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2.3 Der Nationalstaat

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In die Zeit der Entfaltung des Kolonialismus fällt die Entwicklung des Nationalstaats. Bis zum Dreißigjährigen Krieg, der 1648 endete, waren die europäischen Staaten gleichsam Besitztümer von Monarchen. Der Staatsapparat der englischen Königin ElizabethElizabeth I. von England umfasste vor Beginn des Krieges nur wenige hundert Personen und war weitgehend mit ihrem Hof identisch.1 Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde Europa territorial aufgeteilt, und die Staaten entwickelten sich zu Nationalstaaten mit einer unpersönlichen, umfassenden Bürokratie und einer rechtlich geregelten Herrschaft. Diese Organisationsform wurde mit dem Kolonialismus auf den Rest der Welt übertragen.

Der Nationalstaat ist keine Privatangelegenheit der Monarchen mehr. Erstens ist der Herrscher ein Vertreter der Gesamtheit, also ein Repräsentant und kein persönlicher Machthaber. Zweitens hat der Nationalstaat ein rechtliches Rahmengerüst. Drittens hat er eine territoriale Grenze. Viertens verfügt er über ein Staatsvolk, das seit dem Dreißigjährigen Krieg zunehmend nationalistisch gedacht wurde, also mit einer einheitlichen Geschichte, Kultur und Sprache. In Wirklichkeit gab es zum Ende des Krieges keine Staaten dieser Art, sondern die Herrscher formten die Staaten in diese Richtung um. Die späteren Demokratien, beispielsweise die USA und Frankreich, schlossen daran an.

Bis zum Kolonialismus waren fast alle globalen Zentren expandierende Stadtstaaten gewesen, beispielsweise Babylon, das Industal, Athen, Rom, Venedig und Genua. Aber erst England war keineswegs mehr ein Hof mit umgebendem Territorium, sondern London wurde im 17. Jahrhundert die Hauptstadt eines nationalen Territoriums mit einem einheitlichen Binnenmarkt.2 Die anderen Staaten der Welt erreichten dieses Maß an Integration erst später. Im Weltmaßstab wurde der Nationalstaat sogar erst im 20. Jahrhundert die allgemeine politische Organisationsform.3

Der westliche, institutionalisierte Kapitalismus war von Anfang an ein globales Projekt, das von national organisierten Kapitalistengruppen im Verbund mit ihrem Staatsapparat vorangetrieben wurde. Der Staat diente den Kapitalisten als Beschützer, die Kapitalisten dienten dem Staat als Finanziers. Die Staaten und ihre Politik wurden national organisiert. Sie waren eng mit dem Kolonialismus und dem Kapitalismus verknüpft. Der europäische Nationalstaat sollte „seinen“ Kapitalisten überall auf der Welt profitable Möglichkeiten eröffnen und gleichzeitig im Innern die Arbeit organisieren und die Bevölkerung befrieden. Er stellte die Infrastruktur, bildete die Bevölkerung aus, kontrollierte sie und federte die Auswirkungen des Kapitalismus ab. Im Ausland trat er für die Interessen der auf seinem Staatsgebiet angesiedelten Kapitalisten ein.4

Diese Aufgaben sind bis heute die zentralen des Staatsapparates geblieben. Bis heute werden dazu gegebenenfalls Gewaltmittel eingesetzt. Wie die früheren Kolonialherren von Venedig über Spanien bis England befinden sich die heutigen Staaten, die Anspruch auf die Weltherrschaft oder eine regionale Vormachtstellung erheben, in einem mehr oder weniger konstanten Kriegszustand, um überall günstige Bedingungen für die mit ihrem Nationalstaat verbundenen Kapitalisten durchzusetzen und die anderen Staaten sowie ihre Kapitalisten nach Möglichkeit zu beherrschen.

Die kapitalistische Gesellschaft

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