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3.3 Musikproduktion: Quantität vs. Qualität

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Ein weiterer wichtiger Aspekt des Copyrights und Unterschied zum kontinentaleuropäischen Urheberrecht ist dessen ökonomische Grundierung im Glauben an den freien Markt und die Vertragsfreiheit. Während das Copyright als ein Instrument im freien Spiel der Marktkräfte verstanden wird, gilt das Urheberrecht seinen Verteidigern, wie wir in der Diskursanalyse sehen werden, als ein Bollwerk gegen diesen freien Markt. [56] Im Diskurs wird diesem juristisch durchaus wichtigen Unterscheidung keine große Bedeutung geschenkt und werden individualrechtliche und utilitaristische Elemente der Legitimation des Urheberrechts bunt vermischt. Das dient auch als Brücke zur anfangs erwähnten Begründung des Investitionsschutzes zur Sicherung kultureller Vielfalt. Hierzu ein Auszug aus einem offenen Brief zum Tag des geistigen Eigentums, indem die utilitaristische Begründung des Copyright zum Schutz des kontinentaleuropäischen geistigen Eigentums Verwendung findet: „Langfristig wird so die kulturelle und kreative Vielfalt in unserem Land abnehmen und wir verspielen eine unserer wichtigsten Zukunftsressourcen“: [57]

Der Digital Music Report 2011 der IFPI (International Federation of the Phonographic Industry) konstatiert ebenso einen direkten Zusammenhang zwischen Piraterie-bedingten Umsatzverlusten und sinkenden Investitionen in neue Künstler. Ebenso sieht der IFPI vor allem unbekanntere Bands von diesen Gewinneinbrüchen betroffen. Superstars würden dank ihrer schon existierenden Popularität weniger von sinkenden Verkaufszahlen betroffen sein. “While much attention is paid to the live music market and to revenues from branding and other non-recording revenue sources, these tend to be the privilege of established artists rather than new and developing acts” (IFPI 2011). Abseits der Interessen bedingten etwas eigentümlichen Lobpreisung der eigenen Nachwuchsförderung (So gebe es insgesamt keine Branche, inkl. der Pharmabranche[58], die mehr Geld in Forschung und Entwicklung stecke als die Musikindustrie in ihre Talente), so scheint auch hier die Situation deutlich weniger eindeutig als suggeriert.

Der Bericht zeigt sinkende Verkaufszahlen von Debüt-Alben, nicht sinkende Veröffentlichungen. Die Logik lautet somit, die mangelnde Investition der Musik-Labels führe zu sinkender Popularität von Nachwuchskünstlern und somit zu einer steigenden Spaltung der Musikszene. Die neu entdeckte Sorge um die „armen Nachwuchskünstler“ auf Seiten der Musikindustrie mag dem einen oder anderen suspekt vorkommen, aber auch die entworfene Kausalkette ist fraglich. In der Regel wird Copyright / Intellectual Property, wie oben beschrieben, mit einem nötigen Investitions- und Produktionsanreiz zur Aufrechterhaltung des Güternachschubs gerechtfertigt in einem „trade-off […] between under-utilization and under-production of intellectual property“ (Piollato 2012, 31). Betrachtet man diese Kennziffer als Kriterium für die Situation der Musikindustrie in Abwägung privatwirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Auswirkungen, so ergibt sich ein anderes Bild. Folgt man den Ergebnissen der Studie von Handke zum deutschen Musikmarkt, leidet die kulturelle Vielfalt im quantitativen Sinne nicht am illegalen Downloaden: “The effect of unauthorized copying on the supply of copyright works is key for copyright policy. This paper presents preliminary empirical evidence that unauthorized, digital copying does not coincide with slower growth in the number of new works supplied in the German market for sound recordings. What is more, Germans spent more time listening to sound recordings after 1998 / 1999 than before, which suggests that the quality of supply has not deteriorated substantially with digital copying” (Handke 2012).

