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Sieben

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Ich bin übel zugerichtet, Suze. Nicht wie Elizabeths Patienten – weder fehlen mir Gliedmaßen, noch leide ich an Wundbrand –, aber was meinen Kopf anbelangt. Ich versuche, es unter Kontrolle zu halten. Ich darf nicht zulassen, dass ich mich in Erinnerungen an Dinge verliere, die in Kabul geschehen sind. Ich weiß, das ist rutschiges Gefälle. Ich mag es nicht, wenn ich nicht funktioniere – so bin ich nicht.

Gestern Abend wurde mir klar, dass ich mit keinem Menschen gesprochen habe, seit ich hier bin, abgesehen von dem Mann im Feinkostladen. Das ist nicht gut. Ich beschloss, mir eine Bar zu suchen, um etwas zu trinken und jemanden zum Plaudern zu finden.

Es gab viele Orte zur Auswahl. Brighton ist nicht wie die Städte, in denen ich normalerweise lande: Städte, in denen man sein Gepäck aus einem Haufen, der sich auf dem Boden im Flughafen türmt, herausfischt und sein eigenes Vorhängeschloss für das Hotelzimmer dabeihat. Brighton hat absolut alles, was man für einen unbeschwerten Urlaub braucht. Tagsüber ist die Strandpromenade voller Menschen, die für einen Tag aus London herkommen, am Strand spazieren gehen und sich auf dem Pier vergnügen. Paare jeder Art lachen und küssen sich, machen Selfies mit ihren Handys. Am späten Nachmittag tritt eine Flaute ein, wenn die Gäste, die sich ein heißes Wochenende machen, in ihre Hotels zurückkehren und die Tagesgäste aus London den Zug nach Hause nehmen. Später am Abend wird es dann wieder lebendig.

Ich habe mir ein bisschen Mühe gegeben, ehe ich rausging, und den letzten Rest von Ediths Sandelholzöl im Bad aufgebraucht, mir die Beine rasiert, mir die Haare gemacht. Nicht für jemand anderen, sondern allein für mich. Es war lange her, dass ich das getan hatte, und es war schön, sich die Mühe zu machen. Ich roch nach Badeöl und fühlte mich gut, als ich durch Kemptown schlenderte – tausendmal besser als bei meinem verrückten Stolpergang zum Supermarkt. Unterwegs schaute ich in die Fenster, sah Menschen, die zu Abend aßen, fernsahen oder sich zum Ausgehen fertig machten. Ich erblickte eine nackte Brust in einem Dachzimmer, einen Mann, der vor einem Spiegel Posen einstudierte. Es war ein stiller Abend, ohne Wind, und die Fenster der hohen georgianischen Häuserfronten standen offen, Musik erscholl, Stimmen, die sich übertrumpften, aufgeregt bei dem Gedanken an den kommenden Abend. Der Geruch von Seeluft vermischte sich mit dem süßen Geruch von Joints, der von den Balkonen herüberzog.

Brighton bereitete sich auf den Freitagabend vor – Junggesellenabschiede, Hühnerpartys, Jungs in gebügelten Hemden und mit ordentlicher Frisur, die Mädels mit hohen Absätzen und winzigen Kleidchen taxierten, Studentinnen und Studenten in Jeans. Schwule Jungs nahmen die Terrassen der Bars am Meer in Beschlag, selbst jetzt, in der Herbstkälte, rauchend, flirtend, auf Aufriss aus.

Ich beschloss, die Bars an der Strandpromenade zu meiden. Ich suchte etwas Ruhigeres, wo der flippigste Cocktail ein Gin Tonic war, und nicht etwas Pinkes, Perlendes mit einer Wunderkerze. Schließlich entschied ich mich für eine Kneipe, von der ich vor Jahren gehört hatte, an der Old Steine, wo einst die Fischer ihre Netze zum Trocknen ausbreiteten, heute die Hauptverkehrsstraße ins Stadtzentrum.

Das Marlborough Pub, ein Backsteinhaus mit Erkerfenstern, sah nett aus. Es gab zwei Türen zur Auswahl, und einen Moment zögerte ich, verspürte diese kleine Welle aus Nervosität und Verheißung, die immer noch in mir aufkommt, wenn ich allein in eine lesbischwule Bar gehe. Aber dann sagte ich mir, nicht albern zu sein, und wählte die Tür auf der rechten Seite.

