Читать книгу Zähmung des Feuers - Billy Remie - Страница 12
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ОглавлениеEr saß mit dem Gesicht zur untergehenden Sonne und hielt seine Augen geschlossen, während die roten und orangefarbenen Strahlen auf seine vom langen Winter blasse Haut trafen. Am Horizont ging, wie jeden Abend, der riesige Feuerball hinter den bewaldeten Gebirgen Carapuhrs unter, ohne Rücksicht auf jene zu nehmen, die sich vor der Einsamkeit der Nacht fürchteten.
»Darf ich mich neben dich setzen?«
Luro öffnete seine Augen und wandte das Gesicht zu Allahad um, der in einfachen Kleidern und einem leichten, dunklen Umhang neben ihm auf der Mauer stand und ihn flehentlich ansah.
Nickend rückte Luro ein Stück, um seinem Geliebten zu bedeuten, dass er seine Gesellschaft nicht ablehnte.
Mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen, nahm Allahad auf dem verlassenen Mauerstück Platz und ließ genau wie Luro die Beine hinabhängen.
Luro zog die dicke Wolldecke enger um die Schultern und starrte den Sonnenuntergang an. Nicht mehr lange und die Dämmerung würde ihr trostloses Grau über Carapuhr legen.
Allahad starrte ebenso zum Horizont hin, er schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass er tot ist.«
Es stiegen Luro wieder Tränen in die Augen. In den letzten Tagen hatte er nichts Anderes getan als geweint, nicht einmal Allahad hatte ihn trösten können.
Allahad wandte ihm das Gesicht zu. »Ich habe ihn auch verloren, Luro.« Er suchte ebenso nach Trost, und Luro kam sich schrecklich vor, weil er nicht für ihn da gewesen war.
Sie hatten ihn beide verloren, das stimmte.
Luro schloss die Augen und atmete tief durch. Leise, als hätte er keine Kraft zu sprechen, erwiderte er: »Ich weiß.«
»Es tut mir so leid.« Allahads Stimme brach, er kämpfte mit den Tränen. Er war es nun, der den Kopf hängen ließ und die Hand vor den Mund schlug.
Luro hob einen Arm und strich ihm über sein schulterlanges Haar. »Mir auch.«
In den letzten Wochen hatte er sich oft die Frage gestellt, wie das alles geschehen konnte. Er erinnerte sich noch, wie Desiderius ging, um Melecay und Karrah zu verabschieden. Desiderius war nicht lange fort, als wie aus dem Nichts der Angriff kam.
Luro wusste noch, wie er und Wexmell sich darangemacht hatten, das Chaos zu beseitigen, das Melecay und seine Männer hinterlassen hatte. Wexmell hatte einen Scherz bezüglich der Mentalität der Barbaren gemacht, an den sich Luro nicht mehr erinnern konnte, weil sich in diesem Moment ein Meuchelmörder aus dem Raum hinter Wexmell aus den Schatten gelöst und ihm den Arm um den Hals geschlungen hatte. Luro hatte noch nach dem Schwert gegriffen, als er eine Klinge in den Rücken bekam. Den Schmerz hatte er nur kurz gespürt, dann war ihm etwas über den Kopf gezogen worden. Danach war es sehr lange schwarz gewesen.
Und als er die Augen wieder öffnete, war nichts mehr wie vorher.
Allahad war bereits eine Woche vor ihm erwacht, er hatte eine schlimme Brustwunde erlitten, die Karrah heilen konnte. Ohne sie wären sie alle tot. Karrah hatte ihm erzählt, dass sie auf der Heimreise einen plötzlichen Schmerz in der Brust bekam und eine seltsame Vorahnung hatte. Sofort war sie mit Melvin und Melecay zurückgekehrt. Doch sie hatte nur noch sie drei vorgefunden. Halbtot. Nur dank ihrer Kräfte hatten sie überlebt und waren wieder aufgewacht.
Doch ihre Vorahnung war für einen zu spät gekommen; vielleicht sogar für zwei.
Desiderius war fort.
Melecay hatte sofort gewusst, wer dafür verantwortlich war, und versucht, Desiderius zu retten. Vergebens, wie sie nun wussten.
Desiderius war hingerichtet worden.
Luro schloss die Augen, Tränen liefen ihm über die Wangen. Er wusste nicht, was sie jetzt tun sollten. So hätte es nicht ausgehen dürfen.
