Читать книгу Herz des Südens - Billy Remie - Страница 9
Kapitel 4
ОглавлениеDas Geräusch eines dumpfen Schlags holte Rahff aus seinen unruhigen Träumen. Er blinzelte den roten Nebelschleier fort, durch den sein Geist die ganze Nacht wirr umhergewandert war, um in die Gegenwart zurückzufinden. Zunächst wusste er nicht, wo er war. Es dauerte eine Weile, bis sich seine überreizten Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, dann erst erkannte er den Innenraum eines heruntergekommenen Stalls. Er erinnerte sich schlagartig, sodass ihm der Kopf schwirrte und die Last der Welt ihn niederdrückte.
Doch ein neuer Tag war angebrochen, und die Zeit des Kummers bis zur nächsten Nacht vorbei.
Da er aber gar nicht wusste, was er jetzt tun sollte – außer sich ans Messer zu liefern, um alle dem ein schnelles Ende zu bereiten, wozu er gewiss zu stolz war – blieb er wie angewurzelt sitzen.
Sein Schimmel drehte sich zu ihm um und legte die samtweiche Schnauze an Rahffs Stirn. Die rosafarbenen Nüstern blähten sich zu zwei großen Schlünden auf und bliesen heißen Atem durch sein kinnlanges Haar.
Rahff strich seinem Hengst mit der großen Hand sanft über den langen Nasenrücken und rieb den Kopf an dessen Nüstern. Im südlichen Gebirge wuchsen die Menschen mit viel Nähe zu ihren Pferden auf. Rahff kannte seinen Hengst seit vielen Jahren, er hatte dem Fohlen damals auf die Welt geholfen und im ersten Moment gewusst, dass sie Gefährten für das ganze Leben sein würden.
Sein Volk war begannt für die Zucht starker Schlachtrösser, die viel Last tragen konnten und ausdauernd waren. In schweren Rüstungen ritten sie in die Schlacht und überrannten ganze Heerscharen Feinde.
Da Nohva jedoch in Frieden lebte, waren die größten Kämpfe, die Rahff und sein Pferd bestritten hatten, Scharmützel gegen Räuberbanden gewesen. Heute wurden die Rösser überwiegend für die schwere Arbeit eingesetzt. Sie zogen Steinblöcke aus den Schwarzfels-Minen, oder schwere Baumstämme aus den Wäldern, waren darüber hinaus fähig, ohne Mühen steile Hänge hinauf zu steigen, wodurch sie für das gebirgige Gelände wie gemacht waren. Hirten schworen auf ihre Fähigkeiten, niemals würden sie ohne ein Schwarzfels-Ross die Ziegenherden durch das Gebirge treiben.
Deshalb zierte Rahffs Banner schließlich auch ein aufsteigender, schwarzer Hengst, er symbolisierte das, wofür sein Geschlecht berühmt geworden war.
Rahff war sehr stolz auf die Pferdezucht, auch wenn böse Zungen behaupteten, die besseren Pferde würden im Westen, in der Wüste, gezüchtet, da sie deutlich schneller rannten und dünner waren. Für ihn stand jedoch fest: es gab keine treueren Gefährten als die Rösser aus dem Gebirge, aus dem auch er entsprang. Und er wurde jedes Mal an seine innige Zuneigung erinnert, wenn sein Hengst ihm ins Haar blies oder den Kopf an ihn drückte, im vollkommenen gegenseitigen Vertrauen. Das Tier spürte Rahffs Zerrissenheit und Mutlosigkeit, weshalb er in den letzten Tagen sehr anhänglich wurde.
»Ich werde dich nicht im Stich lassen«, schien der Hengst ihm schwören zu wollen. Rahff wusste darum.
Abgesehen von dieser Treue, vermochte es kein Mann, diese Pferde zu stehlen. Man musste sie schon abschlachten, um sie von ihrem Herrn zu lösen. Deshalb konnte Rahff die Tiere auch gefahrenlos in einem unbewachten Stall stehen lassen. Sie würden niemanden an sich herankommen lassen. Und wer es doch wagte, sich ihnen ohne Erlaubnis ihres Herrn zu nähern, der würde erleben, wie kraftvoll und gefährlich ein wilder Hengst werden konnte.
Wegen alledem stand auch außer Frage, was mit den Pferden seiner Freunde geschehen würde. Ilstat und Eskern hatten ihre Wahl getroffen, die Tiere schienen zu spüren, dass ihre Herren nicht zurückkommen würden. Mit hängendem Kopf standen sie in ihren Boxen, unbewegt wie in Trauer versunken, als Rahff sich erhob und zu ihnen hinüberblickte. Ein grauer und ein brauner Rückenkamm waren über den Holzwänden zu sehen.
Sie würden ihm dienen, wenn auch nur als Packtiere. Aber hier konnte er sie nicht zurücklassen, bevor sie einem übermütigen Dieb in die Hände fielen, der vielleicht vor lauter Ärger tatsächlich noch auf die störrischen Tiere einstach.
Seine Gedanken wurden abgelenkt, als er wieder das dumpfe Geräusch eines Einschlags vernahm. Dank jahrelanger Erfahrung mit Schenkenprügeleien kannte er diesen Laut nur zu gut, und das dunkle Grunzen, das daraufhin folgte, kannte er ebenso gut. Da bekam jemand ordentlich in den Magen geboxt.
»Na, wie gefällt dir das, du Großmaul?«, wollte eine raue Männerstimme wissen. Sie klang sehr gekränkt.
Jemand hustete, spuckte etwas Feuchtes aus. »Sehr gut. Wie ist es so für dich?«
Die Stimme war schwach, kratzte, doch Rahff meinte fast, sie zu kennen.
»Du weißt einfach nie, wann du den Mund halten solltest…« Klatsch! »Jetzt kommt dir nichts mehr über die Lippen, was?«
Ein Stöhnen. »Willst du mich verprügeln – oder mit deinem Gelaber zu Tode langweilen?«
Ein Knurren, dann ging der Spaß von vorne los.
Nun vernahm Rahff auch den Jubel mehrerer Männer, gehässiges Gelächter, Anfeuerungen – mehr Schläge, Hohn und gequältes Ächzten.
Er hörte weg.
Das war nichts, was ihn wirklich schockierte. Er war bereits zu lange in der Schwarzen Stadt, Schläge, Grunzen und sogar helle Schreie waren an der Tagesordnung. Eine Prügelei war hier harmlos. Er war sich fast sicher, mindestens auf drei frische Leichen zu stoßen, wenn er sich in die Stadt bequemte. Die Nacht forderte viele Opfer – oder besser gesagt, die mörderischen Schatten, die in der Dunkelheit lauerten. Ob aus Habgier oder purer Mordlust, war der Tat hinterher nicht mehr anzusehen. Es schien hier auch niemanden zu interessieren, jeder kümmerte sich nur um sich selbst.
Rahff verstand diese Beweggründe, im Gebirge prügelte man sich ständig oder tötete seinen Nachbarn in einem Duell. Jedoch war sogar ihm das Ausmaß der Kaltherzigkeit in dieser Stadt zuwider, obwohl er selbst eine ähnliche Denkweise verfolgte. Der Tod war nichts, was er fürchtete. Jedoch hatte er keine Freude daran, andere zu ermorden, es berührte ihn lediglich nicht, wenn er eine ermordete Leiche erblickte. Es gab einen Unterschied zwischen dem Töten im Kampf, und arglistigem Mord. Zumindest für ihn. Der Tod berührte ihn selten. Leben und sterben, sie alle würden diese Welt früher oder später verlassen. Er trauerte selten so tiefreichend wie die Nordländer.