Drinnen war viel los, es war heiß und laut von den Stimmen, die mit der Musik von der DJ-Station im Fenster wetteiferten. Die meisten der Frauen waren jung und trugen eine inoffizielle Uniform aus Jeans und ärmellosen Tops. Sie drängten sich an der Bar, um den Billardtisch, tranken große Gläser Lager und kippten Tequila Shots.

Eine der Billardspielerinnen hatte eine kunstvolle Tätowierung, die sich über ihre Schultern und die Arme hinunter erstreckte. Weißt du noch, wie du immer gescherzt hast, dass ich die einzige Lesbe in London ohne Tätowierung wäre? Ich habe es nie fertiggebracht. Ich liebte die kleinen Schwalben, die in Formation über deinen Rücken flogen, aber sie waren die Ausnahme. Für mich bedeuten Tattoos Truppen: zähnefletschende Hunde, Kugeln und Bomben, Gewehre, nackte Frauen, Bibelstellen, Totenköpfe mit gekreuzten Knochen, der Sensenmann, Kruzifixe, Frauennamen. »Ungläubiger«, gekritzelt auf die junge Brust eines britischen Soldaten in Afghanistan.

Wusstest du, dass der Islam Tätowierungen verbietet? Als ich mit einem Platoon Marines im Irak war, junge Kerle von Anfang zwanzig, gab es einen ständigen Kampf zwischen ihnen und ihren Vorgesetzten, die ihnen beizubringen versuchten, ihre Tattoos auf Stellen zu beschränken, wo sie nicht gesehen wurden. Sie scheiterten natürlich: Diesen Jungs war es egal, sie stellten ihre Tattoos zur Schau und versuchten, eine Reaktion zu provozieren, wie die Teenager, die sie fast noch waren.

Ich wollte nicht an Soldaten denken. Ich entdeckte eine Tür am Ende der Bar, schob mich bis dorthin durch und trat in den anderen Raum.

Er hätte nicht unterschiedlicher sein können – ruhig, keine Musik, nur einige Paare saßen in gemütlichen Nischen. Auf dem Boden lag Teppich, ein Fensterblatt stand in der Ecke und ein Aquarium hinter der Bar. Vielleicht nicht das, was man cool nennen würde, aber mir gefiel es.

Ich bestellte einen Gin Tonic und setzte mich auf einen Hocker an der Bar. Die Barkeeperin war freundlich, flirtete sogar ein bisschen mit mir, aber als ich eine Zigarette hervorholte, schüttelte sie den Kopf und sagte: »Mm-mm, nicht hier drinnen.«

Ich hatte das mit dem Rauchverbot vergessen. Ich bin es gewohnt, an Orten zu trinken, wo die Luft dick vor Rauch ist, die Art von Ort, wo ein solches Verbot niemals toleriert werden würde. Genauso wenig wie eine Bar voller Frauen, wenn wir schon dabei sind – jedenfalls nicht diese Art von Frauen. Ich erinnerte mich an eine Hotelbar in Kigali, Ruanda. Die Deckenventilatoren waren kaputt, die Tische klebrig vom Bier. Katzen streiften umher, auf der Suche nach Essensresten. Wir waren den ganzen Tag unterwegs gewesen, hatten Leichen und Verwüstung gesehen, und wir waren müde und tranken, um zu vergessen. Die Bar war gefüllt mit den üblichen Verdächtigen: Waffenhändler, humanitäre Helferinnen, Söldner, Journalistinnen. Ein sehr betrunkener Mann kam auf mich zu und legte seine Hand auf meinen Hintern. Sein Atem roch nach Whisky, seine Haut war gerötet und seine Augen blutunterlaufen vom Alkohol und dem jahrelangen Blick in die afrikanische Sonne.

»Wie viel?« Sein Akzent war schwer zuzuordnen: südafrikanisch vielleicht, belgisch, holländisch.

»Was?«

»Du weißt schon«, sagte er und betatschte wieder meinen Hintern.

Ich hielt meine Stimme ruhig. »Ich bin keine Hure.«

Er hob eine Augenbraue. »Warum bist du dann hier?«

»Ich bin Fotografin – Journalistin.«

Er lachte, ein hohes, irres Gackern.

