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1 Einleitung

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Ausgangspunkt und Quelle des zu untersuchenden Umbruchs in der Musik- und Literaturindustrie ist das Phänomen der Digitalisierung, womit die „Umwandlung von Informationen wie Ton, Bild oder Text in Zahlenwerte zum Zwecke ihrer elektronischen Bearbeitung, Speicherung oder Übertragung bezeichnet [wird]. Die Digitalisierung nahm ihren Anfang in der elektronischen Datenverarbeitung, bei der Informationen in binäre Zahlenwerte umgesetzte werden. Das breite Publikum erreichte sie zunächst mit der Einführung der CD als Tonträger im Jahre 1982“ (Hans-Bredow-Institut 2006, 95). Diese CD, die der Musikindustrie zu Beginn eine goldene Zeit bescherte, gilt später im Diskurs sozusagen als trojanisches Pferd, welches den Keim des Unterganges der alten Plattenindustrie in Form digitalisierter und damit theoretisch verlustfrei kopierbarer Musik schon unbemerkt in sich trug. Ihren öffentlichen Siegeszug feierte die Digitalisierung dann im Zuge der Popularisierung des Internets zur Verbreitung digitaler Inhalte und Informationen, wobei die Musikindustrie im Zusammenhang mit der Musiktauschbörse Napster und der damit verbundenen Piraterie wieder eine Schlüsselrolle spielte. Sie wird daher oft in einem Atemzug genannt mit dem vermeintlichen Wandel von einer Industrie- zur Informations- oder Wissensgesellschaft in einer globalisierten Welt. „Access. Das Verschwinden des Eigentums“, wie Jeremy Rifkin 2000 diagnostizierte.

Nach Castells bezeichnet das Informationszeitalter „eine historische Epoche menschlicher Gesellschaften. Das auf mikroelektronisch basierten Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der Gentechnologie beruhende technologische Paradigma, welches diese Epoche charakterisiert, ersetzt bzw. überlagert das technologische Paradigma des Industriezeitalters, das primär auf der Produktion und Distribution von Energie beruhte“ (2001, 423). Wegen der Allgegenwart der Schlagworte von der Wissens- oder Informationsgesellschaft über alle politischen Grenzen hinweg gilt dessen Aussagekraft jedoch als begrenzt[1] oder, wenn damit normative Prämissen wie die neoliberale „Diagnose politischer Gestaltungs- und Regulierungsohnmacht“ verbunden sind, als strittig. „Insofern ist die Zeitdiagnose Wissensgesellschaft gerade im politisch-öffentlichen Diskurs mit einem spezifischen ‘Denkhorizont‘ (Pierre Bourdieu) verknüpft, der seinerseits zu einer verstärkten Naturalisierung und Verdinglichung gegenwärtiger Gesellschaftsstrukturen führt“ (Bittlingmayer / Bauer 2006, 13).

Dieser Denkhorizont im Rahmen des Einzuges der Digitalisierung in die Kulturindustrie ist es, der für diese Arbeit von besonderem Interesse ist. Mit welchen Kulturbegriffen wird dem digitalen Wandel begegnet und wie werden dementsprechend bestimmte umkämpfte Begriffe wie die Digitalisierung oder das Urheberrecht konnotiert bzw. naturalisiert? Und welche politischen Gesellschaftsvorstellungen zwischen Konservatismus und Liberalismus, Fortschrittsglauben und Kulturkritik liegen dem zu Grunde.[2] Die Rede von der Kulturindustrie impliziert nach Horkheimers / Adornos „Aufklärung als Massenbetrug“ schon ein normatives Urteil zum Wesen und der Qualität der von ihr produzierten Kunst und Kultur. Der Begriff findet hier Verwendung, da es sich sowohl im Bereich der Musik- als auch der Literatur unbestreitbar um globale Industrien der Kulturproduktion und Distribution handelt und er den Sachverhalt daher schlicht treffend umschreibt, weswegen man im englischen bzw. auf internationaler Ebene auch vollkommen selbstverständlich von „Cultural Industries“ spricht. Im Sinne der Cultural Studies folgt der Autor aber explizit nicht der implizierten normativen Ab- und Ausgrenzung in Kunst und Kommerz, in anspruchsvolle Hochkultur und minderwertige Unterhaltungs- oder Populärkultur, die im Rahmen eines normativen Kulturbegriffs oft einhergeht mit Formen der Technik- Modernitäts- und Kulturkritik, wie sie auch im Digitalisierungsdiskurs zu beobachten ist: [3]