Nun ja, es sei denn, es handelte sich um seine Freunde, die er als Brüder bezeichnet hatte. Wobei ihn ihr Verrat mehr schmerzte als ihr Ableben.
Kopfschüttelnd trat er auf die Stallgasse, sie war wie erwartet leer, und verbannte Eskern und Ilstat aus seinem Kopf. Vorbei war vorbei, sie hatten ihren Weg gewählt und bekommen, was sie verdienten. Er konnte nichts mehr daran ändern, sosehr er sich auch mit Fragen quälte, was er falsch gemacht hatte, um sie gegen sich aufzubringen. Oder hatte er nie erkannt, wie sehr sie nach Reichtum gierten? War er ein solch schlechter Menschenkenner? Hätte er sie retten können, sie umstimmen können, wäre ihm ihr Verrat früher aufgefallen?
Er hatte nicht sehen wollen, dass sie sich gegen ihn verschwören könnten, wenn der Preis stimmte, weil es bedeutete, dass seine Liebe zu ihnen unerwidert geblieben war. Sie hatten ihm etwas vorgemacht, Freundschaft, Brüderlichkeit, weil er ihr Herr gewesen war, nicht, weil sie ihn mochten. Diese Erkenntnis schnitt Rahff tiefer ins Fleisch als es ihre Klingen vermocht hätten. Ein Teil von ihm war mit ihnen gestorben. Der Teil, der Freunden vertraut hatte.
Nun musste er seine Hoffnung in die Bündnisse mit Männern legen, die er einschätzen konnte. Wie diesem Vagabunden, Desiderius, der zwar kein Blatt vor den Mund nehmen konnte, deshalb aber beruhigend ehrlich, wenn auch unverschämt frech war. Zu Schade, dass Rahff ihn nicht hatte überzeugen können. Solch junge Burschen, die ohne Perspektiven in den Tag hineinlebten, waren leichter zu durchschauen als manch edler Ritter. Allerdings hatte Rahff sich schon einmal getäuscht, in Ilstat und Eskern, er sollte seinen Instinkten vielleicht nicht mehr blind vertrauen.
Sei ehrlich, alter Junge, höhnte eine tiefe innere Stimme, der Bursche interessiert dich lediglich wegen seines ansehnlichen Äußeren.
Gewiss, auch dass der Vagabund eine schwarzhaarige, grünäugige Schönheit war, hatte eine Rolle dabei gespielt, ihn um Hilfe zu bitten. Eine große Rolle, das gab Rahff ohne zu zögern zu. Er hatte sich noch nie selbst belogen, dazu schien er gar nicht fähig.
Umso bedauerlicher war der Umstand, dass der junge Vagabund nichts von ihm wissen wollte. Dabei hatte er den Eindruck …
Nein, das war nur Einbildung gewesen. Es gab zu wenig Männer wie Rahff es war, um einfach aus heiterem Himmel einem über den Weg zu laufen. Unmöglich! So etwas ist ihm in all den Jahren nicht widerfahren, warum sollte es in der Stunde seiner größten Not geschehen, da er für solche Gedanken ohnehin keine Zeit verschwenden durfte.
Vielleicht war es besser, dass Rahff seinen Weg allein weiter ging. Er würde schon in die Hauptstadt gelangen. Irgendwie.
Er musste es versuchen, es gab keinen anderen Weg.
In der Stallgasse stand ein Trog, der bis obenhin mit Wasser gefüllt war. Der Regen von letzter Nacht tropfte noch von einem Loch im Dach in die Holzwanne und ließ sie überlaufen.
Rahff wusch sich, so gut es ihm ohne Seife möglich war, während die Schlägerei draußen vor dem Stall fröhlich weiter ging. Er tunkte den Kopf in den Trog, auf dass das Wasser über den Rand zu Boden schwappte. Eiskalte Nässe umhüllte seinen Schädel, es fühlte sich an, als bohrten sich tausend Nadeln in seinen Kopf und in sein Gesicht. Laut Luftholend kam er wieder hervor und strich sich das Wasser aus den Augen. Seine langen, dunklen Wimpern waren verklebt, seine Lider vom Weinen gerötet, aber die Waschung spülte die gröbsten Anzeichen der letzten Tränen fort.
Draußen knallte ein Faustschlag. Dieses Mal war das darauffolgende Stöhnen deutlich schmerzerfüllter.
»Jetzt hat es dir die Sprache verschlagen, was, Derius?«
Derius? Rahff riss den Kopf herum, blickte aus dem offenen Scheunentor, von woher der Wind die Stimmen rein trug und ein Strahl Sonnenlicht die gepflasterte Stallgasse beleuchtete.
Etwa Desiderius? Rahff hatte doch gewusst, dass er die Stimme kannte! Ihren melodischen, dunklen Unterton würde er auch dann noch wiedererkennen, wenn die Schmerzen ihr jeglichen Klang geraubt hätten. Auch wenn er sie nur kurz kannte, war es eine dieser Stimmen, die ihm einen wohligen Schauder bereiteten. Wie Samt, der sich über einen frisch gebadeten Leib legte, der aufgeschwemmt und empfindsam für jedwede Berührung war, sei sie noch so sanft. Genau solch eine unvergessliche Stimme besaß der junge Vagabund, der Rahff selbst im roten Schleier seiner Träume begegnet und ihn in grüne Täler geführt hatte, ehe er ihn unversehens wieder verlassen hatte.
Erstaunlich, wie sein Unterbewusstsein die Ereignisse verarbeitete.
Rahff trocknete seine Hände, indem er die Finger über seinen Brustharnisch zog, und ging zu seinem Hengst. Er legte sich seine Waffen an und hob vorsichtig den Sattel. »He, wie wäre es, mit einem Spaziergang?«
Er nahm den warmen Fellball auf den Arm und ging mit großen, langen Schritten nach draußen.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, doch Wolken zogen auf, wie es für die Küste üblich war. Selten verging hier mehr als ein Tag, an dem es nicht regnete. Feuchtigkeit lag in der Luft, es roch nach dem süßen Aroma der Verwesung, das von den Straßen der Stadt in Richtung Inland geweht wurde.
Das Geräusch harter Fausthiebe, die auf weiche Körperstellen trafen, kam von rechts hinter dem Stallgebäude, wo sich die grünen Bäume der Tiefen Wälder erstreckten.
Rahff setzte den flauschigen Pelzknäuel ab und folgte den Geräuschen hinter die Scheune.
Der dunkle Kies unter seinen schweren Stiefeln knirschte, als er um die Ecke bog. Wenn die Sonne sich durch die aufgebauschten, dunklen Wolken kämpfte, schimmerten die vielen kleinen Splitter violett in ihren warmen Strahlen. Nicht zum ersten Mal dachte er daran, wie schön dieser Ort wäre, könnte man doch nur die Hexen und Diebesgilden vertreiben.
Ein Unterfangen, an dem schon so manch großer König scheiterte. Der derzeitige Herrscher Nohvas hatte es schlicht nie versucht, er akzeptierte die Hochburg der Gesetzlosen solang sie ihn nicht bedrohten.
