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3.1 Was ist Kapital?

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Wenn von „Kapital“ die Rede ist, erklärt man meist nicht, was gemeint ist. Häufig meint man Vermögen oder Besitz. Als Kapital kann aber nur ein Vermögen bezeichnet werden, das gewinnbringend investiert wird. Im Alltag sind wir der Meinung, dass jeder Mensch über Kapital verfügt oder zumindest prinzipiell verfügen kann. Tatsächlich ist der Besitz von Kapital im Sinne eines mit dem Ziel von Gewinn investierten Eigentums auf eine winzige Gruppe beschränkt. Wir werden uns mit dieser Gruppe weiter unten eingehender beschäftigen.

Das Einkommen kann man in Konsum verwandeln (und damit gleichsam verlieren) oder verwahren (sparen). Die Arbeiterschaft muss den größten Teil ihres Einkommens für notwendigen Konsum aufwenden – auch wenn die Definition des Notwendigen sich im Laufe der Zeit ändert. Wenn das Einkommen für den Konsum verbraucht ist, muss die Arbeitskraft erneut verkauft werden. Bleibt darüber hinaus noch etwas übrig, kann es gespart werden. Weder das ersparte noch das für den Konsum aufgewendete Geld ist Kapital. Nur wenn das Ersparte so investiert wird, dass es einen nicht konsumierten Profit abwirft, der über der Wachstumsrate liegt, sich also vermehrt, verfügt man über potentielles Kapital.

Allerdings sind nicht einmal alle Menschen, die über potentielles Kapital verfügen, im ökonomischen Sinne als Kapitalisten zu bezeichnen. Wer ein paar Aktien eines Großunternehmens besitzt, hat keinen Einfluss auf die Firmenpolitik und den Aktienkurs. Es handelt sich lediglich um eine andere Art des Sparens, nicht um eine kontrollierbare Investition. Kleine Sparer sind den Großaktionären und der Unternehmensleitung vollkommen ausgeliefert. Sie sind keine Kapitalisten. Das zeigt sich auch an den Profitraten. Während kleine Sparer froh sind, wenn sich ihr Geld überhaupt vermehrt, streben die Kapitalisten stets Profitraten von mehreren Prozent pro Jahr an. Die Sparer vermehren ihr Vermögen kaum, die Kapitalisten erzielen in Deutschland einen Gewinn von mindestens 4,6 Prozent auf ihre Geldvermögen.1 Ferner finanzieren Kapitalisten ihren Lebensunterhalt aus dem Profit, während die Sparer für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Schließlich sind Kapitalisten nur in Verbindung mit einer sozialen Klasse zu interpretieren. Darauf werde ich im Verlauf des Kapitels mehrfach zurückkommen.

Die Kapitalisten stellen dem Rest der Bevölkerung Kapital gegen eine Art Nutzungsgebühr zur Verfügung. Ein geringer Teil der Nutzer setzt dieses Kapital selbst als Investition ein, muss aber eine Nutzungsgebühr abführen. Wer Boden nutzt, bezahlt eine Pacht. Wer Maschinen benutzt, bezahlt eine Pacht. Und wer Geld leiht, muss einen Zins entrichten. Die Nutzer versuchen, das Kapital so einzusetzen, dass sie selbst einen Gewinn machen. Auf diese Weise sichern sie sich ihr Überleben. Die Mittel zum Überleben kaufen sie jedoch letztlich wieder vom Kapitalisten, so dass ihr Lohn oder Gewinn an den Kapitalisten zurückfließt. Der große Rest der Bevölkerung erarbeitet mittels des Kapitaleinsatzes seinen eigenen Lebensunterhalt und den Profit der Kapitaleigner. Und die Kosten für den Lebensunterhalt fließen an die Verkäufer der Lebensmittel zurück, also an die Kapitaleigner.

