Читать книгу Zähmung des Feuers - Billy Remie - Страница 7
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ОглавлениеDas Gasthaus Zum Raben war es an diesem Abend besonders gut besucht. Die Soldaten, die zusammen mit Lord Schavellen zu Besuch auf der Schwarzfelsburg waren, hatten sich zu einem Großteil in der Stammeskneipe des legendären Reitertrupps versammelt, ganz zum Verdruss der Reiter, die hier eigentlich ungestört unter ihresgleichen bleiben wollten.
Arrav trank den letzten Schluck seines wässrigen Weines aus und winkte einem der Mädchen, damit sie ihm nachschenkte. Er und seine Kameraden saßen an ihrem Stammtisch in einer hinteren Ecke, die Bar vor den Augen und die Vordertür zu Arravs Rechten. Während er mit großem Neid in den üppigen Ausschnitt der jungen Damen blickte, die sich über den Tisch beugte und seinen Becher mit dunkelrotem Wein füllte, betrachtete Solran, der dicht neben ihm saß, mit Argwohn die Soldaten an den anderen Tischen.
Sie lachten, sie grölten, sie grabschten nach den Mädchen – die auf die elegante Schönheit der Menschen aus den Ebenen hereinfielen. Ob schöner oder hässlicher Mann, Arrav und Solran wussten, dass es keinen Unterschied machte, wenn sich ein betrunkener Halunke über ein Mädchen hermachte, konnte es für die Dame unschön enden, egal, wie gutaussehend der Soldat auch sein mochte. Und mit Soldaten war ohnehin nie zu spaßen, nach dem Krieg waren sie alle ziemlich abgestumpft, viele ließen sich ungern erst willig machen und dann zurückweisen. Aber die dummen, kleinen Mädchen wussten das noch nicht, der Krieg war hier noch so weit entfernt, dass sie davon keine Ahnung hatten. Frohen Mutes schäkerten sie mit den Männern, ließen ihre Brüste aus den einfachen Kleidern herausfallen, um das Geschäft anzukurbeln.
Zum Ende der Nacht hin würden sie es alle bereuen.
Das blonde Mädchen, das Arrav einschenkte, lächelte ihm freundlich zu und zog dann wieder von Dannen, um sich lohnenswerteren Tischen zuzuwenden. Arrav schüttelte schlecht gelaunt den Kopf. Normalerweise standen sie bei ihm Schlange, wenn er ihnen die Ehre erwies, hier einzutrudeln. Unter den Adeligen mochten er und seine Kameraden nur Abschaum sein, aber das einfache Volk wusste, was sie leisteten. Hier waren sie Helden, und ein Held schlief in der Heimat nie allein.
Während Solran zu Hause eine Frau und Kinder hatte, die ihn erwarteten, wurde Arrav stets von hinreißenden, schönen und jungen Damen warmgehalten, sobald die Nacht hereinbrach. Oft kam es vor, dass er gleich mehrere gleichzeitig beglückte. Immer auf der Suche nach diesem einem, atemberaubenden Erlebnis – das jedoch ausblieb. Egal, wie viele schöne Frauen sich um seine Bedürfnisse kümmerten, etwas fehlte immer. Es war immer gut, aber es war nie genug. Es konnte nicht genug sein. Arravs Verlangen richtete sich auf alles und jeden, je ungewöhnlicher – je verbotener – je größer war der Reiz auf ihn. Er hatte von der Hure bis zur edlen Dame, von einer jungen, gerade erblühten Frau bis hin zur vertrockneten, alten Hexe alles bei sich liegen gehabt. Es war immer ausreichend gewesen, aber danach hatte er schon das nächste Abenteuer gesucht.
In dieser Nacht sollte es wohl ausbleiben … Und dann, als er es schon aufgeben wollte, erblickte er das unverkennbare Lächeln der Schankfrau hinter der Bar. Sie war eine füllige Frau mit einem großen Busen, den er unmöglich mit einer Hand umfassen konnte. Livea war eine alte Freundin, Arrav und sie vergnügten sich oft zusammen, er liebte ihr ausladendes Hinterteil, außerdem wusste sie, wie sie ihn reizen konnte. Wenn er schon keines der Mädchen haben konnte, würde er sich eben mit ihr begnügen, sofern ihr Ehegatte – wie an fast allen Abenden – betrunken hinten bei den Weinfässern seinen Rausch ausschlief.