Was brachte ihm auch eine Hafenstadt, wenn ihr Königreich vom Rest ihrer Welt abgeschottet war – verbannt, aufgrund ihres Krieges mit den Spitzohren im Südosten, den Elkanasai. Nohva trieb keinen Handel mit anderen Ländern. Manche behaupteten, das läge vorwiegend am Stolz der Nohvarianer.
Vielleicht lag ein Funken Wahrheit darin, sie waren nicht gerade bekannt dafür, zu vergeben.
Als Rahff die Meute erblickte, die ihr Opfer an einen Baum am Waldrand festgebunden hatte und auf es einschlugen, lehnte er sich zunächst in aller Ruhe mit der Schulter an die Scheunenwand und überkreuzte Beine und Arme.
Tatsächlich hockte Desiderius zwischen den Wurzeln, die aus dem Boden ragten, die Arme in einem unnatürlichen Winkel nach hinten um den Stamm gebunden, die Beine unter seinem Arsch eingeknickt. Sein Kopf hing vornüber, ein blutiger Speichelfaden troff von seiner aufgeplatzten Lippe, und einige dunkle Strähnen hatten sich aus seinem Zopf gelöst, sodass sie nun sein angeschwollenes Gesicht halb verdeckten.
Sechs Mann standen in einem großen Halbkreis um ihn herum, ein siebter trat ihm in den Bauch, auf dass er würgte. Doch der Bastard hatte tatsächlich die Frechheit, unter Schmerzen höhnisch zu lachen, als amüsierte ihn die Prügelei. Wobei Rahff es bereits als Folter bezeichnen würde. Das war kein Faustkampf, das war schlicht Feigheit. Einen Mann zu schlagen, der sich nicht wehren konnte … Diese Nordländer!
Rahff erkannte die Männer. Es waren dieselben heruntergekommenen Lumpen, die bereits gestern Nacht auf der Suche nach Desiderius gewesen waren. Jedoch schien ihr Anführer, der ehrenwerte Herr Krähenfratze, nicht unter ihnen. Sie mussten sich für die Suche aufgeteilt haben. Vermutlich war Krähenfratze bereits informiert und auf dem Weg, um sein Opfer abzuholen.
Als Rahff der Gedanke kam, stieß er sich von den Brettern der Scheunenwand ab, die unter seinem Gewicht beinahe nachgegeben hätten. Er sah auf seinen Begleiter hinab, der neben ihm im Kies hockte und aufgeregt mit dem langen Schwanz zuckte. Er leckte sich das Maul.
»Ich könnte deine Hilfe gebrauchen, Kumpel.«
Gelben Augen blickten entschlossen zu ihm auf. Rahff nickte bestätigend.
*~*~*~*
Der nächste Tritt ließ ihn spucken. Die brennende Galle fraß sich seinen Hals hinauf und landete auf seinem Harnisch. Na großartig! Kotze trocknete unschön auf der Lederrüstung und würde bald zu stinken anfangen, was in den Wäldern Tiere anlocken konnte.
Aber weshalb machte er sich darüber Gedanken? Das frische Blut würde ohnehin dafür sorgen, dass er für die Nachtschattenkatzen und Wölfe auf mehrere Hektar Wald wie ein Leckerbissen roch.
Und genau darauf kam es den Eunuchen, die ihn vermöbelten, wohl auch an.
So wie Desiderius die Diebesgilde kannte, würde sie ihn kopfüber im tiefsten Wald an einem Baum aufhängen, ihm Schnittwunden zufügen und zusehen, wie er von wilden Raubtieren zerfleischt wurde. Bei lebendigem Leibe.
Sie würden Wetten abschließen, wie lange er durchhielt.
Zumindest war es Markeshs Art, Männer auf diese Weise loszuwerden. Und Desiderius hatte viel Geld bei diesen Wetten gewonnen. Nichts ahnend, dass er einmal selbst dort hängen würde.
Verdammt! Er hätte vor dem Morgengrauen aufbrechen müssen! Er hätte eines der Pferde aus dem Stall stehlen und sich verdrücken sollen. Aber irgendetwas hatte ihn lange schlafen lassen.
Ihn! Der niemals mehr als zwei oder drei Stunden am Stück durchschlafen konnte. Eine Fähigkeit, die er sich angelernt hatte, um in den Wäldern überleben zu können. Er schob es dem Kampf am Vortag zu.
Es konnte unmöglich etwas mit dem dunklen, leisen Schnarchen zu tun gehabt haben, das den Stall die ganze Nacht lang erfüllt hatte. Nein! Unmöglich! Es lag am Kampf und der darauffolgenden Erschöpfung.
Noch immer wusste er nicht, was in ihn gefahren war, gänzlich allein gegen mehrere Ritter zu kämpfen. Es war sein Glück gewesen, dass sie noch nie einem wirklich schnellen und unehrenhaften Gegner gegenübergestanden hatten. Vielleicht hatten sie auch einfach nicht mit jemandem wie ihm gerechnet. Oder ihn schlichtweg wegen der kurzen Klinge und dem dünnen Leder unterschätzt.
Markeshs Bande hingegen … Nun, sie kannten Desiderius. Sehr gut. So wie er jeden einzelnen von ihnen kannte. Seine Kampfkünste waren ihnen geläufig. Als er kurz nach Sonnenaufgang endlich erwacht war und allein in die Wälder gehen wollte, um eine Weile unter zu tauchen, hatten sie ihn am Waldrand abgefangen. Er hatte ihnen nichts entgegensetzen können. So dumm waren sie dann doch nicht gewesen. Allerdings hätten diese Faulpelze wohl geschlafen, wäre er früher aufgebrochen, sodass Desiderius einfach über sie hinweg hätte schleichen können.
Stattdessen konnten sie ihn gefangen nehmen. Und sie waren nicht gerade zimperlich gewesen, als sie ihn festbanden und ihm auf ihre ganz eigene liebreizende Art zeigten, was sie von ihm hielten.
Verübeln konnte er es ihnen nicht, hatte er ihnen doch gute Gründe für ihren Hass geliefert. Trotzdem wäre er ihnen lieber entkommen.
Zeck, der schlaksige Dieb mit dem kurzen, maisblonden Haar und den zwei z-förmigen Narben am Hals, die ihm eine Nachtschattenkatze zugefügt hatte, packte grob in Desiderius` Haar und riss seinen Kopf hoch. Er spuckte ihm ins Gesicht. »Ich würde dir das Leben aus dem Leib prügeln, wenn es Markesh nicht zustünde, dich kalt zu machen, dreckiger Abschaum!«
Desiderius lachte bitter. »Und ich dachte, wir wären Freunde, Zecke!«
Zeck verzog hasserfüllt seine wettergegerbte Fratze und schlug Desiderius ins Gesicht, auf dass dessen Kopf herumflog. »Das Lachen wird dir noch vergehen, wenn wir dich ausbluten lassen!«, spie er. Doch seiner aufgesetzten Wut war die Unsicherheit anzuhören, die Desiderius gehofft hatte, durch seinen Spott zu provozieren. Wenn ihm sonst nichts blieb, hatte er sich immer hinter seinem Zynismus versteckt.
Was blieb ihm auch übrig, er war zu stolz, als dass er um sein Leben gebettelt hätte, aber zu aufmüpfig, um die Schläge still über sich ergehen zu lassen. Die Rebellion der Jugend, hatte Markesh immer gelacht. Was er wohl heute davon hielt?
