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2. Negieren als Ursprung des Rechtsbewusstseins
ОглавлениеMit dem Hinweis auf die Fähigkeit, Intentionen zu erfassen und zu setzen und das darin Postulierte zu befolgen, habe ich einen Grundzug individuellen Erkennens und Handelns hervorgehoben. Aufzuzeigen bleibt – unter anderem –, woraus der im Setzen sich äußernde Wille erwächst und sich dann im rechtlichen Diskurs äußert. Unterscheiden sollten wir dabei zwischen der erkenntnislogischen und der entwicklungsgeschichtlichen Sichtweise:
(i) Erkenntnislogisch kann es einen Willensimpuls, bei dessen Aufblitzen und Umsetzen das ihn ergreifende, ihn wollende Subjekt sich nicht aus einem gegebenen Zustand zu lösen begänne, nicht geben. Selbst wer sich dazu durchgerungen hat, letztlich in den herkömmlichen Verhältnissen auszuharren, musste einen Augenblick lang Abstand gewinnen, so dass er die Eigentümlichkeit des bis zum betreffenden Zeitpunkt herrschenden Zustandes sichten und überprüfen konnte – um erst dann, mit einem neu gefassten Entschluss, von einer Veränderung abzusehen. Das heißt: Wer nach einigem Erwägen sich dazu entschlossen hat, beim staus quo zu bleiben, hatte, während er das Für und Wider erwog, teil- und zeitweise Abstand zu dem ihm Vertrauten genommen – auch wenn er danach zu ihm zurückkehrte und bei ihm geblieben ist. In viel höherem Maße dokumentiert natürlich derjenige, der daran geht, etwas zu verändern, dass er sich vom Bisherigen abgewandt hat. Dennoch inhärieren beiden Bewegungsfiguren Momente des Negierens, sei es im zeitlich begrenzten Loslösen, sei es in der entschiedenen Abwendung.
(ii) Entwicklungsgeschichtlich ist hier jene Phase im frühen Werdegang eines Menschen relevant, auf die Harold J. Berman mit folgenden Worten hinweist: «Sobald ein Kind die Prinzipien der Gleichheit, Widerspruchsfreiheit und des Einhaltens eines Versprechens oder einer Regel anruft – um beispielsweise darzulegen, es habe Anrecht auf ein bestimmtes Spielzeug, weil: (a) sein Bruder es zuvor gehabt habe; (b) sie einander immer ablösten damit; (c) es seines sei und (d) der Vater es so gesagt habe –, macht es Sinn, von einer Berufung auf das Recht oder auf ein Gesetz oder eine Regel zu sprechen»7. Gewiss gibt es Richtungen der Kindererziehung, in denen man die Kinder ermahnt oder lehrt, von derartigen Auseinandersetzungen abzusehen. Aber die Tatsache, dass man den Kindern das Sich-Rechtfertigen ausreden muss, bildet «eine gewisse Bestätigung [some evidence] dafür, dass sich darin ein Prinzip widerspiegelt, welches dem Herausbilden der sozialen Ordnung selbst innewohnt»8. Dies gemahnt an den harten Spruch des Heraklit: «(Πόλεμος πάντων μὲν πατἡρ ὲστι) – Der Zwist [der Streit, die Auseinandersetzung, der Krieg] ist der Vater aller Dinge»9. Während erkenntnislogisch das Setzen einer Intention im Negieren verankert ist, kommt entwicklungsgeschichtlich der Willensentschluss, an das Recht zu appellieren, vor allem als Aufbegehren gegenüber Bestimmungen (zum Beispiel Teilungsvorschriften) zum Vorschein, welche dem seiner Würde und seines Wertes sich bewusst Werdenden als ungerecht und nicht begründet aufstoßen. Mit der Infragestellung des wie auch immer Gegebenen fängt der Einzelne an, eigenen Intentionen nachzugehen und sich selbst zu behaupten.
Diese Fähigkeit eines Menschen, eine gegebene Situation nicht telle quelle zu akzeptieren, sondern an der konkreten Ausgestaltung der Rechtssphäre, an der er teilhat, mitzuwirken, können wir, anknüpfend an Hannah Arendt, als das fundamentale formale Recht ansehen, je selbst ein Rechtssubjekt zu sein, dem Pflichten zukommen – und welches zugleich Inhaber geschützter Rechtsgunst ist10.
Wenn ein normal veranlagtes Kind nicht fähig wird, sich selbst als Subjekt von Rechtsbürde und Rechtsgunst zu erkennen, haben ihn vermutlich in vielen Fällen die für seine Daseinsentfaltung maßgebenden Menschen in defizienter Weise wahrgenommen und behandelt. Ins Allgemeine übertragen bedeutet dies: Wer einen anderen Menschen zur Subjektlosigkeit degradiert, nimmt ihn nicht als fremdes, ihm ebenbürtiges Individuum wahr. Doch indem jener diesem Anderen dessen Subjektität (das heißt: dessen Dignität, als vollwertiges Subjekt zu gelten) aberkennt, verliert er einen ihm gleichwertigen Kontrahenten – sich selbst damit den Zugang zur eigentlichen Rechtssphäre versperrend; denn diese gestaltet und erhält sich nur im wechselseitigen Diskurs gleichgestellter Individuen. Wer also einen Anderen zum rechtlosen Wesen entwürdigt, verengt sein eigenes seelisches Wahrnehmungsvermögen noch in einer weiteren, gravierenden Weise. Dies wird deutlich, wenn man analysiert, wie bei einer Begegnung Eigen- und Fremdwahrnehmung ineinandergreifen.