Doch er wusste schon jetzt, dass nach dem Schäferstündchen nur Leere in ihm zurückbleiben würde. Er würde sich wieder einmal vorkommen, als habe er ein Schauspiel hinter sich gebracht. Wieder würde er sich unerfüllt und deshalb benutzt fühlen. Allerdingst konnte er nicht in Worte fassen, was er stattdessen suchte. Er begehrte Frauen, das wusste er, doch wie sie mit ihm zusammen sein wollten, gefiel ihm nicht auf Dauer.
»Das sie sich nicht wie Feiglinge vorkommen.«
Misas Worte lenkten Arrav ab. Er blickte dem Jungen, der ihm gegenüber auf einem Stuhl saß, ins Gesicht. Misa nickte zu einem der Soldatentische.
Arrav folgte dem Nicken mit seinem Blick, doch es war Solran, der etwas erwiderte.
»Feiglinge wissen selten, dass sie feige sind«, murrte der Reiter und hob seinen Becher zu den vollen Lippen.
Arrav blickte Solran besorgt an und fragte: »Du denkst doch nicht, dass sie Cohen dafür bestrafen, ihnen nicht bei der Plünderung geholfen zu haben?«
Solran senkte den Blick auf die Tischplatte und zuckte mit den Schultern. »Vor einigen Monaten hätte ich es nicht für möglich gehalten, aber nachdem selbst der letzte Erbe des Königs hingerichtet wurde … Keine Ahnung, was sie dann mit einem Bastard anstellen, der Befehle verweigert.«
Arrav wollte sich nicht anmerken lassen, wie sehr er sich um Cohen sorgte. Er trank von seinem Wein.
Misa blickte zwischen ihnen beiden hin und her. »Der Kommandant kommt mir sehr … griesgrämig vor.«
Arrav schnitt den Jungen mit einem Blick, aber Solran legte ihm die Hand auf die Schulter, um ihn zurückzuhalten. Der Junge wusste es ja nicht besser.
An Misas erstem Tag war er sofort mit Cohen aneinandergeraten, weil Misa große Töne gespukt hatte, er wäre furchtlos und der beste Kämpfer weit und breit. Cohen hatte ihn in einem Duell eines Besseren belehrt und ihn hinter her regelrecht vor ihnen allen zur Sau gemacht, weil er von Misa Disziplin verlangte. Es ging Cohen nicht nur darum, ihn zurecht zu weisen, Arrav wusste besser als jeder andere, das Cohen von seinen Männern Konzentration statt Prahlerei erwartete, immerhin mussten sie sich im Kampf alle aufeinander verlassen können. Wenn auch nur einer den Helden spielen wollte, konnte das für alle gefährlich werden.
»Cohen ist ein guter Anführer«, sagte Solran versöhnlich, »du wirst es noch sehen.«
Iksbir und Ugrath, die neben Misa saßen, meldeten sich nun auch zu Wort.
»Cohen weiß, was er tut, hör besser immer auf ihn«, beschwor ihn Ugrath.
Und Iksbir fügte an: »Er ist vielleicht streng, aber er versucht nur, dich zu beschützen.«
»Ich erzähl dir etwas über unseren Kommandanten«, beschloss Arrav und lehnte sich mit den Armen auf den Tisch, um seine Lieblingsgeschichte zu erzählen.
Misa beobachtete ihn neugierig.
»Cohen ist ein Mann, der die Verantwortung für uns übernimmt und im Kampf sein Leben immer für unseres riskiert. Ich weiß noch, wie er mich im Alleingang rettete, als ich bei einer Schlacht gefangen genommen worden war.«
Misa hing bereits jetzt an seinen Lippen. »Du wurdest gefangen genommen?«
»Ja«, bestätigte Arrav mit dem Kopf nickend. Er wusste, wie er eine gute Geschichte erzählen musste und senkte die Stimme zu einem Raunen, um seine Worte wie ein Geheimnis klingen zu lassen. »Die Goldis erwischten mich und pferchten mich zusammen mit einigen anderen Überlebenden auf Karren. Sie wollten uns in ihre Kampfarenen bringen. Sie zogen uns nackt aus, quälten und folterten uns, damit wir zu schwach zum Fliehen waren. Als Cohen bemerkte, dass ich fort war und meine Leiche nicht unter den Gefallenen entdecken konnte, wollte er nicht hinnehmen, dass ich tot bin, und nahm die Verfolgung der Karren auf.«
Misa starrte ihn ungläubig an, seine Lippen standen offen.
