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10. Erster bewusster Kontakt

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Das Unglaubliche geschah: Ich hatte zu lange in die Reflexionen des Wassers geschaut und musste darüber eingeschlafen sein, oder vertiefte mich zu sehr in einen Tagtraum, plötzlich befand ich mich nicht mehr an Ralfs Pool, sondern...

Das war das Merkwürdigste daran, denn ich wusste nicht mehr WO ich mich befand! Ich kannte diesen Ort nicht, war noch nie in meinem Leben hier gewesen!

Ich blickte mich vorsichtig um und spürte eine Angst in mir aufsteigen, wie ich sie noch nie gespürt hatte. Es musste eine Angst sein, die man verspürt, wenn man weiß, dass man zum Tode verurteilt ist! Ich spürte eine ebensolche Angst, aber ich fühlte mich nicht durch ein Gericht zum Tode verurteilt, sondern durch die Existenz eines Wesens, dem ich nicht entkommen konnte und das nur von einem einzigen Gedanken beherrscht wurde: Töten!

Ich bewegte mich vorsichtig nach rechts, öffnete eine alte Holztür, hinter der ich junge Frauen lachen hörte. Als ich in den dahinter liegenden Raum blicken konnte, wurde ich von drei jungen Frauen, alle in meinem Alter, begrüßt. Sie räkelten sich auf einem Himmelbett, das unheimlich weich und warm aussah und zum Kuscheln einlud, auch bedingt durch die hellrosa Bettbezüge der Decken und Kopfkissen. Die Frauen waren ausnahmslos in Rosa gekleidet. Sie trugen rosafarbene Morgenmäntel, die mehr zeigten als verbargen, weil sie aus rosa Gaze bestanden und die kurzen Ärmel, sowie Saum und Kragen waren von flauschig aussehendem, weißen Pelz besetzt.

Sie zogen mich auf das Bett und fingen an mich zu entkleiden. Ich hüllte mich in den von ihnen angebotenen Morgenmantel, der genauso aussah wie die, die sie trugen. Ich kuschelte mich mit den Frauen zusammen in die Decken des Bettes und fühlte, dass sie genauso weich waren, wie ich es vermutet hatte, als ich noch an der Tür gestanden war. Ich kannte die Frauen nicht, fühlte mich in ihrer Nähe aber wohl und hätte fast die drohende Gefahr vergessen, in der ich mich befand.

Dann hörte ich die entsetzlichen Schreie, Schreie voll Schmerz und Qual, die aus dem Zimmer nebenan zu kommen schienen. Ich sagte verzweifelt zu den Frauen, dass sie sich verstecken sollen, aber sie bewegten sich nicht, auch, als ich sie mehrmals dazu aufforderte. Ich vermutete, dass sie das Ungeheuer kannten und wussten, dass eine Flucht ihren Tod nicht verhindern, sondern die Qualen vor dem Tod nur in die Länge ziehen würde.

Ich wollte mich nicht mit meinem Schicksal abfinden!

Ich stand schnell auf, fühlte, wie sich alles in mir anspannte, weil ich nicht in den Gang zurück gehen wollte, doch ich musste - sonst hätte ich keine Chance mehr. Jeder Nerv in mir war angespannt. Ich öffnete die Tür und lugte vorsichtig nach draußen, wollte die Tür nicht ganz öffnen, weil ich nicht wusste, was sich dahinter verbarg. Mein Herz hörte auf zu schlagen, weil ich vermutete, dass ich direkt in die Augen des Ungeheuers blicken würde, wenn ich den Kopf weiter herausstrecken würde, wie in einem schlechten Horrorfilm. Ich biss mir auf die Innenseiten der Wangen, schmeckte mein Blut silbrig auf der Zunge - ich wollte nicht schreien, wenn ich das Ungeheuer sehen würde, ich wollte ganz tapfer sein, aber in der Erwartung des Schrecklichen, in der ungeheuren Anspannung, in der ich mich befand, gelang mir dies nur knapp. Das krampfhafte Anspannen jedes Muskels und das Adrenalin, das meinen Körper aufpeitschte, äußerte sich in peitschenden Schmerzen in meinem Körper, sodass ich die Resignation der Frauen hinter mir in dem Zimmer verstehen konnte. Ich wollte aufgeben, mich auch der Resignation ergeben, anstatt weiter diese Angst und Schmerzen in mir zu spüren, doch mein Überlebenswille war zu stark.

