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Hurerei und Seeungeheuer: Hamburger berichten von Island

Was für Vorstellungen hatten die Menschen früher in Europa von der weit entfernten Insel Island? Wenn Reisende oder Seefahrer von ihren Abenteuern erzählten, wurde oft kräftig Seemannsgarn gesponnen. Das exotische Bild, das die Zuhörer oder Leser dieser Geschichten von Island bekamen, entsprach keinesfalls immer der Wahrheit. Es hat aber mit Sicherheit für unterhaltsame Stunden gesorgt.

Im 11. Jahrhundert erscheinen erste schriftliche Berichte über Island. Das in lateinischer Sprache verfasste Werk des Theologen und Historikers Adam von Bremen (vor 1050 bis 1081/1085) berichtet darüber hinaus von der Entdeckung Amerikas (Vinland) durch den Isländer Leifur Eiríksson (um 980 bis um 1020). Da Adam von Bremen, soweit bekannt, selber nie nach Island gereist ist, hat er seine Informationen wahrscheinlich von den sich in Deutschland aufhaltenden Isländern erhalten. Er stellte Island und seine Bevölkerung in seinen Schriften als Land ohne Kultur dar. Das entsprach jedoch keineswegs den Tatsachen, denn schon im Jahre 930 wurde in Island das isländische Althing eingeführt. Damals trafen sich im Sommer die Oberhäupter (Goden) verschiedener Landesteile auf dem Versammlungsplatz Þingvellir im Süden des Landes, wo Streitigkeiten geschlichtet, Gesetze erlassen, Urteile gefällt und auf oft grausame Weise vollstreckt wurden. Nachdem die Isländer im Jahre 1000 den christlichen Glauben angenommen hatten, blühte die Kultur in den Klöstern und Bischofssitzen auf. Es entstanden die berühmten Sagas.

Der Hamburger Gories Peerse, der, wie aus dem Renten- und Kassenbuch der im Jahre 1500 gegründeten St. Annen-Island-Fahrer-Brüderschaft hervorgeht, Schiffer und Kaufmann war, hat Island vermutlich um 1554 bereist und seine Eindrücke, wenn auch nicht immer wahrheitsgetreu, in dem Gedicht Van Ysslandt niedergeschrieben. Seine 1561 veröffentlichte Schrift empörte die isländischen Schriftsteller und Gelehrten sehr, da Peerse den Lebenswandel der Isländer äußerst abfällig beschreibt. Laut seinem Bericht lebte die Landbevölkerung in dunklen Erdhäusern, war verlaust und ernährte sich von verdorbenem ungesalzenem Fisch und Fleisch. Ehebruch und Hurerei waren laut Peerse weit verbreitet. Wenn Bier vorhanden war, wurde alles auf einmal getrunken. Bei den Saufgelagen standen die Männer nicht einmal zum Wasserlassen auf, so berichtete er. Die Hausfrau reichte den Männern einen Nachttopf und leerte ihn nach vollendetem Geschäft. Diese und andere eindrucksvolle Darstellungen Peerses, wie z. B. von Gletschern und feuerspeienden Vulkanen in der isländischen Landschaft, mussten damals für die Leser von abenteuerlichem Reiz gewesen sein. So berichtete er vom Hekla-Ausbruch 1554, wie aus dem Berg unter heftigem Getöse ein glühendes Feuermeer herausbrach und »grote Velsen und Steenberg thoschmeltet hat«. Er erzählt vom kargen Inneren des Landes, der grausamen Kälte, von der Vogelwelt und den Bären, die auf dem Eis von Grönland her nach Island kommen.

Dithmar Blefkens Buch über Island und Grönland erschien 1607 im holländischen Leiden. Als protestantischer Schiffsprediger soll er angeblich am 10. April 1563 mit zwei Hamburger Kaufleuten nach Island gesegelt sein. Seine Beschreibungen ähneln den Schriften Peerses. Blefkens abenteuerliche Berichte geben bisweilen aber ein noch unglaubwürdigeres Bild der Insel und ihrer Einwohner wieder. So wird behauptet, dass viele Isländer 150 Jahre alt werden und er einen 200-jährigen Mann getroffen hätte. Auch bieten, laut Blefken, die Isländer den ausländischen Kaufleuten ihre Töchter zum Beischlaf für Brot, Kekse und andere Kleinigkeiten an. Das Meer soll voll von gefährlichen Tieren sein: Wale, Haie, Pferde, Kühe, Hundfische und andere Bestien bevölkern die Gewässer rund um die Insel. Ein schwarzes Seeungeheuer mit einem kantigen, behornten Kopf und rot glühenden, feuerspeienden Augen soll einmal ein Fischerboot mit seinen Zähnen zerrissen haben. Zwei der drei Fischer ertranken, der Dritte konnte sich auf einer schwimmenden Planke retten und berichtete dem Gouverneur des Königs von seinem Unglück.

150 Jahre lang galt der abenteuerliche Bericht Blefkens als Hauptquelle für Informationen über Island.

Auf Bitte des Bischofs Guðbrandur Þorláksson versuchte der isländische Gelehrte Arngrímur Jónsson verzweifelt, die verleumderischen Angriffe auf seine isländische Heimat zu verteidigen: Zuerst 1593 mit dem Brevis commentarius de Islandia (Ein kurzer Kommentar über Island), 1612 in der Anatome Blefkeniana (Anatomie des Blefken) und 1618 mit der Schrift Epistola pro patria defensoria (Ein Schreiben für die Vaterlandsverteidigung).

1746 erschien in Hamburg das Buch Nachrichten von Island, Grönland und der Straße Davis von Johann Anderson, das in mehreren Sprachen übersetzt wurde. Von 1723 bis zu seinem Tod 1743 war Anderson Bürgermeister von Hamburg gewesen. Er selbst bereiste zu Lebzeiten weder Island noch Grönland und hat seine Informationen vermutlich von Seeleuten, Kaufleuten und aus anderen schriftlichen Quellen erhalten. Auch über seine Berichte regten sich die Isländer auf. Sie wurden als Seeräubergeschichten und unbedeutendes Geschwätz bezeichnet.

Trotz der harten Kritik isländischer Gelehrter hatten die Schriften Peerses, Blefkens und Andersons dennoch einen großen Einfluss auf das Bild Islands im Ausland. Allgemein darf man sagen, dass die Insel als unwirtliches Eiland und die Bevölkerung als primitiv und verwahrlost dargestellt worden ist.

Wussten Sie, dass der normannische Geistliche und Chronist Gerald de Barry (1146–1223) über die Isländer schrieb, dass sie selten sprechen, sich kurzfassen und nie lügen?

Schwefel, Tran und Trockenfisch. Wie Hamburger Kaufleute Island eroberten

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