grundlegend angesehen werden.
b) Wenn die positiv-rechtliche Gesetzgebung einer Rechtsgemeinschaft Bestimmungssätze enthält, die verhindern, dass bestimmte formal-apriorische und / oder inhaltliche Implikationen aus einem zustande gekommenen Versprechen oder Vertrag gezogen werden dürfen.
6. Aus dem unter 4. und 5. Referierten ergibt sich ein weiteres – übergeordnetes – rechtliches Urphänomen, nämlich, dass es in letzter Instanz nicht möglich ist, ein konkretes Versprechen oder einen konkreten Vertrag losgelöst von der übrigen Rechtssphäre zu beurteilen.
7. Die Urphänomene, die wir besprochen haben, sind streng apriorischer Natur, aber sie betreffen – insofern ihnen ein positiver inhaltlicher Sozialcharakter zukommt – nur Rechtsgebilde relativer Natur. Das ebenfalls aufgewiesene absolute Recht auf Verzicht ist demgegenüber von negativem inhaltlichem Sozialcharakter. Damit stellt sich zunächst die Frage,
(i) ob es auch absolute Rechte positiven inhaltlichen Sozialcharakters gibt.
Da wir, darüber hinaus, gesehen haben, dass der Inhalt von Versprechen und Verträgen mit bestimmten Rechtsprinzipien und sittlichen Anschauungen einer Rechtsgemeinschaft in Einklang zu stehen hat, sollen sie innerhalb der betreffenden Gemeinschaft gelten, stellt sich die weitere Frage;
(ii) ob es möglich ist – ausgehend vom Begriff des menschlichen Individuums bzw. der sich auf Individualität gründenden Persönlichkeit –, absolute Rechtsprinzipien auszuweisen, die den Besonderheiten der einzelnen Rechtsgemeinschaften vorausgehen.
Einigen Aspekten dieser Fragen, die sich – meiner Überzeugung nach – erst auf der hier entworfenen Basis, gemäß welcher es Sinn macht, nach objektiven rechtlichen Urphänomenen zu suchen, angehen lassen, sind die folgenden zwei Aufsätze gewidmet.