Nun, Desiderius spürte es in jedem von Zecks Schlägen.
Sie waren Brüder. Zeck und Markesh. Es war also kein Wunder, dass Zeck die einstige Freundschaft mit Desiderius vergaß, als dieser mit Markesh in Streit geriet. Um es mild auszudrücken. Was Desiderius ihnen angetan hatte … nun, wären sie keine Räuber, sondern ehrenhafte Männer, die dem Gesetz treu waren, hätte man ihn vor Gericht gestellt und gevierteilt. Natürlich erst nach einer langen, schmerzhaften Folter.
In gewisser Weise war er froh, dass Markesh relativ kurzen Prozess mit ihm machen würde, um eilig abzurechnen.
Aber mit dem Tod konnte Desiderius sich trotzdem nicht abfinden. Er war gerade erst achtzehn Sommer alt! Wie könnte er daran denken, Frieden mit sich und der Welt zu machen? Da war kein Frieden, er spürte nur aufkommenden Trotz, der ihn veranlasste, Zeck mit letzter Kraft gegen das ungeschützte Schienbein zu treten.
Die Wucht reichte nicht aus, um den Knochen zu brechen, aber der Tritt ließ Zeck taumelnd in die Knie gehen. Er fluchte ordentlich. »Du mieser Hurensohn!«
Zecks Hass war reine Genugtuung in Desiderius` Ohren. Er lachte.
Wutendbrand sprang Zeck wieder auf, das Funkeln in seinen himmelblauen Augen war Desiderius sehr vertraut, es bedeutete selten etwas Gutes. Im Gegenteil, es sprach von der Mordlust, die den jungen Dieb oftmals überkam. Desiderius wischte es jeglichen Spott aus dem Gesicht, er schluckte nervös.
Zecks Fäuste knackten, als er sie ballte, das Leder seiner rissigen Handschuhe knirschte, doch seine mahlenden Kiefern übertönten das Geräusch.
Desiderius wusste, dass er nun zu weit gegangen war. »Hör mal, Zeck, dein großer Bruder ist sicher angepisst, wenn du mich tötest, bevor er auftau-«
»Ich schlitz dich auf!« Zeck war schon immer so schnell wieder Biss einer Klapperschlange gewesen. Unversehens lehnte er über Desiderius und pikste ihm mit einer spitzen Dolchklinge in den Hals. »Von der Kehle bis zum Bauchnabel! Dann häng ich mir deine Innerrein als Kette um den Hals.«
Augenblicklich wurde Desiderius stumm wie ein Fisch, obwohl ihm ein guter Konter auf der Zunge lag. Etwas mit Vorlieben für Schmuck und derlei weibische Dinge. Allerdings war er nicht dumm. Aufmüpfig, aber nicht naiv. Wenn man ein Messer an der Kehle hatte und der Mann, der die Klinge führte, vor unbeherrschter Wut zitterte, hält man lieber den Mund.
Zeck lächelte falsch, als die Erwiderung ausblieb. »Sieh an, du kannst ja doch schweigen!«
»Oh ja, ich werde schweigen. Wie ein Grab«, presste Desiderius angespannt durch die Lippen, »auch was den Aufenthaltsort der Beute angeht!«
Zeck blinzelte überrascht. »Du hast sie noch?« Er sah sich nach seinen Männern um. »Er hat sie noch?«, fragte er auch diese. Sie zuckten mit den Schultern und warfen sich ratlose Blicke zu.
Zeck wandte sich wieder Desiderius zu. »Wo sind sie?«
Was dachte sich dieser Narr? Natürlich hatte Desiderius sie nicht mehr!
»Wenn ich dir das sage, tötest du mich«, warf Desiderius ein. Zeck presste ärgerlich die Lippen zusammen, doch sie kannten sich beide zu gut, um zu wissen, dass keiner nachgeben würde.
Desiderius war sich absolut sicher, dass sie ihn foltern würden, um herauszufinden, wo die Beute versteckt lag. Aber das war besser, als getötet zu werden. Letztlich musste er nur Zeit schinden. Markesh würde vielleicht wieder mit sich reden lassen, Desiderius war gut darin, ihn um den Finger zu wickeln.
Ein Knurren ertönte irgendwo hinter Zeck.
Wobei, es war mehr ein … helles Fauchen?
Verwundert und alarmiert drehten Zeck und die Männer die Köpfe herum. Desiderius regte den Hals, um an Zecks schlanken Körper vorbei sehen zu können.
Zunächst herrschte Stille, während sie auf das Tier hinabstarrten, das hinter ihnen auf den verlassenen Plätzen der einstigen Koppeln saß und erneut das Maul aufriss, um zu brüllen.
Nach kurzer Verwunderung fingen die Männer zu lachen an. Einige hielten sich sogar den Bauch.
Desiderius runzelte lediglich auf Grund des absurden Anblicks die Stirn. Was bei allen Göttern …?
Da saß ein kleiner Bergpuma vor ihnen, unschwer an seinem sandfarbenen Fell mit den dunklen Gesichtszeichnungen zu erkennen, und plusterte sich auf als wäre er ein kräftiger, ausgewachsener Löwe. Die Katze war so jung, dass sie noch an die Zitze ihrer Mutter gehörte! Das braune Fell hatte noch nicht einmal die schwarzen Punkte verloren, die ausgewachsene Silberlöwen nicht mehr aufwiesen. Aber nicht das Alter des Tieres ließ Desiderius stocken. Anders als Zeck und seine Männer, fragte er sich zunächst, wie das Tier hierherkam. Wie der Name schon verriet, lebten Bergpumas in den Bergen. An der Küste gab es nicht einmal einen sanften Hügel, sondern nur warme, scharfe Felsen und Klippen. Kein Lebensort, wohin sich ein Puma freiwillig verirrte.
Zeck stand lachend auf und ging mit dem Dolch in der Hand auf das Tier zu. »Na was haben wir denn hier? Sieht aus wie mein neuer Mantelkragen!« Er wirbelte den Dolch geschickt in den Fingern, eine spielerische Fähigkeit, für die er bekannt war. Die Männer lachten dreckig über seine Bemerkung.
Desiderius zuckte überrascht zusammen, als etwas Warmes seine Hände berührte. Er fuhr herum, aber eine dunkle Stimme zischte ein »Scht!« in sein Ohr.
Mit wild schlagendem Herzen schielte er zurück zu Zeck. Er und seine Männer hatte dem Baum, an dem Desiderius saß, die Rücken zugekehrt und ihre Aufmerksamkeit auf die Katze gerichtet, die sich wild fauchend und mit schlagenden Krallen gegen Zeck verteidigte. Sie spielten mit dem Tier, wie sadistische Hurensöhne eben mit wehrlosen Tierkindern spielten, pikten und reizten die Katze mit Tritten. Machten sich einen Spaß aus der Wut des kleinen Rackers.
Als die Fesseln um seine Handgelenke gelöst waren, ließ Desiderius die Arme dort, wo sie waren. Er rollte lediglich die Handgelenke, um sie zu lockern. Der große Schatten, der sich hinter ihn geschlichen hatte, legte ihm ein schmales Heft in die Finger.
Desiderius grinste. Der Schatten entfernte sich lautlos.