»Cohen befahl den anderen«, Arrav nickte zu Solran und den Brüdern Iksbir und Ugrath, »im Lager zu bleiben. Er wollte ihre Leben nicht aufs Spiel setzen. Er gab sich die Schuld, dass mir etwas zugestoßen war, obwohl es mein eigenes Verschulden war, da ich nicht in seiner Nähe bleiben wollte und den Helden gespielt habe.«
Solran grinste neben Arrav und verdeckte es, indem er aus seinem Becher trank. Sie alle wussten, dass Arrav gefangen genommen worden war, weil Cohen ihn losgeschickt hatte, um den Angreifern in die Flanke zu fallen, mit dem Bogen. Doch sie hatten nicht gewusst, dass noch mehr Späher im Wald lauerten – die Tiefen Wälder waren tückisches Gebiet für beider Seiten – und so war Arrav direkt in die Arme des Feindes gelaufen, weshalb aber keiner Cohen einen Vorwurf machte, denn keiner hätte dies ahnen können. Aber das musste Misa nicht wissen, der Junge musste nur lernen, auf Cohen zu hören.
»Cohen verfolgte die Goldis zu Pferde, bis er nahe genug war«, fuhr Arrav fort. »Ganz alleine schaffte er es, die gut bewachten Karren zu befreien, indem er wie eine Schlange aus den Schatten zuschlug. Die Angreifer haben ihn nicht zu Gesicht bekommen, es war, als wäre er unsichtbar.«
Misa runzelte skeptisch seine Stirn. »Also ich habe gehört, Cohen sei alles andere als ein guter Kämpfer.«
»Das ist eine Lüge!«, donnerte Arrav.
»Arrav…«, murrte Solran tadelnd.
»Eine Lüge«, beharrte Arrav nun etwas ruhiger. »Cohen ist ein verdammt guter Soldat! Der beste Reiter, vielleicht kein Meister als Schwertkämpfer, aber überdurchschnittlich gut, möchte ich behaupten. Ich sehe es bei jedem Kampf mit eigenen Augen!« Und es war so unendlich traurig, dass einige Adelige sich das Maul über Cohen zerrissen, nur weil er nicht so gut wie Cocoun im Zweikampf war. Doch Arrav und Cohens andere Männer wussten um die Fähigkeiten ihres Befehlshabers und schätzten Cohens Können. Leider hatte das Geschwätz der Adeligen jedoch dazu geführt, dass Cohen das Gerede selbst glaubte und sich derart unzulänglich fühlte, dass es Arrav jedes Mal leidtat, wenn Cohen ein Duell zu Vorführungszwecken verlor, weil dieser dann sehr unter Selbstzweifel litt. Cohen hatte von ihnen allen mit seinem Leben als Bastard am meisten zu kämpfen, denn die meisten Bastarde wurden ignoriert, während der Bastard des Königs stets unter großem Leistungsdruck stand, um seinen Wert zu beweisen. Und Arrav mochte Cohen unheimlich, weshalb er stets für ihn einstehen würde, wenn jemand, wie Misa an diesem Abend, unwissendes Gerede weiter plapperte.
»Cohen hat mir das Leben gerettet, ganz allein«, fuhr Arrav fort, »mit einigen Pfeilen und einem Bogen, und auch mit dem Schwert; er kann mit allem umgehen. Er stellte sich ganz allein gegen eine Gruppe Angreifer, nur um mich zu retten, und er siegte, wie meine Anwesenheit hier deutlich beweist.«
»Ist das wirklich wahr?«, fragte Misa ungläubig.
Die vier Männer nickten zustimmend, obwohl sie etwas übertrieben. Cohen war ein guter Kämpfer und er war listig und geschickt, jedoch auch nicht unverwundbar. Die Feinde hatten Cohen verletzt, doch er hatte einfach Glück gehabt. So war das eben manchmal.
»Er befreite mich«, sagte Arrav und konnte kein Lächeln verbergen, »und ich bin ihm bis heute mein Leben schuldig.« Er prostete Misa zu und trank von seinem Wein.
