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4. Todestraum
ОглавлениеDer Rest der Woche verging wie im Fluge, das Wetter war weiterhin wie im Bilderbuch sonnig und warm und alle Menschen waren fröhlich und schienen nur Gutes im Sinn zu haben. Wehe, das Wetter würde wieder schlechter werden...
Ich sah dem Wochenende zufrieden entgegen, denn das Wetter schien sich zu halten. Am Freitag lag ich dann faul am Strand des kleinen Baggersees der Stadt, an dem ich mich immer erfrischte. Mein vor mir liegender dreiwöchiger Urlaub versprach Entspannung und Erholung pur! Ich hatte mich gerade gemütlich auf den Bauch gedreht, als ich wieder diesen Blick zwischen den Schulterblättern spürte. Wie elektrisiert fuhr ich auf und hinter mir stand der gleiche Mann, den ich in der Stadt getroffen, aber schon längst vergessen hatte!
"Alena?" sah er mich fragend an.
Ich stand erschrocken auf: "Woher wissen sie meinen Namen?"
In der Stadt hatte ich ihn nicht genannt. Plötzlich durchfuhr mich eine Erinnerung, wie ein Blitz schoss sie durch meinen Körper, ein schmerzhafter Stich kroch in meine Eingeweide und ich sah den Traum, den ich mittags vor wenigen Tagen hatte, vor meinem inneren Auge vorbeiziehen:
Ich stand alleine in der Küche. Es war ein sehr großer und freundlicher Raum. In der Mitte stand ein Tisch, mehrere Gläser befanden sich darauf, so, als ob sie jemand kurz zuvor benutzt hatte. Die Arbeitsplatte rechts von mir war groß und hell. Weiße Fließen rundeten das Gesamtbild ab. Ich stand mit dem Rücken zum Fenster, die Sonne wärmte mich. Doch sie wärmte nur meinen Körper, denn ich spürte eine eisige Kälte in mir. Verzweiflung! Vor mir saß ein Mann in einem Rollstuhl und sagte mir, dass er mich umbringen würde. Er und ich wussten nicht wieso, aber wir wussten beide, dass es geschehen würde. Es war die Gewissheit, dass es geschehen würde, die die eisige Kälte in mir verursachte. Es war grotesk. Ich hätte versuchen können zu fliehen, denn auch die Tatsache, dass er zwischen mir und der Tür stand, die meine letzte Rettung gewesen wäre, hätte mich nicht mutlos werden lassen sollen. Ich hätte es versuchen sollen, aber ich tat es nicht. Etwas in seinen Augen, die nicht irre aufblitzten, ließen mich dieses Vorhaben gar nicht erst weiter in Gedanken fassen.
Er sagte einfach: "Alena, komm her."
Nicht drängend, nicht böse, einfach nur sanft und sachlich. Ich ging langsam zu ihm, kniete vor ihm nieder. Er hielt ein gewaltiges Messer in der Hand und setzte es vorsichtig an meiner Kehle an.
Ich flehte ihn an: "Nein."
Doch er nickte nur traurig, ernst. Ich stand schnell auf, warf mich zurück an die Wand, spürte die kalte, raue Oberfläche des Putzes, drückte mich Hilfe suchend daran. Der Mann bewegte sich nicht. Er wusste, dass ich kommen würde, wieder zu ihm kommen würde. Ich kannte ihn nicht, aber ich wusste, dass er mein Mörder werden würde.
Er nannte mich wieder bei meinem Namen: "Alena."
Ich fing an zu weinen: "Nein. Bitte! Tu es nicht. Ich habe solche Angst vor den Schmerzen."
Ich ging wieder zu ihm, wandte mich wieder ab. Obwohl er mich noch nicht verletzt hatte, spürte ich Schmerzen an meiner Kehle. Meine Angst vor dem Tod war gering, aber die vor den Schmerzen, die das gewaltsame Hinübergleiten in den Tod begleiten würden, war groß. Dann atmete ich ganz ruhig, hatte mich gefasst. Ich ging auf dem Mann zu, kniete vor ihm nieder, war bereit. Er setzte die kalte Klinge so an meiner Kehle an, als ob er versuchte, mir so wenig Schmerzen wie möglich zuzufügen. Dann schnitt er meine Haut ganz leicht an. Jetzt war ich auf den endgültigen Schnitt vorbereitet – der Schmerz konnte kommen. Ich sah ihm erst in die hellgrünen Augen, dann schloss ich meine Augen langsam, spürte den ziehenden, tiefen Schmerz, als er mir von rechts nach links die Kehle durchschnitt.