Als kurz darauf ein Pfeil aus dem Wald zischte und mit einem feuchten Schmatzen in die Schulter eines Räubers schlug, verstummte das Gelächter der Gruppe augenblicklich. Das Opfer wälzte sich stöhnend auf dem Boden, Zeck und die anderen richteten sich auf, während sie sich mit gezogenen Waffen zum Waldrand umdrehten.
Rahff trat zwischen den Bäumen aus dem Schatten in das Licht des grauen Tages, die Sonne hatte den Kampf gegen die Wolken bereits vor einigen Augenblicken verloren. Graunebel herrschte.
Als die Räuber den Giganten erblickten, wichen sie unwillkürlich einen respektvollen Schritt zurück. »Das ist der Kerl von gestern! Der Berg aus der Schenke!«, stellte einer der Diebe hinter seinem Gesichtstuch fest, das er zu einem Dreieck gebunden und unter der Kapuze im Nacken festgeknotet hatte. Womit er aussah wie alle seine Waffenbrüder. Nur Zeck hatte das rote Dreiecktuch und die dunkelgrüne Kapuze abgestreift.
Als Zeck Rahff mit einem langsamen Blick musterte, konnte Desiderius ihm bereits ansehen, dass er sich nicht einschüchtern ließ, auch nicht von Rahffs Größe. Ein kaltes Schmunzeln breitete sich auf seinen Lippen aus, er öffnete die Arme, als wollte er eine Umarmung wagen. »Und was wollt Ihr jetzt tun? Wir sind in der Überzahl, Berg!«
Desiderius wartete ab, gab noch nicht zu erkennen, dass er losgebunden war.
Mit einer beneidenswerten Gleichgültigkeit spannte der Silberlöwe erneut einen Pfeil in seinen Bogen und zielte genau auf Zecks Brust.
In Rahffs Händen hätte jeder gewöhnliche Bogen wie ein Spielzeug für Kinder gewirkt. Wie eine zerbrechliche Waffe, die man als junger Grünschnabel im Wald aus einem biegsamen Weidenast und einer Schnur gebastelt hatte. Doch der Gigant hielt nicht irgendeinen Bogen in der Hand, sondern einen großen, massiven handgeschnitzten Bogen aus Schwarzholzeiche, der seinen Pranken gerecht kam. Dementsprechend lang und dick waren die schwarzen Pfeile, die er einspannte. An ihrem Ende waren sie mit Rabenfedern gefiedert, auch ihre Spitzen glänzte mattschwarz. Geschwärztes Eisen, das eine tiefe Wunde reißen und sich im Fleisch eines Menschen festbeißen würde wie ein Kriegshund in der Wade des Feindes.
»Ihr habt die Wahl.« Mehr sagte Rahff nicht. Seine Gelassenheit und der starke Blick in seinen honigbraunen Augen ließen schwerlich irgendeine Art von Gefühl erkennen. Ob er wütend oder nervös war konnte Desiderius ihm nicht ansehen. Und er bewunderte ihn für diese zur Schau gestellte Gefühllosigkeit. Zumal er ihn letzte Nacht weinen gehört hatte und wusste, dass tief unter dieser augenscheinlich gleichgültigen Miene mehr lag, als das bloße Auge erkennen könnte.
Wer bist du wirklich? Welcher Mann verbarg sich tatsächlich hinter diesem einzigartigen Honigbraun? Bei Desiderius löste das warme Strahlen dieser Augen ein Gefühl von Nachhause kommen und sich an das Kaminfeuer setzen aus, obwohl er gerade in einer wirklich beschissenen Lage steckte.
Er schüttelte den Kopf, er musste sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren, wenn er noch einmal Gelegenheit haben wollte, überhaupt noch einmal über irgendetwas nachzudenken. Denn wenn der Silberlöwe Zeck und seine Männer nicht beeindrucken konnte, waren sie tatsächlich in der Unterzahl. Und Zeck war kein langsamer, dummer Ritter. Im Gegenteil, wenn jemand wusste, wie man seinen Gegner schnell und möglichst unehrenhaft tötete, dann Zeck! Immerhin hatte er Desiderius einige raffinierte Kniffe des Meuchelns gelehrt.
Zeck fand als erster seine Sprache wieder. »Das hier geht Euch nichts an.«
»Das ist aber nicht sehr nett, zu siebt auf einen wehrlosen Gegner einzudreschen«, bemerkte Rahff spöttisch.
»Wehrlos?«, lachte Zeck. Doch sein falsches Gelächter verstummte so schnell wieder, wie es sich erhoben hatte. »Haltet Euch aus Dingen raus, die Euch nichts angehen.«
Der Gigant dachte gar nicht erst daran. »Was seid ihr sieben doch für Feiglinge! Da wo ich herkomme, heißt es einer gegen einen, der Stärkere siegt. Was ihr hier tut ist unter der Würde aller Männer.«
»Geht zurück in Eure Berge, Südländer!« Rahffs Herkunft war unleugbar! Auch Zeck, dieser unkultivierte Bastard, erkannte es sofort. »Und opfert Euer Leben nicht für ein ehrloses Schlitzohr.« Er machte eine wegwerfende Geste in Desiderius` Richtung.
Wirklich interessant, wie herablassend Freunde werden konnten, wenn man sie bestohlen hatte...
»Geht, bevor es euch leidtut«, riet der Silberlöwe ihnen ernst. Seine Miene sprach eine deutliche Sprache, er machte keine Späße, er würde sie töten. Er würde ihre Leben für Desiderius auslöschen.
Desiderius` Herz klopfte noch einen Takt wilder. Warum fühlte er sich durch diesen Gedanken auf einmal so erhitzt?
»Weißt du was, du hast dir das Du jetzt doch redlich verdient«, meinte er zu dem Giganten.
Rahff verzog die Lippen zu einem Grinsen, das seine weißen Zähne entblößte.
Zeck schüttelte den Kopf, ein kühles Schmunzeln verzog seine Lippen zu einem schiefen Strich. »Euer Todesurteil, Berg.« Er langte in seine Lederweste … »Jungs!«
»Wurfdolche!«, schrie Desiderius warnend. »Er hat …«
Dann geschah alles gleichzeitig. Zeck machte seinem Ruf alle Ehre, er holte bereits mit dem Dolch aus, als Desiderius Rahff noch warnend zurief. Rahff ließ den Pfeil sausen und pfiff dabei hell durch die Lippen, woraufhin Zeck den Rücken nach hinten krümmte und schmerzhaft brüllte, da der Puma sich mit allen vier Pfoten in sein Bein krallte und sich mit dem Maul in der ungeschützten Wade festbiss. Da Zeck keine Stiefel, sondern nur Wickel mit Sohlen trug, spürte er den Biss ungedämpft. In der Zwischenzeit hatte Rahff blitzschnell den Bogen nach links gerissen, einem weiteren Räuber einen Pfeil in die Schulter gejagt und sich dann hinter einem Baum in Sicherheit geworfen, um den fliegenden Dolchen zu entgehen.
Neben Desiderius krachte ein Wurfdolch direkt neben seinem Ohr in den Baumstamm, er zuckte fluchend zusammen.
Er sollte sich aus dem Staub machen! Dies war die beste Gelegenheit, um zu entkommen.