»Ich weiß noch, dass wir dachten, beide seien verloren«, erinnerte sich Solran und sah mit einem Blick ins Leere, der in die Vergangenheit reichte. »Noch heute sehe ich, wie der Umriss eines Mannes im Morgenrot auftauchte – und Cohen, überströmt mit fremden Blut, aus dem Wald trat, den nackten und gefolterten Arrav über seinen Schultern.«
Iksbir und Ugrath nickten. »Ein Anblick für die Götter.«
Arrav konnte nicht in Worte fassen, wie viel er für Cohen empfand, seit dieser sein ganz persönlicher Held gewesen war. So etwas verband auf eine Weise, die ein Außenstehender nie begreifen würde. Kameraden im Krieg waren mehr als Brüder.
Misa sah sie nacheinander an und senkte dann entmutigt den Kopf. Er starrte in seinen Becher und hauchte: »Ich hatte Angst, als ich zusah, wie die Soldaten aus Dargard diese Priester abschlachteten.«
»Angst zu haben ist keine Schande«, sagte Arrav versöhnlich. »Wir haben alle Angst.«
Der Junge hob den Kopf und blickte sich unsicher um. Er sah die Gesichter von vier ernsten Männern, die ihm bestätigend zunickten. Das brachte ihn wieder zum Lächeln.
Eine Weile blieb es still, während sie alle ihren eigenen Gedanken nachhingen. Arrav sah sich in der Taverne um, Fackeln und Kerzen spendeten nur spärlich Licht, es gab viele dunkle Ecken. Die Jagdtrophäen an den Holzwänden warfen düstere Schatten, und Spinnen kamen aus ihren Löchern, um die zahlreichen Netze nach Beute abzusuchen.
»Ob sie ihn zum Erben machen?«, fragte Arrav leise in die Runde. Er musste nicht erwähnen, wen er meinte, es lag auf der Hand, denn es gab nur einen Sohn des Königs.
Die anderen wirkten wenig hoffnungsvoll.
Solran antwortete mit ebenso leiser Stimme: »Wollen wir es hoffen.«
»Nein«, warf Iksbir ein, »wollen wir hoffen, dass er dann dazu bereit ist.«
Arrav trank wieder von seinem Becher. Er und seine Männer würden nie von Cohen erwarten, dass er den König verriet. Ihnen allen ging es seit der Hinrichtung des letzten Prinzen lediglich darum, Cohen dazu zu bringen, sein Recht auf das Erbe einzufordern. Cohen wäre ein besserer Monarch als die Schavellens – die keinerlei Recht auf die Krone hätten. Darüber hinaus hofften Arrav und seine Freunde, das Cohen, sollte der unglaubliche Fall eintreten und er König werden, bereit dazu war, mit den Rebellen Frieden zu schließen und die Zwänge der Kirche zu lockern. Um ihretwillen. Um den Willen ihrer bereits geborenen und ihrer zukünftigen Kinder.
Arrav und die anderen waren nicht gegen ihren König. Im Gegenteil, sie respektierten Rahff, weil sie alle ohne ihn bereits tot wären. König Rahff hatte zumindest eine Lösung gefunden, auf seine Weise für die Bastarde seiner Heimat zu sorgen. Zwar waren sie dazu verdammt, alle miteinander Soldaten zu sein, aber das war immer noch besser als ohne Aussicht auf ein besseres Leben auf den Straßen zu verrotten. Arrav wusste, wie hart das Leben ohne Dach über den Kopf war, ohne eine Aufgabe, ohne die Möglichkeit, auf ehrliche Weise Silber zu verdienen, denn er war einst eine Straßenratte gewesen.
Und dann war der König in die Straßen von Dargard gekommen und hatte ihn mitgenommen, ihn einer Ausbildung unterzogen und ihm einen Sinn gegeben, schließlich hatte er ihn in den Reitertrupp seines Bastards gesteckt und Arrav hatte Cohen kennen gelernt, durch den er schließlich zu einem Volkshelden wurde. Arrav würde König Rahff deshalb immer respektieren, trotzdem hoffte er, dass es irgendwann eine Zukunft gab, in der auch ein Bastard mehr als ein verpflichteter Soldat sein konnte.
Arrav ließ den Blick wieder durch die Taverne schweifen, seine Augen blieben an der Schankwirtin hängen, die mit zwei vollen Weinkrügen durch den Raum ging. Ihre Hüften wiegten, ihr üppiger Busen wippte bei jedem Schritt. Arrav sah ihr nach, beneidete sie in diesem Moment um ihre Weiblichkeit – doch dann öffnete sich die Tür und seine Augen erfassten etwas viel Ansehnlicheres, das sogleich Hitze in ihm aufkommen ließ.
