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14. Zweiter bewusster Kontakt
ОглавлениеIch stand auf einer Straße, die mich an die Zustände des Mittelalters erinnerte.
Kein Teer, keine Pflastersteine, einfacher Lehmboden, noch etwas feucht und pappig vom Regen der vergangenen Nacht. Rechts und links von mir befanden sich Lehmhäuser, mit Stroh gedeckt. Spielende Kinder lärmten in den Gassen um mich, alte Menschen lümmelten auf behelfsmäßigen Bänken im Schatten und unterhielten sich lautstark. Die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt, ich blickte nach oben und meine Augen verengten sich reflexartig, ich spürte ihre Hitze auf meiner Haut. Ich blickte an mir herunter und stellte fest, dass ich in ein ärmlich aussehendes Leinenkleid gehüllt war, das so kurz war, dass es fast die gesamte Länge meiner Beine frei ließ. Meine Arme waren bis zu den Schultern nackt. Weiterhin stellte ich fest, dass mein Drachentattoo auf meinem Brustbein verschwunden war.
Ich hatte es geschafft, oder?
Wie am Abend zuvor war es mir gelungen, mich durch bloße Lichtspiegelungen in eine Art Trance zu versetzen und ich landete in der Welt von Yan und David.
Nur, wo waren die beiden? Woher konnte ich wissen, ob ich mich wirklich hier befand? Es konnte sich auch um reines Wunschdenken meinerseits handeln. Doch mein Zustand in dieser Welt fühlte sich zu real an. Wenn ich es wirklich geschafft hatte, verblüffte mich die Einfachheit, die mich hierher geführt hatte.
Ich setzte meine Beine in Bewegung und erkannte in den Augen der Menschen, die mich musterten, dass ich wirklich hier war, dass sie mich bemerkten, dass ich eine Rolle spielte - spielen musste.
In der Gasse, auf der ich lief, bemerkte ich erst jetzt, dass ich keine Schuhe trug. Der noch feuchte Lehm quoll bei jedem Schritt durch meine bloßen Zehen und trockener Lehm legte sich wie Puder auf die feuchte Schicht um meine Füße. Im Laufe der Zeit und der Strecke, die ich zurücklegte, bröckelte die Lehmschicht wieder ab und hinterließ total verschmutzte Füße. Ich störte mich nicht daran. Die Gassen um mich herum wurden enger, verwinkelter und immer mehr Menschen blickten mich an. Manche neugierig, manche feindselig. Viele Augen beobachteten mich, auch die hinter den Stofffetzen, die als Gardinen vor den Fenstern der Lehmhäuser hingen.
Ich fragte mich, ob es wie ein brennendes Siegel auf meiner Stirn zu lesen war, dass ich fremd hier war.
Dieser Gedanke war absurd - schließlich würde es mein Verhalten sein, das mich als Fremde auswies: In der größten Hitze des Tages würde niemand ohne Zuhause durch die engen Gassen marschieren.
Aber ich konnte nicht einfach hier stehen bleiben und warten, bis es kühler wurde.
Ich drehte mich um und lief den Weg, den ich gekommen war, wieder zurück. Ich passierte erneut die Stelle, an der ich auf dieser Welt angekommen war. Mein Ziel war, aus der Stadt herauszukommen, dann befände ich mich nicht mehr unter Beobachtung und konnte mir die Welt in Ruhe betrachten. Das Laufen fiel mir immer schwerer - nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte, verspürte ich enormen Durst. Am Rande der Stadt fand ich endlich einen Brunnen. Ich drehte an der dafür vorgesehenen Kurbel und an einem Seil hing ein Eimer, in dem sich kristallklares und kühles Wasser befand. Es war eine Labsal! Dieses Wasser trank ich so lange, bis mein Durst gestillt war. Nachdem ich den Eimer wieder herunter gelassen hatte, fühlte ich einen Blick in meinem Rücken. Jemand beobachtete mich. Ich streckte mich, simulierte ein Gähnen, strich mir über die Arme und drehte mich dann schnell um, sah dem Beobachter unerschrocken in die Augen.
"Guten Tag!", begrüßte ich den jungen Mann, der sich peinlich berührt mit der Hand durch sein Haar fuhr.
"Entschuldige, ich wollte dich nicht stören", sagte er.
Ich beruhigte ihn: "Das tust du nicht."
Dann wollte ich die Gelegenheit am Schopf packen: "Kannst du mich zu Xamor führen?"
Der Mann wirkte erschrocken, zeigte sich aber sogleich hilfsbereit: "Ja. Folge mir."
Der Weg war kurz, denn der Magier lebte am Dorfrand. Ich konnte mir gut vorstellen, dass dies mit einer Art Aberglaube zu tun hatte, ganz gleich, ob in dieser Welt nun Magie alltäglich war oder nicht.
Nachdem ich vor der Tür der kleinen Lehmhütte stand, eilte der Mann schnell davon. Ich zuckte mit den Schultern. Er hatte mir noch nicht einmal die Gelegenheit gegeben, mich bei ihm zu bedanken. Nun klopfte ich schüchtern an die Holztür und ein Mann öffnete mir, der genauso aussah, wie ich mir einen Magier immer vorgestellt hatte: Langer, weißer, zottiger Bart, lange, graue Toga, eisblaue, wissende Augen.
"So, du bist also Alena."
Ich war nicht sonderlich überrascht, dass er wusste, wer ich war, schließlich wollten Yan und David mit dem Magier über das aufgetauchte Problem reden und so hatten sie auch von mir erzählt. Aber dass er es mir anscheinend von der Stirn ablesen konnte, dass ich hier fremd war, das verwunderte mich doch.
