Читать книгу Die kapitalistische Gesellschaft - Boike Rehbein - Страница 19
3.2 Wachstum
ОглавлениеWer bezahlt eigentlich den Gewinn der Kapitalisten? Das kann geschehen durch die Vermehrung der Geldmenge, Raub, Umverteilung von unten und Wirtschaftswachstum. Alle vier Möglichkeiten werden tagtäglich ergriffen. Die ersten drei sind negativ zu bewerten. Das Drucken von Geld hat eine Inflation zur Folge: Da es insgesamt dieselbe Menge an Waren, Kapital und Arbeit gibt, aber mehr Geld, muss man für jeden Gegenstand mehr Geld bezahlen. Volkswirtschaftlich ändert sich durch die Vermehrung der Geldmenge nichts. Tatsächlich gewinnen aber relativ die Menschen, die über Eigentumsgüter verfügen, welche nicht die Form von Geld haben, während die Menschen, die allein Geld zur Verfügung haben, also die Armen, mehr Geld für das Notwendige ausgeben müssen. Raub kann viele Formen haben, nicht selten ist er mehr oder weniger legal, beispielsweise die Landnahme durch Verwandlung von Boden in Eigentum, ein Vertragsabschluss bei ungleicher Verteilung von Informationen oder die Nutzung von Steueroasen. Mittel zur Umverteilung von unten nach oben sind beispielsweise die Kürzung von Löhnen, Steuererleichterungen für Vermögende und Spitzenverdiener, Verbrauchsteuern (die für alle gleich sind, aber prozentual zum Einkommen für die Konsumenten stärker ins Gewicht fallen als für Kapitalisten), Konsumkredite und Staatsschulden. Das Wirtschaftswachstum kann gut oder schlecht sein. Es kann auf der Plünderung von Ressourcen, Bevölkerungswachstum und Einsparung von Arbeitskräften beruhen. Das ist eher negativ zu bewerten. Lediglich das Wachstum, das auf Steigerung der Produktivität beruht, kann positiv sein – wenn die Allgemeinheit daran beteiligt wird. Meist aber werden trotz Wachstums die Löhne nicht angehoben und nicht mehr Arbeitskräfte beschäftigt. Dann kommen die Früchte des Wachstums fast ausschließlich den Kapitalisten zugute.1 Der Profit – oder, wie man oft lieber sagt, der Gewinn – der wenigen Kapitalisten wird fast immer von der Allgemeinheit bezahlt.
Der Marxismus geht davon aus, dass Profit durch Ausbeutung von Arbeitskraft erzeugt wird. Mit dieser Annahme verknüpft er eine naturwissenschaftliche Sicht auf die Wirtschaft. Er meint, dass man die Profitrate berechnen könne. Tatsächlich erwächst der größte Teil des Profits im Kapitalismus jedoch aus Prozessen, die Verwandtschaft mit dem Raub aufweisen. Die gesamte Struktur des Kolonialismus bestand darin, dass sich Kaufleute und Staaten Rohstoffe, Waren und Menschen in den Kolonien nahezu kostenlos angeeignet haben. Diese Struktur wurde lediglich durch andere Formen der Kapitalinvestition ergänzt. Noch heute wird ein großer Anteil am weltweiten Handel von der Natur kostenlos zur Verfügung gestellt: Öl, Wasser, Holz, Edelsteine, Metalle, Pflanzen. Man muss nur den Abbau bezahlen.
Ein weiterer Teil des Profits wird durch kurzfristigen Betrug erzeugt, für den tendenziell die Allgemeinheit aufkommen muss, falls es die geschädigten Personen nicht vermögen. Wer Falschgeld druckt und damit bezahlt, macht einen Profit, auch wenn dadurch die gesamte Geldmenge wächst und alle Waren etwas teurer werden. Ähnlich verfahren Banken, wenn sie Wertpapiere für nicht existente Werte auflegen, was die Ursache der Krise von 2008 war.2
Der Gewinn entsteht oft aus Raub. Das Wirtschaftswachstum hingegen wird im Wesentlichen durch die Integration neuer Rohstoffquellen und Absatzmärkte erzeugt. Kostenlose Aneignung von Ressourcen ist ein zentrales Element des Kapitalismus, vom Kolonialismus bis zur Abholzung der Regenwälder. Zieht man das prozentuale Bevölkerungswachstum und den Wert neu entdeckter Ressourcen ab, bleibt eine Rate des Wirtschaftswachstums übrig, die kaum über der nicht-kapitalistischer Gesellschaftsformen liegt. Ferner müssen wir im Grunde auch den Wert aller Betrugsfälle abziehen. Es bleibt die Ausbeutung der Arbeitskraft, also die Produktivität, als Quelle eines echten Wachstums im Sinne des Marxismus, das allerdings sehr gering ist und für den Kapitalismus eine untergeordnete Rolle spielt. Tabelle 2 zeigt, dass Ressourcenabbau, Bevölkerungswachstum und Wirtschaftswachstum weitgehend parallel verlaufen.
1850 | 1900 | 1950 | 2010 | |
Verbrauch von Kohle pro Kopf in Gigajoule | Ca. 2 | Ca. 18 | Ca. 18 | Ca. 24 |
Anteil von Wald an der Erdoberfläche | 50% | 48% | 44% | 38% |
Bevölkerung in Milliarden | 1,2 | 1,65 | 2,53 | 6,9 |
BSP in Billionen USD 2011 | Ca. 1,5 | Ca. 3,4 | Ca. 13 | Ca. 94 |
Tab. 2: Wachstum von Bevölkerung, Wirtschaft und Ressourcenabbau weltweit (Quelle: ourworldindata.org, theoildrum.com/node/9023).
Eine Investition muss nicht unbedingt in produktive Tätigkeit fließen, sondern kann auch reine Spekulation mit fiktiven Werten sein. Und die produktive Investition muss keine Arbeitsplätze schaffen, sondern kann gerade dazu dienen, Arbeitsplätze zu vernichten, indem beispielsweise Maschinen gekauft werden, die Arbeit einsparen. Investitionen dienen in erster Linie dazu, Profite zu erwirtschaften. Wenn die Politik also davon redet, ein investitionsfreundliches Klima zu schaffen, ist damit in erster Linie gemeint, dass die Profite gesteigert werden sollen.
Wachstum ist das Schlüsselwort im öffentlichen Diskurs. Wirtschaftssteuerung heißt Förderung des Wachstums, indem Kosten gesenkt und Absatzmöglichkeiten erweitert werden. Die Steuergesetze der meisten Staaten sollen dazu dienen, Investitionen zu fördern. Wo die Unternehmen investieren, bleibt ihnen überlassen. Unternehmenskredite werden verbilligt, die öffentliche Nachfrage wird gestärkt und die Arbeitnehmer werden zur Zurückhaltung bei Lohnforderungen gedrängt. Dadurch soll das Wachstum angekurbelt werden, in Wahrheit werden aber nur die Profite gesteigert.