Qualitativ könnte man nun argumentieren, dass es zwar zu einer Vielzahl an Neuveröffentlichungen kommt, diese sich am Markt aber immer weniger durchsetzen können, auch weil Musiklabels weniger Geld in die Produktion und PR stecken, was auf Dauer zu einem Verlust an hochwertigem Nachschub führen könnte, denn „[o]ver time, the quality of supply should decline with unauthorized copying, as it becomes harder to recoup investments in the production of new creative works” (Handke 2012, 23). Dies würde mit der Diagnose des Netzkritikers Lanier zum Elend der neuen Musik übereinstimmen, dass „der Prozeß der Neuerfindung des Lebens durch Musik […] zum Stillstand gekommen zu sein“ scheint. „Wir haben vergessen, wie frisch Popkultur sein kann. Wo ist die neue Musik? Alles ist retro, retro, retro“ (Lanier 2010, 171).[59]

Dem entspricht eine Studie aus dem Jahr 2012, die eine zunehmende musikalische Stagnation konstatiert: Die Daten deuteten allgemein auf ein „important degree of conventionalism, in the sense of blockage or no evolution, in the creation and production of contemporary western popular music” (Serra’ et al. 2012, 5) in den letzten 50 Jahren hin. Was erstmal der These von der jüngsten Verflachung der Popmusik widerspricht, sondern eher eine grundlegende Eindimensionalität der Popmusik nahelegt. Man könne aber auch ein paar neue Trends[60] feststellen, die den Verdacht der musikalischen Monotonie erhärten, eine zunehmende Melodie- und Notenarmut: “We found evidence of a progressive homogenization of the musical discourse […] In particular, we obtained numerical indicators that the diversity of transitions between note combinations - roughly speaking chords plus melodies - has consistently diminished in the last 50 years” (Reuters.com 2012). Die Studie gibt daher auch etwas polemisch anmutende Ratschläge, wie man Altes in neuen Gewändern verkaufen könne, die zum Lamento der um sich greifenden „Retromania“ passen (Serra’ et al. 2012, 5).

Es lässt sich aus diesen Befunden jedoch keine Verbindung zwischen der scheinbaren Verarmung der Pop-Musik und dem bedrohten Urheberrecht ableiten. Vielmehr scheint es sich um ein generelles Phänomen der Musikindustrie zu handeln, bei dem die Demokratisierung der Musik und die damit einhergehende Neigung der meisten Konsumenten, Altbekanntes zu bevorzugen, eine Rolle spielen. Die Musikindustrie weiß mittels digitaler Technik immer genauer, was der Konsument will. Der Musikhörer beschränkt sich in seiner Wahl häufig freiwillig auf Bewährtes und Beliebtes und orientiert sich an Hitlisten wie u.a. Salganik / Watts (2006, 2008) zeigen. In einer ihrer Studien belegen sie sogar, dass fingierte Popularität mittels manipulierter Hitlisten einer „Self-fulfilling Prophecy“ gleich - zumindest kurzfristig - in echten Erfolg umschlagen kann. Diese kurzfristige Erfolgsstrategie könnte sich aber langfristig zum Schaden aller auswirken, denn die Manipulation führte in ihrem Experiment zur signifikanten Reduktion der Gesamtdownloads, da, wie sie vermuten, die Verbindung zwischen Popularität und Präferenz geschwächt wurde: „When too many bands employ this strategy, however, the correlation between apparent popularity and appeal is lowered, leading to the unintended consequence of the market as a whole contracting, thereby causing all bands to suffer collectively” (Salganik / Watts 2008).

