Читать книгу Schwefel, Tran und Trockenfisch. Wie Hamburger Kaufleute Island eroberten - Brigitte Bjarnason - Страница 12
ОглавлениеStockfisch, der Zwieback der Meere
Das Trocknen, Räuchern und Einsalzen von Lebensmitteln sind jahrhundertealte Verfahren der Konservierung. Früher spielte die lange Haltbarkeit und die Vorratshaltung eine wichtigere Rolle als in der heutigen Zeit, wo eingedoste Lebensmittel, Kühlschrank, Gefriertruhe und die Chemie mit Konservierungsmitteln der E-Klasse uns den Luxus einer nahezu unendlichen Haltbarkeit anbieten. Beim Trocknen von Lebensmitteln geht es darum, so viel Wasser wie möglich zu entfernen. Je weniger Wasser, desto geringer ist die Gefahr von Schimmelbildung und der Verfall der Vorräte. Ein weiterer Vorteil dieses Verfahrens ist, dass das Produkt an Gewicht verliert und sich so besser für lange Transportwege eignet. Ein heute noch bekanntes getrocknetes Lebensmittel ist der Zwieback (zwie=zweifach). Auf Seereisen diente der aus Weizenmehl hergestellte Schiffszwieback zur Verpflegung der Mannschaft. Das zweimal gebackene Brot wurde zuerst als Brotlaib gebacken, dann in Scheiben geschnitten und noch einmal gebacken. Dabei verringerte sich der Wassergehalt und die Haltbarkeit wurde verbessert. Der Zwieback war empfindlich für Feuchtigkeit. Obwohl er im trockensten Teil des Schiffes verstaut war, wurde er schimmlig und wurmstichig. Fernando Kolumbus berichtete, dass die Matrosen auf Seereisen seines Vaters Christoph Kolumbus in der Dunkelheit einen Brei aus madigem Zwieback anfertigten, damit sie die Maden nicht sahen.
Brot ist seit jeher als Grundnahrungsmittel in Europa bekannt. Das Klima und die geografische Lage Islands machten jedoch den Kornanbau schwierig oder gar unmöglich. Das Nahrungsmittel, das den Bewohnern der Küsten den Lebensunterhalt sicherte, war der Fisch. Aber nicht immer ließ es das Wetter zu, mit kleinen Booten auf das Meer zu fahren. Die langen dunklen Wintermonate und der oft bestehende Nahrungsmangel mochten der Grund dafür gewesen sein, dass man das Alter eines Menschen oder Tieres nicht in Jahren, sondern in Wintern zählte. Ein Vorrat an Trockenfisch in der Speisekammer (búr) war überlebenswichtig.
Schon den Wikingern war das Trocknen von Fisch bekannt, wie archäologische Ausgrabungen und Untersuchungen in Haithabu bei Schleswig unter der Leitung des Osloer Professor Bastiaan Star gezeigt haben. Demnach verspeisten die Bewohner der Siedlung getrockneten Kabeljau aus den norwegischen Lofoten. Auch den Wikingern, die im 9. Jahrhundert Island besiedelten, dürfte das Verfahren, Fisch an der Luft zu trocknen, bekannt gewesen sein.
Der Mediziner und Ornithologe Friedrich August Ludwig Thienemann (1793-1853) bereiste 1820 die Insel und beschreibt die Verarbeitung des Fisches in seinem Buch »Reise im Norden Europas vorzüglich in Island« wie folgt:
»Zuerst werden die Köpfe abgeschnitten, dann die Leiber der Länge nach geöffnet, und Eingeweide sowohl als Rückrath herausgenommen. Die Lebern werden in Gefässen zur Thranbereitung verwahrt. Die ausgeweideten Fische werden auf Stein- oder Sandflächen ausgebreitet und des Tages mehrere Male gewendet, wo sie dann bei gutem Wetter 12 bis 14 Tage trocknen. Auch hierbei thut die schwarze Lava sehr gute Dienste, da die Sonnenstrahlen auf ihr viel stärker wirken, auch der Regen, wenigstens von der parösen oder dem Sande leicht eingezogen wird. Tritt Regen ein, so legt man die Fische zusammen, mit der Haut nach aussen, in kleine Haufen, wo sie längere Zeit liegen können, ohne zu verderben. Im Lande nennt man den so getrockneten Fisch Flat-fiskr, Flachfisch, und unterscheidet Hengi-fiskr, welcher auf dem Rücken aufgeschnitten, an eine Stange gereiht und in kleine dazu eingerichteten Häusern getrocknet wird, und Klipp-fiskr, von dem man nur wenig zubereitet, da viel Salz zu ihm nöthig ist. Der aufgeschnittene und gereinigte Fisch muss 3 Tage in Salz liegen, worauf er im Seewasser gewaschen, und wie Flat-fiskr getrocknet wird. Diese Art ist bei weitem die wohlschmeckendste.«
Vor dem Jahr 1300 beschränkte sich der Handel mit Trockenfisch in Island mit wenigen Ausnahmen auf das Inland. Um das Jahr 1340 verlor das isländische Wolltuch (vaðmál) seine bis dahin führende Stellung in der Ausfuhr isländischer Waren. Die Nachfrage nach Trockenfisch stieg an, da dieser in Europa eine beliebte Fastenspeise wurde. Während der Fastenzeit (Ostern, Weihnachten) und den Fastentagen (Freitag) verzichteten die Gläubigen auf Fleisch, Milch und Eier. Der Fisch bereicherte das eingeschränkte Nahrungsangebot.