Es ist wichtig, sich diesen Punkt genau klarzumachen. Ein beträchtlicher Teil der Einkommen und Vermögen der Menschen, die keine Kapitalisten sind, landet letztlich bei den Kapitalisten. Wir alle bekommen nur Konsumgüter zur Verfügung gestellt. Aus dieser Perspektive macht es keinen Unterschied, ob jemand 1800 oder 8000 Euro netto im Monat verdient. Bei 1800 Euro liegt der bundesdeutsche Durchschnitt für Haushalte, mit 8000 Euro gehört man zu den fünf Prozent der Topverdiener.2 Wer 1800 Euro verdient, muss etwa 500 bis 900 Euro Miete bezahlen, die oft ein Kapitalist einstreicht, ungefähr 300 Euro für Versicherungen, die Kapitalisten gehören, rund 500 Euro für Nahrungsmittel und Kleidung, die von Kapitalisten verkauft werden, und den Rest für Unterhaltung, die von Kapitalisten angeboten wird. Wer 8000 Euro verdient, zahlt mit etwa 2000 Euro ein Eigenheim ab. Das Geld streicht eine Bank ein, die Kapitalisten gehört. Mindestens 1000 Euro wendet er für Versicherungen auf und bis zu 1000 Euro für Nahrungsmittel. Für Unterhaltung und insbesondere für Verkehrsmittel wendet er relativ viel auf, möglicherweise bis zu 1000 Euro. Ferner hat diese Person im Zweifelsfall ein Ferienhaus, vielleicht ein Boot und Aufwendungen für Berufskleidung, Bewirtung und ähnliches, die sicher noch einmal 1000 Euro ausmachen. Die restlichen 2000 Euro wird die Person entweder für Luxuskonsum einsetzen oder für die Altersvorsorge, die wiederum von einem kapitalistischen Unternehmen angeboten wird.

Man mag einwenden, dass beide Personen Steuern an den Staat abführen, der nicht im Besitz von Kapitalisten ist. Was aber macht der Staat mit den Steuern? Er gibt es für Sozialleistungen aus, die für den Konsum eingesetzt werden, für Infrastruktur, die von kapitalistischen Unternehmen errichtet wird, für Zinsen auf Schulden, für Rüstung und den Beamtenapparat, der das Geld einsetzt wie eine Person im Beispiel des vorangehenden Absatzes. Nur bei wenigen Posten, etwa Bildung und Gesundheit, fließt das Geld nicht unbedingt vollständig in die Taschen der Kapitalisten.

Selbstverständlich kann in der demokratischen Gesellschaft jeder Mensch ökonomisches Kapital investieren. Wer keines hat, kann einen Kredit aufnehmen. Allerdings tut das kaum jemand, weil das Risiko hoch ist und die wirtschaftlichen Zusammenhänge kaum bekannt sind. Tatsächlich ist der wirtschaftliche Erfolg für einen Außenseiter sehr unwahrscheinlich. Kapitalisten hingegen haben fast immer bereits vor dem wirtschaftlichen Erfolg Kapital, da die meisten Kapitalisten Erben sind. Sie müssen es nicht erwerben und nicht einmal selbst unbedingt investieren, sie können von den Zinsen leben.

Das Kapital im Sinne einer kontrollierbaren Investition gehört im Kapitalismus einer kleinen Gruppe. Alle anderen können nur überleben, wenn ihnen erlaubt wird, dieses Kapital zu nutzen und einen Teil der Profite zu erhalten – mit denen sie Konsumgüter kaufen, deren Erlös wiederum an die Kapitalisten fließt. Die prinzipiell auf Arbeit angewiesenen Menschen, die mindestens 99,9% der Bevölkerung ausmachen, sind weder freie Menschen noch Sklaven, sondern Abhängige. Sie sind darauf angewiesen, vom Kapital einen Lebensunterhalt zugeteilt zu bekommen. Warum bekommen sie ihn? Sie bekommen in dem Maße einen Anteil, in dem sie Dienste für die Kapitalisten verrichten, die ohne diese kein Essen, keine Häuser und keine Annehmlichkeiten hätten. Und sie bekommen einen Anteil, weil sie ihn über Jahrhunderte erkämpft haben. Eine logische oder natürliche Notwendigkeit, für Arbeit einen Lohn zu bezahlen, gibt es nicht.

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