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2.5 Urheberrecht und kulturelle Grundversorgung: Naturrecht oder Naturalisierung historisch-spezifischer Eigentumsverhältnisse?

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Ein Kernargument liberaler Wirtschaftstheorie, welches immer wieder zum Schutz des geistigen Eigentums angeführt wird, ist die Notwendigkeit eines ausreichenden Investitionsschutzes. Wird die mit der Produktion von Gütern verbundene Anfangsinvestition nicht durch entsprechende Exklusivrechte geschützt bzw. dieser Schutz auch praktisch umgesetzt, so wird es zu einer Reduktion von Produktion und im Kultursektor zu einem Verlust kultureller Vielfalt kommen (vgl. z.B. Piolatto 2012, 31). Das ist eine eindeutig funktionale, utilitaristische Begründung des Werkschutzes, die damit deutlich dem Copyrightgedanken näher steht als der individualrechtlichen Begründung geistigen Eigentums: „Das Copyright ist ein reines Wirtschaftsrecht, das in erster Linie der Sicherung von Investitionen dient. Als Grund für die Gewähr des Rechts wird nicht die Verbindung zwischen Urheber und Werk, sondern der Belohnungsgedanke hervorgehoben. Belohnt wird derjenige, der, unter Einsatz gewisser finanzieller und/oder sonstiger Mittel, der Gesellschaft einen Dienst durch die verantwortliche Herstellung eines Wirtschaftsgutes mit einem gewissen Wert erbracht hat. Die Amortisierung solcher gemeinnützigen Investitionen soll durch das Copyright Law garantiert werden […] Der utilitaristische Grundgedanke des Copyrights entspricht also einer in erster Linie zweckorientierten Zielsetzung, die mit einer naturrechtlichen Begründung kaum vereinbar wäre“ (Kreutzer 2008, 38f.).

Wichtig ist einerseits die Tatsache, dass es sich beim Copyright um ein von Menschen gemachtes, positives Recht handelt, das mit seinem Werkschutz einen bestimmten Zweck im Sinne der Mehrung des gesellschaftlichen Wohlstandes erfüllt, im Gegensatz zur in Deutschland gängigen Vorstellung eines aus der Beziehung zwischen Schöpfer und Werk resultierenden vorstaatlichen Naturrechts als „Selbstzweck“, das den Urheber in den Mittelpunkt des Schutzes rückt. [45] Ein derartiges Naturrecht ist einerseits wie das Menschenrecht in der Theorie unveräußerlich und sakrosankt. Materielles wie geistiges Eigentum „nach John Lockes Vorstellung war aufgrund seiner Fundierung im Naturrecht vorstaatlich und vorsozial. Eigentum entsteht auch ohne und außerhalb von (politischer) Gesellschaft“ (Oberndörfer 2005, S. 29).

Andererseits immunisiert dieser Status als vermeintliches Naturrecht gegen jedwede Kritik und Reformanstrengung, ob gerechtfertigt oder nicht. Der Stempel des Naturrechts entzieht die Materie sozusagen dem Prozess politischer Willensbildung. „Getragen vom Zeitgeist der Spätromantik und der Aufklärung wurde das Urheberrecht rechtsphilosophisch so erklärt, dass es keiner Begründung oder Rechtfertigung bedarf. Es ist ein Naturrecht, das als ‘Geistiges Eigentum‘ bezeichnet wird“ (Kreutzer 2012). Das ist mindestens insofern fragwürdig, als Naturrechte überhaupt erst von politischen Gemeinschaften rückwirkend etabliert werden können und somit Ausdruck bestimmter politischer Konstellationen und historischer Situationen sind und damit per definitionem eben nicht vorstaatlich und unpolitisch, sondern Ergebnis politischer Auseinandersetzung. Auf diese Weise lassen sich bestehende Herrschaftsverhältnisse und möglicherweise problematische vergangene Aneignungsprozesse rechtfertigen. Die „Ideen, dass das Recht autonom und „Ausdruck einer Oberzeitlichkeit und Unveränderbarkeit sein müsse“ seien „höchst fragwürdig. Sie legen vielmehr die historische Interpretation nahe, dass die Juristen, die sich im Zusammenhang mit dem Phonographen dieser Vorannahmen bedienten, die Meinung vertraten, dass das Recht gleich bleiben sollte, gerade weil sich die Bedingungen geändert hatten“ (Dommann 2014, 102).[46]

