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6. Lebenstraum
ОглавлениеVon einem Ort aus, in dem ich wohnte, beschloss ich durch die Berge zu einer kleinen Stadt zu laufen. Ich begann meine Wanderung, es war ein heißer Sommertag und ich war nur mit kurzen Hosen und einem leichten Shirt bekleidet. Fröhlich zog ich los und bewunderte die reine Natur, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Links und rechts von mir thronten zwei riesige Berge, die von dichten, dunkelgrün belaubten Bäumen bewachsen waren und über mir prangte ein azurblauer Himmel, dessen herrliche Pracht keine einzige Wolke trübte. Die Sonne brannte heiß auf mich herab, doch ich spürte die Hitze als angenehm, denn neben meinem Weg, der aus weichem Moos und vielen kleinen, bunten Blumen bestand, floss ein klarer Bach. Nirgendwo begegnete mir eine Menschenseele, doch ich fühlte mich nicht allein, denn diese herrliche, unberührte Natur füllte mein Herz, meine Seele voll aus. Ich wanderte stundenlang, wurde einfach nicht müde und fühlte mich wie in einem nur von mir entdeckten Paradies. Ich hoffte, dass dieser Weg nie aufhören würde.
Plötzlich begann eine Wegstrecke, in der ich durch viele Häuser hindurchgehen musste. Die Häuser waren direkt auf den Weg gebaut, dem ich schon so lange folgte. Immer eine Tür, die mich in die Häuser hinein führte und immer wieder eine Tür, die nach draußen führte, über ein kurzes Stück des Moosblumenweges, der dann wieder an einer Tür, die in ein Haus führte, endete und erst danach weiter ging. Die Häuser waren allesamt verlassen. Ich begegnete niemandem, doch bei jedem Betreten eines Hauses war ich darauf gefasst, dass ich einem Besitzer begegnen würde und ich wusste nicht, was ich dann als Grund für mein unerlaubtes Eindringen vorbringen sollte. Aber ich musste doch durch die Häuser gehen! Ich sah keinen anderen Weg, der mich an den Häusern vorbei oder darum herum führte. Eine Spannung wuchs in mir, aber sie war angenehm, denn ich war auf das Erscheinen eines Menschen gefasst. Mit der Zeit und unendlich viele Türen und Häuser weiter ließ die Spannung etwas nach. Alle Häuser waren nicht nur verlassen, sie schienen es schon seit vielen Jahren zu sein, denn sie wirkten trostlos, staubig, vernachlässigt. Das helle Sonnenlicht kämpfte sich durch das Grau der vor Schmutz erstarrten Fenster und konnte die Räume kaum mehr als in ein diffuses, trauriges Dämmern tauchen.
Als ich niemanden mehr erwartete, war ich umso überraschter, als mich eine schöne, junge Frau mit langem, lockigen, braunem Haar wie eine Freundin begrüßte, als ich gerade eine schwere, dunkelbraune Holztür in das nächste Haus öffnete.
Mein gerader Weg durch die verlassenen Häuser wurde so nach links abgelenkt, denn die junge Frau stand rechts vor mir und zeigte mir mit freundlich geöffneter Hand den Weg nach draußen.
So verließ ich dieses Haus durch den Vordereingang.
In dem Vorhof des Hauses arbeitete ein junger Mann von vielleicht dreißig Jahren und ich wunderte mich, dass er bei dieser Hitze einen blauen Overall als Arbeitsanzug trug. Er arbeitete an einer Betonmaschine und füllte mit einer Schaufel Kies hinein. Obwohl er hart arbeitete, sah ich, dass er nicht schmutzig war, so, als ob er gerade erst mit seiner Arbeit begonnen hätte. Ich blickte einem plötzlichen Impuls folgend an mir herunter und sah, dass ich ganz weiß vor Staub war, bedingt durch die lange Wanderschaft durch die verlassenen Häuser. Ich schaute wieder nach oben, erblickte die Hoftür, sah die Straße dahinter und starrte auf die zwei großen, grünen Berge, bei denen meine Wanderschaft begonnen hatte.
Plötzlich fühlte ich mich schrecklich müde, schmutzig, allein.
Ich klopfte mir heftig den Staub von meiner Kleidung und meiner Haut und ging auf den jungen Mann zu, der auf einmal, wie ich, den Wunsch verspürte mich ganz fest in seine Arme zu nehmen und an sich zu drücken.
Dieser Moment glich einer Vereinigung ausgehungerter Seelen, die endlich zusammen gefunden hatten und dieser Moment war die größte Befriedigung, die ich je in meinem Leben verspürt hatte.
Ein Ausbruch aller angestauter Gefühle, das Gefühl HEIM zu kommen!
Ich genoss dieses Gefühl des Beschütztseins, ich fühlte mich großartig, voller Zärtlichkeit angefüllt, ganz warm von dem Körper des Mannes umgeben. Dann fragte ich den Mann, wo ich sei, damit ich wusste, wie weit ich schon gelaufen war und ob es noch weit bis zu meinem Ziel sei. Der Mann nahm mich am Arm und ging wie selbstverständlich mit mir das Hoftor hinaus bis zum nahe gelegenen Ortsrand, wo sich ein Hinweisschild befand, dem ich entnehmen konnte, dass ich schon siebenunddreißig Kilometer gelaufen war. Der Mann fragte mich, wo ich hin wollte, ich sagte es ihm und er bot mir an, dass ich bei ihm übernachten könnte, denn ich würde mein Ziel an diesem Tag nicht mehr erreichen.