Rahff kam hinter dem Baum hervor, während Zeck mit dem Bein strampelte und strauchelte, um den Puma abzuschütteln, und seine Männer nach weiteren Dolchen kramten. Der Gigant ließ den Bogen fallen, beförderte mit einem geübten Schulterzucken den buckligen Rundschild von seinem Rücken auf seinen Arm, und zog die Handaxt aus der Schlaufe seines Hüftgürtels. Ungehalten warf er sich der Räuberbande entgegen und riss den Schild hoch, als die Dolche flogen – die Klingen prallten mit einem hellen Ping an den Eisenbeschlägen ab oder blieben im massiven Holz stecken. Rahff rannte weiter vor, für einen Berg erstaunlich behände und wendig warf er sich in den Kampf. Seine Gegner waren verwundert über seinen Mut.
Desiderius könnte sich verdrücken. Niemand achtete auf ihn, und hinter ihm lagen die Tiefen Wälder, die ihn sofort verschlucken würden. Kein Verfolger würde ihn einholen, niemand kannte die tückischen Wälder so gut wie er, da er Jahrelang allein in ihnen überlebt hatte. Aber was wäre er für ein Mann, würde er seinen Retter opfern, um seinen eigenen Arsch in Sicherheit zu bringen.
Er war egoistisch, das stimmte, aber er war kein Arschloch.
Ach verdammt, er hasste es, das Richtige zu tun!
Rahff nutzte seinen Schild, um die Angriffe der Meute abzuwehren und seine Gegner mit dem Eisenbuckel niederzuschlagen, während er die Axt lediglich dazu nutzte, ihnen die Kurzschwerter zu entwinden. Ihre Klingen waren stumpf, sodass sie den Giganten kaum verletzten, sie kamen nicht durch die mehrschichtigen Lagen der robusten Bärenlederrüstung. Gelegentlich erklang ein helles Klingeln, wenn ihre Schwerter die Panzerplatten auf Rahffs Schultern attackierten. Er war wahrlich ein Berg, standhafter als jeder Felsen in der Brandung.
Zeck hatte genug von den Versuchen, das Katzenkind ohne Blutvergießen loszuwerden, er holte mit dem Dolch aus, um das Tier zu zerstückeln, auch auf die Gefahr hin, sich selbst zu verletzen.
Natürlich ließ Rahff das nicht zu, er rammte mit dem Schild einen Weg durch die verbliebenen drei Räuber – die anderen wanden sich stöhnend auf dem Boden und hielten sich die zertrümmerten Gesichter – und warf Zeck kurzerhand um, indem er wie ein Rammbock gegen ihn stürmte.
Der Puma ließ vom Bein seines Opfers ab und sprang zurück, als sein Herr übernahm. Aufgeregt brüllte die Katze ein helles »Raw-raw«, als wollte sie Rahff anfeuern. »Mach ihn fertig!«, schien das Katzenkind sagen zu wollen.
Zeck warf sich herum, seinen Dolch bereit in der Hand, und stach damit nach Rahff, der die kurze Klinge mit dem Schild abwehrte. Wütend riss Zeck das Bein hoch und trat nach Rahffs Knie, traf jedoch die gepanzerten Stiefel darunter und brachte den Giganten lediglich zum Straucheln.
Die beiden verbliebenen Räuber waren längst wieder auf den Beinen und wollten Zeck zur Hilfe eilen. Einen stach Desiderius von hinten ab, woraufhin der andere sich verwundert umdrehte.
Verschlagen lachend warf Desiderius das blutige Schwert, das Rahff ihm gegeben hatte, von der linken in die rechte Hand. »Hättet ihr mal lieber auf den Giganten gehört.«
Beron, dessen blutsverwandter Bruder Desiderius gerade niedergestreckt hatte, verzog hasserfüllt das Gesicht. Zumindest nahm Desiderius es an, denn er ließ ein verachtenswertes Grunzen verlauten und verengte die Augen, die knapp über dem roten Dreieckstuch lagen und die untere Hälfte seines Gesichts verhüllte.
»Mieser Verräter!«, spie Beron aus und warf sich auf Desiderius.
Darauf hatte er gehofft, denn im Angriff war er ungeübt, sein Vorteil lag darin, den ersten Schlag des Gegners abzuwarten und darauf zu reagieren. Wie in jenem Moment, als er sich unter dem relativ hochgeführten Hieb – die Feindesklinge zielte bewusst auf seinen Schwertarm - hinwegduckte und mit der scharfen Schneide seines Schwertes Beron in die Rippen hackte. Die Lederweste hielt den Hieb nicht auf. Beron krachte brüllten auf die Knie, roter Schaum trat aus seinem Mund. Seine Lunge war verletzt, für ihn würde jede Hilfe zu spät kommen.
Desiderius ging weiter, als wäre nichts gewesen. Die beiden Brüder hatte er noch nie gemocht, sie waren dumme Arschkriecher gewesen, unfähig, selbst zu denken, und doch stehts auf Macht aus. Sie hatten einmal versucht, ihn im Schlaf zu töten und einmal hatten sie ihm Gift untergemischt, das jedoch nicht tödlich gewesen war, da sie Nachtschattenkatzengift genommen hatten und er als Luzianer dagegen immun war. Er hatte Markesh vermutlich einen Gefallen getan, von ihnen war stets ein Verrat zu erwarten.
Außerdem hatte er schon sehr früh in seinem Leben die Fähigkeit verloren, dem Tod eine angemessene Gefühlsregung entgegen zu bringen. Für ihn war das Auslöschen eines Lebens nicht bedeutsamer als das Abwaschen eines Blutflecks auf seiner Klinge.
Rahff und Zeck kämpften noch immer. Der Gigant stand breitbeinig über seinem am bodenliegenden Opfer und schlug mit dem Schild auf ihn ein. Zecks Gesicht war nur noch Matsch. Gut! Desiderius fühlte Genugtuung, da auch sein Gesicht geschwollen und blutig von Zecks Fäusten war. Er bewegte probehaft den Kiefer, die kleinste Bewegung schmerzte.
Ein letztes Mal holte Rahff mit dem Schild aus und rammte es Zeck in die einstmals gar nicht so hässliche Fratze. Der Körper zuckte noch einmal, dann lag er leblos dar. Doch das sanfte Heben der Brust ließ erkennen, dass er noch atmete. Zeck würde es überleben, wenn ihn die Demütigung nicht umbrachte.
Rahff sah sich um, Blutspritzer auf dem Gesicht. Die verletzten Räuber rappelten sich auf und flüchteten in die Stadt zurück, blickten sich über die Schulter, um zu sehen, ob der Gigant ihnen nacheilte.
»Sollen wir sie entkommen lassen?« Rahff richtete sich auf und sah den Feiglingen nach, während er den Unterarm nutzte, um sich Zecks Blutspritzer vom Mund zu wischen.
Desiderius genoss einen Moment seinen brutalen, wilden Anblick, bevor er sich besinnen konnte. »Lass sie laufen«, erwiderte er, »ich hätte keinen von ihnen töten sollen.« Er blickte nachdenklich auf Zeck hinab. »Markesh ist nachtragend.« Zum Glück lebte sein kleiner Bruder noch. Denn wenn Zeck getötet worden wäre, hätte Desiderius ein ernsthaftes Problem gehabt. Zurzeit verfolgten sie ihn lediglich wegen materiellen Reichtümern, aber wenn er Markeshs kleinen Bruder getötet hätte, wäre daraus Rache geworden. Unerbittliche, blinde Rache. Das konnte Desiderius sich nicht leisten.
»Krähenfratze?« Rahff wandte sich zu ihm um, er schulterte seinen Schild, von dem Blut tropfte.