Ich öffnete die Tür weiter und weiter und der Gang war...leer.

Er war leer! Ich hatte noch eine Chance!

Ich hörte wieder die Schreie ganz in meiner Nähe und begann loszulaufen, denn ich musste schnell sein, wenn ich dem Ungeheuer nicht in die Arme laufen wollte.

Nur wohin?

Das Ungeheuer war noch beschäftigt, mit welch armer Kreatur auch immer, und ich wandte mich nach rechts, weg von den Schreien. Dort erschien eine andere Tür, hinter der ich keine Schreie, hinter der ich gar keine Geräusche hörte.

War das eine Falle? Ich musste das Risiko eingehen.

Ich öffnete die Tür, blickte hinein und sah viele Menschen, die sich unter Tischen, Stühlen, Regalen, auf und sicherlich auch in den dort stehenden Schränken verkrochen hatten. Ich blickte mich kurz um und bedauerte die Menschen, die sich dort aufhielten, denn sie hatten sich keine lohnenden Verstecke ausgesucht, zumal sich auf den Tischen noch nicht einmal Tischdecken befanden, die über die Kante hinaus den Raum unter dem Tisch verdeckten. Das Ungeheuer würde sie sofort sehen. Wenn ich mich verstecken wollte, musste ich mir einen anderen Platz suchen.

Aber wo?

Dann sah ich sie: Die Großmutter, wie sie in allen Träumen einer Enkeltochter vorkommen musste. Uralt, klein, rund, runzelige Haut im Gesicht, weißes, geflochtenes Haar, das in einem Kranz um ihr Haupt gewunden war. Sie thronte in einem Schaukelstuhl, versuchte sich nicht zu verstecken, und hielt eine Schüssel mit gekochten und geschälten Kartoffeln seelenruhig in der Hand. Ich schlafwandelte auf sie zu und sie fixierte mich neugierig mit wässrig blauen Augen. Plötzlich brach ein gewaltiger Lärm vor der Tür los und ich wusste, dass ich es nicht mehr rechtzeitig aus dem Raum schaffen würde, denn das Ungeheuer kam hierher.

Die Großmutter winkte mich zu sich heran: "Du scheinst Mut zu haben. Iss eine Kartoffel und wenn das Ungeheuer kommt, dann biete ihm auch eine an. Es wird dich zunächst übersehen, dann kannst du flüchten."

Seltsame Worte, die keinen Sinn ergaben. Warum bot sie niemandem hier in diesem Raum ihre Hilfe an, warum versuchte sie nicht selbst damit dem Ungeheuer zu entkommen? Ich wusste die Antwort. Alle waren in tiefste Resignation, wie die drei Frauen zuvor, verfallen. Sie würden weder den Mut, noch die Kraft für eine mögliche Flucht aufbringen. Sie waren verloren.

Ich konnte nicht weiter überlegen, denn die Tür sprang mit einem Knall auf und das Ungeheuer stand vor mir.

Ich blickte zu Boden, wollte das Ungeheuer nicht anstarren, damit es nicht auf mich aufmerksam wurde. Dennoch konnte ich meine Neugier nicht zügeln. Unter meinen Wimpern blickte ich hervor und vor mir offenbarte sich etwas, was ich gar nicht erwartet hatte: Ich erkannte einen großen, dunklen Schatten, durch den ich wie durch Nebel hindurch schauen konnte. Der Schatten flimmerte wie die Luft an einem heißen Sommertag, aber ich fühlte, dass das Ungeheuer real war, ich konnte seine Ausstrahlung körperlich spüren, ebenso die Hitze, die es verbreitete. Der Boden wankte, wenn es einen Schritt vor den anderen setzte, es musste sehr schwer sein. Ich hob meinen Blick noch etwas weiter und bemerkte, dass es mich mit seinen glühenden Augen zu mustern begann.