Weil die Musikindustrie nun immer genauer weiß, was der Hörer will und dieser sich sehr stark am schon Populären und Bekannten orientiert, wird immer mehr von dem produziert und gespielt, was er schon kennt. „And not only are we hearing the same hits with greater frequency, but the hits themselves sound increasingly alike. As labels have gotten more adept at recognizing what’s selling, they’ve been quicker than ever to invest in copycats […] Even when offered a universe of music, most of us prefer to listen to what we think everyone else is hearing.” (Thompson 2014). Die Demokratisierung des Konsums mündet diesen Erkenntnissen zufolge in eine stete Monotonisierung der Produktion. Eine Manipulation, nicht zwangsläufig als geheime Verschwörung der Musikindustrie, sondern auch im Sinne der Empfehlung weniger populärer / unbekannter Musik, führe zu allgemein schwindendem Interesse. Ein nicht eben rosiger Ausblick mit Blick auf die Vielfalt der Kulturlandschaft. Und das nicht wegen der Gefährdung des Urheberrechts, sondern der Präferenzen der Hörer und Dynamik des Marktes.

Das scheint auf frappierende Art und Weise Adornos Kritik an der Kulturindustrie zu entsprechen: „Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit“ (1947, 144). Der Kundenwunsch wird dabei zum Alibi: „Die Wahrheit, dass sie nichts sind als Geschäft, verwenden sie als Ideologie, die den Schund legitimieren soll, den sie vorsätzlich erstellen […] Die Standards seien ursprünglich aus den Bedürfnissen der Konsumenten hervorgegangen: daher würden sie so widerstandslos akzeptiert. In der Tat ist es der Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, in dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenschießt“ (ebd., 145). „Technische Rationalität“ werde so zum „Rationalität der Herrschaft“. Es herrsche „Immergleichheit“: „Das Neue der massenkulturellen Phase gegenüber der spät-liberalen ist der Ausschluss des Neuen […] Es ist, als hätte eine allgegenwärtige Instanz das Material gesichtet und den maßgebenden Katalog der kulturellen Güter aufgestellt, der die lieferbaren Serien bündig aufführt“ (ebd., 160).

Um sich von den Strapazen des Arbeitslebens zu erholen, imitiere die Kulturindustrie dessen Monotonie: „Das Vergnügen erstarrt zur Langeweile, weil es, um Vergnügen zu bleiben, nicht wieder Anstrengung kosten soll und daher streng in den ausgefahrenen Assoziationsgeleisen sich bewegt. Der Zuschauer soll keiner eigenen Gedanken bedürfen“ (ebd., 162). Den oben beschriebenen Teufelskreis aus Kundenorientierung und Monotonisierung beschreibt Adorno wahrhaft prophetisch. Nur schwingt bei ihm - wie bekannt - ein normativer Kulturbegriff mit, der alle Produkte der Kulturindustrie pauschal verurteilt und daher - in seiner fundamentalen Kritik an der Totalität, die dem Detail als „ungebändigte[m] Ausdruck, als Träger des Einspruchs gegen die Organisation“ (ebd., 150) ein Ende setzte - ebenso undifferenziert bleibt und dabei in seiner eigenen Totalität die Möglichkeit kultureller Nischen übersieht. Abseits dieser totalen Verteufelung der Kulturindustrie bedeutet die oben angeführte Neigung der Konsumenten, Altbekanntes zu bevorzugen, nicht zwangsläufig und unzweifelhaft die Weigerung, sich auf Neues einzulassen. Um in unserem Fall Hörer mit neuer Musik vertraut zu machen, kommt trotz zahlloser neuer Netzangebote immer noch der Funktion Radio, in welcher technischen Form auch immer, eine Schlüsselrolle zu, der vor allem das Formatradio, aber auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk laut vielen Kritikern nicht ausreichend nachkommt.[61]

Adornos Erläuterungen liegt dabei die Annahme zu Grunde, man könne eindeutig zwischen richtig und falsch, gut und schlecht, Hoch- und Populärkultur unterscheiden, quasi ein objektives Maß für die „Qualität“ einer Gesellschaft finden.[62] Die Frage der Qualität ist aber selbstredend höchst strittig, da sie ein kulturell konnotiertes und dementsprechend variierendes Konstrukt darstellt und folglich ein schwer zu vereinheitlichendes und noch schwerer zu quantifizierendes Kriterium ist.[63] Nimmt man den durchschnittlichen Musikkonsum als Indikator für die Qualität von Musik, so lasse sich laut Handke kein Zusammenhang zwischen illegaler Verbreitung und der Qualitätsentwicklung konstatieren, der leichtere Zugang wiege also schwerer als mögliche Qualitätseinbußen. Die Gründe für steigenden Musikkonsum sind jedoch zu vielschichtig, um sie auf einen Faktor zu reduzieren (Handke 2012). Des Weiteren muss steigender Musikkonsum selbstredend nicht mit steigender Qualität einhergehen.

