Читать книгу Schwefel, Tran und Trockenfisch. Wie Hamburger Kaufleute Island eroberten - Brigitte Bjarnason - Страница 13
ОглавлениеLübeck, 15. Jahrhundert
Ich betrat die mit Bildern ausgemalte Diele des Kaufmannshauses. Eine Hausmagd nahm mir mein Gepäck ab und führte mich sogleich in die Dornse, die Schreibstube von Johann Hoyer.
»Willkommen in der Hansestadt Lübeck, Henrick Rode. Komm und wirf einen Blick in meine Bücher, dann kannst du sehen, wie gut unser Geschäft läuft«, sagte der Kaufmann stolz und legte den Federkiel aus der Hand, um mich zu begrüßen.
Ich trat an das Schreibpult und warf einen Blick auf die sorgsam beschriebenen Seiten seines Geschäftsbuches. In dem mit Lederriemen zusammengehaltenen Buch waren die Waren aufgeführt, die der Lübecker nach Island verschiffte. Mel (Mehl), Ber (Bier), Want (Tuch), Ketel (Kessel) und delen (Dielenholz) waren nur einige der vielen Güter, die dort aufgelistet waren.
»Und wann läuft Euer nächstes Schiff aus?«
»Nun mal langsam, Junge. Erst einmal wirst du im Speicher und in meinem Kontor für mich arbeiten. Später werde ich dir unseren Schipper vorstellen. Er wird entscheiden, ob er dich mit auf die Reise nimmt.«
Enttäuscht, aber dennoch guter Hoffnung, verließ ich Johann Hoyers Schreibstube.
Die ersten Tage in Lübeck stromerte ich neugierig durch die Gassen und über die Marktplätze. Auch schaute ich mir die Marienkirche an. Der riesige Kirchenraum dieses prachtvollen Backsteingebäudes ließ mich erschaudern. Was für ein Werk von Menschenhand erschaffen!
Schon bald drängte Johann Hoyer mich zur Arbeit. Wie bei meinem Vater schleppte und stapelte ich schwere Tuchballen und Säcke auf die muffig riechenden Lagerböden. Wenn die Zeit es erlaubte, lief ich zum Hafen, wo die rot-weißen Wimpel der Stadt Lübeck an den Masten der Koggen flatterten, die von der Ostsee über die Trave bis vor die Stadttore Lübecks gesegelt kamen. Voller Ungeduld wartete ich auf den Tag, an dem der Schiffer im Haus des Kaufmanns erscheinen würde. Eines Abends war es so weit. Ein stattlicher Mann mit Vollbart und Augen so blau wie das Meer erschien zum Essen im Kaufmannshaus. Er wurde mir als Schiffer Karsten Lude vorgestellt. Zusammen mit Johann Hoyers Ehefrau, den zwei Kindern, dem Kaufmannsgehilfen und dem Hausarmen aßen wir schweigend den Eintopf, den uns die Hausmagd vorsetzte. Ich konnte meine Erregung kaum noch unterdrücken.
»Wann machen wir uns auf die Reise nach Island?«, prustete es aus mir heraus.
»Dieser Spittelficks (dünner Junge) will mit uns nach Island segeln?«, brummte der Schiffer wenig erfreut.
»Ja, ich möchte bei Euch als Putker (Kajütenjunge) anheuern.«
Karsten Lude musterte mich abschätzend von Kopf bis Fuß. Dann lachte er heiser.
»So ein verwöhntes Hamburger Kaufmannssöhnchen sollte lieber zu Hause bleiben. Nicht alle, die diese Fahrt auf sich nehmen, betreten die Feuerinsel lebendigen Fußes. Auf jeder Reise sterben mir mindestens drei Männer weg. Das Nordmeer wimmelt von Meeresungeheuern, die so groß sind, dass sie ein ganzes Boot mit Mann und Maus verschlucken. Welchen Nutzen habe ich von einem Jungen wie dir, der mehr tot als lebendig unter Deck liegen wird?«
»Aber …«
»Es wird nichts aus der Fahrt nach Island, Lude«, ergriff plötzlich Johann Hoyer das Wort. »Meine Pläne haben sich geändert. Wie du weißt, hat die Kogge bei der letzten Islandfahrt große Schäden davongetragen. Auch sehen es die Bergener nicht gern, wenn Lübecker Kaufleute auf direktem Weg nach Island segeln. Wir werden übermorgen nach Nowgorod aufbrechen. Ich erwarte dort ein gutes Pelzgeschäft.«
Dann herrschte Schweigen. Karsten Lude starrte grimmig vor sich hin. Von Weitem hörte ich die Turmuhr schlagen. Ohne für das Essen zu danken, stand ich auf und packte meine Sachen.