Oh-oh, ich wollte es doch nicht anstarren!

Abwehrend hob ich die Arme, in der ich noch die Schüssel mit den Kartoffeln hielt und bot ihm somit unfreiwilligerweise die Speise dar. Das Ungeheuer riss mir die Schüssel aus den Händen und ich drehte mich nach der Großmutter um, die mir daraufhin zuzwinkerte.

Ein Hoch auf meine Reflexe, ich hätte sonst vergessen, was Großmutter mir geraten hatte!

Ein Problem tat sich auf - ich selbst hatte keine Kartoffel, wie empfohlen, gegessen. So würde ich vielleicht noch weniger Zeit haben, dem Ungeheuer zu entkommen. Ich rannte zu der Großmutter, wollte ihr für die Rettung danken, doch dann sah ich den Schatten des Ungeheuers, der direkt über der kleinen, alten Frau gebeugt war. Ich wollte ihr helfen, sie mit mir ziehen, doch sie rief mir laut "Lauf!" zu, und schon rannte ich wie ein gehetztes Reh zur Tür, meinte den heißen, fauligen Atem des schattenhaften Ungeheuern in meinem Nacken zu spüren, drehte mich um - doch da war nichts. Es war nur die Angst gewesen. Ich öffnete die Tür, schlüpfte hindurch und schloss sie unsinnigerweise wieder hinter mir. Dann schaute ich gehetzt nach rechts und links.

Wohin sollte ich gehen? Ich befand mich wieder in dem Gang und hatte keine Ahnung, wo ich in Sicherheit sein würde, falls ich es je sein würde. Ich entschied mich nach rechts zu rennen, obwohl der Gang rechts von mir sofort wieder nach links abbog und ich nicht wusste, was sich dahinter verbarg. Doch noch weniger gefiel mir der Gedanke, mich nach links zu wenden und in dem endlosen Gang eine unheimlich lange gerade Strecke zu rennen, wo mich das Ungeheuer jederzeit hätte sehen können und an dem Raum, in dem sich derzeit das Ungeheuer befand, vorbei zu gehen, aus Angst, es würde durch die Wand brechen. Dass es die Kraft dazu hatte, davon war ich fest überzeugt. Also rannte ich um die Ecke, entdeckte, dass sich auch hier ein endlos gerader Gang befand und blickte mich immer wieder ängstlich um, wenn ich heisere Schmerzensschreie hinter mir hörte. Würde ich es erkennen können? Es offenbarte sich mir nur als Schatten. Als gewaltiger, durchaus reeller und todbringender Schatten, verbesserte ich mich in Gedanken.

Ich rannte weiter, die endlosen Gänge, die immer wieder nach rechts oder links abbogen, oder sich in mehrere Richtungen verzweigten. Es war wie in einem Labyrinth und ich war noch nie gut darin gewesen, schnell einen Ausgang zu finden. Erst, wenn ich schon zum hundertsten Mal an der gleichen Stelle vorbeigekommen war, dann erst verstand ich, dass dies wirklich der falsche Weg gewesen war. Ich kam mir vor wie in einem Computerspiel, das ich noch nicht kannte - doch dieses Spiel war für mich tödlicher Ernst.

Das Schicksal musste endlich doch Einsicht mit mir gehabt haben, denn ich kam an einen Gang, der zu einer Treppe führte.

Verblüfft blieb ich stehen, als ich am Ende der Treppe angekommen war: Ich befand mich in einem Schiff, das in einer riesigen Lagerhalle auf Trockendeck lag!