Cohen kam herein, er torkelte – was ungewöhnlich für ihn war –, sein braunes Haar stand ihm vom Kopf ab, als habe er es sich gerauft, seine Kleider waren unordentlich, als habe er sich in Eile angezogen und nicht darauf geachtet, welches Erscheinungsbild er abgab. Er trug nur eine schwarze Lederhose, einen schiefhängenden Schwertgürtel und ein weißes Hemd, dessen Schnürung offenstand, sein Mantel fehlte.
Arrav war es, der einen Pfiff ausstieß, um ihren Kommandanten auf sie aufmerksam zu machen.
»Was will er hier?«, fragte Iksbir verblüfft, nachdem er sich auf seinem Stuhl umgedreht und Cohen erspäht hatte. Es kam selten bis nie vor, dass Cohen sich hier blicken ließ, er lehnte jedes Vergnügen ab, das sie ihm anboten.
Arrav zuckte nur mit den Schultern, als Cohen zu ihrem Tisch geschlendert kam.
Misa rückte respektvoll beiseite und starrte Cohen an, als sei er ein Gott oder etwas ähnlich Erhabenes.
»Wein für unseren Kommandanten!«, rief Solran einem der Mädchen zu. Sofort beeilte sich die Dame mit den hellbraunen Locken, des Königs Bastard einen besonders vollen Becher Wein einzuschenken.
Cohen lehnte sich, sobald er saß, mit den Ellenbogen auf den Tisch und vergrub das Gesicht in den Händen, er beachtete das Mädchen gar nicht, das ihm Wein brachte und versuchte, ihm schöne Augen zu machen. Die Frauen würden sich jeden Finger einzeln ausreißen, wenn sie nur ein Stück vom Bastard ihres Königs haben könnten.
Und wer konnte es ihnen verübeln? Cohen war ein besonders schönes Mannsbild, wie Arrav immer wieder erstaunt selbst feststellen konnte.
»Harter Tag?«, fragte Solran, der für Cohen eine Art Onkel war.
Cohen seufzte und hob den Kopf, während er gleichzeitig in einer so fließenden Bewegung den Becher in die Hand nahm, dass es für einen Moment so wirkte, als wollte er ihn vom Tisch fegen.
»Hart, ja.« Cohen trank einen großen Schluck, es war ihm anzusehen, dass es nicht sein erster Becher war. »Und lang.«
»Erwartet dich nicht deine Frau?«, fragte Arrav, ohne zu bemerken, wie bissig er klang.
Cohen bemerkte es ebenfalls nicht, er antwortete: »Ich war bereits bei ihr, sie schläft jetzt.«
Das sagte mehr aus, als Arrav wissen wollte. Grimmig klaubte auch er seinen Becher auf und trank ihn aus. Er winkte einem weiteren Mädchen, die Becher aufzufüllen. Sie kam mit zwei Krügen und ließ sie auf dem Tisch stehen.
Arrav griff danach und schenkte sich und dann Cohen ein. Der Kommandant bedankte sich mit einem stummen Nicken und trank den Becher zur Hälfte leer. Es schien immer noch nicht genug zu sein.
Mit Neugierde, die nichts mit Cohens Verhalten zu tun hatte, betrachtete Arrav ihn eingehend. Sein Gefährte war groß wie alle Menschen aus dem Gebirge, doch wesentlich schlanker, was ihn zu einer schnellen Waffe gemacht hatte. Unter dem weißen Hemd zeichneten sich deutlich seine muskulösen Arme ab und hinter der Schnürung konnte Arrav die ausgeprägten Brustmuskeln erkennen, die von einem weichen Flaum dunkler Härchen bedeckt waren. Cohen besaß einen langen, schlanken Hals und einen kleinen, wohlgeformten Kehlkopf, auf dem ein wirklich ansehnlicher Kopf saß. Schmale, zu gleichenteilen weibliche und männliche Züge hafteten ihm an. Seine Lippen waren voll, seine Nase gerade, mit einer abgerundeten Spitze, seine Augen waren groß und von dichten Wimpern umrandet, und die schwarzen Pupillen waren von einem Meer aus braunroter Farbe umgeben, die an das Fell von jungen Rehkitzen erinnerte. Sein Haar besaß ein kräftiges Dunkelbraun, das in dunklen Räumen, wie hier, schwarz wirkte, aber bei Tageslicht rötlich schimmerte. Alles in einem war es kein Wunder, das Frauen hinter ihm her waren, wie Rüden hinter einer läufigen Hündin. Und trotzdem war Cohen seiner Frau nie untreu gewesen. Sofern Arrav wusste.