Desiderius lachte. »Krähenfratze?« Er dachte kurz darüber nach. »Ja, das beschreibt ihn ganz gut. Und ich schäme mich, nicht selbst darauf gekommen zu sein.« Er schnippte ärgerlich mit den Fingern.
»Bin ihm gestern in der Schenke begegnet«, erklärte der Gigant, »er hat nach dir gefragt.«
Am Kopf kratzend blickte Desiderius weiterhin auf Zecks matschige Visage hinab, da er Rahffs honigbraunen Augen, die im grauen Tageslicht heller als jedes heiße Lagerfeuer schienen, nichts entgegensetzen konnte. »Er und ich haben … eine offene Rechnung.«
»Scheint wohl so.« Rahff hing die Axt zurück in die Schlaufe. »Alsdann, wir sind wohl quitt. Du solltest dich aber sputen, bevor sie dich wieder aufspüren.« Er wandte sich einfach ab. »Lebe wohl.«
Verwundert sah Desiderius ihm hinterher. Der Puma folgte Rahff, blickte aber immer wieder zögernd zurück, als wollte er sagen: »Wollen wir den wirklich zurücklassen?«
»Was heißt hier Quitt?« Desiderius dachte gar nicht daran.
Rahff blieb stehen, drehte sich um. »Du hast mich gerettet, und ich dich.« Seine massigen Schultern ruckten gleichgültig, die Eisenplatten klimperten. »Ich bin dir nichts mehr schuldig.«
Aber hatte er ihn gestern nicht um Hilfe gebeten? Warum wollte er sie nicht mehr?
Desiderius setzte ihm nach, als er wieder weiter gehen wollte, in Richtung morschen Stadttor. »Oh nein! Du hast nur ein paar Banditen verprügelt! Ich habe Ritter für dich getötet!«
Rahff blieb nicht stehen. »Dann warst du eben etwas konsequenter als ich, am Ergebnis ändert das trotzdem nichts! Ich rettete deinen hüb…«, Rahff verstummte plötzlich, drehte sich um, ehe er erneut ansetzte. »Ich meine, ich rettete deinen Arsch, und du den meinen. Meine Schuld dir gegenüber ist beglichen!«
»Das sehe ich aber anders!«, warf Desiderius ein.
Rahff veränderte seinen Gesichtsausdruck. Desiderius stockte. Auf einmal lag etwas Lauerndes in Rahffs Blick, Belustigung, gar Spott und ein wissendes Schmunzeln. »Kann es sein, dass unser erhabener Vagabund seine Meinung geändert hat? Weil ihm gerade vor Augen geführt wurde, wie hilflos er allein ist?«
Oh dieser Triumph in seinen Augen! Desiderius ärgerte sich bis ins Mark darüber, während sein Herz verräterische Purzelbäume schlug.
»Pfff. Nein!« Und ob! In dem Moment, als die Diebe vor Rahff geflohen waren, hatte Desiderius eine Ahnung davon bekommen, wie man sich fühlte, wenn andere Menschen einen fürchteten. Ein Gigant an seiner Seite zu haben konnte letztlich kein Nachteil sein. Zumindest so lange Markesh ihm so dicht auf den Fersen war.
Rahff zog amüsiert eine Augenbraue in Richtung Haaransatz. Sogar der Puma besaß die Frechheit, zweifelnd den Kopf schief zu legen.
Desiderius verschränkte die Arme vor der Brust. »Nun … aber wenn du es schon so sagst, gebe ich zu, mir kommt gerade der Gedanke, dass es von unserem beidseitigen Vorteil wäre, gemeinsam aufzubrechen. Du wirst verfolgt, ebenso wie ich. Wir könnten uns den Rücken stärken, zumindest für eine kurze Weile. Eine Hand wäscht die andere. Hilf du mir, vor meinen Feinden zu fliehen, dann helfe ich dir.«
»So, so.« Rahff durschaute ihn, er sah ihm lange mit einem äußerst belustigten Schmunzeln in die Augen. Wobei es mehr ein Grinsen war, denn der Gigant schmunzelte nicht, er zeigte so gut wie immer seine strahlend weiße Zahnreihe. Dunkle Strähnen hingen ihm im Gesicht, es schien ihn nicht zu stören.
»He, wenn du nicht willst!« Desiderius zuckte mit den Achseln. »Ich kann auch allein weiter gehen.« Klar kann ich das, aber ich werde nie wieder ein Auge zu tun. Zeck würde sich fürchterlich rächen wollen.
»Bringst du mich nach Dargard?« Es schien das Einzige zu sein, was den Silberlöwen beschäftigte.
Desiderius seufzte ergebend. »Wenn es dich denn so sehr drängt, dein Leben zu beenden: Ja! Ich bringe dich nach Dargard. Wenn es Ärger gibt, bin ich allerdings ganz schnell über alle Berge, sei dir dessen gewiss. Und ich kann nicht versprechen, dass es uns gelingt, ungesehen zum Palast vorzudringen. Du bist nicht gerade … unauffällig.«
Rahff sah an sich hinab, als wäre ihm noch nie in den Sinn gekommen, dass irgendetwas von oder an ihm die Blicke auf sich ziehen könnte.
In der Stadt schwoll das Gemurmel der erwachenden Bevölkerung an. Der Markt öffnete Stand für Stand, Betrunkene torkelten aus den Hurenhäusern auf die Straße, um in irgendeiner Ecke ihren Rausch auszuschlafen. Gewiss würde auch Markesh bald hier eintreffen.
Rahff schien ein ähnlicher Gedanke zu kommen, denn er sagte beunruhigt: »Wir sollten von hier verschwinden.«
Desiderius nickte zustimmend.
Er folgte dem Giganten in den Stall. Rahff sattelte die Pferde. Eines der drei Rösser belud er mit Last, er hatte Decken, Waffen, mehrere Köcher mit Pfeilen, Wasservorräte, sowie ein Zelt bei sich.
»Wir wollten gerade zu einem Jagdausflug aufbrechen, als mein Onkel die Burg übernahm«, erklärte er auf Desiderius´ fragenden Blick hin.
Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Rahff schien nicht daran gelegen, sein Herz auszuschütten, und Desiderius war kein Mann, der einen anderen nach seinen Gefühlen fragte. Was nicht bedeutete, es wäre ihm gleichgültig, was dem Giganten widerfahren war. Nein, ärgerlicherweise hatte er bereits in der Nacht, als er diesen starken Mann weinen gesehen hatte, feststellen dürfen, dass ihn dessen Geschichte alles andere als kalt ließ. Auf irgendeine verworrene Weise fühlte er sich dadurch mit Rahff verbunden. Hatte er denn nicht auch wie ein Schwächling geweint, damals, als er davonlaufen musste? Und in all den Nächten, wenn ihn der Hass seines Vaters einholte und er sich selbst gegenüber nicht leugnen konnte, dass es ihn nicht kalt ließ? Wenn die Verzweiflung ihn packte und er nicht weiterwusste, sich verloren und winzig in der Welt fühlte?
Waren sie nicht beide auf irgendeine Art Vertriebene, verbannt aus dem eigenen Haus, wenn auch auf zwei verschiedene Weisen?
Sie schwiegen sich zunächst an, Desiderius warf gelegentlich verstohlene Blicke zu den Pferden, aber sein neuer Gefährte schien es nicht zu bemerken. Rahff packte zusammen, Desiderius wusch sein geschwollenes Gesicht in einem Trog, der in der Stallgasse stand.