Besonders deutlich wird dies an der Frage der „ursprünglichen Akkumulation“, also der Frage, wie es im Zuge der Transformation von einer feudalen in eine „bürgerlich-kapitalistische“ Gesellschaftsordnung zur Ungleichverteilung an Ressourcen / Kapital kam. Während die klassische Nationalökonomie dies mit dem Fleiß und der Arbeitskraft Einzelner erklärte, weil sich nur so die Trennung von Produktionsmitteln und Arbeitskraft rechtfertigen ließ, betont Marx die Gewaltsamkeit dieser „sogenannten ursprünglichen Akkumulation“, wie er sie spöttisch nennt, die dementsprechend besser als „Expropriation“ zu bezeichnen ist. Auch die damit einhergehende Vorstellung eines fairen Wettbewerbs in einem freien Markt ist ein Mythos. Vielmehr bedurfte es der vom Wirtschaftsliberalismus so verteufelten Hilfe des Staates, um den Kapitalismus überhaupt erst zu ermöglichen.

„Wie Marx eindrucksvoll zeigt, ist diese innere Landnahme von Anfang an ein hochpolitischer, auf Staatsintervention beruhender Prozess. Weder die Veränderung der Eigentumsverhältnisse und die Expropriation des Landsvolks, noch die Zurichtung und Disziplinierung der freigesetzten Arbeitskräfte für die neue Produktionsweise sind ohne Staatsintervention möglich. So wurden Gesetze, die ihren Ursprung in der Feudalzeit hatten, immer wieder genutzt, um einen allgemeinen Arbeitszwang zu etablieren und den Lohn politisch zu regulieren […] Der Kapitalismus war somit schon in seinen Anfängen keine selbstregulierte Marktwirtschaft, vielmehr fungierte der Staat als unentbehrlicher Geburtshelfer der neuen Produktionsweise“ (Dörre 2009, 37f.). In dem man die Quelle gegenwärtiger Ungleichheit in vergangener Leistung sucht, schützt man sich vor Kritik an der Ungerechtigkeit der aktuellen Verhältnisse. [47] Die Kritik am vermeintlich leistungslosen Schmarotzertum der Verwerter in Urheberrechtsdiskurs fußt wesentlich auf dieser Ur-Kritik am „Recht des Kapitals auf die Früchte fremder Arbeit“, welches Marx in seinen „Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie“ identifiziert.

Nuss spricht im Sinne Foucaults im Zusammenhang der „Property Rights“[48] Theorie daher von „unbewusst gebildeten Formationsregeln“, die „sich im herrschenden Eigentumsdiskurs in der Naturalisierung der historisch-spezifischen Eigentumsverhältnisse“ (Nuss 2006, 129) äußern.[49] So sind es nach Foucault „in der Hauptsache zwei Figuren, mit denen das moderne Denken bei seinen Erklärungsversuchen operiert: einmal die Historisierung, die auf die Geschichte als entscheidende Erklärungsinstanz rekurriert, und dann die Anthropologisierung, die den Menschen paradigmatisch ins Zentrum rückt“ (Lavagno 2006, 44). Der moderne Urheber ist demzufolge ein Produkt dieser „historisch-spezifischen“, bürgerlich-liberalen Gesellschaftsordnung, „die Funktion Autor ist an das Rechts- und Staatssystem gebunden, das die Gesamtheit der Diskurse einschließt, determiniert, ausdrückt“ (Foucault 2009, 217f.). Im Zuge der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft kam es zu einer erstaunlichen „Umkehrung“, „man begann wissenschaftliche Texte um ihrer selbst willen zu akzeptieren, in der Anonymität einer feststehenden oder immer neu beweisbaren Wahrheit; ihre Zugehörigkeit zu einem systematischen Ganzen sicherte sie ab, nicht der Rückverweis auf die Person, die sie geschaffen hatte […] Aber »literarische« Diskurse können nur noch rezipiert werden, wenn sie mit der Funktion Autor versehen sind […] Die Bedeutung, die man ihm zugesteht, und der Status oder der Wert, den man ihm beimisst, hängen davon ab, wie man diese Fragen beantwortet“ (ebd., 212).