Cohen blieb noch eine ganze Weile, zum Erstaunen seiner Männer. Er trank mit ihnen, bis er kaum noch gerade auf seinem Stuhl sitzen konnte. Sie vermieden es, heikle Themen zu besprechen, und hielten sich an Geschichten aus der Vergangenheit, überwiegend lustige Anekdoten aus ihrer Ausbildungszeit. Dinge, über die sie sprachen, wenn eine große Schlacht anstand und die Warterei ihre Ängste verschlimmerten. Dann hörten sie ihren Kameraden zu oder erzählten selbst etwas, um sich einfach abzulenken. Auch hier schien es nun der Fall zu sein, dass sie alle einfach nur Ablenkung brauchten, obwohl keine große Schlacht bevorstand. Aber irgendetwas stand ihnen bevor. Die unsichtbare Bedrohung knisterte schon seit Wochen in Nohvas Luft. Allmählich waren sie es leid, auf die sich anbahnende Katastrophe zu warten. Sie wollten wissen, wie ihre Welt letztlich untergehen würde.
Solran verabschiedete sich als erster, weil er zu seiner Frau ins Ehebett wollte, dann ging auch Misa, weil er sich übergeben musste.
Als der Morgen graute, erhob sich auch Cohen und verabschiedete sich. »Danke für eure Gesellschaft, aber jetzt muss ich meinen Rausch ausschlafen.« Er brauchte nicht hinzuzufügen, dass er einigermaßen repräsentable aussehen musste, wenn die Hinrichtungen begangen.
Iksbir und Ugrath blieben noch zurück, sie hatten die Aufmerksamkeit zweier Mädchen ergattert, die auf ihren Beinen saßen und kicherten.
Arrav beschloss, Cohen ein Stück zu begleiten.
Draußen vor der Taverne spürte Arrav noch die Kälte der Nacht, es würde noch eine Weile dauern, bis der Frühling auch im Gebirge ankommen würde. Er warf sich seinen schwarzen Umhang über die Schultern und eilte seinem Kommandanten nach.
»Cohen«, sagte er ruhig, um den anderen auf sich aufmerksam zu machen.
Cohen drehte sich um, er lächelte, als er Arrav sah, und blieb stehen, bis er bei ihm eintraf.
»Darf ich Euch ein Stück begleiten, Kommandant?«
Cohen nickte. »Selbstverständlich.«
Die Freundlichkeit, mit der Cohen seinen Gefährten begegnete, war ein weiterer Aspekt, der dazu führte, dass Arrav sich auf eine Weise zu ihm hingezogen fühlte, die ihm unangenehm war.
Eine Weile gingen sie schweigend neben einander her, während das Grau der Morgendämmerung die Schatten aus den Straßen vertrieb.
Schließlich fasste sich Arrav ein Herz und blickte Cohen von der Seite an. »Das mit Sevkin tut mir leid.«
Als Cohen seinen Bruder Raaks töten musste, waren sie alle dabei gewesen. Arrav hatte direkt hinter ihm gestanden, als das Leben aus dem Kronprinzen gewichen war, und er hatte Cohen die Hand auf die Schulter gelegt, um für ihn da zu sein. Doch als Sevkin hingerichtet wurde, hatte die königliche Garde den Befehl erhalten, Cohen wegzusperren, ebenso wie es ihnen nicht gestattet war, der Hinrichtung beizuwohnen, um Sevkin die letzte Ehre zu erweisen. Es tat Arrav im Herzen weh, dass er zu dieser Zeit nicht für Cohen hatte da sein können. Cohen musste sich gefühlt habe, als sei er der einzige, der um seinen Bruder trauerte.
Cohen hielt den Kopf gesenkt, er nickte nur bestätigend.
»Ich hatte auch einen Bruder, weißt du?«
Überrascht blickte Cohen ihm in die Augen.
Nun war es an Arrav, den Blick zu senken. »Einen Zwillingsbruder. Moha.«
»Das wusste ich nicht«, gestand Cohen. »Du hast nie von ihm gesprochen. Was ist mit ihm geschehen?«
Trotz allem, was er durchmachte, hatte er noch immer ein offenes Ohr für die Gefühle und Geschichten der Männer, für die er verantwortlich war. Arrav hätte keinen anderen Mann mehr respektieren können.