»Um Wexmell steht es nicht gut.« Allahad wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und schniefte. »Er wacht einfach nicht auf, und das Fieber kocht ihn geradezu. Karrah glaubt, es dauert jetzt nicht mehr lang, bis sein Herz aufgibt …«
»Er wird es nicht schaffen.« Luro musste erneut damit kämpfen, nicht wieder in seiner Verzweiflung zu baden. »Ich kann es nicht glauben, dass Rahff es letztlich doch geschafft hat, ihn zu töten. Nach allem, was wir durchstehen musste, um ihn zu beschützen …«
Allahad sah Luro an und gestand schuldbewusst: »Ich bin froh, dass du noch lebst.«
Lange betrachtete Luro seinen Geliebten. Er teilte die Gefühle, die in Allahads Augen standen, mehr als er in Worten hätte ausdrücken können. Doch sein Blick glitt hinab auf seine Hände. Alte Hände. Es waren die Hände eines gealterten Mannes. Es wunderte ihn ohnehin, dass Allahad all die Jahre treu zu ihm gestanden hatte, obwohl er immer älter wurde, während Allahad der junge, schöne Mann blieb, der er seit sie sich kannten gewesen war.
Allahad legte Luro einen Knöchel unter das Kinn und zwang ihn, ihm wieder in die Augen zu blicken. Liebe und Zärtlichkeit spiegelte sich in Allahads Blick, was Luro sofort traurig lächeln ließ.
»Ich wünschte, ich hätte für dich ebenso ewig jung bleiben können, wie du für mich.«
Allahad schüttelte ernst den Kopf. »Du bist der schönste Mann, der mir je begegnet ist, auch jetzt noch. Und wirst es immer sein.«
Doch Luro spürte schon seit einiger Zeit Allahads Trauer, immer dann, wenn er glaubte, Luro würde ihn nicht beobachten. Allahad fürchtete sich vor dem Tag, an dem Luro gehen und er noch weitere Jahrhunderte weiterleben musste. Daran hatten sie kaum einen Gedanken verschwendet, als sie sich vor zwanzig Jahren ihre Liebe gestanden hatten. Aber egal wie es ausgehen würde, die letzten zwei Jahrzehnte waren es allemal wert gewesen.
Allahad beugte sich vor und küsste mit seiner ihm eigenen Zagheit Luro auf die Lippen.
Luro lächelte etwas aufgemuntert. Er würde noch lange um Desiderius trauern, ebenso wie Allahad. Sie beide hatten einen langjährigen Freund verloren, den sie beide auf ihre Weisen geliebt hatten.
Aber sie hatten sich, um sich zu trösten.
Was würde Wexmell empfinden, wäre es ihm möglich, von dem Tod seines Geliebten zu erfahren?
Vielleicht, so dachte Luro bedauernd, war es ein Segen, dass Wexmells zwar atmete, aber wohl nie wieder die Augen öffnen würde. Vielleicht sollten sie es beenden, überlegte Luro traurig, damit die beiden in der Nachwelt wieder vereint waren.
Allahad wandte Luro das Gesicht zu, kalte Entschlossenheit stand in seinen braunen Augen, als Luro seinen Blick erwiderte. »Ich werde beide rächen, egal wie.«
Luro wandte das Gesicht dem Sonnenuntergang zu und dachte daran, was Desiderius wohl an ihrer Stelle getan hätte. Säßen er und Wexmell hier und wären Luro und Allahad auf so feige Weise getötet worden, hätten die beiden nicht gezögert, dieses Verbrechen zu sühnen.
Grimmig und mit dem Feuer der Rache im Herzen blickte er zu den Bergen, hinter jenen Spitzen das Meer lag. »Melecay muss uns ein Schiff borgen.«
Allahad nickte noch, als sie plötzlich Schritte auf der Mauer vernahmen. Beide drehten sich zu dem jungen Mann um, der zu ihnen gerannt kam, sodass seine eiserne Rüstung klapperte. Seine Eile schreckte einen Drachen auf, der auf dem Dach eines Turms geschlummert hatte und nun mit einem mürrischen Kreischen abhob und einen Kreis um die königliche Burg zog, eher er für ein frühes Abendessen in den Wäldern verschwand.
Der junge Mann von der Wache war vor dem Drachen zusammengezuckt, nachdem das Tier jedoch fort war, eilte er wieder auf Luro und Allahad zu.
Er zog den Helm ab, darunter kam sein jungenhaftes Gesicht und langes, blondes Haar zum Vorschein.
»Herr Allahad, Herr Luro«, begrüßte er sie und verneigte sich kurz vor ihnen.
Sie nickte ihm stumm zu. Wenn jemand eine Wache nach ihnen schickte, konnte dies nichts Gutes bedeuten.
»Lady Karrah schickt mich zu euch«, erklärte der junge Mann und runzelte bedauernd seine Stirn. »Ihr beide sollt unverzüglich in den Krankenflügel kommen.« Er machte eine bedeutsame Pause, obwohl allen deutlich vor Augen stand, weshalb Karrah nach ihnen rief. »Wenn ihr noch Abschied nehmen wollt, sagt sie, solltet ihr euch besser beeilen.«
Luro und Allahad waren bereits aufgesprungen und eilten in die Burg zurück.
Dann war es jetzt wohl soweit, dachte Luro voller Trauer, aber immerhin waren Wexmell und Desiderius wieder vereint. Jetzt konnten sie die Ewigkeit zusammen verbringen.