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13. Verwirrung
ОглавлениеBis zum Mittag schlummerte ich, wankte nach dem Aufwachen schlaftrunken ins Wohnzimmer, Ralf saß bei einem Kaffee, schenkte mir auch einen ein und genoss den bitteren Geschmack in meinem Mund. Ralf fing an zu plaudern, was er in seinem letzten Urlaub gemacht hatte. Ich hörte nur mit halben Ohr hin und trank noch eine zweite Tasse Kaffee, bis ich vorsichtig fragte, ob er nicht auch Hunger hätte. Wir hielten uns gar nicht erst mit dem Frühstück auf, sondern wärmten uns die Spaghetti vom Vorabend auf.
"Ich werde Yan und David vermissen. Sollen wir sie besuchen?"
Ralfs volle Gabel fiel ihm aus der Hand klirrend in den Teller. So verwirrt hatte ich ihn noch nie gesehen.
Er fragte nur: "Wie?"
Ich lächelte irritiert, wieso war er so verstört?
"Na, die beiden haben doch gesagt, dass jetzt ein Tunnel von unserer in ihre Welt geöffnet ist. Dann müsste doch auch ich in ihre Welt kommen!"
Ralf sah nachdenklich aus: "Und die Gefahren?"
Darüber hatte ich mir auch schon Gedanken gemacht: "Wenn wir nur ein paar Mal hinüber gehen, wird wahrscheinlich gar nichts geschehen."
Ralf blieb skeptisch: "Was ist mit der Theorie, dass der Tunnel schon zu groß ist? Dann würden wir schon bei unserem ersten Durchgang verletzlich sein und ich hab keine Ahnung, was für Gefahren uns auf der anderen Welt erwarten! Selbst, wenn diese Theorie nicht stimmt, ab dem wievielten Besuch meinst du ist die Grenze zur Gefahr erreicht?"
"Das weiß ich nicht. Aber bei einem Besuch wird uns wohl nichts geschehen, sonst müsste es in der Menschheitsgeschichte viele 'Traum-Geschädigte' geben."
Ralf widersprach mir: "Wenn das gerade die sind, die in der Psychiatrie leben, von einer anderen Welt reden, denen nicht geglaubt wird und die deswegen als verrückt gelten?"
Ich dachte nach. Das war ein Argument. Aber mein Interesse war geweckt, ich war neugierig. Der Gedanke würde mich nie wieder loslassen, ehe ich nicht den Versuch unternommen hatte.
Ralf blickte ernst, ich auch: "Ich glaube, ich könnte es gar nicht mehr aufhalten von den beiden zu träumen - ich bin Feuer und Flamme dafür!"
"...und führe mich nicht in Versuchung!", zitierte Ralf.
"Das ist schon geschehen. Ich will der Versuchung gar nicht mehr widerstehen, warum auch? Was sollte mich jetzt noch aufhalten?"
"Das kann ich verstehen. Aber ich hab es noch nie geschafft."
Ich schob mir gerade eine Gabel voll Spaghetti in den Mund, hätte sie nach Ralfs Satz aber fast wieder ausgespuckt.
"Echt?", nuschelte ich.
"Ja. Ich hatte es schon versucht. Aber da ich es nie geschafft hatte und Yan und David mir davon abrieten, hatte ich es nicht wieder versucht."
Mir fiel etwas ein: "Wie hast du die beiden eigentlich erkannt, als sie auf der Erde bei dir auftauchten? Sie sind ja sicherlich nicht zu dir gekommen und haben gesagt: 'Hallo, du hast von uns geträumt, deswegen kommen wir jetzt öfter.'"
Ralf lachte: "Natürlich nicht. Ich habe aber auch nie so viel über meine Träume nachgedacht, sodass ich mich gar nicht mehr erinnern konnte, dass ich überhaupt von ihnen geträumt hatte. Wir lernten uns in der Bar kennen, und von da an trafen wir uns öfter - wurden dicke Freunde, wie man so schön sagt. Eines abends, wir hatten einen Grillabend hier veranstaltet, schnitt David das Fleisch für die Spieße, genauer gesagt, er versuchte es, aber seine Hand rutschte aus und er schnitt sich in die Hand, die das Fleisch hielt. Zumindest hätte er sich schneiden müssen, aber das Messer verletzte ihn nicht. Er blutete nicht, obwohl ich bei dem Schnitt schon befürchtet hatte, dass wir den Notarzt würden rufen müssen. David bemerkte meinen ungläubigen Ausdruck in den Augen und er und Yan gestanden mir den Hintergrund unserer Freundschaft. Ich verstehe die ganze Geschichte zwar heute noch nicht genau, aber das muss ich auch gar nicht, denn mir liegt viel an unserer Freundschaft. Ich nehme es hin und genieße es."
Gedankenverloren ließ ich eine Nudel vor meinem Gesicht hin und her baumeln, so, als ob ich mich selbst hypnotisieren wollte. Ich brannte innerlich vor Neugier, auf eine Welt, in der es Zauberer, Drachen, Einhörner, Symbionten, Magie und vielleicht noch viel mehr gab. Am liebsten wäre ich sofort ins Bett gegangen, um von der anderen Welt zu träumen. Meine Aufregung war aber so groß, dass ich sicher gar nicht oder nur schwer einschlafen würde. Wie sollte ich auch meinen Traum von dieser anderen Welt steuern? Und wenn ich dann von dieser Welt träumte, konnte ich nach dem Aufwachen sicher sein, dass ich wirklich in der Welt gewesen war, oder nur geträumt hatte, so wie fast jeder Mensch...?
"Erde an Alena! Hallo! Lebst du noch, oder bist du schon bei Yan und David?"
Ich zuckte schuldbewusst zusammen. Ich war meilenweit entfernt von Ralf gewesen und zusammen mit meiner komischen Reaktion die Nacht zuvor, hatte ich ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen, auch wenn ich gar nicht wusste, warum mein Körper so negativ auf ihn reagierte.
"Ja, ich bin noch da. Ich dachte gerade über die andere Welt nach. Sie ist irgendwie real, aber doch unwirklich für uns hier...", sinnierte ich.
Ralf unterbrach mich: "Gestern Nacht waren Yan und David beinahe wirklich in unserer Welt."
Ich dachte an die kleine Bisswunde an meinem Hals, fuhr mit meinen Fingerspitzen darüber und spürte die zwei verkrusteten Knoten. Ja. Sie waren wirklich da gewesen und nur die kleinen Wunden an meinem Hals überzeugten mich noch, dass ich nicht geträumt hatte.
Ralf begann, den Tisch abzuräumen und ging ins Haus. Die Sonne stand hoch und spiegelte sich in meinem Glas, das noch halb mit Rotwein gefüllt war.
Eine Idee kam mir in den Sinn, ich nahm die Rotweinflasche, füllte mein Glas auf und starrte in das rote Gefunkel, das am Glasrand, im Wein selbst und in Lichtflecken auf der weißen Tischdecke um die Wette miteinander leuchtete.
Ich würde mich so auf das Gleißen konzentrieren, wie am Tag zuvor, als ich in den Pool geblickt und von David geträumt hatte, dass ich in eine Art Trance fiel und so in die andere Welt gelangen konnte. Wenn es nicht funktionieren würde, wäre ich zwar enttäuscht, aber ich hätte es wenigstens versucht.
Die Lichtstrahlen funkelten immer stärker blutrot im und um das Glas, als würden sie mein Vorhaben unterstützen - fasziniert ließ ich meine Gedanken treiben...