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Drei

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Was taten sie hier, diese Soldaten? So weit weg von zu Hause kämpften sie in einem Krieg, der nichts mit ihnen zu tun hatte. Ich vermute, das ist gar nicht so ungewöhnlich. Arme Männer lassen sich immer anheuern – ich habe genug Zehn-Dollar-Taliban gesehen, um das zu wissen. Ich frage mich, was sie davon hielten, zur Genesung in einem Königspalast untergebracht zu sein. Wie seltsam muss ihnen das erschienen sein, vielleicht aber auch nicht seltsamer als die Schützengräben an der Front.

Ich fühle mich auch seltsam, ich kann nicht aufhören, an Kabul zu denken. Heute Morgen beschloss ich, einen Spaziergang zu machen, um den Kopf freizubekommen. Ich zog eine alte Jeans an und meine dicken Stiefel, mummelte mich mit Schal und Handschuhen warm ein und machte mich auf den Weg zum Strand. Der kalte Wind, frisch und salzig, traf mich wie eine Ohrfeige. Mit knirschenden Schritten ging ich über die Kieselsteine, froh, dass es kein Sand war, froh über vieles, froh, nicht um Erlaubnis bitten zu müssen, dort zu sein, nicht von neugierigen Augen angestarrt zu werden, einfach gehen zu können, ohne zu denken, und nicht fürchten zu müssen, in die Luft gesprengt zu werden.

Ich rauchte, während ich ausschritt, wie immer, und dachte an dich. Weißt du noch, wie ich immer gesagt habe, es sei keine Sucht und dass es dort, wo ich arbeitete, praktisch ein Erfordernis sei? Zigaretten sind Schmiergeld, wenn du einen Kontrollpunkt passieren willst. Wenn die Scharfschützen aussetzen und du deinen nächsten Schritt planst, füllt eine Kippe die Pause. Soldaten wollen etwas zu tun haben, während sie auf die nächste Ansage warten. Die fünf Minuten, in denen man zusammen raucht, ist man fast einer von ihnen.

Du wolltest nichts davon hören. Du sagtest, ich sei eine elende Süchtige, die das Rauchen nicht aufgeben wolle, und das seien alles nur Ausreden und am Ende würde es mich umbringen. Du hattest natürlich recht, aber es war schwer, viel darum zu geben. In einem Kriegsgebiet denkst du nicht groß an deine langfristige Zukunft.

Am Strand habe ich auch nicht an meine Zukunft gedacht. Ich dachte an die Vergangenheit, als du mich nach Madrid mitgenommen hast, um mir Goya im Prado zu zeigen, weil er – wie du sagtest – mehr über den Krieg gewusst habe als jeder andere Maler. Wir gingen durch kühle Korridore, eine sanfte Mai-Brise wehte durch die offenen Fenster herein. Wir hatten den Morgen zwischen gestärkten Laken im Bett verbracht, Kaffee getrunken und uns gegenseitig mit Orangen gefüttert. Ich konnte ihren Saft noch auf deiner Haut riechen.

Als Erstes hast du mir Die Erschießung der Aufständischen gezeigt, El tres de mayo de 1808. Ich stand da und betrachtete die riesige Leinwand, ein Erschießungskommando, die Gewehre auf einen hell ausgeleuchteten Mann gerichtet. Er sah ihnen entgegen, auf den Knien aufgerichtet, die Arme ausgebreitet wie Christus am Kreuz. Vor ihm auf dem Boden einige Leichen, an seiner Seite weitere Gefangene, voller Panik, weil sie wussten, was als Nächstes kam. Den Ausdruck auf ihren Gesichtern kannte ich nur zu gut.

»Wenn ich das fotografiert hätte«, sagte ich, »hätte ich mich fragen müssen, ob ich nicht zu nah dran war und sie das Ganze für die Kamera inszenierten.«

Du hast nichts gesagt, hast bloß genickt und mich zu seinen Schwarzen Gemälden geführt, die er direkt auf die Wände seines Hauses gemalt hat, kurz nach den Napoleonischen Kriegen, als er fast wie ein Einsiedler lebte. Er hatte Angst, wahnsinnig zu werden, und als ich diese vierzehn Bilder sah – Saturn, der seinen Sohn verschlingt, Bauern, die mit Knüppeln aufeinander losgehen, eine Enthauptung, ein Hexensabbat, alles in Schattierungen von Schwarz und schlammigem Braun –, begriff ich, warum.

»Werde du nicht so verrückt«, hast du mir ins Ohr geflüstert.

»Nein«, erwiderte ich. »Das werde ich nicht.«

Ich stand am Meeresufer, sann nach, rauchte und schaute zurück auf die Strandpromenade. Kabul ist braun, tausend Schattierungen von Wüstenstaub. Als ich das erste Mal dort war, lag ich abends im Bett, konnte nicht schlafen und hörte das Krachen und Bersten der Luftangriffe, und ich spielte unser Spiel, bei dem wir darum wetteiferten, alle Wörter aufzuzählen, die wir für eine Farbe kannten.

Schokolade, Khaki, Maus. Kastanie, Haselnuss, Beige. Ocker, Kupfer, Bronze.

Brighton ist weiß (Kreide, Käse), vom Schaum der Wellen bis zu den schmutzigen Möwen und den abblätternden Regency-Villen – und heute sogar der Himmel. Ich wanderte den Strand entlang, bis zu dem Abschnitt, der für Nudistinnen und Nudisten reserviert ist. Ein alter Mann saß in einem Liegestuhl, nackt bis auf ein Paar Flip-Flops, abgeschirmt durch einen gestreiften Windschutz, der in der Brise knatterte. Er fing meinen Blick auf, als ich vorüberging.

»Ein schöner Tag dafür«, sagte er.

Und plötzlich war es ein schöner Tag. Ich liebte den Mann und seine unbekümmerte Nacktheit. Als ich in die Wohnung zurückkam, schaltete ich den Gaskamin ein, höchste Stufe, und zog mich komplett aus. Ich holte Elizabeths Tagebuch hervor, setzte meine Sonnenbrille auf und ließ mich in dem Korbsessel in der gulkhana nieder, die Füße auf einem marokkanischen Lederpuff, las und griente vor mich hin und spürte die Wintersonne auf meinem Körper, einfach weil ich es konnte.

Vielleicht wird alles gut, Suze. Vielleicht werde ich nicht verrückt, wie ich es dir in Madrid versprochen habe. Vielleicht wird auch mit mir alles gut.

Rückblende

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