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Teil 1 Verteidigungsstrategien zur Vermeidung von Anklage und Verurteilung › VIII. Verteidigung älterer Verkehrsteilnehmer

VIII. Verteidigung älterer Verkehrsteilnehmer

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Relativ häufig werden ältere (vgl. auch Rn. 125 u. 477 ff) Kraftfahrer/innen (60 Jahre und älter)[1] beschuldigt, sich unerlaubt vom Unfallort entfernt zu haben. Unter ihnen ist die Zahl derer groß, die zuvor nie negativ im Straßenverkehr aufgefallen sind und somit keine Eintragungen im Bundeszentralregister und im Fahreignungsregister aufweisen. Ältere Kraftfahrer/innen fallen deswegen im Rahmen des § 142 StGB auf, weil mit zunehmendem Alter sowohl die akustische als auch die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit langsam nachlässt und die Tatsache des Unfalles oft deshalb nicht bemerkt wird bzw. darauf hindeutende Anzeichen falsch gedeutet werden.[2] Die Einschaltung eines Sachverständigen (Rn. 124 ff.) ist dann auch oft naheliegend, ggf. sogar geboten.

Die Verteidigung hat eine taktische Grundsatzentscheidung zu treffen. Soll dem/der Mandanten/in durch taktisches Verhalten die Fahrerlaubnis belassen bleiben oder soll Hilfestellung gegeben werden bei der Beendigung des Strafverfahrens und der Verhinderung eines möglichen führerscheinverwaltungsrechtlichen bzw. ordnungsbehördlichen Verfahrens z.B. mit Verzicht auf die Fahrerlaubnis.

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Bei der Verteidigung von älteren Kraftfahrern/innen, die beschuldigt werden, sich nach § 142 StGB strafbar gemacht zu haben, muss Ziel sein, eine Einstellung des Strafverfahrens (vgl. Rn. 88 ff.) zu erreichen. Kommt es nämlich zur Verurteilung bzw. zu einem rechtskräftigen Strafbefehl und damit auch zur Eintragung ins Fahreignungsregister, ist die Fahrerlaubnis, auch wenn das Gericht dem/der älteren Kraftfahrer/in die Fahrerlaubnis belassen hat, wegen eines möglichen führerscheinverwaltungsrechtlichen bzw. ordnungsbehördlichen Verfahrens konkret in Gefahr. Es muss dann damit gerechnet werden, dass die zuständige Fahrerlaubnisbehörde (Führerscheinstelle) auf Grund der Eintragung der Bestrafung ins Fahreignungsregister hiervon Kenntnis erlangt und dieses zum Anlass nimmt, ggf. die Fahreignungdes/der älteren Kraftfahrers/in z.B. durch eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung (BfF)[3], überprüfen lassen zu wollen.

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Der/die ältere Kraftfahrer/in erhält dann nach der Beendigung des Strafverfahrens oftmals eine Ordnungsverfügung mit dem Inhalt, dass man binnen einer bestimmten Zeit,

eine hausärztliche Bescheinigung,
ein fachärztliches Gutachten,
eventuell sogar eine positive medizinische und/oder psychologische Begutachtung

vorzulegen habe, anderenfalls die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde drohe. Sollte sich eine Verurteilung nicht verhindern lassen, sollte der/die ältere Mandant/in frühzeitig in der Beratung auf diese Gefahr hingewiesen werden und parallel zur Strafverteidigung sollten Strategien empfohlen werden, bei dem älteren Mandanten z.B.

durch eine freiwillige fachärztliche Untersuchung,
durch freiwillige Fahrstunden,
die (anonyme) Fahrprüfung für ältere Kraftfahrer (z.B. beim ADAC) usw.,

die Fahreignung (wieder) herzustellen. Auch gilt es unbedingt zu bedenken, dass niemals ausgeschlossen werden kann, dass die Staatsanwaltschaft oder der Strafrichter trotz der Einstellung des Strafverfahrens dem zuständigen Straßenverkehrsamt einen Hinweis auf den Tatvorwurf gegen den älteren Kraftfahrer gibt oder eine Kopie der Ermittlungsakten zum zuständigen Straßenverkehrsamt sendet mit der Folge, dass der Mandant trotz des Erfolgs im Strafverfahren dann die Aufforderung der Fahrerlaubnisbehörde erhält, eine positive medizinische und/oder psychologische Begutachtung vorzulegen

In diesem Zusammenhang wird nochmals, vgl. Rn. 117, auf

§ 2 Abs. 12 Satz 1 StVG
Nr. 45 Abs. 2 MiStra
§§ 483 ff. StPO

verwiesen, wonach die Fahrerlaubnisbehörde, unabhängig von der Beendigung des Strafverfahrens, Kenntnis von Bedenken an der Fahreignung des/der älteren Kraftfahrers/in erhalten kann.

