Читать книгу Wandlerin zwischen den Welten - Bianca Wörter - Страница 5
3. Erste Begegnung
ОглавлениеDurch irgendetwas wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, konnte aber im ersten Moment nicht sagen, durch was.
Ich spürte es - den viel beschriebenen, aber nie erlebten stechenden Blick, den man zwischen den Schulterblättern verspürt und der sich unangenehm anfühlte.
Ich wollte mich umdrehen, weil ich zuerst dachte, dass es ein Bekannter war, der mich gesehen hatte und mich begrüßen wollte, aber ich zog es vor zuerst einmal das Schaufenster als Spiegel zu benutzen, damit ich in Ruhe überlegen konnte, wie der Name desjenigen war, und nicht erst in einer peinlichen Pause überlegen musste, wie er hieß - chaotisch, wie ich war, passierte mir das dann und wann. Komisch - ich empfand diesen Blick auf meinen Hinterkopf sofort als männlich.
Ich versuchte unauffällig das Gesicht, das ich über mir im Schaufenster entdeckte, zu studieren, wurde aber vom Räuspern des Mannes gestört und konnte nicht länger so tun, als ob ich ihn nicht bemerkte, ohne dass es peinlich wurde.
Ich drehte mich langsam um, mit einem Lächeln auf den Lippen, das schließlich, als ich die Drehung beendet hatte, zu Eis gefror. Ich hatte den Mann noch nie gesehen, aber ich kannte ihn, ich wusste nur nicht woher! Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen ging es ihm genauso.
Er fasst sich als erster und sagte kurz: "Entschuldigen sie bitte, aber ich glaub, ich habe sie mit jemandem verwechselt."
Ich lachte unsicher: "Komisch, ich dachte auch im ersten Moment, dass ich sie kennen würde. Ich weiß nur nicht woher."
'Wieso bin ich so ehrlich zu ihm?', wunderte ich mich.
Der Mann war nicht bereit, das Ganze als harmloses Versehen abzutun: "Habe ich sie vielleicht schon einmal im Fernsehen gesehen? Ich kann mich wirklich nicht persönlich an sie erinnern, aber vielleicht hatten sie einen kurzen Auftritt in einer Serie?"
Diese Art von Anmache fand ich wirklich ziemlich plump, aber ich beschloss es locker zu sehen: "Das ist zu viel der Ehre. Nein, das kann nicht sein."
Wo war auf einmal meine Schlagfertigkeit hin? Sah der Mann zu gut aus? War seine Stimme zu erotisch tief? Verlegenheit machte sich breit und Fußgänger um uns sahen bestimmt schon die Rauchwolken über unseren Köpfen, weil jeder sich Gedanken machte, wie er nun möglichst unspektakulär aus dieser Situation herauskommen konnte.
Ich fasste als erste den Entschluss, diesen augenblicklichen Zustand nüchtern zu beenden: "Nichts für Ungut. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag."
Er verabschiedete sich mit einem Lächeln und wir gingen unserer Wege, aber ich ertappte mich dabei, wie ich noch ein paar Mal verstohlen den Kopf nach ihm drehte und weiter grübelte, woher ich diesen Mann kannte. Einmal erwischte ich ihn auch dabei, wie er sich nach mir umdrehte.
Normalerweise hätte ich das Ganze spätestens nach wenigen Minuten als persönliche Spinnerei meinerseits abgetan, aber da es dem Mann genauso wie mir ergangen war, gelang es mir nicht, meine Gedanken völlig zu ignorieren.
Ich versuchte mich zu erinnern, aber es gelang mir nicht, den jungen Mann, der etwa in meinem Alter war, irgendwo einzuordnen.
Ich ging zu einem kleinen Springbrunnen, setzte mich auf den Rand, zündete mir eine Zigarette an und rauchte nachdenklich, bis ich mir fast die Finger am Filter verbrannte. Dann gab ich es auf, weiter darüber nachzudenken. Erfahrungsgemäß kam ich schneller an mein Ziel, wenn ich nicht mehr nachdachte, sondern meine Gedanken anderweitig treiben ließ - sonst würden meine grauen Gehirnzellen einen Kurzschluss erleiden, so sehr konnte ich mich in eine Sache verrennen.
Ich beschloss, nach Hause zu fahren. Kaum war ich in meiner Wohnung angekommen, hatte ich die merkwürdige Begegnung vergessen. Der frühe Abend ging für mich sehr geruhsam zu Ende und nachdem ich noch ein wenig Musik gehört, ein Glas Wein getrunken hatte, legte ich mich in mein Bett und schlief sofort ein.