Waldvogel versucht aus diesem Grund den Nachschub an hochwertiger Musik zu messen, in dem er vorrangig Journalistenhitlisten (z.B. “best-of-the-decade” lists) vergleicht und dabei untersucht, ob seit Napster weniger Neuerscheinungen in diese Liste aufgenommen wurden (vgl. 2011). Da reine Verkaufszahlen wegen der Umsatzeinbrüche und hohen illegalen Verbreitung irreführend seien und die simple Zahl der Neuveröffentlichungen ebenso, da viele von ihnen nur sehr geringe Resonanz erzeugen würden, versucht er über die „unabhängige“ Qualitätsinstanz der Musikkritik ein geeignetes Maß für den Nachschub an guter Musik zu finden und kommt zu dem identischen Urteil, dass „[b]ased on the post-1999 trends, there is little evidence that the supply of new works has increased or contracted since Napster“ (ebd., 21). Er macht einen Schwund neuer Werke aus, der aber schon Mitte der Neunziger Jahre einsetzte, was wiederum auf andere Ursachen der „Musikkrise“, wie Kommerzialisierung und Entwertung, hindeutet. Des Weiteren bleibt zu bedenken, dass „because there were no changes in the returns to creating music in the periods of high output, it appears that supply varies over time for reasons unrelated to the incentive effects we seek to examine in this study” (ebd., 16). Sprich: Ein direkter und simpler Kausalzusammenhang zwischen copyrightbedingten Produktionsanreizen und der Produkt- bzw. Musikqualität lässt sich nicht herstellen.

Dennoch bleibt es ein Verdienst dieser Studie, einen qualitativen Maßstab in die Debatte einzuführen, der bei der Analyse der Situation von Superstarts und Neulingen nicht nur Umsatzrückgang bzw. Verteilung berücksichtigt. Die Zahl der Produktionen scheint auf Grund der Demokratisierung der Produktions- und Vertriebsmittel trotz der sinkenden Umsätze von Recorded Music stabil. Die neue Möglichkeit für unzählige Künstler, die eigene Musik kostengünstig an den Mann bzw. die Frau zu bringen scheint zumindest bisher stärker zu sein als die vermutete Produktionsabschreckung durch Piraterie. Nichts desto trotz bleibt die finanzielle Situation der meisten Musiker prekär (siehe 3.5). Über die Qualität der Neuerscheinungen lassen sich nur schwerlich Aussagen treffen, die Studie von Waldvogel belegt zumindest keinen direkten Zusammenhang zwischen illegalen Downloads und einem zu bemerkenden Qualitätsschwund. Andere erkennen einen mehr oder weniger alten Trend zur Monotonisierung, verbunden mit einem Hang zur „Retromania“ (Lanier, Reynolds, Sierra et. Al). Dabei lässt sich aber kein eindeutiger Zusammenhang zum Zustand des Urheberrechts herstellen. Vor allem wenn man berücksichtigt, dass Adorno schon 1947, wie gesehen, über die Monotonie der Kulturindustrie klagte. Vielmehr handelt es sich hier um ein komplexes Geflecht aus kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Effekten:

“The diffusion of digital copying technology has led to much discussion of copyright reform. Almost all major markets have sought changes in copyright policy. However, it may be misleading to base copyright policy on the assumption that there is a strong, positive relationship between excludability and content creation under current market conditions. To be sure, technological change in the copyright industries makes it hard to isolate the effects of unauthorized copying. Further empirical research on this matter is needed“ (Handke 2012, 25). [64]

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