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In der Praxis hat sich eine Übung eingestellt, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte bei älteren Kraftfahrern/innen, die eigentlich wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu bestrafen wären, bei einem freiwilligen Verzicht auf die Fahrerlaubnis durch den/die Mandanten/in, selbst bei krassem Fehlverhalten, gemäß §§ 153, 153a StPO (vgl. Rn. 88 ff.) das Strafverfahren einstellen. Begründet wird dieses u.a. mit der bisherigen Unbescholtenheit, dem hohe Lebensalter, der zwischenzeitlich gewonnenen Einsicht, besser nicht mehr am Straßenverkehr als Führer eines Kraftfahrzeuges teilzunehmen und der Tatsache, dass der/die ältere Kraftfahrer/in – aus Sicht der Staatsanwaltschaft – damit auch keine potentielle Gefahr mehr im Straßenverkehr darstellt.

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Die Neigung der Staatsanwaltschaft und der Gerichte, einen bis dahin unbescholtenen älteren Menschen zu bestrafen, ist gering, wenn die nötige Einsicht besteht. Schwieriger als die Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts zu einer solchen Vorgehensweise zu erreichen, ist oftmals die zu leistende Überzeugungsarbeit der Verteidigung dem/der eigenen Mandanten/in gegenüber, dass man besser das Fahrzeug verkaufen und künftig ein Taxi oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen sollte. Auch bei zunächst erklärter Weigerung, sollte den/der älteren Mandanten/in diese Möglichkeit zumindest angeboten werden, um das meistens aufgrund des Alters sehr belastende Strafverfahren frühzeitig und einvernehmlich zu beenden und einem möglichen führerscheinverwaltungsrechtlichen bzw. ordnungsbehördlichen Verfahrens (vgl. Rn. 113) zuvorzukommen.

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Die Kontaktaufnahme durch die Verteidigung im Ermittlungsverfahren: Es kann sinnvoll sein, dass der Verteidiger vor dem Absenden der Verteidigungsschrift mit dem zuständigen Staatsanwalt telefonisch Kontakt aufnimmt, den Eingang der Verteidigungsschrift ankündigt und die Verfahrensbeendigung so vorbereitet. Es ist auch denkbar, einige Tage nach Absendung einer solchen Verteidigungsschrift telefonisch mit dem zuständigen Staatsanwalt Kontakt aufzunehmen, um eine Einstellung des Verfahrens bereits in diesem frühen Stadium zu fördern. Dieses hängt von der jeweiligen örtlichen Praxis der Staatsanwaltschaft, der Person des Staatsanwalts und dem Verteidiger ab. Es gilt jedoch immer: Keine Verständigung mit der Staatsanwaltschaft ohne Zustimmung des Mandanten, keine Verständigung z.B. aus Bequemlichkeit zu Lasten des Mandanten.

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Die Kontaktaufnahme durch die Verteidigung nach Abschluss der Ermittlungen und vor Zulassung der Anklage: Die Anregung einer Einstellung des Strafverfahrens ist auch dann noch sinnvoll, wenn bereits Anklage erhoben wurde. Oft beauftragt der/die Mandant/in nämlich erst dann die Verteidigung, weil man zuvor überhaupt nicht mit der Möglichkeit rechnete, dass so weitreichende Folgen eintreten könnten. Dabei ist immer von der Verteidigung zu beachten, ob man sich noch im Zwischenverfahren nach §§ 199 ff. StPO befindet. Denn wenn noch keine Entscheidung über die Zulassung der Anklage getroffen wurde, kann im Zwischenverfahren angeregt werden, die Anklage nicht zuzulassen und das Strafverfahren doch einzustellen.