»Wir lebten in einem Waisenhaus in Dargard, Mutter gab uns fort, als wir fünf Jahre alt waren, weil sie uns nicht mehr durchfüttern konnte«, erzählte Arrav, ohne Cohen ansehen zu können. »Doch das Waisenhaus wurde niedergebrannt, kurz nachdem die Airynns gestürzt wurden. Danach waren wir Straßenratten. Bei den Säuberungen in Dargard bekamen die Wachen Moha zu fassen, ich konnte mich in die Abwasserkanäle retten. Ich konnte ihn nicht beschützen, obwohl ich alles unternommen habe, um ihn zu retten. Er wurde zusammen mit vielen anderen Bettlern hingerichtet. Dann fand mich der König und brachte mich hier her.«
Cohen ging eine Weile neben ihm her und betrachtete Arrav voller Bedauern. Er schüttelte schließlich den Kopf und sagte: »Wäre Rahff nur etwas früher gekommen …«
»Manchmal können wir nichts tun«, sagte Arrav und erwiderte Cohens Blick, sodass sie sich mit tiefen, verständnisvollen Blicken ansehen konnten. In diesem Moment verband die beiden Männer mehr, als sie je in Worte hätten fassen können. »Wir denken immer, wir müssten unsere Geschwister beschützen, aber letztlich liegt es nicht in unserer Hand, was mit ihnen geschieht. Wir tun unser Bestes, aber manchmal tun sie etwas unvorhersehbar Dummes, und wir können sie nicht retten. Das ist dann nicht unsere Schuld.« Er hatte genug Jahre damit verbracht, sich schuldig zu fühlen, und er hatte begriffen, dass es nicht seine Schuld war.
Cohen wandte den Blick gen Himmel und seufzte. »Ich weiß, du meinst es gut, aber ich bin noch nicht soweit, mir selbst zu vergeben.«
Arrav nickte wissend. »Eines Tages wirst du es sein.« Und bis dorthin konnte er sich trösten lassen.
»Ja. Vielleicht.« Doch Cohen klang nicht wirklich hoffnungsvoll. Er drehte den Kopf und sah Arrav leise lächelnd an. »Danke, für diese weisen Worte, ich schätze deine Anteilnahme.«
»Ich kann noch mehr tun.«
Cohen nickte, er hatte die Bedeutsamkeit dieses Angebotes deutlich missverstanden. »Sollte ich darüber reden wollen, weiß ich nun, wer mich versteht. Aber im Moment …«
»Glaubst du denn, es war falsch von Sevkin?«, schnitt Arrav ihm die Worte ab.
Überrascht sah Cohen ihn an und blieb stehen. Er blinzelte. »Wie meinst du das?«
Arrav war gezwungen, auch stehen zu bleiben, um Cohen in die Augen zu sehen. Er zuckte mit den Schultern, als er vorsichtig zugab: »Ich denke nicht, dass er den Tod verdient hat.«
Cohens Blick glitt zu Boden, zwischen seinen schönen Augen entstand eine traurige Falte. »Wer verdient denn schon den Tod?«
»Wir, zum Beispiel«, erwiderte Arrav ernst. »Ich vor allem.«
Cohen sah ihm wieder ins Gesicht, er wirkte nicht überzeugt. »Wieso glaubst du das von dir?«
»Ich bin ein Mörder«, gestand Arrav.
Cohen beäugte ihn kritisch.
»Es ist wahr«, bestätigte Arrav. »Als Straßenratte ließ ich mich dafür bezahlen, Morde zu begehen.«
Als Cohen verstand, ließ er locker die Schultern hängen. »Das ist lange her und geschah in einem anderen Leben.« Er trat mit einem Lächeln näher und legte Arrav die Hände auf die Schultern. »Für mich bist du kein Mörder, und die Götter werden dir auch vergeben, wenn du reuevoll darum bittest.«
Ihm ging es weder um die Götter, noch um sein Seelenheil. Er hatte damit abgeschlossen und sich selbst vergeben. Es gehörte zu einem anderen Leben, aber Cohen sollte – er musste – verstehen, worauf Arrav hinauswollte.