Die Masten mit den Segeln und Tauen tauchten vor mir auf und ich musste meinen Kopf tief in den Nacken legen, um die Aussichtsplattform zu erkennen - ein kleiner Korb, in dem ich mich wunderbar verstecken konnte! Ich sah höher zu dem Dach der Lagerhalle hinauf und bemerkte, dass sie sich in keinem guten Zustand befand - überall prangten riesige Löcher, zum Teil so groß, dass ein Kleinwagen ohne Probleme hindurchgepasst hätte. Hinter den Löchern erkannte ich den Himmel. Es war wohl ein sehr bewölkter Tag. Nebel waberte in Schwaden über das Dach. Wahrscheinlich würde es auch bald zu regnen beginnen. Aber das war mir im Moment herzlich egal, Hauptsache ich würde in Sicherheit sein. In vermeintlicher Sicherheit, denn ich wusste nicht, ob das Ungeheuer mich hier finden würde. Aber eine relative Chance war besser als keine und ich wollte sie nutzen. Noch zögerte ich, doch die Entscheidung wurde mir leichter gemacht, als ich mir gewünscht hätte, denn ich vernahm hinter mir die charakteristischen Geräusche des Ungeheuers - sogar der Boden schwankte unter den schwerfälligen Tritten des Schattenwesens. So schwerfällig es sich auch anhörte, ich machte nicht den Fehler, es zu unterschätzen, denn ich ahnte intuitiv, dass es sich flink wie ein Gepard bewegen konnte. Im Moment musste es seine Geschwindigkeit nicht unter Beweis stellen, denn es war sich seiner Beute sicher. Seine Opfer konnten oder wollten nicht entkommen, es konnte sich Zeit lassen. Ich konnte mir keine Zeit lassen, denn wenn es mich in den Momenten sah, in denen ich den Mast zu dem Korb herauf klettern würde, dann konnte das Versteck noch so gut gewesen sein, es würde mir nichts mehr nutzen.

War es schon auf meiner Spur, so schnell schon? Dann fiel mir wieder ein, wie lange, wie unendlich lange ich durch den Irrgarten im Bauch des Schiffes herumgerannt war. Sollte ich mich gleich kampflos ergeben?

Es kam schnell näher.

Nein!

Ich wollte kein schnelles Ende, ich wollte überhaupt kein Ende!

Ich hatte eine Chance erhalten und wollte sie nutzen, auch wenn ich vor Angst kaum mehr stehen, geschweige denn klettern konnte.

Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis sich meine Beine nicht mehr dem mentalen Befehl meines Gehirnes widersetzten, aber ich hatte es endlich geschafft, dass sie sich bewegten und diese kleine Bewegung riss mich aus meiner beginnenden Lethargie.

Ich hatte wieder den Mut zum Kämpfen gefunden.

Kämpfen klang gut - ich flüchtete!

Tau um Tau kletterte ich hoch, schlang meine Arme und Beine um den Mast, zog mich Meter um Meter hoch zu meinem Versteck und bemerkte, dass mir die Angst Flügel verlieh. Ich ergriff weiter oben Seile, fand die nächste Stelle für meinen Fuß, zog mich ein Stück höher, griff wieder nach oben, fand das nächste Tau und hangelte mich in schwindelerregende Höhen. Meine Muskeln schmerzten ob dieser ungewohnten Belastung, doch das Adrenalin in meinem Körper versorgte mich mit zusätzlicher Energie, fand alle Reserven, die in meinem Körper vorhanden waren und setzte sie in die ewig nach oben strebende Bewegung um.

Immer wieder sah ich mich nach unten, nach hinten um und instruierte mir, dass, wenn ich auch nur den kleinsten Schatten des Ungeheuers sehen würde, ich mich in den Seilen zusammenkauern und hoffen würde, dass es mich übersah.

Was dachte ich denn da, ermahnte ich mich erneut, der Schatten WAR das Ungeheuer, ich musste mich schon zusammenkauern, wenn ich es nur im Entferntesten fühlen, spüren würde! Ich hatte zu laut gedacht, denn als ich mich das nächste Mal nach unten umsah, zurück zu der Treppe, die ich hoch gerannt war, erkannte ich einen Schatten!