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Die Kontaktaufnahme durch die Verteidigung nach Zulassung der Anklage: Ist die Anklage zur Hauptverhandlung gemäß §§ 203, 207 StPO schon zugelassen, müsste eigentlich die Hauptverhandlung durchgeführt werde; denn eine einmal zugelassene Anklage kann gemäß § 156 StPO nicht mehr zurückgenommen werden; allerdings ist anerkannt, dass zum Zweck, das Strafverfahren nach §§ 153, 153a StPO einzustellen, die Staatsanwaltschaft „ihre“ Anklage zurücknehmen darf.[4]

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Die Kontaktaufnahme durch die Verteidigung nach Zulassung der Anklage und Bestimmung eines Hauptverhandlungstermins: Selbst dann, wenn bereits ein Hauptverhandlungstermin durch das Gericht bestimmt wurde, kann es im Einzelfall sinnvoll sein, zuvor (vgl. dazu auch Rn. 28) noch (nach Akteneinsicht) eine schriftliche Einlassung abzugeben bzw. eine Verteidigungsschrift zur Strafakte zu reichen mit dem Ziel, eine Einstellung des Strafverfahrens ohne den Termin zur Hauptverhandlung zu erreichen.

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Die Kontaktaufnahme durch die Verteidigung nach Erlass eines Strafbefehls: Im Strafbefehlsverfahren muss gemäß § 411 Abs. 1 Satz 2 StPO zwingend ein Hauptverhandlungstermin durchgeführt werden, um doch noch eine Einstellung des Strafverfahrens zu erreichen. Diesen Termin kann der Verteidiger jedoch auf Wunsch des älteren Mandanten ohne dessen Anwesenheit als mit schriftlicher Vollmacht versehener Vertreter gemäß § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO wahrnehmen.

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Zu beachten ist aber unbedingt die Regelung des § 236 StPO, wonach das persönliche Erscheinen des/der Angeklagten immer angeordnet werden kann. Gegen diese Anordnung gibt es gemäß § 305 Satz 1 StPO keinen Rechtsbehelf, aber ein Antrag im Sinne einer Gegenvorstellung, das Ermessen des Gerichts neu auszuüben, z.B. wenn die Verteidigung mitteilt, der/die Anklagte werde sich im Hauptverhandlungstermin sowieso auf das Schweigerecht berufen. Kommt der/die Mandantin nicht, ist die Rechtsfolge streitig, entweder die Anordnung von Zwangsmitteln nach § 230 StPO oder doch die Abwesenheitsverhandlung.[5]

Auch auf § 408a StPO wird verwiesen. Danach kann im Anklageverfahren im Hauptverhandlungstermin, zu dem der/die ältere Mandant/in nicht erscheint und das Ausbleiben auch nicht entschuldigt, ein Strafbefehl im Termin erlassen werden, was dann zwar eine Verurteilung darstellt, jedoch z.B. eine Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß §§ 69,69a StGB entfallen lassen kann. Wegen der Regelung des § 230 StPO, wonach bei Ausbleiben des Angeklagten auch Haftbefehl ergehen oder die Vorführung angeordnet werden kann, bedarf diese Vorgehensweise der sorgfältigen Verständigung vorab mit Gericht und Staatsanwaltschaft.

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Bei allen Konstellationen gilt, dass das Gericht, welches bis dahin allein nach Aktenlage den Sachverhalt beurteilt hat und sich allein auf die bisherigen Feststellungen durch die Staatsanwaltschaft verlassen muss und überhaupt noch keine Argumente aus Sicht der Verteidigung kannte, möglicherweise die Anregung einer Verfahrenseinstellung noch vor der Hauptverhandlung aufgreift, da dieses auch eine Arbeitserleichterung bedeutet. Ggf. nimmt das Gericht dann schon von sich aus oder auch auf die von der Verteidigung schriftlich formulierte Anregung hin telefonisch oder durch Rücksendung der mit einem entsprechenden Vermerk versehenen Akte mit der Staatsanwaltschaft Kontakt auf, damit doch noch eine Einstellung des Strafverfahrens vor der Hauptverhandlung erzielt werden kann.

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Schließlich sollte die Verteidigung auch die Möglichkeit bedenken, eine Einstellung des Verfahrens nach den §§ 154, 154a StPO (mit Rücksicht auf eine – schon relativ hohe – Bestrafung wegen einer anderen Tat oder eines Tatteils oder im Hinblick auf eine eventuell drohende Disziplinarstrafe [z.B. mit Beförderungsverbot[6]]) anzuregen.[7] Diese Anregung, kann schon während des Ermittlungsverfahrens oder erst in der Hauptverhandlung gegeben werden.

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