Die Naturalisierung gegenwärtiger Eigentumskonzeptionen als anthropologische Gewissheiten lassen sich im Diskurs als fortwährende Betonung der Errungenschaft und langen Geschichte des geistigen Eigentums in Folge der Aufklärung entdecken. Der Autor als „ideologisches Produkt“ aber geht nach Foucault „den Werken nicht voran, er ist ein bestimmtes Funktionsprinzip, mit dem, in unserer Kultur, man einschränkt, ausschließt und auswählt; kurz gesagt, mit dem man die freie Zirkulation, die freie Handhabung, die freie Komposition, Dekomposition und Rekomposition von Fiktion behindert“ (ebd., 228). Oder mit Barthes: „Sobald ein Text einen Autor zugewiesen bekommt, wird er eingedämmt, mit einer endgültigen Bedeutung versehen, wird die Schrift angehalten“ (Barthes 2009, 191). Diese poststrukturalistischen Passagen zur Dekonstruktion des modernen Autorenbegriffs erinnern stark an die Vertreter einer freien Kultur und können als Blaupause moderner Urheberrechtskritik erachtet werden (siehe 4.9.1): „Heute wissen wir, dass ein Text nicht aus einer Reihe von Wörtern besteht, die einen einzigen, irgendwie theologischen Sinn enthüllt (welcher die >Botschaft< des Autor-Gottes wäre), sondern aus einem vieldimensionalen Raum, in dem sich verschiedene Schreibweisen [ecritures], von denen keine einzige originell ist, vereinigen und bekämpfen. Der Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur“ (ebd., 190).

Auch der einhergehende Glaube an die absolute und objektive Vernunft ist Teil dieses Prinzips. Die Funktion Autor „ist das Ergebnis einer komplizierten Operation, die ein gewisses Vernunftwesen konstruiert, das man Autor nennt. Zwar versucht man, diesem Vernunftwesen einen realistischen Status zu geben: Im Individuum soll es einen tiefen Drang geben, schöpferische Kraft, einen Entwurf, und das soll der Ursprungsort des Schreibens sein, tatsächlich aber ist das, was man an einem Individuum als Autor bezeichnet (oder das, was aus einem Individuum einen Autor macht) nur die mehr bis minder psychologisierende Projektion der Behandlung, die man Texten angedeihen lässt, der Annäherungen, die man vornimmt, der Merkmale, die man für erheblich hält, der Kontinuitäten, die man zulässt, oder der Ausschlüsse, die man macht“ (Foucault 2009, 214). Dementsprechend heiße „eine Fixierung des Sinns zu verweigern […] letztlich, Gott und seine Hypostasen (die Vernunft, die Wissenschaft, das Gesetz) abzuweisen“ (Barthes 2009, 191). Alle zentralen Begriffe des bürgerlichen Kunstverständnisses (Genie, Werk und Originalität) und die Vorstellung eines vernunftbegabten Subjekts gelten in diesem Verständnis mehr als kontingente Konstruktion denn als überzeitliche Wahrheit. Da Digitalisierung und weltweite Vernetzung dieser Absage an einen emphatischen Urheberbegriff zu neuer Blüte verhalfen, sollten die Definition und Zukunft des Subjekts zu zentralen, im Diskurs heftig umkämpften Fragen der digitalen Gesellschaft werden. Die vermeintlich absolute Vernunft erfuhr jedoch schon kurz nach ihrer „Erfindung“ im Rahmen der Aufklärung in Form der Romantik Kritik (siehe 6.5.6).

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