Ich erstarrte vor Todesangst, hatte nicht einmal mehr die Kraft, noch den Mut mich in den Seilen ganz klein zu machen.

Der Schatten wuchs und wuchs und plötzlich konnte ich zwei mit weißen Federn besetze Füße, Beine, dann einen ganzen Körper erkennen.

Ein junger Mann stand dreißig Meter unter mir und schien keine Angst zu haben, dass das Ungeheuer plötzlich hinter ihm auftauchen könnte. Er sah mir direkt in die Augen und ich erwiderte seinen Blick. War ER das Ungeheuer? Nein, ich spürte keine dunkle Aura um ihn. Wer war er dann? Hinter seinem Rücken wuchs ein riesiger Schatten an, der sich links und rechts von ihm ausbreitete und ich hätte beinahe geschrien, bis ich genauer hinsah und meinen Augen nicht mehr traute: Die Schatten, weiße Schatten, schienen weiter zu wachsen, aber in Wirklichkeit breitete er seine Flügel, die er hinter seinem Rücken zusammengefaltet hatte, vorsichtig aus und schlug ganz leicht mit ihnen.

Er sah so aus, wie ich mir als Kind immer einen Engel vorgestellt hatte, mit weißen, weichen und doch kraftvollen, federbesetzten Flügeln.

Er trat einen Schritt vor, schlug heftiger mit den Flügeln und erhob sich scheinbar mühelos in die Luft. Ich erkannte, dass sein gesamter Körper, außer sein Gesicht, mit diesen herrlich weißen Federn besetzt war.

Er erhob sich immer weiter, schwebte vor mir und fragte: "Willst du mit mir kommen?"

Ich nickte stumm.

Er unternahm noch nichts und setzte wieder zu sprechen an: "Wirst du dann meine Frau?"

Ich ließ vor Schreck fast das Tau los, an dem ich mich immer noch krampfhaft festklammerte, doch ich hatte noch nicht vergessen, in welch schrecklicher Situation ich mich befand. Ich konnte dem Ungeheuer nicht entkommen und selbst, wenn es mich in diesem Korb nicht fand, irgendwann musste ich wieder herunter kommen, musste etwas essen, trinken, ich konnte nicht bis in alle Ewigkeit in diesem Versteck bleiben, sonst würde ich elendiglich zugrunde gehen.

Aber wieso nutzte der Mann meine Situation so schamlos aus? Wollte er mir nun helfen, oder nur einen Vorteil aus der Situation erhalten? Ich betrachtete den Mann genauer und musste zugeben, dass mir sehr gefiel, was ich sah. Es war mein Germane, wie ich ihn mir immer in meinen Tagträumen vorgestellt hatte. Nur dass er mich so gewinnen wollte, ließ mich an seinem Charakter zweifeln.

Aber ich antwortete: "Ich werde deine Frau. Sehr gern."

Das war die richtige Antwort gewesen - der geflügelte Mann lächelte mich an, flog hinter mich, fasste mich vorsichtig, aber dennoch fest um meine Taille und ich fühlte seinen warmen, weichen Körper an meiner Rückseite. Vertrauensvoll kuschelte ich mich bei ihm ein, ließ die Taue los und schwebte in der Luft.

Das herrliche Gefühl, das an einen Höhepunkt grenzte, ließ sich nicht beschreiben, doch es war faszinierend, wie ich, von dem Mann fest umklammert, durch die Lüfte schwebte und diese mir unbekannte Schwerelosigkeit empfand. Als ich nach oben blickte, flogen wir gerade durch eines der gewaltigen Löcher des Daches der Lagerhalle.

Der Tag war trüb, aber die Sonne kämpfte sich nach und nach einen Weg durch den Hochnebel. So wirkte die gesamte Umgebung wie in ein unwirkliches Licht getaucht, das mich die neu entdeckte Schwerelosigkeit in einer solchen Intensität erleben ließ, dass ich dachte, ich müsste vor Glück sterben. Ich kostete das Gefühl voll aus, vergaß die Gefahr, in der ich mich befunden hatte, und aus der ich von einem wunderbaren Geschöpf gerettet wurde. Die Sonne schickte ihre goldenen Strahlen auf einen Fluss vor uns. Diese gebrochenen Strahlen rührten mich unendlich, ich merkte, wie Tränen über meine Wangen liefen. Der Mann hinter mir drückte mich an sich und küsste mich leicht auf den Hals.

