Читать книгу Kirchengeschichte des Mittelalters - Bernward Schmidt - Страница 27
Der Nordosten Europas
ОглавлениеDie Ungarn, die aufgrund ihrer Kriegszüge in den Westen zum entscheidenden Hindernis für die weitere Mission und Kirchenorganisation des östlichen Europa geworden waren, wurden von Otto d. Gr. durch die Lechfeldschlacht bei Augsburg 955 zurückgedrängt. Ohnehin hatte sich durch die sächsischen Könige der politische Schwerpunkt des deutschen Reiches nach Osten verlagert, wo parallel zur Etablierung weltlicher Herrschaftsstrukturen eine Reihe von Bistümern errichtet wurden: Schleswig, Brandenburg, Havelberg, Meißen, Merseburg, Zeitz und – als zeitweilig bedeutende Ausgangspunkte für die Mission – Magdeburg, Posen (beide 968), Prag (973) und Gnesen (1000). Da Prag dem Erzbistum Mainz unterstellt wurde, war die Anbindung an die römische Kirche fraglos gegeben. Neben dem Bistum Posen wurde die Fürst Mieszko I. (um 960–992) zugestandene eigene Kirchenpolitik wichtig für die Entwicklung der Kirche in Polen, zumal Mieszko 992 sein gesamtes Territorium dem Papst übereignete – wohl um seine territorialen Gewinne abzusichern. Damit war die außergewöhnliche Bindung Polens an den Heiligen Stuhl begründet. Böhmen und Ungarn konnten zudem durch eine freundschaftliche Ostpolitik Ottos III. (983–1002) enger an das Reich gebunden werden. Im Falle Ungarns, das für Byzanz nach der Lechfeldschlacht ein unattraktiver Bündnispartner geworden war, gelang ebenfalls die Bindung an das westliche Kaisertum. Otto d. Gr. sorgte für die Taufe des Großfürsten Géza (972–997) durch einen Mönch aus St. Gallen, wenig später heiratete Gézas Sohn Istvan (Stephan) eine Schwester Kaiser Heinrichs II. (1002–1024); durch ihren Einfluss entstanden in kurzer Zeit zahlreiche Kirchen und eine westlich ausgerichtete Kirchenstruktur.
östlich der Elbe
Problematischer gestaltete sich die Christianisierung im Nordosten, wo die Elbe im 10. Jahrhundert eine ungefähre Ostgrenze des Reiches markierte. Bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts war pagane Religiosität für die östlich der Elbe dominanten Liutizen auch ein politisches Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Reich. Nachdem ab 1043 die Abodriten die Vorherrschaft übernommen hatten, öffneten sich auch neue Wege für das Christentum und eine kirchliche Struktur mit Bistümern (Oldenburg, Ratzeburg, Mecklenburg) und Klöstern. Infolge eines Aufstandes in den 1060er Jahren kam es zu Repaganisierungen, die ein gutes Jahrhundert andauern sollten. Ein Kreuzzug in das Gebiet, zu dem Bernhard von Clairvaux 1147 aufgerufen hatte (vgl. Kap. VIII), war in keinerlei Hinsicht fruchtbar – die Gewaltmission ließ sich nicht durchsetzen und der Versuch ließ das Christentum keineswegs attraktiv erscheinen. Es bedurfte also bei allen Stammesverbänden östlich der Elbe einer politischen Konstellation, in der die Einführung des Christentums nicht mit politischer Eingliederung einherging, und der Überzeugungsarbeit von Bischöfen. Wo das Christentum Fuß fasste, wurden nicht selten heidnische Kultbilder zerstört und Kirchen auf heidnischen Kultplätzen errichtet.
Baltikum
Zu ihrem Abschluss kam die mittelalterliche Mission im späteren Ostpreußen und im Baltikum im 13. Jahrhundert. Ausgehend von deutschen Kaufleuten, die sich wegen des Ostseehandels dort niedergelassen hatten, gab es erste Missionsbemühungen. Doch zum größten Teil wurde das Christentum in dieser Region mit Waffengewalt durchgesetzt. Dies war nicht zuletzt der Ausweitung des Kreuzzugsgedankens auf die Ausbreitung des Glaubens geschuldet, womit politische und religiöse Ziele zusammenfallen konnten. Insbesondere der Deutsche Orden, ein 1198 im Heiligen Land gegründeter Ritterorden, führte das Christentum in seinem „Ordensstaat“ ab 1231 zwangsweise ein.
Auf einen Blick
Die Christianisierung Europas war ein lang andauernder und keineswegs geradlininger Prozess. Langzeitwirkung hatte die Taufe Chlodwigs 498, mit der das fränkische Reich als politische Gestaltungsmacht in Europa auf das nizänische Christentum festgelegt wurde. Das Motiv des mächtigeren Gottes, der das Wohlergehen seines Volkes sichert, erscheint hier ebenso bedeutsam wie bei anderen Konversionen. Meist gaben politische Motive mit den Ausschlag für den Wechsel vom Polytheismus zum Christentum, sei es als gewollte Annäherung bzw. Distanzierung von Nachbarn, sei es als Erweiterung und Vereinheitlichung des eigenen Territoriums. Seltener ist die Ansiedlung von Christen in einer heidnischen Gesellschaft. Die jeweiligen Herrschaftsverhältnisse gaben zudem die Rahmenbedingungen für die Mission vor, Ablehnung des Christentums hatte daher umgekehrt meist ebenfalls politische Gründe.
Die Mission vollzog sich meist mehrstufig: Erstes Ziel war die Taufe des Herrschers, dann der Gefolgsleute. In einem zweiten Schritt mussten christliche Glaubensideen vertieft und eine Kirchenstruktur aufgebaut werden. Der „Austausch“ der Gottesvorstellungen konnte durch die christliche Vereinnahmung paganer Gottesbilder oder durch die Verdrängung alter Gottheiten durch christliche Heilige geschehen. Die Dämonisierung der paganen Gottheiten lieferte schließlich ein entscheidendes Argument für die Umwandlung von Kultplätzen in Kirchen. Dem Exklusivitätsanspruch des christlichen Gottes wurde Geltung verschafft.