Der damalige norwegische Trockenfischhandel konzentrierte sich auf das Kontor in Bergen als Umschlagplatz für norwegischen und isländischen Fisch nach England. Die dortigen Lübecker Kaufleute handelten vor allem mit norwegischem Fisch, den sie nach England (Boston) verschifften. Für isländischen Trockenfisch zeigten die Deutschen zunächst kaum Interesse. Das sollte sich erst im 15. Jahrhundert ändern.
Ausländische Händler, und insbesondere die Hamburger Hansekaufleute, entdeckten das Gold des Meeres für ihre Geschäfte, nachdem die Lübecker ihren Umschlagplatz in Boston an die Engländer verloren hatten, die mit isländischen skreið handelten. Das war vermutlich einer der Gründe, warum die Lübecker nun von Bergen und von Lübeck aus begannen, nach Island zu segeln. Ein weiterer Anstoß mochte der niedrige Einkaufspreis des isländischen Fisches und die steigende Nachfrage nach Fisch aus Island gewesen sein. Der isländische Trockenfisch war von seiner Beschaffenheit her wesentlich härter als der norwegische. Was zunächst als Nachteil galt, brachte aber, nachdem in Europa Mühlen zum Weichklopfen eingesetzt wurden, gewisse Vorteile. Da der isländische Fisch trockener als der norwegische war, nahm er beim Einweichen mehr Flüssigkeit auf. Im Gegensatz zu Island, wo der Fisch ungekocht mit Butter gegessen wurde, wurde der Fisch in Europa zum Essen eingeweicht und anschließend gekocht. Die sinkende Nachfrage nach norwegischem Trockenfisch in England hatte zur Folge, dass sich die Bergenfahrer aus dem Islandhandel zurückzogen, da auch ihr Markt in Brügge Schwierigkeiten bereitete und die Hamburger und Bremer größere Schiffe für die Fahrten nach Island einsetzen konnten.
Die katholischen Gebiete Deutschlands, Ungarns und anderer Länder zeigten gleichzeitig zu dieser Entwicklung ein starkes Interesse an isländischem Trockenfisch, der in die Hafenstädte an Nord- und Ostsee wie Brügge, Deventer, Lübeck und Hamburg angeliefert und dann weiter nach Köln transportiert wurde, wo man die Qualität des Fisches in einem Fisch-Kaufhaus prüfte, bevor er auf die Märkte geschickt wurde. Frankfurt am Main entwickelte sich nach Mitte des 15. Jahrhunderts zum Zentrum des Trockenfischhandels in den Rheingebieten. Auch die Klöster Klosterneuburg bei Wien und Strachov in Prag waren dankbare Abnehmer des isländischen Stockfisches. Der ab 1486 auf direktem Weg nach Hamburg angelieferte Fisch wurde mit Schiffen die Elbe hinauf Richtung Prag und Wien gebracht. Der Wasserweg schien den Händlern der sicherste Weg zu sein und es konnten größere Mengen transportiert werden. Die Fahrt von Hamburg nach Prag dauerte 36 bis 48 Tage, da sehr viele Zollstationen die Schiffer aufhielten. Man unterteilte den isländischen Stockfisch in mehrere Qualitätsgruppen. Der Fisch von höchster Qualität wurde Isländerfisch oder Pflachfisch genannt. Zum Kochen musste der harte Fisch erst eingeweicht werden. So soll in Hamburg der aus Island importierte Trockenfisch zum Teil an »Fischweicher« verkauft worden sein.