"Danke", brachte ich stammelnd und mit tränenerstickter Stimme hervor, "danke, dass du mich gerettet hast."

Er erwiderte nichts, aber ich fühlte, dass auch er von dieser glücklichen Stimmung gepackt war, denn er küsste mich wieder sanft auf meinen nackten Hals.

Er ging zu einem Gleitflug über, wir schwebten direkt über dem schmalen Fluss, dicht über dem braunen Wasser. Die Luft roch nach gerade gefallenem Regen, deswegen war das Wasser des Flusses braun - aufgewühlt durch einen heftigen Schauer. Als sich wieder einmal vereinzelte, goldene Sonnenstrahlen auf dem Fluss verirrten, da begann das Wasser in allen Regenbogenfarben zu glänzen und zu funkeln. Die Lichtreflexionen veränderten die Formen und Farben in atemberaubender Geschwindigkeit. Diese Szene erinnerte mich an irgendeine bekannte Situation, aber ich kam in diesem Moment nicht darauf an welche. Ich verschob den Gedanken auf später, wollte den Flug, so lange es noch ging, genießen. Rechts und links des Flusses säumten riesige, belaubte Bäume das Ufer und ich fühlte mich wie in einem Gleitflug über den Amazonas. Der Flug wollte nicht enden und ich hoffte, dass er unendlich weiter ging. Obwohl mein Drang zum Weinen abgenommen hatte, erlebte ich es weiterhin so intensiv, wie wir über den Fluss hinwegflogen, wie zu Anfang unserer Reise. Ich vergaß zwischenzeitlich sogar, dass nicht ich es war, die flog, sondern dass ich nur mitgenommen wurde. Der liebevolle, zärtliche Kuss von Zeit zu Zeit an meinem Hals erinnerte mich jedoch immer wieder daran, dass er noch da war. Als wir das Flussbett verließen, quälte mich ein Stich des Bedauerns, doch die Neugier, wohin wir eigentlich flogen.

Ich drehte mich in den Armen des Mannes um, blickte ihm in die dunkelblauen Augen, sein silbergraues Haar kitzelte mich an meiner Wange, doch ich verspürte nur noch den Wunsch, mich in seine Federn zu kuscheln, was ich auch machte. Ich hob meinen Kopf etwas, prägte mir sein markantes Gesicht ein, konnte Zärtlichkeit in seinen großen Augen lesen. Ich küsste ihn auf den Mund und genoss das warme Gefühl seiner weichen Lippen. Dann schmiegte ich meinen Kopf wieder an seine Brust, in sein Federkleid und vergrub meine Nase in seiner gefiederten Halskuhle, die nach aufregendem, männlichen Wesen duftete.

Der Flug verlangsamte sich und mir wurde bewusst, dass er bald zu Ende gehen würde. Ich fühlte mich traurig, drehte mich wieder in seinen starken Armen um und erkannte unter uns ein kleines, verfallenes Gehöft. Die Dächer waren genauso löchrig wie das Dach über dem Schiff, auf dem ich mich zu Anfang befunden hatte. Durch ein solches Loch flogen wir auf einen Heuboden und der Mann setzte mich sanft ab.

"Warte hier bitte, ich muss noch etwas erledigen. Dann werde ich dich abholen und mit zu mir nehmen..."

Die letzten Worte bekam ich kaum noch mit, denn irgendetwas riss mich aus diesem wunderbaren Traum - Moment, war dies ein Traum?

Aber natürlich! Das war es! Das ganze Erlebnis war nur ein Traum gewesen! Schade, denn er hatte sich zu einem herrlichen Traum entwickelt.

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