»Umso schlimmer, Mädel, umso schlimmer.«

Ich habe viele Abende an solchen Orten verbracht: Hotelbars ohne Fenster, so dass man nicht weiß, wie spät es ist; Bars neben Swimmingpools, die Dürre oder Krieg geleert hatten; Bars in schlechten Stadtvierteln, wo man das Grollen von Unruhen hört, die näher kommen; Bars hinter Eisengittern, in denen nur AusländerInnen oder die Eliten ungestraft Alkohol trinken können. Es war gut, mit meinem Gin Tonic hier zu sitzen und zu wissen, dass kein Mann sein Glück versuchen würde. Ich trank ihn schnell aus, ich mochte es, wie er mir sofort zu Kopf stieg. Ich bestellte mir gerade noch einen, als eine Frau zur Tür hereinkam. Sie setzte sich auf den Barhocker neben mich, schaute mich an und lächelte.

»Ist viel los nebenan«, sagte sie und wies mit dem Kopf zur anderen Seite des Pubs hinüber.

Sie war groß, wie du, mit dunklem Haar, lang und glänzend. Ich hob die Hand zu meinem Nacken und spürte die ungleichmäßige Linie. Weißt du noch, wie ich dich aus dem Kongo angerufen habe, um dir zu sagen, dass ich mir die Haare abgeschnitten hatte? Ich war in einem Krankenhaus gewesen, wo ich den ganzen Tag damit verbracht hatte, Fotos von kleinen Mädchen zu machen, manche nicht älter als sechs Jahre, die mit Flaschen vergewaltigt worden waren, alte Frauen, die von einem Dutzend Milizen sexuell missbraucht und zum Sterben zurückgelassen worden waren. Sie alle blickten mit leeren Augen in meine Kamera. Nachdem ich in mein Hotelzimmer zurückgekehrt war, nahm ich meine Nagelschere und schnitt mir die Haare büschelweise ab, ohne mir die Mühe zu machen, in den Spiegel zu schauen. Anschließend sammelte ich die Haare auf und steckte sie in einen dieser Handgepäckbeutel für Toilettenartikel. Plötzlich fürchtete ich mich vor Hexerei. Das war der Effekt, den der Kongo auf mich hatte: Ich war monatelang durch den Wind.

Meine Haare sind immer noch kurz. Das ist einfacher so. In einem Kriegsgebiet ist es besser, nicht gut auszusehen. Aber als diese Frau anfing, mit mir zu reden, fuhr meine Hand zu meinen Haaren hinauf, fast ohne dass ich es merkte. Es ist so lange her, dass mich jemand angebaggert hat, dass ich nicht einmal wusste, ob es das war, was sie machte, oder ob sie einfach freundlich war.

Das Gespräch dauerte nicht lange, denn schon bald wurde mir wieder schlecht, wie zuvor im Supermarkt. Ich hielt mich an der Theke fest, schluckte mehrmals und versuchte die Übelkeit zu unterdrücken. Mein Herz pochte, und das nicht wegen ihr.

»Ich bin Florence«, sagte die junge Frau.

»Ich bin Jo«, sagte ich, sprang von meinem Barhocker auf und rannte nach draußen, weil ich wusste, dass ich mich gleich würde übergeben müssen. Ich drängte mich an einer Gruppe von Frauen vorbei, die draußen rauchten, und kotzte auf den Gehweg.

Ich fragte mich, was da eigentlich passierte – wieso ich zum zweiten Mal in einer Woche die Kontrolle verlor. Als ich die Hand auf meiner Schulter spürte, zuckte ich zusammen.

»Ich bin’s«, sagte Florence. »Alles in Ordnung?«

Ich wusste, wie es aussah, nämlich als ob ich nichts vertrüge.

»Ja«, sagte ich, dann richtete ich mich auf und ging mit unsicheren Schritten in Richtung Strandpromenade.

Sie rief mir etwas nach, aber ich ging weiter, vorbei am ROYAL PAVILION, der vom Mondlicht erhellt wurde, vorbei an der Frittenbude an der Ecke, die ranzige Schwaden von altem Fett ausstieß, vorbei an den Clubs, den Karaoke-Bars, den Betrunkenen, dem Buswartehäuschen, direkt an der Promenade entlang, bis ich es endlich nach Hause geschafft hatte.

Rückblende

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