Читать книгу Die kapitalistische Gesellschaft - Boike Rehbein - Страница 12

2.7 Ausbeutung der Natur

Оглавление

Die Menschen – und alle anderen Lebewesen – leben seit jeher von der Natur. Nur der Kapitalismus aber beutet die Natur systematisch aus, um Profit zu machen. Zwar wurde bereits vor vielen Jahrtausenden mit Naturprodukten gehandelt, von Salz über Wurzeln bis hin zu Muschelschalen. Auch wenn diese Handelstätigkeit gelegentlich auf persönlichen Gewinn abzielte, war sie doch zumeist Tausch, der ein überschüssiges gegen ein fehlendes Produkt eintauschte. Aber selbst der auf den Gewinn ausgerichtete, also kapitalistische Handel erfasste nicht die Gesellschaft, sondern war auf kleine Gruppen beschränkt.

Wir haben gesehen, dass der Abtransport von Rohstoffen – von Edelmetallen aus Amerika bis zu Gewürzen aus Asien – im Zentrum des frühen Kolonialismus stand. Er wurde später ergänzt um landwirtschaftliche Produktion durch Sklaven, Zwangsarbeiter oder abhängige Bauern in den Kolonien und durch Enteignung in Europa. In diesem Kontext müssen wir auch die Naturzerstörung innerhalb Europas betrachten. Im frühen Kolonialismus wurden die Wälder für den Bau von Flotten abgeholzt. Sodann wurde Natur in landwirtschaftliche Produktionsstätten verwandelt, sowohl für die Viehzucht als auch für den Ackerbau. Das taten zwar auch andere Gesellschaften, aber nicht in einem derartigen Ausmaß. Schließlich explodierten die Ausbeutung der Ressourcen und die Verschmutzung von Luft, Wasser und Erde mit der industriellen Revolution. Schon Adam SmithSmith, Adam beschrieb 1776 die systematische Ausbeutung der Natur zum Zwecke des Gewinns.1

Die Ausbeutung von Rohstoffen und Landnahme sind bis heute zentrale Elemente des Kapitalismus. Die gesamte industrielle Produktion beruht auf Rohstoffen, aber auch viele unserer Lebensgrundlagen – Wasser, Wohnraum, Nahrungsmittel – sind nur über den Eintritt in das kapitalistische System zugänglich. Selbst indigene Dörfer, die im Urwald leben, dürfen immer weniger Pflanzen aus ihrer Umgebung nutzen. Großunternehmen schicken Forscher in alle Teile der Welt, um die Nutzung von Pflanzen zu dokumentieren, die dann im Namen des Großunternehmens patentiert werden; eine Nutzung ist nur noch gegen Zahlung einer Gebühr möglich.2

Ohne die nahezu kostenlose Aneignung der Natur fiele das Wirtschaftswachstum des Kapitalismus sehr gering aus. Die Ausbeutung der Natur hat vermutlich mehr zum Wachstum beigetragen als die Technologie, wie die Tabellen 1 und 2 nahelegen. Tabelle 1 zeigt auch, dass und in welchem Maße die Ausbreitung des Kapitalismus mit der Zerstörung der Natur einhergeht. Die Korrelation zwischen Ressourcenverbrauch, Naturzerstörung und Wirtschaftswachstum weltweit ist eindeutig. Sie beruht auf dem Kapitalismus.

1850 1900 1950 2010
CO2-Ausstoß Mio. t 100 2000 8000 32000
Wasserverbrauch in Mrd. m3 600 1200 4000
Aussterbende Amphibienarten <0,1% 0,2% >1,0% 2,3%
BSP in Billionen USD 2011 Ca. 1,5 Ca. 3,4 Ca. 13 Ca. 94

Tab. 1: Globaler Ressourcenverbrauch und Wachstum (Quellen: ourworldindata.org; Der Spiegel, 6.5.2019).

Die Ausbeutung der Natur hat im Kapitalismus systematischen Charakter. Sie schließt die gesamte Gesellschaft und die gesamte Natur ein. Während die meisten früheren Gesellschaften auf Nachhaltigkeit gegründet waren, verwandelt der Kapitalismus zunehmend alle natürlichen Gegenstände in Waren, um durch deren Verkauf Gewinn zu erzielen. Dieser Prozess tendiert, wie wir alle wissen, dahin, die Lebensgrundlagen der Menschheit zu zerstören.

Ulrich BrandBrand, Ulrich und Markus WissenWissen, Markus haben gezeigt, inwiefern der Kapitalismus auf der Externalisierung der Ausbeutung von Mensch und Natur basiert.3 Während einerseits Natur als „Gratisproduktivkraft“ genutzt werde, müssten andererseits Wälder im globalen Süden das im Norden ausgeschiedene Kohlendioxid absorbieren, Müll aus dem Norden in den Süden transportiert werden und Menschen im Süden möglichst billig arbeiten.4 Die Autoren erläutern nicht nur, dass wir alle diese Ausbeutung mit unserer alltäglichen Lebensweise reproduzieren, sondern auch, dass wir möglicherweise bald an die Grenzen der Ausbeutbarkeit stoßen. Tatsächlich scheint innerhalb des kapitalistischen Systems, wie es heute funktioniert, keine Rettung der Natur möglich. Sie wird ausgebeutet, bis das letzte Sandkorn abtransportiert und verkauft wurde.

In welchem Maße der Kapitalismus auf der kostenlosen Ausnutzung von Mensch und Natur beruht, hat besonders deutlich der Ökofeminismus gezeigt.5 Nicht nur die natürlichen Ressourcen, sondern auch die Reproduktion in der Familie und die sozialen Tätigkeiten wie Pflege werden vom Kapitalismus angeeignet, aber nicht bezahlt, anerkannt oder ersetzt. Ohne sie gäbe es keine kapitalistische Wirtschaft.

Die Ausbeutung der Natur dient nicht der Gesellschaft oder den Menschen insgesamt, sie wird auch nicht vom Menschen „an sich“ betrieben. Sie dient der Herrschaft über Menschen. Meinen Sie, dass der Vorstand von Shell die Menschheit mit Öl versorgen will oder Kleenex Kahlschlag betreibt, weil Kosmetiktücher eine Errungenschaft sind, über die jeder Mensch verfügen sollte? Selbstverständlich nicht, es geht um Profit, um die Vermehrung von Geld. Wozu aber dient das Geld? Die Vorstände und Großaktionäre dieser Unternehmen brauchen das Geld nicht in erster Linie, um zu überleben oder um teure Konsumgüter zu kaufen. Derartige Mengen an Geld kann man gar nicht ausgeben. Vielmehr dient das Geld als Herrschaftsmittel, es sichert die soziale Position und die Herrschaft über andere Menschen, wie ich unten eingehend zeigen werde.

Die kapitalistische Gesellschaft

Подняться наверх