Читать книгу Zwangsvollstreckungsrecht - Bettina Heiderhoff - Страница 122
cc) Andere Sonderfälle
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Zu dem grundlegenden Streit über den relevanten Bezugspunkt bei Gestaltungsrechten kommt hinzu, dass nach allgemeiner Ansicht auch nach der Art des Gestaltungsrechts differenziert werden muss.
Beispiel 24 (Verbraucherschützendes Widerrufsrecht):
Schuldner S hat im Internet einen Fernseher gekauft. Eine Widerrufsbelehrung wurde ihm dabei nicht erteilt. Da er den Apparat nicht bezahlen kann, ergehen gegen ihn Mahn- und Vollstreckungsbescheide. Erst jetzt erfährt er, dass man Verträge, die man im Internet abgeschlossen hat, widerrufen kann. Er widerruft den Kaufvertrag nach §§ 312g I, 355 BGB und will gegen die Vollstreckung vorgehen.
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Da S in Beispiel 24 nicht über sein Widerrufsrecht belehrt wurde, war dies in der Tat nach § 356 III 1 BGB noch nicht verfristet. Er konnte es also noch wirksam ausüben. Fraglich ist aber, ob er nach § 767 II ZPO mit dem Einwand, der Anspruch sei nach § 355 I 1 BGB erloschen, präkludiert ist. Bei verbraucherschützenden Gestaltungsrechten (z.B. Widerruf) zwingt schon das europäische Richtlinienrecht dazu, § 767 II ZPO unangewendet zu lassen[34]. Denn der EuGH hat bereits mehrfach entschieden, dass das nationale Recht nicht Fristen abschneiden darf, die die Richtlinien vorsehen[35]. Und das Widerrufsrecht läuft in Fällen fehlender Belehrung nach den meisten verbraucherschützenden Richtlinien unbefristet.
Klausurhinweis:
In Beispiel 24 führen also letztlich sogar alle Ansichten zu demselben Ergebnis. Man sollte in der Klausur den Streit dennoch gründlich darstellen – und am besten sogar entscheiden – bevor man unter Verweis auf die richtlinienkonforme Auslegung von § 767 II ZPO den Knoten zerschlägt.
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Anders ist es auch bei vertraglich eingeräumten Gestaltungsrechten, z.B. einem vertraglichen dreimonatigen Rücktrittsrecht oder einer Kündigungsoption bis zu einem bestimmten Tag. Denn diesen Rechten ist es – nach dem gemeinsamen Willen beider Parteien – immanent, dass sie bis zum Ablauf der vereinbarten Frist ausgeübt werden können. Ein Abstellen auf die objektive Möglichkeit der Ausübung hingegen würde gegen die Vereinbarung der Parteien verstoßen.
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Beispiel 25 (Präklusion bei vertraglich eingeräumten Ausübungsfristen):
Vermieter V hat an Mieter M ein Lager vermietet. Der Mietvertrag läuft bis Ende 2016. M kann durch Ausübung einer Option vor dem 31.10.2016 den Mietvertrag um ein Jahr verlängern. Bereits im Mai 2016 erhebt V mit Erfolg Räumungsklage. Ende Oktober übt M die Option aus. Gegen die Räumungsvollstreckung wendet er sich mit der Vollstreckungsabwehrklage.
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Rücktritts- und Optionsrechte sind ebenfalls Gestaltungsrechte. In Beispiel 25 hätte M seine Option bereits vor Mai 2016 – also vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung – ausüben können. Daher stellt sich die Frage, ob er nunmehr mit der Ausübung nach § 767 II ZPO präkludiert ist. Grundsätzlich müsste auch hier auf die objektive Möglichkeit der Ausübung abgestellt werden (Rn. 230). Zu beachten ist aber, dass bei einem vertraglich eingeräumten Optionsrecht die Entscheidungsfreiheit des Berechtigten gerade zwischen den beiden Parteien vereinbart wurde und damit gewissermaßen in ihrem Wesen liegt. Deshalb ist in dieser Situation ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Ausübung des Rechts durch den Berechtigten abzustellen[36]. Der Einwand der Option ist daher nicht präkludiert.
§ 5 Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) › III. Begründetheit › 3. „Doppelte Vollstreckungsabwehrklage“ (§ 767 III ZPO)