"Können eigentlich alle Menschen hier von meiner Stirn ablesen, dass ich eine Fremde bin?"
Xamor bat mich herein und lachte: "Nein, aber seit dem Vorfall wird jeder Fremde misstrauisch beäugt, weil ein Gerücht um eine Prophezeiung in Umlauf ist, die besagt, dass ein 'Fremder aus einer anderen Welt' den König stürzen wird. Dieses Gerücht basiert auf einer Weissagung der Alten Magier. Der Bevölkerung wäre es nicht unangenehm, wenn ein anderer König auf dem Thron sitzen würde, aber der König selbst hat etwas dagegen und droht nun jedem mit dem Tod, der einen Fremden sieht, es aber nicht meldet."
Ich ging in das Halbdunkel hinein und Xamor schloss hinter mir die Tür, sodass ich gar nichts mehr erkennen konnte, weil sich meine Augen noch an das Dämmerlicht nach der gleißenden Helligkeit draußen gewöhnen mussten.
Xamor fuhr fort: "Deine Freunde sind in Gefahr. Sie wurden gestern Nacht von Parims Soldaten verhaftet und sind heute zum Tode verurteilt worden. Das Urteil soll morgen vollstreckt werden."
In meinen Ohren sauste das Blut und mir wurde schwindelig.
"Dann wird dein Haus nun auch von Soldaten überwacht sein", schlussfolgerte ich.
Xamor lächelte: "Die beiden hatten recht - du bist schön und klug. Aber hab keine Angst. Die Soldaten können dir nichts anhaben. Du bist nicht wirklich hier auf dieser Welt."
Ich schüttelte den Kopf: "Dann werden sie dich festnehmen, weil du mich nicht als neue Fremde gemeldet hast. Und die beiden haben dir doch sicherlich erzählt, dass sie mich in meiner Welt verletzen konnten. Vielleicht ist es auch bei mir schon soweit. Egal, dafür haben wir jetzt keine Zeit. Können wir die beiden retten und wirst du mir helfen?"
Meine Augen hatten sich schon soweit an das Dämmerlicht gewöhnt, dass ich Xamors eisblauen Augen, die voller Magie funkelten, betrachten konnte.
Dann senkte er den Blick und meinte ruhig: "Ja. Ich werde dir helfen, aber ob wir die beiden retten können, liegt nicht an meiner Hilfe allein. Auch an deiner nicht. Ich spüre schon seit langer Zeit eine große Gefahr - nicht allein für unsere - auch für deine Welt. Unsere beiden Freunde haben einen großen Fehler begangen, als sie immer wieder in deine Welt eindrangen. Ich hatte sie gewarnt, aber sie wollten nicht auf mich hören. Oder...", fügte er mit einem seltsamen Blick hinzu,"...sie konnten nicht."
Ich blickte ihm weiter in die Augen und hatte das Gefühl, dass uns die Zeit zwischen den Fingern zerrann.
Xamor blickte sich hektisch um: "Ich muss mein Buch befragen, wir können es nicht allein schaffen, wir brauchen Hilfe."
"Und welches Zauberbuch könnte dir dabei helfen? Du hast es doch hoffentlich schon hier und musst es dir nicht auf einer langen Reise mit vielen Gefahren schwer verdienen..."
Ich verstummte. Ich wollte nicht sarkastisch sein, aber so viel von dieser Welt erinnerte mich an die Märchen, die ich in meiner Kindheit regelrecht verschlungen hatte.
Ich beobachtete, wie Xamor zu seiner Regalwand eilte, das mit tausenden von Büchern vollgestopft war: "Xamor, ich muss noch dringend etwas wissen. In meiner Welt werde ich bald geweckt werden und wie soll ich dann wieder zu dir, in diese Zeit finden?"
Xamor hielt mit dem Suchen an seinem Regal inne, drehte sich amüsiert zu mir um: "Das kann ich dir nicht in so kurzer Zeit erklären. Es würde Jahrzehnte dauern, bis du dies lernen würdest. Manche Magier lernen ihr ganzes Leben, aber es gelingt ihnen nie!"
Es war zum Verzweifeln!
"Kannst du es?"
Xamor schüttelte den Kopf: "Nein, ich kenne niemanden, dem dies gelingt. Es ist theoretisches Wissen."
Ich seufzte: "Vergeht die Zeit hier parallel zu der unsrigen?"
Xamor überlegte kurz: "Nein. Ich kann dir keine Anleitung geben. Vielleicht wirst du wenige Minuten in deiner Welt wach sein und wenn du es wirklich schaffen würdest, sofort wieder hier anzukommen, dann kann es sein, dass es hier schon morgen ist."
Ich wurde ungeduldig: "Dann wäre es zu spät! Dann wären die beiden schon tot!"
Xamor zuckte bedauernd mit den Schultern: "Dass du überhaupt so lang hier sein kannst und dir scheinbar bewusst bist, dass du nicht träumst, sondern eine andere Welt besuchst, das ist für mich schon ein unerklärliches Wunder. Von so etwas hatte ich noch nie gelesen, geschweige denn gehört. Aber manchmal gibt es keine Antworten - in keinem Buch des Universums."
Ich verzog meine Mundwinkel nach unten: "Ja, anscheinend gibt es für die wichtigsten Fragen keine Antworten."
Plötzlich durchzog mein Körper ein ziehendes Gefühl, so, als ob ich mich im freien Fall befinden würde. Ich sah nur noch Xamor erschrocken aufblicken - dann ragte Ralfs Gesicht vor mir auf.