Obwohl die Isländer den Fisch fertig zur Ausfuhr verarbeiteten, erhielten sie, wenn nicht in Waren bezahlt wurde, nur 8 Prozent des Verkaufspreises. Transport und Zollkosten ab Hamburg erhöhten den Preis des Fisches für die Käufer in Mitteleuropa um 55–108 Prozent. Der Unterschied zwischen endgültigem Verkaufspreis und dem Preis, den die Isländer für ihren Fisch erhielten, betrug 181–278 Prozent. Wegen der beständigen Nachfrage und den erzielten Verkaufspreisen verdienten die Hamburger gut an dem Handel.
Heute wird statt Trockenfisch überwiegend Gefrierfisch und Frischfisch ausgeführt. Dennoch werden Sie in einigen Fischerdörfern noch Holzgestelle mit Fisch und Fischköpfen entdecken. Das Auslegen der Fische auf Steinen und Klippen wird nicht mehr praktiziert. Das Aufhängen der jeweils zwei an den Schwänzen zusammengebundenen Fische bzw. der zehn bis zwölf Stück aufgefädelten Fischköpfe, ist harte Knochenarbeit, denn ein Fischbund wiegt etwa fünf bis sieben Kilogramm. Der frische Fisch besitzt einen Wassergehalt von ca. 80 Prozent. Nach dem Trocknungsprozess von 50 bis 90 Tagen liegt der Wassergehalt bei etwa 15 Prozent. Ausschlaggebend für die Dauer des Trocknens sind die Wetterbedingungen. Trockener Wind beschleunigt die Verarbeitung. Günstig zum Aufhängen der Fische sind die Monate von September bis April, da der Geruch des Fisches im Sommer gerne Fliegen anzieht. Zu den Schädlingen zählen die Schmeissfliegen (Calliphora vicina) auf isländisch »skreiðarbokka« genannt und die Totenfliege »kirkjubokka« (Cynomya mortuorum), die, solange der Fisch weich ist, ihre Eier unter der Fischhaut ablegt. Auch Möwen und Raben zieht es zu den Trockengestellen mit dem Fisch. Zur Abschreckung der Fischräuber werden Vogelscheuchen oder tote Vögel eingesetzt.
Mittlerweile verwendet man, um den Trocknungsprozess zu beschleunigen, in den modernen Fischfabriken Wärmeventilatoren, die 15 bis 25 Grad heiße Luft auf die auf Gittern aufgestapelten Fische blasen. Dadurch lässt sich der Trockenfisch schneller herstellen und Qualitätsverluste durch Schädlinge werden vermieden.
Hauptabnehmer für isländischen skreið in Form von getrockneten Fischköpfen ist Nigeria. Auch Italien und Spanien stehen auf der Liste der Exportländer für Trockenfisch. Dort wird der Fisch (skreið) eingeweicht und gekocht gegessen. Abnehmer von zum direkten Verzehr weich gewalzten Trockenfischfilets (harðfisk = harter Fisch) sind die Färöer Inseln und Norwegen.
Auch auf Island wird heute noch gerne Trockenfisch in Form von harðfisk gekauft und gegessen. Der proteinreiche, wenn auch teure Snack ist ein beliebter Proviant für Wandertouren oder Exkursionen. Er wird mit Butter bestrichen oder pur gegessen. Es ist ein Irrtum zu glauben, nur frischer Fisch sei gesund. 1 kg Trockenfisch hat so viel Vitamin B, Kalzium und Eisen wie 5 kg Frischfisch! Der Eiweißgehalt ist hoch, der Fettanteil jedoch gering und er enthält keine Konservierungsstoffe.
Der Trockenfisch, das frühere »Armeleuteessen«, ist inzwischen eine kulinarische Spezialität geworden. Auf Island gibt es den harðfisk in jedem Lebensmittelladen oder auch an der Tankstelle in 50- oder 100-Gramm-Tüten zu kaufen. Den sollten Sie unbedingt probieren. Sie werden überrascht sein. Sollte der Trockenfisch Ihnen nicht zusagen, dann packen Sie die Tüte geruchssicher ein und nehmen Sie sie mit nach Hause. Den Hund oder die Katze Ihres Nachbarn können Sie damit auf jeden Fall bestechen. Allerdings vorsichtig, es könnte sein, dass Sie das Tier nicht wieder loswerden.
Wussten Sie, dass im März 1998 der vielleicht größte Kabeljau in Island bei Reykjanes gefangen wurde? Er hatte eine Länge von 186 cm und war siebzehn Jahre alt.