Rahff führte mit einem sanften Lächeln einen Schimmel und einen mausgrauen Hengst heran, das dritte Tier, mit dunkelbraunem Fell, zog er hinterher. Der Puma umkreiste seine Füße.
»Silber habe ich nicht, aber vielleicht entlohnt dich der hier.« Er reichte Desiderius die Zügel des mausgrauen Pferdes. Es schien ihn Überwindung zu kosten.
Desiderius blinzelte. »Du schenkst mir ein Pferd?« Normalerweise musste er sie stehlen.
»Er gehörte Eskern.« Rahff klopfte dem Tier bedauernd auf den Hals. »Er braucht also einen neuen Herrn. Er wird dich tragen, wenn ich es erlaube. Sein Name ist Fels.«
»Fels.« Es war ein grauer, prächtiger Bursche, groß und stämmig mit einem sanftmütigen Blick.
Desiderius schielte stirnrunzelnd auf den weißen Schimmel. Das Tier war majestätisch, es strahlte pure Kraft und Anmut aus und trug das gleiche Feuer in den Augen wie Rahff. Er hatte es schon in der vorherigen Nacht bewundert. »Und wie heißt er?«
Rahff verwunderte die Frage. »Schnee. Wieso?«
»Fels und … Schnee?« Seine Brauen schossen nach oben.
»Ja. Schnee.« Rahff verstand nicht, was Desiderius seltsam daran fand.
»Aber … wieso?« Von allen schönen Namen wählte der Gigant für dieses traumhafte Tier einen derart banalen Namen wie Schnee!?
»Wie denn sonst?« Rahff klang plötzlich gereizt, vermutlich fühlte er sich beleidigt. »Sein Fell ist weiß wie Schnee, also …« Er zuckte mit den Schultern.
Desiderius lachte leise. Belustigt. »Und deine Katze?« Er blickte hinab auf den Puma, der zwischen Rahffs Füßen saß und neugierig zu ihm aufblickte. »Lass mich raten: Sand! Wegen ihres braunen Pelzes?«
Ärgerlich knirschte Rahff mit den Zähnen. »Er heißt Nebelkralle!«
»Nebelkralle und Schnee also.« Desiderius rümpfte die Nase. »Ihr seid nicht gerade die einfallsreichsten Namengeber da oben in euren Bergen, hm?«
»Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche.«
»Auf das Offensichtlichste, willst du sagen«, foppte Desiderius ihn.
»Das Wesentliche«, beharrte Rahff ernst, sicherlich bereute er es bereits, sich Desiderius angelacht zu haben. So erging es den meisten Männern, Desiderius besaß ein sagenhaftes Talent, sich bei anderen unbeliebt zu machen. »Tieren menschliche Namen zu geben wäre ein Fehler. Also bekommen sie Namen, die ihrem Aussehen oder Wesen entsprechen. Wir wollen sie nicht vermenschlichen und vergessen, dass sie kraftvolle Tiere sind, die unseren Respekt mehr verdienen als Hätscheleien. Tiere sind keine Menschen! Und sie wollen auch sicher keine sein.«
Das war entweder eine recht herzlose oder tiefgründige Ansicht. Je nachdem, von welchem Blickwinkel man es betrachtete.
Ein Herz für Tiere hatte Desiderius nicht unbedingt. Nicht mehr. Es war das gleiche wie mit Freundschaften. Schwachstellen, die einem das Herz bluten ließen. Wenn man niemanden und nichts liebte, wog auch kein Verlust schwer. Freundschaften waren ein Trugschluss. Freunde waren nichts weiter als Verräter, die man sich selbst zuzuschreiben hat. Freunde waren Menschen, die einem einen Dolch in die Rippen stießen, wenn man es nicht erwartet. So ähnlich verhielt es sich mit Tieren. Sie verrieten einen vielleicht nicht, aber irgendwann würden sie auf die eine oder andere Weise gehen oder einem genommen werden.
Demnach war es ihm egal, welche Namen Rahff verteilte, er hatte sich lediglich darüber amüsiert. Doch bevor diese Unterhaltung zu einer ernsthaft philosophischen Debatte ausartete, gab er sich einfach geschlagen und winkte ab.
»Lass uns gehen.«
Er nahm die Zügel seines neuen Pferdes und führte es nach draußen. Rahff folgte ihm.
»Außerdem, wer den Namen Desiderius trägt, sollte nicht über andere Namen lachen«, fügte Rahff unversehens angriffslustig hinzu, als er Schnee aus dem Stalltor führte.
Desiderius drehte sich schockiert zu ihm um. »Was willst du damit sagen?« Gefiel ihm der Name etwa nicht? Was war falsch daran?
Und warum kümmerte es ihn, was Rahff über seinen Namen dachte?
Der Gigant lächelte in sich hinein, als er Desiderius grübelnde Miene bemerkte. Genau darauf hatte er es abgesehen. Desiderius zu verunsichern.
Genervt kräuselte Desiderius die Lippen. »Sehr witzig!«
»Ich scherze nicht. Das ist ein Zungenbrecher«, hielt Rahff neckend dagegen. »Ihr Luzianer habt immer seltsame Namen. Deiner klingt, als habe deine Mutter einfach die Initialen der Freier genommen, die als Vater infrage kämen. Eine Mischung aus fünf klanglosen Silben.«
Klanglos?!
Das traf Desiderius` Stolz nun doch sehr. Er beobachtete mit bebenden Nasenflügeln, wie Rahff Nebelkralle aufhob und ihn unter seinem Harnisch verstaute. Das Tier glitt gähnend unter das Leder, danach war es nicht mehr zu erkennen. Lediglich wenn jemand genau hinsehen würde, würde er sich über die sanfte Beule auf Rahffs Brustmitte wundern.
Desiderius hasste es, wenn sich jemand über ihn lustig machte. Er wollte nicht zum Gespött werden. »Ach ja? Und was ist Rahff eigentlich für ein Name?«, fragte er gereizt, während er sich auf den Rücken des Grauen schwang. »Klingt wie ein schrecklicher Husten!«
Rahff zog sich auf Schnee, stockte dann schockiert, als er die Zügel aufnahm. »Das ist ein uralter Name meines Geschlechts! Er wird an den Erstgeborenen vergeben. Meine Vorväter trugen ihn schon!«
»Dann hat euer Volk in den letzten Jahrhunderten offensichtlich nichts gelernt.«
Rahff fiel die Futterluke runter. Zufrieden mit sich trieb Desiderius seinen Grauen an und ritt voran.
Der Sieg schmeckte köstlich.
Sie flohen vor den Wolken in Richtung Osten, wo sie die Tiefen der Wälder verschluckten. Dorthin, wo es weit und breit keine Zivilisation gab, wo bluthungrige Bestien wohnten. Rahff war ein vorbildlicher Schützling, er zweifelte nicht ein einziges Mal die Richtung an, in die Desiderius sie führte. Doch ihnen war beiden bewusst, dass sie nicht ewig davonlaufen konnten. Sie würden nur eine kurze Weile untertauchen, um Pläne für ein Vorhaben zu schmieden, das ihnen letztlich sogar Ärger mit der Krone einhandeln konnte. Es war schließlich verboten, sich unbefugt zum Palast zu schleichen.