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Er öffnet sofort, mustert mich, als müsste er prüfen, ob ich wirklich der bin, für den er mich hält. Bemerkt meinen rasierten Schädel und fragt: „Was ist denn mit dir passiert? Bekommst du eine Chemotherapie?“

Nickend deutet er mir, dass ich hereinkommen soll.

Der Flur ist eng und mit Kartons zugestellt. Wir betreten einen Raum, der eine Kombination aus Wohn-, Koch-und Arbeitszimmer zu sein scheint. Auf einer Miniküche türmt sich benutztes Geschirr. Eine Kaffeemaschine speit röchelnd neuen Kaffeesud in den verkrusteten Glasbehälter. In der Mitte des Raumes ein riesiger Tisch, auf dem abermals benutztes Geschirr, Stapel von Zeitungen, Schreibblöcke mit wildem Gekritzel darauf, ein flimmernder nagelneuer Laptop, ein überquellender Aschenbecher und angebissene Schokoladenriegel ein Stillleben der besonderen Art bilden. Drei verschiedene Stühle stehen um den Tisch, zwei davon sind mit Bergen von Kleidungsstücken behangen und belegt. An der Fensterseite des Raumes steht eine alte Zweisitzer-Couch. Auch auf ihr sind Kleidungsstücke und eine schäbige karierte Decke. Ein Fernsehgerät flimmert stumm durch seinen trüben Bildschirm die Nachrichten von den Unglücken der Welt in den Raum.

Mit einem Blick auf den Laptop frage ich: „Arbeitest du wieder?“

Er geht nicht auf meine Frage ein.

„Was willst du hier? Woher weißt du, wo ich wohne?“

Clemens sieht schlecht aus. Aufgedunsen, rote Augen, graues ungekämmtes Haar. Spuren von zu viel Alkohol, Nikotin und Psychiatrieaufenthalt.

„Ich weiß das eben. Ich möchte immer wissen, woher der Wind weht.“

Clemens zündet sich eine Zigarette an, dann leert er einen der Stühle, indem er die auf ihm gelagerten Utensilien einfach auf den Boden kippt, damit ich mich setzen kann.

Ich bleibe stehen.

„Es weht wohl ein heftiger Wind? Bei dem man die Haare verliert?“

Er grinst mich an und inhaliert den Zigarettenrauch.

„Genau. Und ich möchte wissen, ob du etwas damit zu schaffen hast?“

„Wobei zu schaffen? Klär mich auf!“

„Jetzt tu nicht so. Wenn Einer mich auf dem Kieker hat, dann ja wohl du. Ich gebe dir einen Rat. Lass mich in Ruhe. Sonst mache ich dich fertig!“, schieße ich scharf vor den maroden Bug.

„Ich dich auf dem Kieker? Es gibt es wohl eine ganze Reihe von Kandidaten, würde ich sagen. Schau hinter dich. Oder in den Keller, zu deinen Leichen. Und wie bitte, willst du mich noch fertig machen? Sieh dich doch um!“

Mit ausladender Geste schwenkte er seinen Arm, dabei fällt die Zigarettenasche auf dem Boden. Er lacht kichernd.

„Für dein Elend kann ich nichts, Clemens. Das hast du alles deiner eigenen Schwäche zu verdanken.“

„Schwäche? Du hast mir Christiane ausgespannt, meine Idee gestohlen, damit eine Menge Geld verdient und mich um meinen Anteil und meine Arbeit betrogen. Um mein Leben hast du mich betrogen! Du hast es mir gestohlen. Vielleicht war ich schwach, das kann sein. Aber das gibt dir nicht das Recht, mir alles zu nehmen! Du bist ein mieses Schwein, Konrad!“

„Du hast die Gesetze des Marktes nie verstanden. Ich habe nur meine Chancen genutzt. So funktionierten das Geschäft und letztendlich auch das Leben. Dass ich mit dieser Ansicht recht habe, sieht man daran, wohin es uns beide geführt hat.“

Mein Blick schweift durch seine erbärmliche Wohnung, dann sehe ich ihn wieder an und zucke mit den Schultern. Er ist ein Versager.

In meiner Hosentasche vibriert das Handy. Ich ignoriere es.

„Versuchst du mir zu schaden?“

„Ich weiß nicht, was dir passiert ist und es interessiert mich nicht. Außer dir passiert was so richtig Schlechtes. Ist das gerade so? Ich wünsche dir nur Schlechtes. Du sollst für das, was du mir angetan hast, deine Quittung bekommen. Ich glaube an Gerechtigkeit. Du wirst deine Strafe bekommen. Und du wirst selbst dafür verantwortlich sein. Dein Weg, den du gehst, der führt geradewegs in deine eigene Hölle. Lauf, Konrad, lauf. Immer weiter. Und wenn du angekommen bist, werde ich gerne zusehen, wie du darin schmorst. Und jetzt verschwinde. Raus hier!“

Die letzten Sätze schreit Clemens und sein Speichel spritzt dabei über den Tisch. Er schaut mich mit hasserfülltem Blick an und sinkt dann, als ob etwas Großes aus ihm entwichen wäre, in sich zusammen. Tränen laufen ihm über das Gesicht und er schluchzt mehrfach.

„Geh, geh, hau ab.“

Ich verlasse die Wohnung. Stehe im Hinterhof. Die Mütter samt ihren Kindern sind verschwunden. Nur der Hund ist noch da. Er steht mit angelegten Ohren mitten im Sandkasten und knurrt mich an. Die Wolken reißen auf und die Sonne schickt einen mich blendenden Strahl in die Tristesse.

In meiner Hosentasche vibriert erneut das Handy. Ich fummele es heraus, während ich durch das stinkende Treppenhaus Richtung Straße laufe.

Lutz Berner.

„Was ist denn?“, fahre ich ihn an.

Die Gesamtsituation zerrt an meinen Nerven. Ich will nach Hause. Muss über alles nachdenken.

„Die Koreaner haben den Termin heute Abend abgesagt. Sie möchten das Gesamtpaket einer erneuten Prüfung unterziehen. Mr. Kim Suong hat angerufen und wollte sie sprechen. Ich habe sie nicht erreicht.“

„Was soll das denn darstellen, spinnen die jetzt? Wir haben einen Vorvertrag! Hat Suong eine Nummer hinterlassen, auf der ich ihn zurückrufen kann?“

Kim Suong ist der Berner der Koreaner. Der Chef der Abordnung, Kim Huan, saß bei den Verhandlungen schweigend dabei und äußerte sich nur durch Kopf nicken oder schütteln.

„Ich schicke ihnen die Nummer, Chef. Schaffen sie es in einer halben Stunde zum Flughafen?“

„Wieso zum Flughafen?“

„Herr Suong teilte mir mit, dass sie einen früheren Flug gebucht haben und schon in einer Stunde abfliegen.“

„Berner! Wieso haben sie mir nicht Bescheid gesagt?“

„Ich habe versucht sie anzurufen, Chef.“

„Die Telefonnummer! Sofort zu mir!“, schreie ich ins Telefon und lege auf.

Eilig steige ich in mein Auto, starte den Motor, gebe Gas und fahre los. Mit schmatzenden Geräuschen setzt es sich in Bewegung. Während ich sofort wieder abbremse, sprechen die Reifendrucksensoren an und bekunden mir mit piependem Warnton und blinkender Lampe einen Defekt. Ich steige aus und schaue fassungslos auf die vier platten Reifen.

Schnitt

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