Cohen wollte gehen, doch Arrav legte die Hände über dessen Arme und hielt ihn fest, damit sie sich nahe blieben.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
Cohen durchforschte verwundert Arravs ernsten Blick. »Welche Frage denn?«
»Hältst du es für falsch, was Sevkin getan hat?«, fragte er und sah Cohen aus wissenden Augen an.
Deutlich war zu erkennen, wie jegliche Farbe aus Cohens Gesicht wich. Der Kommandant begann sogar zu zittern, seine Hände krampften sich um Arravs Schultern, bis der Druck zu schmerzen begann.
Arrav ließ es sich nicht anmerken, er starrte Cohen nur unablässig in die schönen Augen.
Cohen begann zögerlich den Kopf zu schütteln.
Arrav lächelte verstohlen. »Ich auch nicht.«
Als sich weiter nichts tat – und in Cohens Augen ein Blick trat, der nicht falsch zu deuten war – grinste Arrav frech: »Du … Wir müssen diese Nacht nicht allein verbringen.«
Cohen schüttelte den Kopf. »Sigha ist ja da.«
»Ja, aber …«, Arrav trat noch etwas näher an Cohen heran, um es deutlicher zu machen, »deine Frau wird nie verstehen, was uns durch die Erlebnisse des Krieges verbindet. Ich meine … steht es nicht geschrieben in den Schriften der Götter? Finde Trost bei jenen, die ähnliches durchmachten.«
Ausatmend ließ Cohen Arrav los und nahm einen Schritt Abstand. Er rieb sich über das Gesicht, als quälten ihn innerlich tausend Sorgen.
Arrav konnte nicht sagen, warum er sich von Cohen so angezogen fühlte. Bei anderen Männern hatte er selten solche Gefühle bekommen. Aus Furcht vor Konsequenzen hatte Arrav natürlich nie einen anderen Mann angefasst – er wollte nicht gehängt werden. Aber bei Cohen setzten alle vernünftigen Gegenargumente aus und Arrav war nicht im Stande, eine kluge Entscheidung für sie beide zu treffen. Zu groß war die Neugierde auf das, was die Kirche so strikt verbot. Was es noch einmal aufregender machte.
»Gute Nacht, Arrav«, sagte Cohen und wollte sich abwenden.
»Sevkin hat nichts falsch gemacht«, hielt Arrav ihn noch einmal zurück. »Und ich glaube, du siehst es genauso.«
Cohen dachte einen Augenblick darüber nach, Tränen der Scham standen ihm in den Augen, und da begriff Arrav langsam, dass Cohen sich bis ins Mark fürchtete.
Arrav nutzte diese Furcht, um zu versuchen, Cohen zu manipulieren: »Weißt du, Cohen, ein einziger Mann könnte all das beenden. Ein Mann könnte die Rechte der Frauen und Bastarde vertreten. Es bedarf nur einen Mann dafür, der mutig genug wäre, etwas zu verändern. Du könntest dieser Mann sein – und wir alle stünden hinter dir.«
Cohens Miene wurde steinhart, als er begriff, worauf Arrav hinauswollte. Er trat zurück und schüttelte entschieden den Kopf. »Ich werde nicht darum bitten, die Nachfolge antreten zu dürfen. Niemals!«
Entmutigt ließ Arrav die Schultern hängen. Er hatte sich eine andere Antwort erhofft.
»Sag das ja nie wieder!«, beschwor Cohen ihn einfühlsamer. Noch einmal musterte der Kommandant Arrav von oben bis unten mit unverhohlener Neugierde, dann wandte er sich ab und ging alleine weiter.
Arrav sah ihm eine Weile nach und spürte tiefe Trauer darüber, dass seine forsche Art zu nichts geführt hatte. Aber am ehesten bedauerte er, dass Cohen nicht bereit war, das ultimative Opfer für ihre Heimat zu bringen.
Schlimmer war noch, dass Arrav sich gerade offenbart hatte und auf Granit gestoßen war.
Ob Cohen dichthielt?
Er konnte nur hoffen.
Hätte Arrav keinen Eid geleistet, der ihn an Cohen band, wäre er in dieser Nacht gewiss zu den Rebellen geritten, um sich ihnen anzuschließen. So wie es viele bereits getan hatten.
Aber nun ging er zu den Soldatenunterkünften, um sich auszuschlafen, damit er am morgigen Tage die Hinrichtung des letzten, freien Luzianers mit ansehen konnte. Was er gewiss nicht mit Freude tun würde, war er doch selbst zum geringen Teil ein Luzianer.