Vor allem für die Frage des Urheberrechts im digitalen Zeitalter bleibt jedoch der Bezug zur Aufklärung als Bedingung und Motor der Moderne und ihrer Kritik interessant. Wegen der Manipulation der standardisierten „Pseudoindividuen“ durch die Bewusstseins- bzw. Kulturindustrie sei das Subjekt als bürgerlicher Erkenntnisträger ein (Selbst)Betrug (vgl. Horkheimer / Adorno 1947).[4] Mit eben diesem bürgerlichen Subjekt als Errungenschaft der Aufklärung wird im Diskurs jedoch sowohl die Verteidigung des Urheberrechts begründet als auch dessen Liberalisierung eingefordert. Solchen Oppositionen von hier aufeinandertreffenden divergierenden Kultur- und Gesellschaftsbegriffen soll im öffentlichen Digitalisierungs- bzw. Urheberrechtsdiskurs am Beispiel der Musik- und Literatur besondere Beachtung geschenkt werden.

Der Untertitel gemahnt dabei nicht zufällig an Walter Benjamin, dessen „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ nicht nur der Schlagwortlieferant ist, als der er im Diskurs häufig missbraucht wird, sondern schon früh die historische Bedingtheit des vorherrschenden Kunst- und Kulturbegriffs, seine bürgerliche Verortung und den Zusammenhang mit technischem Fortschritt herausgearbeitet hat und deswegen eine der Inspirationen für diese Arbeit darstellt (Benjamin 1972). Kunstwerke seien nicht zeitlos, sondern geprägt durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Durch die technische Reproduzierbarkeit der Kunst verlor sie den „Schein ihrer Autonomie“ (Benjamin 1972, 25), „die Kunst [ist] aus dem Reich des »schönen Scheins« entwichen“ (ebd., 21) und der Verlust der „Aura“ und „Echtheit“ veränderte ihre soziale Funktion von der „Fundierung aufs Ritual“ zur „Fundierung auf Politik“ (ebd.). Benjamin sah in den neuen Möglichkeiten technischer Reproduktion die Chance, das Kunstwerk aus dem Korsett bürgerlicher Konvention zu befreien, und so „das Verhältnis der Masse zur Kunst“ (ebd., 37) zu verändern. In der Politisierung der Massen liegt für ihn „der emanzipatorische Charakter der neuen Medien und künstlerischen Produktionsweisen“ (Moebius 2009, 51). Wenn er feststellt, dass „die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum im Begriff [ist], ihren grundsätzlichen Charakter zu verlieren […] Der Lesende ist jederzeit bereit, ein Schreibender zu werden“ (Benjamin 1972, 33), dann scheint er damit das moderne Phänomen des „Prosumers“ vorwegzunehmen (siehe 4.9.1).

Kunst sollte vom Selbstvergewisserungsritual bürgerlicher Kreise zum Vehikel gesellschaftlichen Wandels werden - eine klare Abgrenzung von Vorstellungen bildungsbürgerlicher „Hochkultur“ verbunden mit einer Öffnung des Kulturbegriffs für die breite Masse und eine Aufwertung und Rehabilitation der weitläufig sogenannten Populär- oder Massenkultur.[5] In Anlehnung an die Dadaisten trete daher der bürgerlichen Kulturpraxis der „Versenkung, die in der Entartung des Bürgertums eine Schule asozialen Verhaltens wurde, […] die Ablenkung als eine Spielart sozialen Verhaltens gegenüber“ (ebd., 42). Hier lassen sich zahlreiche offensichtliche Parallelen zur heutigen Zeit ziehen. Im Digitaldiskurs gilt die Dauerablenkung im Netz als Bedrohung und Angriff auf das kulturelle Erbe und bürgerliche Selbstverständnis. Und ebenso lässt sich im Zeitalter digitaler Reproduzierbarkeit einerseits die Hoffnung auf Demokratisierung und Emanzipierung im Verbund mit der Absage an „eine Anzahl überkommener Begriffe – wie Schöpfertum und Genialität, Ewigkeitswert“ (ebd., 10) und der „Zertrümmerung“ (ebd., 18) der viel zitierten Aura finden, andererseits ein leidenschaftliches Festhalten an diesen Konzepten aus Angst zumindest von Teilen des sogenannten „bürgerlichen Lagers“ vor einer Revolution des digitalen Mob im und durch das Netz. Dieser Kulturkampf um die Frage digitaler Devolution, Evolution oder Revolution soll in seinem Verlauf geschildert und seine elementaren diskursiven Strukturen herausgearbeitet werden.

Digitale Evolution, Revolution, Devolution?

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