Ich gab ihm Recht und nahm sein Angebot an.
Erstaunlicherweise wurde es nach unserem Gespräch binnen weniger Augenblicke dunkel, wobei sich der Himmel von Blau mit herrlichen Variationen über Orange bis Rot in Dämmerungen zu einer samtschwarzen Decke verwandelte. Wir beschlossen mit der Straßenbahn zu ihm zu fahren, die es weiter unten an dem Berg gab, auf der sich diese kleine Ortschaft befand, in der ich mich gerade aufhielt. In der Straßenbahn, die lustigerweise nur aus einem Waggon bestand, trafen wir viele seiner Freunde und unterhielten uns sehr gut. Ich war stolz bei dem Mann zu sein, als seine Freundin angesehen zu werden und gab mich von meiner besten Seite, damit seine Freunde ihn um mich beneideten.
Plötzlich stürzte die Straßenbahn mehrere Meter in die Tiefe. Ein Gefühl des Fallens breitete sich in mir aus, angenehm, aber auch ein wenig mit Angst erfüllt. Der Waggon stürzte immer weiter, tiefer, länger herab und ich fieberte schon dem nächsten Fallgefühl entgegen. Der längste, erregendste Sturz beendete die Fahrt.
Ich war durcheinander, das Fallgefühl in meinem Kopf spielte sich noch mehrere Minuten virtuell ab, aber ich hatte keine Angst mehr, denn wir waren alle unverletzt. Im Haus des Mannes angekommen, legten wir uns in das große Bett, das sich mitten in einem Raum befand. Es war ein sehr altes Bett im Landhausstil: riesig, robust, urig und ganz aus massivem, dunklen Holz.
Es wurde eine lange und zärtliche Liebesnacht, in der der Mann meinen Körper wie seinen eigenen kannte und ich schwebte gemeinsam mit ihm von einem Himmel in den nächsten.
Am nächsten Abend gingen wir in die Stadt und sahen uns ein Varieté-Theater an, in dem wir selbst in Kostümen mitwirkten, die aussahen, als seien sie dem 'Sommernachtstraum' entsprungen. Manche glänzten wie die Silberstrahlen des Mondes, geheimnisvoll und wunderschön. Es war ein Stück ohne besondere Regeln oder Sprache.
Danach fuhren wir mit seinem Motorrad durch eine Stadt. Ich klammerte mich hinter ihm sitzend an ihm fest und genoss das Gefühl der hohen Geschwindigkeit. Er fuhr über eine riesige, sechsspurige Autobahn, die manchmal bis in den Himmel ragte und sich in zahllosen Schleifen und Serpentinen über und unter sich selbst hindurch schlängelte. Die Autobahn fuhr direkt an seinem Haus vorbei und ich sah, dass sich die Gegend verändert hatte. Das kleine Dorf, in dem ich aufgewacht war, vegetierte wie eine verlorene Anlage dahin, in der eigentlich eine Großstadt hätte stehen müssen.
Das Haus selbst, wie auch das Bett darin, hatten sich nicht geändert, wie ich erleichtert feststellte, als wir unsere Fahrt dort beendeten.
Aber der Mann, den ich hier kennen gelernt hatte!
Er wirkte von Minute zu Minute älter. Er blickte mich ernst an, ich wusste noch nicht einmal wie er hieß, und fragte mich, ob ich ihn heiraten wolle und ich sagte zu meiner eigenen Überraschung "Ja".
Etwas in mir begann zu rebellieren, als der Mann nach meinem "Ja" anfügte, dass dies für immer wäre, und dass er keinen Spaß verstehen würde, sollte ich es mir noch einmal anders überlegen.
Ich fühlte mich immer schlechter, mein Bauch schmerzte und ich sah nur noch eine Möglichkeit aus dieser Situation heraus zu kommen. Ich fragte ihn, ob er Kinder von mir bekommen möchte, denn das wollte ich unbedingt und da würde ich keinen Spaß verstehen. Sollte er das nicht wollen, würde ich das "Ja" wieder zurücknehmen müssen. Zu meinem Entsetzen strahlte er mich an und sagte, dass er sehr gerne, sehr bald von mir Kinder haben möchte.
Ich überlegte und fand mich mit dem Gedanken ab, dass ich ihn heiraten würde, ihn, dessen Namen ich noch nicht einmal kannte, wohl aber die Gefühle, die ich hatte, als ich ihm zum ersten Mal im Vorhof des Hauses gegenüberstand. Er fixierte mich ernst und sagte, dass er zwar wie dreißig Jahre aussehen würde, in Wirklichkeit aber schon fünfzig Jahre alt wäre.
In mir brach eine Welt zusammen und sämtliche Gefühle stürzten auf mich ein. Ich fühlte mich verraten, benutzt, in einer Sackgasse, aus der es keinen Ausweg, kein Zurück mehr geben würde, doch ich akzeptierte es schon im gleichen Augenblick und freute mich über meinen Mut, die von mir getroffene Entscheidung zu tragen.